Stellenwert der Beurteilung der ­dynamischen Herzleistung in der ­Flugmedizin

Ausgewählter Kasuistiken

Grundsätzlich ist und bleibt die Fahrradergometrie ein unverzichtbares Instrument in der Hand des fachkundigen versierten Fliegerarztes zur Beurteilung der kardiokorporalen Leistungsfähigkeit und -breite.

Vielfältige Aussagen sind möglich. Hierbei seien hervorgehoben die Stabilität des Sinusrhythmus, die Stabilität des Blutdrucks, die Stabilität der Erregungsbildung und der Erregungsausbreitung, die Beurteilung der Leistungsfähigkeit und die Beurteilung einer möglichen Ischämiereaktion, sowie die kostengünstige und gute Reproduzierbarkeit der Untersuchung.

Photo

Einleitung

  1. Anhand von ausgewählten Fällen zeigten sich, dass im Rahmen der routinemäßig durchgeführten Ergometrie, durch den Hinweis von
  2. gehäuften Herzrhythmusstörungen (gehäufte, gekoppelte, ventrikuläre Extrasysolen > 3/min und Couplets),
  3. Belastungsinduziertem Vorhofflimmern,
  4. Belastungsinduzierte neurokardiogene Syn­kope und
  5. Herzrhythmusstörungen als Folge eines übergangenen Infekts und daraus resultierender Myokarditis,
  6. belastungsinduziertem WPW Syndrom und belastungsinduziertem Linksschenkelblock, flugmedizinisch relevante Befunde erhoben werden konnten, deren Folgen, bei nicht oder verspäteter Diagnose, die Flugsicherheit erheblich hätten beeinträchtigen können.

Kernaussage

Nach einer älteren großen Metaanalyse, 1989 publiziert in Circulation, mit 147 Studien resp. mehr als 24 000 Patienten, beträgt bei der Ergometrie die Sensitivität 68 % und die Spezifität 77 %. Dies bedeutet, dass von 100 Patienten mit einer KHK 32 nicht richtig identifiziert werden (falsch-negativ) und von 100 Patienten 23 als krank eingestuft werden, obwohl sie gesund sind (falsch-positiv).

Die diagnostische Genauigkeit beträgt 73 %. Mehrgefäßerkrankungen, vor allem Dreigefäßerkrankungen und Hauptstammstenosen, haben eine höhere Sensitivität von 81 resp. 86 % und eine Spezifität von 66 resp. 53 %. Prolongierte ST-Senkungen findet man eher bei einer proximalen RIVA-Stenose, bei Mehrgefäßerkrankungen oder bei einer Hauptstammstenose.

Bei Eingefäßerkrankungen ist die Sensitivität wesentlich niedriger bei durchschnittlich 52 %. Koronare Veränderungen am RIVA werden besser erkannt als an der RCA. Am schwierigsten werden Ischämien infolge von Stenosierungen des Ramus circumflexus diagnostiziert. Auch bei fehlender Ausbelastung und unter Betablockermedikation ist die Sensitivität vermindert. Die Spezifität sinkt bei LV-Hypertrophie (abnorme Flussreserve), Klappenerkrankungen, Veränderungen im Ruhe-EKG und unter Digitalis. In diesen Fällen sollte bei einer pathologischen Ergometrie deshalb ein zusätzlicher diagnostischer bildgebender Stresstest erfolgen. Es zeigte sich, dass in 16,9 %, d. h. bei einem von sechs Patienten mit unauffälligem Laufband, während der Stressechokardiographie bei max. Belastung eine Ischämie nachgewiesen werden konnte.

Grundsätzlich gilt: Je besser ein Patient belastbar ist, desto geringer ist seine Mortalität. Pro 1MET steigt das Überleben um 12 %, was in einer Studie bei 6 213 Männern über sechs Jahre gezeigt werden konnte. Bei einer Belastung von 250W kann eine relevante KHK mit sehr großer Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden und bei einer Belastung von 200 W besteht eine gute Prognose auch bei einer KHK.

Können weniger als 75 W (5METs) geleistet werden, ist die Prognose schlecht. Betablocker müssen vor einem Belastungs-EKG nicht immer abgesetzt werden. Allerdings ist zu beachten, dass die max. Herzfrequenz reduziert und somit die Sensitivität reduziert wird, dafür aber ist die Spezifität eher erhöht.

Ein reanimationsbedürftiger Zwischenfall wird mit einer Häufigkeit von 0,02 - 2,2 % angegeben. Daher ist es eine selbstverständliche Voraussetzung, dass der Untersucher die Reanimationsmaßnahmen kennt und anwenden kann. Die unmittelbare Erreichbarkeit des Arztes ist zwingend erforderlich.

Eine vollständige CPR-Ausrüstung inklusive Defibrillator (AED oder anderes Gerät) muss griff­bereit sein. Es bedarf bei jeder Ergometrie mindestens einer Hilfsperson. Bei beobachtetem Kammerflimmern muss sofort defibrilliert werden, was in den ersten Minuten meistens erfolgreich ist (in der ersten Minute in > 90 %, von der zweiten bis zur siebten Minute in noch etwa 50 %). Mit jeder Minute ohne Herzmassage/Beatmung – im Verhältnis 30:2 – und sofortige Defibrillation sinkt die Überlebensrate um jeweils 10 %.

Leistungsbreite wird seitens der ZDv 46/6 gefordert. Hierbei kommt es auf die Rhythmusstabilität und Pulsregulation, vor/während und nach Belastung an.

Ebenso wird die Blutdruckregulation vor/während und nach Belastung beurteilt.

Die Ergometrie ist wichtiger objektiver Parameter in der Verlaufsbeobachtung im Rahmen des ADIP-Programm (Adipositasprogramm).

In der ZDV 46/6 Ziffer 315 Punkt 1 wird auf die Regulation des peripheren Kreislaufs eingegangen. Dieser soll sich in normalen ökonomischen Bereichen regulieren. In Ziffer 316 Punkt 6 wird ein adäquates RR-Verhalten in jeder Stufe eines standardisierten Belastungstest gefordert, sowie eine zeitgerechte Harmonisierung der Blutdruckwerte nach erfolgter Maximalbelastung.

Kasuistiken

In der routinemäßigen Untersuchung von Militärpiloten, bei denen im Rahmen ihrer Wehrfliegerverwendungsfähigkeit regelmäßig und jährlich eine Ergometrie durchgeführt wurde, konnten eindrucksvolle Befunde, bei bisher völlig asymptomatischen Probanden ermittelt werden.

Hierdurch wurde und wird aufgezeigt, dass sowohl im Rahmen des präventivmedizinischen Gedankens, sowohl die Gesundheitsfürsorge des Probanden zur sicheren Ausübung seiner Tätigkeit und der damit verbundenen Rechte, als auch die Flugsicherheit Berücksichtigung finden und daraus resultierende weitere Stufendiagnostik sowie Maßnahmen zur weiteren Verwendung zeitnah erfolgen konnte.

So kam es bei einem jungen, 23 jährigen Luftfahrzeugführer mit Verwendung im Jet Bereich unter Belastungsbedingungen zur Demaskierung eines WPW-Syndroms. Eine hiernach erfolgte elektrophysiologische Untersuchung und Therapie konnte im Verlauf zu einer Rhythmusstabilität führen.

Bei einem weiteren 43 jährigen Probanden fielen im Rahmen der Ergometrie gehäufte ventrikuläre Extrasystolen auf, die sich progredient erwiesen. Es kam zu einer belastungsinduzierten Synkope. Nach schneller und suffizienter notfallmedizinischer Stabilisierung, ergab sich im Rahmen der weiterführenden und umfangreichen kardiologischen Stufendiagnostik mit reproduzierbarer erneuter Synkope, eine schrittmacherpflichtige neurokardiogene Pathologie.

Bei einem 57 jährigen Luftfahrzeugführer auf Drehflügler kam es im Rahmen der routinemäßigen Ergometrie, bei polymorphen ventrikulären Extrasystolen zu einer belastungsinduzierten Synkope. Im Rahmen der dann folgenden Stufendiagnostik konnte eine intramurale Fibrosierung des Herzmuskels diagnostiziert werden, welche als Ausdruck einer übergangenen Myokarditis gewertet wurde. Hierauf folgte eine elektrophysiologische Untersuchung, bei der eine effektive Ablation bei nachgewiesenen und auslösbaren epikardialen und faszikulären Extrasystolen, erfolgen konnte. Ebenso wurde prophylaktisch ein ICD implantiert um vor malignen Herzrhythmusstörungen zu schützen.

In einer weiteren routinemäßigen Ergometrie kam es bei einem 55 jährigen Luftfahrzeugführer auf Fläche in der Erholungsphase zu einem Vorhofflimmern.

Im Rahmen der folgenden Stufendiagnostik zeigte sich in der Koronarangiographie eine koronare Eingefäßerkrankung bei LAD Stenose.

Durchführung

  • Beginn mit 100 W alle drei Minuten um 50 W gesteigert.
  • Definition einer tachykarden Belastungs­dys­regulation = nach drei Minuten Belas­tung bei 100 W Puls > 130/min und sechs Minuten nach Belastung > 100/min.
  • Zielgröße 3Watt/kg/KG (wird bei Jugendlichen oft nicht erreicht).
  • sofortige Erreichbarkeit des Arztes aus forensischen Gründen zwingend erforderlich.
  • Unverzichtbarkeit der Aufklärung.
  • strenge Abbruchkriterien gelten nur bei augenscheinlich kranken Probanden. Im Kontext einer Screeninguntersuchung kann dies, im Beisein des Arztes und nach ärztlicher Maßgabe sehr wohl überschritten werden.
  • Summationsschläge gelten nur als Hilfskonstrukt bei artefaktreicher Aufzeichnung.
  • Die Beurteilung erfolgt anhand des Originalausschriebs.
  • Maschinell gemessene Werte müssen von Hand validiert werden.
  • Sie hat als nicht invasive Methoden nicht nur große diagnostische Bedeutung, sondern erlauben auch Aussagen zur Prognose.
  • Untersuchungstechnik wird bewusst im Liegen und ohne Handgriffe durchgeführt, um möglichst Artefakt-frei zu bleiben.

Schlussfolgerung

Im Rahmen der Prävention in der flugmedizinischen Begutachtung und Vorsorge im Bereich der Inneren Medizin ist die Fahrradergometrie ein wichtiger Aspekt für die erfolgreiche Auftragserfüllung an Bord militärischer Luftfahrzeuge, deren Besatzungen ein hohes Maß an Belastbarkeit für das Herz-Kreislaufsystem ausgesetzt sind. Im Rahmen der physiologischen und pathophysiologischen Grundlagen, führt die dynamische Belastung zu einer Steigerung der Herz-Zeit Volumens und des myokardialen Sauerstoffverbrauchs. Hierbei stellt das Druck-Frequenz-Produkt (gebildet aus dem Produkt aus systolischem Blutdruck und Herzfrequenz) ein Maß für den indirekten myokardialen Sauerstoffbedarf dar.

Hiernach lässt sich ableiten, dass sich ischämische Veränderungen im Myokard zuerst durch Stoffwechselveränderungen, dann durch Änderungen der myokardialen Funktion gefolgt von EKG Veränderungen und zuletzt durch klinische Beschwerden manifestieren. Entscheidend sind drei Phasen (aerobe Phase, aerob-anaerobe Übergangsphase und anaerobe Phase bis zur Ausbelastung) der Energiebereitsstellung im Rahmen der stufenweisen Belastung.

Anhand verschiedener Fälle konnte aufgezeigt werden, wie bei flugmedizinischer Fragestellung und Risikostratifizierung im Rahmen der Stellungnahme auch zur Langzeitprognose bei primär gesunden Probanden, die stufenweise Belastung schwerwiegende Ereignisse, von klinischer und flugmedizinischer Bedeutung, demaskiert.

Es ist von größter ethischer, militärischer und ökonomischer Bedeutung, sicherzustellen, dass das fliegende Personal diesen Anforderungen gewachsen ist und im Rahmen des präventivmedizinischen Gedankens, gesundheitliche Schäden abgewendet und vermieden werden können. Auch muss eine Gefährdung des Personals durch den Einsatz als auch die Gefährdung des Einsatzes durch eine Gesundheitsstörung ausgeschlossen werden.

Wichtige diagnostische Entscheidungshilfe hier­bei, orientierend an den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie, ist hierbei die Ergometrie, die im Rahmen der individuellen Bewertung, gerade auch bei auffälligen Befunden, zu weiteren wichtigen Zusatzuntersuchungen, wie zum Beispiel Echokardiographie, Spiroergometrie und Stressechokardiographie letztlich zu erweiterten Behandlungsindikationen in Abhängigkeit vom kardiovaskulären Gesamtrisiko führt.

Fazit

Zusammenfassend gehört die Ergometrie zu den wichtigsten kardiologischen nichtinvasiven Verfahren mit großer diagnostischer Bedeutung und auch Wertigkeit in der Prognose bei flugmedizinischen Fragestellungen. Gemäß Vorschriftenlage (ZDv 46/6) wird die Ergometrie weiterhin als wichtiges und sinnvolles Instrument gesehen und ist aus internistischer Sicht zwingend beizubehalten.

Datum: 11.02.2016

Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2015/4

Verwandte Artikel

KASUISTIK: Darf man nach einem Herzinfarkt und einer Bypass-Operation noch fliegen?

KASUISTIK: Darf man nach einem Herzinfarkt und einer Bypass-Operation noch fliegen?

Norbert Güttler
Zentrum für Luft- und Raumfahrmedizin der Luftwaffe – Fachabteilung II, Fürstenfeldburck

Forschung und Wissenschaft

Forschung und Wissenschaft

Die Koordination von internen wie externen Kooperationen und Forschungsprojekten erfolgt im Zentrum für Luft- und Raumfahrtmedizin der Luftwaffe (ZentrLuRMedLw) in Köln in der Fachabteilung I Forschung, Wissenschaft und Erprobung.

Wehrmedizin und Wehrpharmazie 4/22

Aeromedical Evacuation – Beginn einer neuen  Generation

Aeromedical Evacuation – Beginn einer neuen Generation

Der Patientenlufttransport (Aeromedical Evacuation/AE) bildet einen wichtigen Stützpfeiler in der Rettungskette sowohl bei der Verlegung von PatientInnen im zivilen medizinischen Alltag wie auch im Sanitätsdienst der Bundeswehr.

Wehrmedizin und Wehrpharmazie 4/22

Meist gelesene Artikel