PRIMÄRE CHIRURGISCHE BEHANDLUNGSSTRATEGIEN BEI KOPFSCHUSSVERLETZUNGEN

Primary Surgical Treatment Strategies in Gunshot Injuries of the Head



Aus der Abteilung Neurochirurgie (Leitender Arzt: Oberstarzt Prof. Dr. U. Kunz) am Bundeswehrkrankenhaus Ulm (Chefarzt: Generalarzt Prof. Dr. Dr. E. Grunwald)



Chris Schulz, Ulrich Kunz und Uwe Max Mauer

Zwei Drittel der Patienten versterben nach Kopfschussverletzungen bereits am Ort des Geschehens und insgesamt überleben weniger als 90 % die Folgen dieses Traumas.

Innerhalb der kleinen Patientengruppe, die lebend das Krankenhaus erreicht, schwankt die Sterblichkeit zwischen 40-70 %. Der hauptsächliche Anteil an der hohen sekundären Sterblichkeit nach Kopfschussverletzung wird durch Komplikationen bedingt, deren Prophylaxe und Behandlung neben einer adäquaten anästhesiologisch-intensivmedizinischen auch eine chirurgisch-neurotraumatologische Expertise erfordert. Im Folgenden sollen chirurgische Handlungsstrategien für die Primärversorgung derartiger Verletzungsmuster dargelegt werden.

Methoden:

Retrospektive Analyse von 22 Kopfschussverletzungen aus den vergangenen 10 Jahren sowie Literaturüberblick mit spezieller Betrachtung der eigenen Erfahrungen aus über 100 Fällen.

Ergebnisse:

Insgesamt endete der Verlauf für 9/22 Patienten innerhalb der ersten 12 Stunden letal. 13 Patienten überlebten die Schussverletzung, davon in 7 Fällen mit relevanten und in 6 Fällen mit marginalen neurologischen Ausfällen. Schlussfolgerungen: Eine oberflächliche chirurgische Wundversorgung sollte immer erfolgen. Auf Manipulationen im Hirngewebe sollte in der Primärsituation verzichtet werden. Eine parallele konservativ-intensivmedizinische Hirndrucktherapie ist erforderlich und das kontinuierliche Hirndruckmonitoring hierfür empfehlenswert. Mögliche sekundäre Komplikationen müssen ständig in Erinnerung gerufen werden. Für elektive Sekundäreingriffe sollten die höchst möglichen neurochirurgischoperativen Standards verfügbar sein. Trotz der insgesamt hohen Letalität von Kopfschussverletzungen ist ein Überleben auch mit gutem Ergebnis und geringen neurologischen Defiziten möglich.

Summary

Background:

Gunshot wounds are the most lethal type of head injury, about two thirds die at the scene, and gunshot wounds to the head ultimately are the proximal cause of death in more than 90 % of victims. If patients do not die at the scene an early performance of diagnostic features is necessary for primary surgical treatment planning with the aim to prevent increasing mortality and morbidity. Our results of treatment are presented and some up-todate guiding strategies are recommended.

Methods:

Retrospective analysis of 22 gunshot injuries to the head cared for during the last decade and review of the literature with focus on our own published experiences after 100 cases.

Results:

9/22 patients died during the first 12 hours after the gunshot injury. 13/22 survived and 7 of them suffered for persistent relevant neurological deficits whereas the remaining 6 patients did well with marginal or absent neurological symptoms.

Conclusions:

Superficial wound cleaning and closure should be performed in every case. Manipulation on the brain tissue is not recommended in the primary situation. Neuro-intensive care is necessary at best including intracranial pressure monitoring. One always should keep in mind the possible secondary complications, that are best treated in units providing the highest level of neurosurgical care.

1. Einführung

Schussverletzungen des Kopfes zählen zu den häufigsten Ursachen penetrierender Hirnverletzungen. Sie sind ursächlich für etwa 35 % der tödlichen Kopfverletzungen bei unter 45-Jährigen. In der Mehrzahl der Fälle enden sie letal, zwei Drittel der Verletzten versterben bereits am Ort des Geschehens und insgesamt überleben weniger als 90 % die Folgen dieser Kopfverletzung [1]. Innerhalb der Patientengruppe, die das Krankenhaus zur weiteren Versorgung erreicht, wird die Überlebensrate in der Literatur zwischen 30 % und 57 % angegeben [2, 3].

Das primäre Ausmaß von Schuss- und Splitterverletzungen des Kopfes kann direkte, durch das Geschoss verursachte, Verletzungen der Schädelweichteile sowie Kalottenfrakturen, Gefäßverletzungen, Verletzungen der Hirnhäute und des Hirnparenchyms und zudem indirekte, durch Druckwellen und Kavitationseffekte verursachte, Gewebeschäden umfassen. Neben den initialen zerebralen Läsionen selbst führt häufig auch der sekundäre intrakranielle Druckanstieg durch Blutungen und/oder Hirnödembildung zu lebensbedrohlichen Situationen. Bei gleichzeitigem Abfall des Herzzeitvolumens und erhöhtem intrakraniellen Druck vermindert sich die Sauerstoffversorgung des Gehirns exponentiell und führt im Sinne eines Circulus vitiosus zu einer weiteren Zunahme des Hirnödems bis hin zu Hirninfarkten und zum zerebralen Perfusionsstillstand.

Perforierende Schädel-Hirn-Verletzungen gelangen nicht in jedem Fall bereits primär in entsprechend spezialisierte neurochirurgische Kliniken. Der Erstkontakt mit diesem in Deutschland nicht alltäglichen Schädel-Hirn-Trauma (SHT) obliegt speziell in den Einsatzgebieten nicht selten dem Unfall- oder Allgemeinchirurgen, der aber bei Befolgen gängiger neurotraumatologischer Handlungsgrundsätze durchaus eine suffiziente Primärversorgung gewährleisten kann. Die kraniale Schussverletzung ist letztlich als eine Spezialform des offenen SHT anzusehen, deren Initialbehandlung Parallelen zur Versorgung von sonstigen schweren SHT hat und daran orientiert werden sollte [3]. Häufig ist eine einfache oberflächliche Weichteilversorgung als chirurgische Erstmaßnahme ausreichend, wonach bei Überleben des Patienten die rasche Verlegung in eine neurochirurgische Klinik anzustreben ist. Es besteht in den meisten Fällen die Indikation zur Anlage einer konstanten invasiven Hirndruckmesssonde, die als Ergänzung für das multimodale anästhesiologische Monitoring kaum mehr wegzudenken ist [4]. Im Vorfeld der Verlegung in eine Spezialklinik ist die Hirndrucksonden- Anlage aber nicht zwangsläufig erforderlich. Dies sollte besser dort erfolgen, wo auch die weitere intensivmedizinische und erweiterte chirurgische (in der Regel neurochirurgische) Versorgung übernommen wird.

Wird ein Schusstrauma des Kopfes überlebt, kommt es nicht selten zeitversetzt zu typischen Komplikationen. Hierzu gehören ZNS-Infektionen wie Meningitiden, Hirnabszesse und Schädeldach- Osteomyelitiden. Auch Liquorfisteln infolge komplexer Duraverletzungen sowie posthämorrhagische Liquorzirkulationsstörungen, traumatische zerebrale Gefäßläsionen, posttraumatische Anfallsleiden und Schäden durch Migration verbliebener Fremdkörper oder Knochenfragmente werden (häufig sogar in Kombination) beobachtet [5].

Ziel dieser Übersicht ist es, die von den Autoren in den letzten 10 Jahren behandelten Kopfschusspatienten zu beschreiben und eine Handlungsanleitung für Nicht-Neurochirurgen zu präsentieren, die unter Umständen mit einer solchen Spezialverletzung in Kontakt kommen könnten.

2. Methoden

Verläufe nach Kopfschussverletzungen aus den letzten 10 Jahren und ein Überblick aus älteren und teils bereits publizierten Patientenkollektiven aus der Neurochirurgischen Universitätsklinik der Medizinischen Hochschule Hannover und aus den Neurochirurgischen Abteilungen der Bundeswehrkrankenhäuser Ulm und Koblenz wurden gesichtet. Insgesamt wurden in den Publikationen zu diesen Fallsammlungen mehr als 100 Patienten mit schussbedingten perforierenden Schädel-Hirn- Verletzungen aus circa 30 Jahren von 1971 an retrospektiv ausgewertet [6, 7, 8].

3. Ergebnisse und Diskussion

3.1 Patienten

Von den Autoren wurden im Zeitraum 01/2000 – 12/2011 insgesamt 22 schussbedingte perforierende Schädel- Hirn-Traumata behandelt. Die patientenbezogenen Daten zum initialen Verletzungsmuster und Glasgow Coma Score (GCS) sowie der primären und sekundären Versorgung im Verlauf sind in der Tabelle 1 aufgeschlüsselt. Es handelte sich in allen 22 Fällen um männliche Patienten im Alter von 19 bis 89 Jahren. Das mediane Alter lag bei 34 Jahren (Mittelwert: 43,5). Sechs von 22 Patienten wurden teilweise erstversorgt aus außereuropäischen militärischen Krisenregionen zuverlegt. In 12/22 Fällen lag eine beidseitige intracerebrale Verletzung vor, davon in 4/12 Fällen im Frontalpol. In weiteren 9 Fällen wurde nur eine Hemisphäre (außerhalb des Frontallappens) verletzt. Eine Schussverletzung betraf eine Kleinhirnhemisphäre. Das primäre Ausmaß der verletzungsbedingten Bewusstseinsstörung wurde mittels GCS eingeschätzt. Bei allen Patienten wurde initial eine oberflächliche Reinigung und Wundversorgung am Geschoss - ein- und gegebenenfalls -austritt vorgenommen. 8/22 Patienten erhielten über die Wundversorgung hinaus keine weitere chirurgische Therapie mehr. Hingegen wurde in 14/22 Fällen eine chirurgische Revision der intraduralen Verletzungsfolgen vorgenommen, davon in 10/14 Fällen unmittelbar im Anschluss an die bildgebende Diagnostik und in 4/14 Fällen erst im zeitlichen Intervall. Als Hirndruckmesssystem wurde in 12/22 Fällen eine parenchymatöse intrakranielle Drucksonde (Microsensor Basic Set und ICP Express Monitor, Fa. Codman) verwendet, die über eine präkoronare Bohrlochtrepanation implantiert wurde. 14/22 Patienten überlebten die Primärverletzung und 13/14 erlitten dabei innerhalb von 12 bis 120 Stunden nach dem Trauma typische Sekundärkomplikationen. Die häufigste Komplikation war das posttraumatische Hirnödem, das in 7/13 Fällen auftrat. In 4/13 Fällen wurden eine Liquorfistelung mit Liquorinfektion/ Meningitis und in 3/13 Fällen ein verzögert auftretendes Subduralhämatom beobachtet. In einem Fall wurde im Bereich des Schusskanals ein zerebrales Aneurysma diagnostiziert. Chirurgische Prozeduren zur Behebung von Sekundärkomplikationen wurden in 9 Fällen vorgenommen. Eine sekundäre Geschossentfernung wurde in vier Fällen mit Hilfe eines Neuronavigationssystems (VectorVision 2, Fa. Brainlab) absolviert. Die plastische Defektdeckung von Duraverletzungen und zur Rekonstruktion des Schädelknochens erfolgte in 4 Fällen. Die drei verzögert aufgetretenen Subduralhämatome wurden entfernt und in einem Fall war zur Behandlung des erhöhten intrakraniellen Drucks eine Entlastungskraniotomie notwendig. Das wahrscheinlich traumatische Hirnaneurysma wurde nach einer diagnostischen Angiographie mittels Platinspiral-Coil-Embolisation ausgeschaltet. Insgesamt endete der Verlauf für 9/22 Patienten innerhalb der ersten 12 Stunden letal. 13 Patienten überlebten die Schussverletzung, davon 7 Fälle mit alltagsrelevant einschränkenden persistierenden neurologischen Ausfällen. In 6/13 Überlebenden fanden sich keine beziehungsweise nur marginale neurologische Störungen.

3.2 Prognoseeinschätzung anhand von Bildgebung und klinischem Zustand

Der Umfang der chirurgischen Primärversorgung ist abhängig vom klinischen Zustand des Patienten und von den Ergebnissen bildgebender Untersuchungen. Das notwendige diagnostische Mittel der Wahl ist heute die Computertomographie (CT). Das konventionelle Röntgen ist in seiner diagnostischen Bedeutung bei Schädel-Hirn- Verletzungen in den Hintergrund getreten. Es ist aber bei fehlender Verfügbarkeit einer CT unverzichtbar. Dies ermöglicht in der Regel zumindest die Darstellung knöcherner Schädelverletzungen und in Verbindung damit den Verlauf des Schusskanals sowie die Lokalisation möglicher intrakranieller (röntgendichter) Fremdkörper oder Knochenfragmente zu lokalisieren. Indirekt kann hieraus in Verbindung mit dem neurologischen Status zumindest teilweise auf die verletzten intrakraniellen Strukturen geschlossen werden. Die optimale Planung einer operativen Therapie ist mit dem CT hingegen auf direktem Wege möglich. Darüber hinaus erlaubt es in Grenzen zusätzlich zum klinisch-neurologischen Status eine weitergehende Einschätzung zur Prognose. Hinweise auf bihemisphärische oder transventrikuläre Läsionen, multilobuläre Verletzungsmuster, indirekte bildgebende Zeichen eines hohen intrakraniellen Drucks, subarachnoidale oder intracerebrale Blutungen größer als 15 ml im Schädel-CT korrelieren mit einem schlechten Outcome [9]. In unserer Erhebung hatten sieben von 21 Patienten eine die Mittellinie kreuzende beidseitige Verletzung mit Ventrikelblutung (beispielhaft Abb 1), wovon keiner die Schussverletzung überlebt hat. Die Prognose penetrierender Schädel- Hirn-Verletzungen richtet sich neben dem bildgebenden Ausmaß der Verletzung vor allem nach dem initialen körperlich- neurologischen Untersuchungsbefund. Klinisch stellen Koma, Apnoe und Hypotension anerkannte negative Prognosefaktoren dar [10]. Nach aktueller Literatur und auch unseren Ergebnissen der letzten Jahre, korreliert ein hoher GCS (12 bis 15 Punkte) mit einem guten Outcome bei Patienten mit perforierenden Schädel-Hirn-Verletzungen [11, 12, 13; eigene Ergebnisse: Tab 1]. Trotzdem ist selbst bei Patienten mit hohem GCS von 14 oder 15 Punkten ohne zeitnahe chirurgische Erstversorgung eine langfristig ungünstige Prognose möglich. Auch initial oligosymptomatische Patienten sind durch verzögert auftretende intrakranielle Hämatome und andere potenziell lebensbedrohliche Langzeitkomplikationen wie zum Beispiel ZNS-Infektionen bedroht [12]. Patienten mit einem GCS zwischen 6 und 9 haben unterschiedliche Verläufe. Aussagen über die Prognose sind in diesem Bereich schwer zu treffen. Bei Patienten, deren Prognose anhand des GCS und der Bildgebung wahrscheinlich günstig ist, müssen die chirurgische Erstversorgung und die Zuverlegung in eine Spezialklinik möglichst ohne zeitliche Verzögerung erfolgen. Dies korreliert sowohl mit einer geringeren Letalität als auch geringeren Morbidität [14; eigene Ergebnisse: Tab 1]. Alle acht Patienten unserer Analyse, die an den Folgen ihrer Schussverletzungen starben, wiesen initial einen GCS von 3 – 5 auf.

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Tab 1: Auflistung der Daten von 22 Patienten mit Kopfschussverletzungen (Zeitraum 2001 –  2011). Legende: GCS: Glasgow Coma Score; ICP: intracranial pressure; aSDH: akutes Subduralhämatom: *intradurales Debridement: +1: sofort, +2: zeitversetzt.

 

 

 

 

 

3.3 Chirurgische Erstversorgung

In der Akut-Situation reicht die operative Behandlung von der Blutstillung sowohl im Bereich des Einschuss- beziehungsweise Ausschussdefektes mit Entfernung zerstörten und verschmutzten Gewebes (Débridement) über die Entlastung und Evakuation akuter, raumfordernder Blutungen mit epiduraler, subduraler oder intracerebraler Lokalisation bis hin zur uni- oder bilateralen osteoklastischen Entlastungstrepanation. Das chirurgische Vorgehen bei der Behandlung solcher Verletzungen ist in der Literatur nicht einheitlich empfohlen und daher nicht selbstverständlich. Bis zu 58 % der Verletzten erfahren trotz Erreichen einer medizinischen Einrichtung keinerlei operative Versorgung [11, 15]. Hauptgrund hierfür sind infrastrukturelle Rahmenbedingungen, zum Beispiel im Falle militärischer Konflikte oder in sozialen Krisenregionen, in denen es gelegentlich eine große Anzahl Verletzter gleichzeitig mit unter Umständen beschränkten Mitteln zu versorgen gilt.

Nach Erstinspektion und Bilddokumentation der Verletzung richtet sich die weitere Vorgehensweise zur Blutstillung und Wundreinigung nach den gängigen chirurgischen Kriterien der Wundbehandlung (beispielhaft Abb 2). Das Hauptaugenmerk sollte auf die möglichst sichere oberflächliche Blutstillung gelegt werden, da über Haut- und Galeawunden relevante Blutmengen verloren gehen können und fest sitzende Druckverbände gelegentlich schwierig anzubringen sind. Sofern im Operationsgebiet oberflächlich liegende Fremdkörper und Knochen- oder Geschossanteile im Rahmen der Weichteilversorgung oder Hämatomentlastung technisch einfach und voraussichtlich ohne zusätzliche Traumatisierung des Hirnparenchyms erreichbar sind, kann deren Entfernung versucht werden. Vorsicht und Zurückhaltung haben sich in solchen Situationen jedoch bewährt. Fremdkörper, die sich in der Tiefe des Gehirns und nicht in unmittelbarer Nähe von akut bedrohlichen Hirnschäden (zum Beispiel intrakraniellen Hämatomen) befinden, sollten zum Schutz gesunden Gewebes vorerst im Situs belassen und erforderlichenfalls in einem zweiten Eingriff nach Stabilisierung des Patienten sowie genauer vorheriger Planung entfernt werden. Das Débridement ausgedehnter Durazerreißungen sowie deren Deckung muss nicht sofort in der Primärsituation angestrebt werden, wenngleich der sichere Verschluss der Dura mittel- bis langfristig ein wesentlicher Bestandteil der Infektionsprophylaxe ist. Die Wiederherstellung dieser mechanischen Infektionsbarriere sollte daher im zeitlichen Verlauf grundsätzlich so penibel wie möglich versucht werden (solange klinisch und bildgebend nicht von einer infausten Prognose auszugehen ist). Exzisionen an den Kopfweichteilen sind in der primären Phase nicht zwangsläufig nötig. Vorübergehend reichen nach dem Spülen der Wunde und der Blutstillung auch sterile Verbände aus. Die prophylaktische Antibiotikatherapie wurde lange Zeit kontrovers diskutiert und ein klinischer Vorteil im Sinne einer relevanten Senkung von ZNS-Infektionen ist umstritten. Umfangreiche Studien zeigen jedoch auch Trends zu solchen positiven Effekten mit einer Reduktion intrakranieller Infektionen [16, 17, 18].

Oft führen nicht die Hirnverletzungen selbst sondern der sekundär entstehende Hirndruckanstieg zum Tode. Daher empfiehlt es sich in den meisten Fällen, eine Hirndrucksonde zu implantieren, um einen verzögerten Druckanstieg und damit eine erneute bildgebende Diagnostik mit der Möglichkeit der maximalen Ausschöpfung der konservativen und operativen Therapie nicht zu versäumen [4, 13]. Perforierende SHT aufgrund von Schuss- oder Splitterverletzungen gehören grundsätzlich zu den offenen Schädel-Hirn-Verletzungen, in deren Behandlung das ICP-Monitoring heutzutage routinemäßig integriert ist. Grundlage hoher beziehungsweise ansteigender Hirndruckwerte sind im Wesentlichen verzögert auftretende intrakranielle Blutungen und die Hirnschwellung als Folge komplexer pathophysiologischer Vorgänge sowie letztlich aufgehobener zerebrovaskulärer Autoregulation. Operativ kann dies als ultima ratio die Kraniektomie als dekomprimierende Maßnahme bei Versagen konservativ-medikamentöser Therapien indizieren [19]. Die kontinuierliche Überwachung des ICP dient nicht nur dem Erkennen verzögert auftretender intrakranieller Druckanstiege und deren möglicher Behandlung, sondern erlaubt darüber hinaus auch eine Aussage über den zerebralen Perfusionsdruck (CPP). Beide Parameter haben dabei nicht nur intensivmedizinische und operative Konsequenzen, sondern stellen prognostische Faktoren dar, wobei intracerebrale Druckwerte über 25 mm Hg mit einem schlechteren neurologischen Langzeitergebnis und zerebrale Perfusionsdruckwerte unter 55 mm Hg mit erhöhter Letalität einhergehen [4, 20].

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Abb 1: Axiales Schädel-CT nach transtemporaler Schussverletzung mit mittellinienkreuzendem Schusskanal und Ventrikeleinblutung. (Fotos: Abteilung Radiologie, Bundeswehrkrankenhaus Ulm)

 

 

 

In der Regel verwenden wir zur Hirndruckmessung intraparenchymatöse Sondensysteme. In Fällen einer initial bereits aussichtslosen Gesamtsituation nach einer Kopfschussverletzung kann auf die Anlage einer Drucksonde auch verzichtet werden. Die Entscheidung darüber obliegt dem erfahrenen Chirurgen gegebenenfalls nach Rücksprache mit einer neurochirurgischen Klinik. Wenn das initiale Trauma überwunden ist, gilt es, den Patienten vor den möglichen Folgeerkrankungen (Liquorrhoe, Meningitis, Hirnabszess, Empyem, posttraumatische Epilepsie, Migration verbliebener intracerebraler Geschossoder Knochenfragmente) zu bewahren [21, 22]. Einheitliche sekundäre Behandlungsschemata in der Folge einer überlebten Kopfschussverletzung sind nicht bis ins Detail allgemein akzeptiert. Es existieren im Gegenteil viele verschiedene konservative und operative Behandlungsoptionen. Insbesondere die Entfernung von metallischen oder knöchernen Fragmenten aus dem Hirngewebe ist nicht dogmatisch anerkannt, weil auch durch elektive Sekundäroperationen ein zusätzlicher Schaden an gesundem Hirngewebe induziert werden könnte [22, 23]. Durch computergestützte intraoperative Navigation ist eine Reduktion der perioperativen eingriffsbezogenen Morbidität denkbar, was sich in einer Ausweitung der Indikation zur sekundären Fragmententfernung niederschlagen könnte [8]. Das Auftreten von Hirnabszessen, posttraumatischen Epilepsien oder Fragmentmigrationen mit deren Konsequenzen müsste dann als Indikationskriterium nicht mehr abgewartet werden, denn dies könnte zu unter Umständen bleibenden neurologischen Ausfällen führen, was insbesondere beim Auftreten in funktionell relevanten Hirnarealen tragisch ist.

Traumatische Aneurysmata infolge perforierender Schädel-Hirn-Verletzungen treten in circa 4 % der Fälle auf. Auch andere Gefäßläsionen wie arteriovenöse Fisteln oder venöse Gefäßverschlüsse werden beobachtet, weshalb angiographische Untersuchungen zunehmend an Bedeutung bei den diagnostische Verfahren nach penetrierender Schädel-Hirn-Verletzung gewinnen [24]. Nach klinischer Stabilisierung solcher Patienten sollte dann je nach Art der Läsion die radiologisch interventionelle oder operative Versorgung erfolgen.

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Abb 2: Prä- und intraoperativer Aspekt einer transfronto-basalen Schussverletzung (Einschuss im Mundboden, Ausschuss am Os frontale). An der Stirn wurde zunächst lediglich oberflächlich debridiert und danach die Wunde primär verschlossen. (Fotos: Abteilung Neurochirurgie, Bundeswehrkrankenhaus Ulm)

 

 

5. Schlussfolgerungen

Bei perforierenden Schädel-Hirn-Traumata aufgrund von Schuss- oder Splitterverletzungen ist eine zügige Diagnostik und chirurgische Erstversorgung erforderlich. Aktuell ist ein Nativ-CT die Standarddiagnositik. Eine chirurgische Wundversorgung ist in allen Fällen geboten. Akut bedrohliche Verletzungsmuster wie raumfordernde intrakranielle Hämatome müssen (abgesehen von desaströsen klinischen Voraussetzungen) unmittelbar operativ behandelt werden. Auf Manipulationen im Hirngewebe, zum Beispiel zur Entfernung von Fremdkörpern, sollte in der Primärsituation verzichtet werden. Eine parallele konservativ-intensivmedizinische Hirndrucktherapie ist erforderlich und das kontinuierliche Hirndruckmonitoring hierfür empfehlenswert. Die antibiotische Abschirmung in der Frühphase wird kontrovers diskutiert. Anhand der aktuellen Studienlage können weder ein Verzicht noch ein absolutes Muss sicher unterstützt werden.

Mögliche sekundäre Komplikationen wie ZNS-Infektionen, Liquorfisteln, der Hydrozephalus oder traumatische Gefäßläsionen müssen ständig in Erinnerung gerufen und im Verlauf in die differenzialdiagnostischen und therapeutischen Abläufe integriert werden. Für elektive Sekundäreingriffe sollten die höchst möglichen neurochirurgischoperativen Standards (zum Beispiel intraoperative Neuronavigation, Ultraschall, mikrochirurgische OP-Technik) verfügbar sein. Trotz der insgesamt hohen Letalität von Kopfschussverletzungen, ist ein Überleben auch mit gutem Ergebnis und geringen neurologischen Defiziten möglich. Dies setzt neben biologischen und traumaspezifischen Aspekten aber auch die adäquate primäre und sekundäre chirurgische Behandlung voraus.

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Datum: 29.08.2012

Quelle: Wehrmedizinische Monatsschrift 2012/5-6

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