04.09.2023 •

Patiententransport im Systemverbund Land, Luft und See

Weiterführende Überlegungen zur Durchführung des Patiententransportes

M. Kohl, L. Nolde, T. Moll, C. Braunöhler

Einleitung

Auftrag des Sanitätsdienstes der Bundeswehr ist es, die sanitätsdienstliche Unterstützung der deutschen Streitkräfte in den Einsatz- und Übungsgebieten im In- und Ausland weltweit zu gewährleisten. Das Wissen, dass bei einer Verwundung, Verletzung oder Erkrankung eine durchgehende qualitativ hochwertige medizinische Versorgung und eine belastbare Rettungskette bis ins Heimatland besteht, trägt wesentlich zur Moral der Truppe bei und stärkt somit ihre Kampfkraft. Die Sicherstellung der Rettungskette vom Ort der Verwundung, Verletzung oder Erkrankung bis in die endgültige sanitätsdienstliche Versorgungseinrichtung im Heimatland muss qualitativ hochwertig und quantitativ ausreichend aufgestellt erfolgen.

Im Hinblick auf die Refokussierung vom Internationalen Krisenmanagement (IKM) zur Landes- und Bündnisverteidigung (LV/BV) wurde der Patiententransport in seinen qualitativen und quantitativen Fähigkeiten betrachtet und für die Division 2025 ausgeplant. Hierbei ­wurden die Bedarfe sowie die taktischen und operativen Gegebenheiten in den Systemverbünden (SysV) Land, Luft und See in die Ermittlung des Patiententransportbedarfes mit einbezogen.

Bei der Berechnung des täglichen Patientenaufkommens wurde die Stärke der Division 2025, verteilt auf die verschiedenen Einsatzräume (Divisions-, Brigaderaum) und ihre dazugehörigen Ausfallraten bei einem hochintensivem Gefecht, angenommen. Hieraus ergab sich ein Transportbedarf von bis zu 1 000 Patienten pro Tag. Es erfolgte eine Unterteilung des Schweregrades bzw. der Pflegebedürftigkeit der Patienten mit 33,6 % intensivpflichtigen (D [Dependency/Pflegebedürftigkeit] 1), 22 % vermehrt pflegebedürftigen (D2) und 44,4 % leichter verletzten/erkrankten (D3 und D4) Patienten.

Patiententransport im SysV Land und Luft

In der Dimension Land findet der vorgeschobene Patiententransport (Forward Medical Evacuation) vorwiegend bodengebunden in geschützten Sanitätskraftfahrzeugen (SanKfz) statt. Der vorgeschobene Patientenlufttransport wird aus operationellen Gründen redundant mit Bodentransport ausgeplant.

Der taktische Patiententransport (TacMedEvac = Tactical Medical Evacuation) erfolgt durch MedEvac Kompanien der Brigaden und der Division. Aufgrund der unterschiedlichen Einsatzräume und deren Gefährdungsstufen sind im vorderen Brigaderaum ge­­schütz­te SanKfz und ab dem hinteren Brigaderaum ungeschützte SanKfz planerisch vorgesehen. Die Fähigkeit des taktischen Patien­tenlufttransportes durch Drehflügler (CH-53) oder Flächen­luftfahrzeuge (A400M) wird ebenfalls redundant bodengebunden ausgeplant.

Der strategische Patiententransport (StratMedEvac = Strategic Medical Evacuation) erfolgte in Zeiten des IKM überwiegend über den strategischen Patientenlufttransport (StratAE = Strategic Aeromedical Evacuation), muss jedoch bei der LV/BV auch bodengebunden erfolgen.

Der Abgleich des Transportbedarfes mit den Transportkapazitäten ergab ein Defizit für TacMedEvac ab der hinteren Brigadeebene und eine gravierende „hintere Transportlücke“ für StratMedEvac. Diese Defizite beruhen vorwiegend auf der Fähigkeitslücke im Großraumtransport Straße und Schiene sowie auf einer quantitativen Lücke im Bereich StratAE. Diese Transportlücken gilt es alsbald zu schließen.

Krankentransportzug beim Manöver „Wehrhafter Löwe“ (1983)
Krankentransportzug beim Manöver „Wehrhafter Löwe“ (1983)
Quelle: Bundeswehr/PIZ SanDst

Verbesserungspotentiale Großraumtransport auf Straße und Schiene

Bereits im Zweiten Weltkrieg wurden von der Wehrmacht Lazarettzüge eingesetzt, die man auch als fahrende Krankenhäuser bezeichnen könnte. Es erwies sich aber bald, dass während der Fahrt keine Operationen durchgeführt werden konnten. Die Bewegungen des Zuges erschwerten ein fachgerechtes Führen der OP-Instrumente. Deshalb wurden die Züge meist nur zum Transport von verwundeten Soldaten genutzt. Bis zum Ende des Krieges wurden für den Patiententransport auf der Schiene Züge verwendet, welche leicht durch ein rotes Kreuz auf weißem Grund (als Schutzzeichen) zu erkennen waren.

Nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland wurden für den möglichen Mobilmachungsfall der Deutschen Bundesbahn Haushaltsmittel aus dem Verteidigungsetat für die Bereithaltung umrüstbarer Reisezugwagen zugewiesen. Für diese Lazarettwagen waren überwiegend die im Nahverkehr eingesetzten Züge vorgesehen. Sie sollten im Bedarfsfall der Truppe entstuhlt angeliefert und von den „Krankentransportkompanien (Schiene)“ mit in Depots gelagerten Rüstsätzen eingerichtet werden.

Nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges beschränkte sich die Patientenbetreuung im Krankentransportkonzept der Bundeswehr im Wesentlichen auf die Pflege bereits behandelter und ­stabilisierter Soldaten. Neben den Krankentransportzügen, die im rückwärtigen Raum eingesetzt werden sollten, waren zusätzlich für den Transport aus der vordersten Kampfzone auch Dieseltriebwagen vorgesehen. Sie sollten ebenfalls durch Soldaten der „Krankentransportkompanie (Schiene)“ umgerüstet und genutzt werden. Die durch die Auflösung dieser Kompanien im Jahr 2007 entstandene Fähigkeitslücke wird gesehen. Zurzeit werden Möglichkeiten zur Schließung dieses Gap interressoriell erörtert.

Einhergehend mit der Auflösung der Reservelazarettorganisation im Jahr 2007 wurden auch die „Krankentransportkompanien Großraum“ aufgelöst. Für den Großraumtransport auf der Straße wird gerade eine „Bottom up“-Initiative entwickelt. Diese befindet sich noch im Anfangsstadium. Ideen sind hier die Konzeption von Patiententransportbussen, ähnlich z. B. dem Großraumrettungstransportwagen der Berufsfeuerwehr Koblenz.

Verbesserungspotentiale Transportkapazitäten Aeromedical Evacuation (AE)

Der Dimension Luft wird im Bereich des taktischen und strategischen Verwundetentransportes eine besondere Bedeutung zuteil. Sie ist die geeignetste Transportform, um eine Entlastung der Rettungskette durch den zügigen Abtransport bedeutsamer Mengen an Schwerverletzten über größere Distanzen darzustellen.

Die begonnene Weiterentwicklung der AE-Rüstsätze verfolgt das Ziel, möglichst viele fliegende Plattformen variabel zum Patientenlufttransport einsetzbar zu machen. Zukunftsweisend werden hier Einsatz- und Konfigurationsmöglichkeiten eines palettenbasierten Lösungsansatzes verfolgt. Durch den Einsatz von Paletten in Flugzeugen mit Laderampe und Rollboden, wie z. B. dem A400M, werden zukünftig umläufige Einsatzflüge wechselnder Luftfahrzeuge möglich. Es wird erwartet, dass sich der Zeitbedarf zum Ein- und Ausbau der AE-Ausstattung erheblich reduziert. Zusätzlich kann durch den Einsatz unterschiedlich konfigurierter Paletten die Transportkapazität erhöht und modular an den Auftrag bzw. das Szenario angepasst werden.

Parallel werden die Weiterentwicklungen der zu AE-befähigten Großraumflugzeuge A330 und A321LR vorangetrieben. Mit diesen Ausstattungen wird es möglich sein, weltweite Operationen mit StratAE abzusichern.

Großraumrettungstransportwagen der Berufsfeuerwehr Koblenz
Großraumrettungstransportwagen der Berufsfeuerwehr Koblenz
Quelle: Bundeswehr/PIZ SanDst

Patiententransport im SysV See

In der Dimension See ist ein Patiententransport zwischen seegehenden Einheiten oder bei Operationen mit amphibischem Charakter zwischen See und Land in der Regel nur mit Hubschraubern, im Ausnahmefall mit Booten, möglich. Die Rettungskette auf See beginnt in der Regel an Bord der seegehenden Einheiten. Hier erfolgt die Behandlung bis hin zur notfallmedizinischen, bei Einschiffung von fachärztlichem Personal auch bis zur notfallchirurgischen, Versorgung. Der Patiententransport wird im Frieden in der Regel durch organische Hubschrauber mit bordeigenem Sanitätspersonal und -gerät durchgeführt.

Abhängig vom Einsatzgebiet ist der Aufbau der Rettungskette bei maritimen Operationen unterschiedlich komplex. So ist beispielsweise in der Ostsee auf Grund der Geografie üblicherweise eine zeitnahe Nutzung von Host Nation Support in erreichbarer Nähe für die weiterführende Versorgung möglich, wogegen etwa im Nordatlantik der Aufbau einer auf landgestützten Einrichtungen orientierte Rettungskette überwiegend nicht umsetzbar ist. Hier sind seegestützte sanitätsdienstliche Fähigkeiten einer höheren Ebene unverzichtbar.

Seegestützte Medical Task Forces der Ebene 2 sind rare Assets, die darüber hinaus eher nicht für eine isolierte sanitätsdienst­liche Planung zur Verfügung stehen, sondern integraler Bestandteil von Führungs-, Versorgungs- und amphibischen Unter­stützungseinheiten sind. Dies führt zu einem volatilen Versorgungssystem mit sich ständig verändernden Raum-Zeit-Fak­toren.

Auch im maritimen Umfeld besteht unter den Rahmenbedingungen der LV/BV eine „hintere Transportlücke“. Der qualifizierte Patiententransport von See an Land ist zurzeit nicht gesichert. Das in Friedenszeiten erprobte Verfahren der Nutzung der bordeigenen Hubschrauber ist hier nicht möglich. Diese werden gegebenenfalls durch operative Aufgaben gebunden sein. Weder die begrenzten personellen noch die materiellen sanitätsdienstlichen Ressourcen der Einheiten können unter Bedrohung entbehrt werden. Ein Einlaufen der seegehenden Einheiten hat temporär einen erheblichen operativen Ausfall und dadurch möglicherweise eine Schwächung des Verbandes zur Folge.

Verbesserungspotentiale des Patiententransportes See

Eine mögliche Lösung ist der landgestützte Einsatz der NH-90 NTH Sea Lion in der Rolle MEDEVAC, gegebenenfalls in der Search an Rescue-Konfiguration, unter Beibehaltung des Continuum of Care durch eine sanitätsdienstliche Begleitung. Ziel des Einsatzes des Sea Lion ist eine Erhöhung der operativen Freiheit der Kampfschiffe und Unterstützungseinheiten durch das Vermeiden des für die Abgabe von Verwundeten ansonsten notwendigen Einlaufens. Diese Rolle könnte entweder als Hauptaufgabe („dedicated“) oder eher als Nebenaufgabe (im Rücklauf von Flügen zur logistischen Nachversorgung) bei Bedarf ausgeführt werden. Diese Möglichkeit wird, einschließlich der Auswirkung auf die Notwendigkeit entsprechender Rüstsätze, marineintern untersucht.

Die Nutzung der See für StratMedEvac zur Unterstützung des SysV Land ermöglicht durch eine große Zahl an abfließenden Patienten grundsätzlich die schnelle Entlastung landgestützter sanitätsdienstlicher Versorgungseinrichtungen im Operationsgebiet. In der NATO verfügen zurzeit nur die USA über zwei militärische Lazarettschiffe. Neben dem Einsatz militärischer Lazarettschiffe ist die bauliche Anpassung ziviler Schiffe und deren Betrieb mit militärischem oder zivilem Sanitätspersonal möglich. Als Beispiel seien die in den 1960er Jahren für den Einsatz als Krankentransportschiffe vorbereiteten Seebäderschiffe wie die „Helgoland“ oder die „Wappen von Hamburg“ der HADAG Seetouristik und Fährdienst AG genannt, für die im Marinestützpunkt Cuxhaven umfangreiche Ausrüstungssätze gelagert wurden. Aus heutiger Sicht könnten aufgrund der veränderten strategischen Rahmenbedingungen Langstreckenfähren oder Schiffe für den Personentransport, die über große Räumlichkeiten und eine größere Anzahl von Kabinen verfügen, besonders geeignet sein. 

Auch im nichtmilitärischen Bereich gibt es konzeptionelle Überlegungen hinsichtlich der Nutzung von Schiffen für die Gesundheitsversorgung in außergewöhnlichen Situationen, z. B. die der Initiative MEDISHIP. Hier könnten sich, etwa im Rahmen der Leistungen Dritter für die Bundeswehr, Synergieeffekte ergeben. Hinsichtlich der Integration von Lazarett- und Krankentransportschiffen in ein Gesamtsystem der Gesundheitsversorgung im Rahmen der Bündnisverteidigung sind weitere Untersuchungen erforderlich.

Fazit

Die Fähigkeitslücken im Patiententransport sind erkannt und baldmöglichst zu schließen. Hierfür ist es notwendig, in der Fähigkeitsentwicklung die Konzepte und Initiativen zügig voranzutreiben und in Rüstungsprojekten zu finalisieren. Es sind die rechtlichen Rahmenbedingungen und organisatorischen oder materiellen Vorbereitungen zu treffen, um auch die Nutzung von zivilen Schiffen oder Zügen mit in Betracht ziehen zu können. In der konkreten operativen Planung wird ein Zusammenwirken aller Patiententransportarten zu Land, Luft und See im militärischen sowie zivilen Kontext erforderlich sein, um eine bruchfreie Rettungskette gewährleisten zu können. 


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