15.03.2011 •

REHABILITATION DER SCHALLEMPFINDUNGSSCHWERHÖRIGKEIT MIT TEILIMPLANTIERBAREN HÖRGERÄTEN

Aus der Klinik und Poliklinik für HNO-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie (Leitender Arzt: Oberstarzt Prof.
Dr. H. Maier) am Bundeswehrkrankenhaus Ulm (Chefarzt: Generalarzt Prof. Dr. Dr. E. Grunwald)

von Matthias Tisch und H. Maier

Zusammenfassung

Zur Rehabilitation der Schallempfindungsschwerhörigkeit haben sich in den letzten Jahren teilimplantierbare Hörgeräte zunehmend etabliert.

Patienten, die mit einem teilimplantierbaren Hörgerät versorgt wurden, berichten mehrheitlich über erhebliche Vorteile des Implantates im Vergleich zu konventionellen Hörgeräten. Genannt werden dabei ein deutlich besseres Sprachverständnis, vor allem im Störgeräusch, eine verbesserte Klangqualität, ein natürlicherer Klang der eigenen Stimme sowie die grundsätzlichen Vorteile eines offenen Gehörgangs. In Deutschland sind zwei teilimplantierbare Hörgeräte verfügbar, das MEDEL Soundbridge- und das Otologics MET-System. Beide sind aktive Mittelohrimplantate. Seit 1996 wurden circa 3 500 Soundbridge- Systeme und 300 MET-Systeme weltweit implantiert wurden.

Implantierbare Hörsysteme weisen einen breiteren Indikationsbereich im Vergleich zu konventionellen Hörgeräten auf. Vor allem die Versorgung von Hochtonschwerhörigkeiten wie auch von kombinierten Schwerhörigkeiten ist hier zu nennen. Betrachtet man querschnittlich Hörergebnisse bei allen mit diesen Systemen bislang versorgten Patienten, so resultiert im Mittel eine Anhebung der Hörschwelle um knapp 15 dB, entsprechend einem Hörgewinn von über 30 %.

Insgesamt betrachtet stellen implantierbare Hörgeräte damit eine hervorragende Ergänzung und Erweiterung der konventionellen Hörgeräteversorgung dar.

Rehabilitation of the sensorineural hearing loss by semi-implantable hearing aids

Summary

In recent years, semi-implantable hearing aids have become an established option in the treatment of sensorineural hearing loss. In Germany, two semi-implantable systems are available, namely the MED-EL Soundbridge system and the Otologics MET system, both of which are active middle ear implants. Since 1996, almost 3,500 Soundbridge systems, and 300 MET systems, have been implanted worldwide.

The majority of implanted patients consider implants superior to conventional hearing aids in many respects. Reported benefits include improved speech intelligibility (especially in noise), better sound quality, a more natural sounding own voice, and the general advantages of an open ear canal.

Implantable hearing systems can be used for a wider range of indications than conventional hearing aids. They are particularly useful in the treatment of patients with high-frequency hearing loss and patients with combined hearing loss. An analysis of the hearing outcomes that have thus far been reported for all patients with a hearing implant shows an average improvement in the hearing threshold by 15 dB, which corresponds to an improvement in hearing of more than 30 %. As a consequence, semi-implantable hearing systems are an excellent addition to the existing range of conventional hearing aids. Keywords: sensorineural hearing loss, treatment, hearing aids, semi-implantable

1. Einleitung

Hören zu können, ist von allen Sinneswahrnehmungen die wichtigste Voraussetzung für die geistige Entwicklung des Menschen und für ein sozial integrierendes Leben in der Gesellschaft. Rund 14 Millionen Menschen in Deutschland leiden unter mehr oder minder starker Schwerhörigkeit. Ohne Behandlung entstehen bei Kindern Sprachentwicklungsstörungen, bei Erwachsenen droht die soziale Isolation. Insbesondere Hochtonschwerhörigkeiten, die bei Lärmbelastung (Schießausbildung, etc.) besonders häufig auftreten, führen zu einer erheblichen Einschränkung der Lebensqualität durch verminderte Diskrimination im Störlärm. Daher ist die Frage einer adäquaten Hörrehabilitation von herausragender Bedeutung für den Sanitätsdienst der Bundeswehr.

Als Therapie kam bis vor 15 Jahren ausschließlich eine konventionelle Hörgeräteversorgung in Betracht. Gerade bei einer hochgradigen Schwerhörigkeit stoßen jedoch konventionelle Hörgeräte aufgrund bauartbedingter technischer Einschränkungen an ihre Grenzen. Hier sind Hörgeräteimplantate aufgrund der Trennung ihrer Einzelkomponenten nach wie vor im Vorteil. Sie bieten in der Regel eine bessere Klangqualität und differenziertere Spracherkennung dank geringerer Verzerrung. Daneben spielen auch medizinische Gründe, wie zum Beispiel intolerable Okklusionen des Gehörganges und rezidivierende Gehörgangsentzündungen, bei der Entscheidung für ein Hörgeräteimplantat eine Rolle. Für eine Reihe von Patienten spielt auch die Stigmatisierung durch ein konventionelles Hörgerät eine entscheidende Rolle, sich gegen ein solches Hörgerät zu entscheiden. Anders als für einen normal Hörenden ist es für einen Hörbehinderten besonders schwer, verzerrte Sprache zu verstehen. Darüber hinaus können konventionelle Hörgeräte bei einzelnen Patienten zwar in der Hörprüfkabine effektiv sein, während ihre Anwendung in spezifischen Alltags- und Berufssituationen nur eingeschränkt oder gar nicht möglich ist. Dies trifft insbesondere für Hören im Störlärm oder in Konferenzsituationen zu [19].

Diese Nachteile lassen sich in den meisten Fällen durch teilimplantierbare Hörgeräte umgehen. Der Grund hierfür liegt vor allem in der Tatsache begründet, dass aktive Mittelohrimplantate an die Gehörknöchelchenkette angekoppelt werden und so das Innenohr direkt stimulieren [1, 2, 4, 8, 10, 11].

2. Methoden

2.1 Technik
Das teilimplantierbare Hörsystem Vibrant Soundbridge® (VSB) der Firma MED-EL ist seit 1996 am Markt und wurde mehr als 3 500 Patienten implantiert.

Das VSB-System setzt sich aus einem äußeren und einem inneren Teil zusammen. Der äußere Teil (Abb 1) ist ein Audioprozessor, der mit einem Magneten am Kopf unter dem Haar angebracht wird und das Mikrofon, die Batterie und Elektronik enthält. Das Schallsignal wird von dem Mikrofon aufgenommen, in ein elektrisches Signal umgewandelt und an den unter der Kopfhaut implantierten Teil via Induktion übertragen. Der interne Teil besteht aus einer Empfangsstation, die das Signal aufnimmt und über ein Verbindungskabel an den sogenannten Floating Mass Transducer (FMT) weiterleitet, der an den langen Ambossschenkel mittels einer Titanklammer (Abb 2) angekoppelt ist.

Bei dem FMT handelt es sich um einen elektromechanischen Wandler, der das akustische Signal in Schwingungen umsetzt, die direkt über die Gehörknöchelchenkette auf das Innenohr übertragen werden. Aufgrund der geringen Masse des FMT (25 mg) kommt es, wie in zahlreichen Studien belegt werden konnte, zu keiner Beeinträchtigung des Restgehörs [3, 13, 17]. Durch die direkte Platzierung des FMT im Mittelohr ist das Auftreten von Rückkopplungen unwahrscheinlich, da kein direkter Schallweg zwischen FMT und dem im äußeren Teil gelegenen Mikrofon besteht.

Da das akustische Signal direkt auf das Innenohr übertragen wird, und der Gehörgang offen bleibt, resultieren erhebliche Vorteile gegenüber konventionellen Hörgeräten: eine verbesserte Signalqualität, eine Vermeidung von Rückkopplungen und Verzerrungen des Sprachsignals und ein natürlicher Klang der Stimme. Ein weiterer Vorteil gegenüber konventionellen Hörgeräten zeigt sich in der Übertragung höherer Frequenzen (bis 10 kHz). Insgesamt resultiert eine deutliche Zunahme der Sprachverständlichkeit im Allgemeinen und insbesondere im Störlärm.

2.2 Indikationen
Teilimplantierbare Hörgeräte eignen sich besonders gut für die Versorgung von Patienten mit einer Schallempfindungsschwerhörigkeit, die einen Hochtonsteilabfall aufweisen, wie man ihn nach akuten und chronischen Lärmbelastungen findet. Dies erklärt sich aus der Bauweise der Implantate, die in den mittleren und hohen Frequenzen besonders effektiv die Schwingungen verstärken können.

Daneben sind teilimplantierbare Hörgeräte bei Patienten indiziert, bei denen aufgrund der Anatomie des äußeren Gehörganges, rezidivierenden Gehörgangsentzündungen oder anderen chronischen Hauterkrankungen mit Beteiligung des äußeren Gehörganges eine Versorgung mit konventionellen Hörgeräten nicht möglich ist.

Der Indikationsbereich bei reinen Schallempfindungsschwerhörigkeiten ist in Abbildung 3 dargestellt, wobei bei Einsatz des Standard- Audioprozessors die Obergrenze bei 500 Hz 65 dB und bei 6 000 Hz 85 dB beträgt. Darüber hinaus ist der Einsatz eines stärkeren Audioprozessors möglich, der die Obergrenze in den genannten Frequenzbereichen um ca. 25 dB erhöht.

Vor der Implantation eines VSB-Systems kann dem Patienten eine Vorstellung über die zu erwartende Hörverbesserung mithilfe des sogenannten Direct Drive Stimulators vermittelt werden. Hierbei wird der FMT nahe bzw. auf dem Trommelfell platziert und über einen CDPlayer mit Verstärker angesteuert. Alternativ kann auch der Gehörgang mit Flüssigkeit gefüllt werden, in die der FMT eingetaucht wird.

2.3 Operatives
Vorgehen Die Operationsschritte, die für die Implantation nötig sind, ähneln dem Vorgehen bei Cochlea-Implantaten. Nach einem retroaurikulären Hautschnitt wird zunächst eine erweiterte Antrotomie durchgeführt. Hierbei muss der kurze Ambossfortsatz sicher identifiziert werden. Anschließend wird das Implantatbett angelegt. Im Gegensatz zu anderen Autoren [4, 9, 16], die in den Schädelknochen ein vollständiges Implantatbett für die Aufnahme des VORP´s (Vibrant Ossicel Replacement Prothesis) fräsen, empfehlen wir, lediglich ein kleines Knochenlager für die Aufnahme des vorderen Anteils des VORP anzulegen. Der Magnet, der den Audioprozessor hält, wird unter den M. temporalis und die Kopfschwarte platziert. Der Vorteil für den Patienten bei diesem Vorgehen besteht darin, dass ein wesentlich kleineres Wundbett und damit ein geringeres Operationstrauma resultieren. Eine weitere Modifikation des herkömmlichen Vorgehens besteht darin, dass eine Knochenbrücke am Übergang zur Antrotomiehöhle erhalten wird. Unter dieser wird später der vordere Anteil des Demodulators durchgeführt und gleichzeitig ohne Fadenarmierung fixiert.

Nach Komplettierung der Antrotomie wird die posteriore Tympanotomie angelegt. Nach Möglichkeit sollte der Zugang zur Paukenhöhle mindestens einen Durchmesser von 3 mm haben. In Anbetracht der Tatsache, dass hierbei sowohl die Chorda tympani als auch der N. facialis gefährdet sind, ist die Verwendung eines intraoperativen Fazialismonitorings empfehlenswert. Nach Abschluss dieser Vorarbeiten wird das Implantat positioniert, der FMT durch die posteriore Tympanotomie durchgeführt und mit der Titanklammer am langen Ambossfortsatz befestigt (Abb 4 und 5).

Etwa 8 Wochen nach dem Eingriff erfolgt die Anpassung des Audioprozessors beim klinischen Audiologen oder dem Hörgeräteakustiker.

3. Ergebnisse und Diskussion

Am Bundeswehrkrankenhaus Ulm wurden in den letzten 7 Jahren 71 Patienten mit einem teilimplantierbaren Hörsystem vom Typ Vibrant Soundbridge versorgt. Die Daten von 65 einseitig und fünf beidseitig operierten Patienten wurden bislang ausgewertet und zeigten vergleichbare Ergebnisse zu den von anderen Autoren publizierten Daten [5, 6, 7, 12, 16].

Die von uns operierten Patienten (52 Männer, 13 Frauen; hiervon 20 Bundeswehrangehörige) waren im Median 63 Jahre alt (17 bis 79 Jahre).

Bei keinem der Patienten kam es postoperativ zu einer relevanten Abwanderung der Knochenleitungsschwelle oder einer Beeinträchtigung der Schallleitung infolge der Ankoppelung des FMT am langen Ambossfortsatz (Abb 6). Die funktionelle Hörverbesserung nach Anpassung des VSB Systems betrug zwischen 8 und 40 dB. Der Median der funktionellen Hörverbesserung über alle Frequenzen hinweg lag bei 18 dB, entsprechend einem Hörgewinn von knapp 40 % (Abb 7).

Besonders deutlich wird der Hörgewinn des VSB Systems bei 60 dB. Im Freiburger Sprachtest wurde ohne Hörhilfe eine Einsilberverständlichkeit von durchschnittlich 50 % erreicht. Mit den vor der Operation getragenen konventionellen Hörgeräten erreichten die Patienten im Median 58 % und mit einem Implantat 86 % Einsilberverständlichkeit (Abb 8).

Herausragend ist das Ergebnis der 5 Patienten in unserem Kollektiv, die beidseitig implantiert wurden. Ohne Hörgeräte betrug die Einsilberverständlichkeit bei 55 dB 45 %, mit 2 idO-Geräten 55 %, mit einem Hörgeräteimplantat 75 % und mit 2 Hörgeräteimplantaten 100 % (Abb 9).

Der operative Eingriff selbst war für die Patienten wenig belastend. Als einzige relevante Komplikation kam es bei einem Patienten zu einer peripheren Fazialisparese, die vermutlich über eine Hitzeentwicklung im Rahmen der posterioren Tympanotomie zu erklären ist. Bei diesem Patienten normalisierte sich die Fazialisfunktion weitgehend innerhalb von 8 Monaten postoperativ.

4. Schlussfolgerungen

Insgesamt hat sich das VSB-System in den letzten 12 Jahren als Alternative zu den konventionellen Hörgeräten zunehmend etabliert. Mit einer einseitigen VSB-Implantation konnten wir bei allen Patienten ein besseres Sprachverständnis im Vergleich zu einer beidseitigen Versorgung mit konventionellen Hörgeräten erzielen. Eine weitere Verbesserung der Sprachdiskrimination wurde mit einer beidseitigen Implantation erreicht. Zusätzlich berichten diese Patienten über ein besseres Sprachverständnis im Störlärm und ein verbessertes Richtungshören. Gerade bei Patienten, die auf ein überdurchschnittliches Diskriminationshören angewiesen sind (Konferenzsituation), ist dies von erheblicher Bedeutung [14].

Zusammenfassend betrachtet, stellen teilimplantierbare Hörgeräte eine wertvolle Ergänzung der konventionellen Hörgeräteversorgung dar. Der operative Eingriff selbst ist komplikationsarm. Präoperativ müssen die Patienten jedoch darüber aufgeklärt werden, dass mit einem aktiven Mittelohrimplantat nach derzeitigem Kenntnisstand keine offizielle Freigabe für eine Kernspintomographie seitens des Herstellers vorliegt. Ob durch Modifikation der Implantatmaterialien eine Kernspin-Freigabe erreichbar ist, kann derzeit noch nicht abschließend beurteilt werden [15, 18]. Nach aktuellen Daten der Literatur ist davon auszugehen, dass Untersuchungen bis 1,5 T möglich sind und bei einer Reihe von Patienten auch ohne Nachteil für die Hörfunktion durchgeführt wurden. Weitere Einschränkungen im täglichen Leben und beim Sport (mit Ausnahme von Extremsportarten, wie Presslufttauchen oder Kampfsportarten) bestehen nicht, sodass teilimplantierbare Hörgeräte nicht zu einer relevanten Einschränkung der Dienstfähigkeit führen.

 

Literatur

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  3. Ball GR, Huber A: Scanning laser doppler vibrometry of the middle ear ossicles. J Ear Nose Throat 1997; 76(4): 213-222.
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  19. Zenner HP: Elektronische Hörimplantate zur operativen Behandlung. Deutsches Ärzteblatt 1998; 83(4): 125-128.

Datum: 15.03.2011

Quelle: Wehrmedizinische Monatsschrift 2011/1

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