Next Generation Sequencing für den Medizinischen B-Schutz – Pack mas!
Die Anthrax-Brief-Anschläge nach 9/11 in den USA oder die anfängliche Ursachensuche bei dem zunächst ätiologisch unklaren akuten respiratorischen Atemwegssyndrom (SARS) haben aufgezeigt, dass die mikrobiologische Routinediagnostik oft langwierig sein kann und sich auf den Nachweis oder Ausschluss derjenigen Pathogene beschränkt, auf welche die Methodik gezielt ausgerichtet ist. Der nichtselektive Nachweis noch unbekannter bzw. neuer Erreger („offener Blick“) und spezielle Fragestellungen wie „Welche Virulenzfaktoren und Resistenzplasmide trägt der Erreger?“ oder „Gibt es Hinweise auf die geographische Herkunft oder eine ungewöhnliche genetische Zusammensetzung des Erregers?“ werden hingegen nicht routinemäßig adressiert.
Um diese Fragen beantworten zu können, waren vor wenigen Jahren noch extrem aufwändige Methoden notwendig. Neue, nicht gezielt auf bestimmte Erreger ausgerichtete Methoden wie das Next Generation Sequencing geben nun innerhalb kürzester Zeit die gewünschten Antworten. Sie ermöglichen die Identifizierung auch unbekannter Erreger („detecting the unknown“), liefern Hinweise auf genetische Veränderungen und auch auf die Herkunft des Erregers. Dies trägt zur Planung effizienter Ausbruchsunterbrechungsmaßnahmen maßgeblich bei. Die rasante Entwicklung der „Next-Generation-Sequencing-(NGS)-Plattformen“, die es gestatten die vollständige Erbinformation eines Erregers hochparallel zu sequenzieren, hat dies bei vertretbarem Kostenrahmen ermöglicht. Bereits bei der jüngsten EHEC / HUS- Epidemie in Deutschland kam diese Technologie erfolgreich zum Einsatz.
Im Jahr 2013 wurde am Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr die Fachgruppe Molekulare Genomik und Bioinformatik unter Leitung von Dr. M. Antwerpen aufgebaut, um die neue Technologie auch im Bereich des Medizinischen B-Schutzes zu etablieren. Hier ist sie insbesondere für die Aufklärung der Infektionsquelle und für Zuordnungsermittlungen bei Ausbrüchen durch potenzielle biologische Kampfstoffe von Bedeutung.
Das Outsourcen der Technik an zivile Firmen stellte insbesondere im Hinblick auf die zeitnahe Generierung und die Integrität der sicherheitssensitiven Daten konzeptionell keine Alternative dar. Kompetenzaufbau und Unabhängigkeit waren daher prioritäre Ziele. Im Rahmen eines Sonderforschungsprojekts konnten Gelder für eine NGS-Plattform akquiriert werden. Das Angebot am Markt ist groß und jede Plattform hat ihre individuellen Vor- und Nachteile. Um den Auftrag, nämlich das schnelle Erstellen eines genetischen Fingerabdrucks des Erregers zu erfüllen, schien die Personal Genome Machine (PGM) der Firma Life Technologies geeignet. Die Technologie basiert auf einer Halbleitersequenzierung, die in Echtzeit den Einbau der Nukleotide durch Nachweis der Abspaltung jeweils eines Wasserstoffions detektieren kann. Hochparallel können dabei derzeit bis zu 12 Millionen Fragmente mit jeweils etwa 400 Basen sequenziert werden. Die Stärken der Technologie zeigen sich in der Zeit, die von der Aufreinigung der DNA bis hin zur vollständigen Sequenzierung des gesamten Genoms benötigt wird. Innerhalb von nur zwei Tagen ist es möglich eine Gesamtgenom-Sequenz aus einer bakteriellen Reinkultur zu erstellen. Abhängig von der Fragestellung kann die bioinformatische Auswertung ein bis mehrere Tage in Anspruch nehmen. Die Implementierung solcher Auswerteroutinen bedarf allerdings bioinformatisch ausgebildeter Spezialisten. Hier konnten wir zunächst auf Kooperationspartner wie die Universitätsklinik in Münster oder die Northern Arizona University (Flagstaff, Arizona, USA) zurückgreifen, die beide Pioniere auf diesem Gebiet sind und bei Besuchen und Ausbildungsmaßnahmen Erfahrungen mit den dortigen Spezialisten austauschen. Die Gruppe um Prof. Dag Harmsen an der Universität Münster hatte bereits im Jahr 2011 bei der EHEC/ HUS- Epidemie in Deutschland den Ausbruchsstamm innerhalb von 62 Stunden sequenziert und somit wichtige Informationen für die Diagnostik und epidemiologische Einschätzungen beitragen können.
Die technischen Grenzen des PGM ergeben sich aus einer vergleichsweise hohen primären Fehlerrate im Bereich atypischer Sequenzmuster (Homopolymere oder repetitive Strukturen), die jedoch in der weiteren bioinformatischen Auswertung größtenteils noch korrigiert werden können. Solche Muster treten häufig in nicht-kodierenden DNA-Bereichen auf. Der Datenoutput des PGM liegt zwischen 1,2 bis zu 2 Gigabasen. Das System eignet sich besonders gut, um bakterielle Vollgenom-Sequenzen zu erstellen, wo andere Genome von Stämmen der gleichen Spezies zum Vergleich („mapping“) schon vorhanden sind. Wegen seiner primären Leseungenauigkeit, aber insbesondere wegen des im Verhältnis zu anderen NGS-Plattformen geringeren Datenoutputs, ist das vorhandene System dagegen weniger gut geeignet, um wenige DNA-Stränge, die im Mix mit Fremd-DNA (non-target-DNA) vorliegen, zuverlässig zu sequenzieren, wie es bei Expressionsstudien oder bei der Detektion von Erregern direkt aus klinischem Material notwendig wäre.
Um diese Fähigkeitslücke zu schließen, ist die Anschaffung einer weiteren Plattform geplant, die voraussichtlich Ende des Jahres eintreffen wird. Der MiSeq der Firma Solexa/Illumina soll das vorhandene System ergänzen. Anders als beim IonTorrent PGM, basiert die Technik hier auf einer speziellen DNA-Synthesemethode, die beim Einbau der Fluorophor-gekoppelten Nukleotide das vorhandene Signal direkt verstärkt („bridge-amplifikation“). Die Vorteile dieser Technik liegen in der niedrigen Fehlerrate und in der Möglichkeit, auch atypische Sequenzmuster zuverlässig zu sequenzieren. Der Datenoutput liegt mit 13,2-15 Gigabasen um den Faktor 7 höher als beim PGM. Technische Besonderheiten sind die langen Laufzeiten, die bis zu 39 Stunden betragen können. Wegen des hohen Datenoutputs und der hohen Konsistenz der Sequenzen eröffnen sich mit dieser Plattform gerade im Bereich der Virussequenzierung aus Zellkultur oder der Transkriptionssequenzierung neue Möglichkeiten. Auch eine Sequenzierung direkt aus klinischem Material rückt damit in greifbare Nähe. Das System ist daher die ideale Ergänzung zu dem am Institut vorhandenen IonTorrent PGM.
Anfänglich standen unsere Wissenschaftler und unsere IT-Fachleute insbesondere wegen der bei der NGS-Technologie produzierten riesigen auszuwertenden Datenmengen vor einer großen Herausforderung. Aber auch für die technischen Assistenten war es eine schwierige Aufgabe. Der Workflow einer komplexen Technik musste aufgebaut und trainiert werden. Eine Überprüfung erfolgte durch einen institutsübergreifenden Ringversuch, der durch die Arbeitsgruppe von Dag Harmsen (Universität Münster) organisiert wurde. Dabei konnten wir feststellen, dass es uns gelungen war, innerhalb kürzester Zeit einen funktionierenden Workflow aufzubauen und eine Datenauswertungspipeline zu etablieren. Dies waren jedoch nur die ersten Meilensteine, die wir erfolgreich passiert haben. Weitere Herausforderungen, wie das Sequenzieren hochpathogener Viren, Transkriptionsanalysen oder auch das Sequenzieren klinischer Proben ohne eine vorherige Erreger-Anzucht, stehen noch auf der Agenda.
Die Vernetzung der Ressortforschungseinrichtungen des Bundes und anderer nationaler und internationaler ziviler und militärischer Kooperationspartner, ist in diesem Zusammenhang besonders wichtig. Insbesondere die Harmonisierung des Workflows und der Datenauswertung ist essentiell, um Ergebnisse auszutauschen und untereinander vergleichen zu können. Auf europäischer Ebene sind dazu bereits die ersten Wege geebnet. Ein wichtiger Schritt in diese Richtung ist auch die Eingliederung der Fachgruppe in das am Institut für Mikrobiologie bereits bestehende Qualitätsmanagementsystem. Der gesamte Diagnostikbereich ist seit 2012 nach DIN / EN / ISO 15189 akkreditiert und verfügt über die Kompetenz relevante B- Agenzien in humandiagnostischen Proben zu identifizieren. Eine Akkreditierung des NGS-Bereichs nach DIN / EN / ISO 17025 wäre das dazu passende Äquivalent.
Die Fachgruppe Mikrobielle Genomik ist im Sanitätsdienst der Bundeswehr einzigartig und bedarf wissbegierigen, fähigen und gut ausgebildeten Personals. Fachliche Kompetenz ist keine naturgegebene Eigenschaft, sondern resultiert aus einem kontinuierlichen Prozess der Ausbildung und des Sammelns von praktischen Erfahrungen. Nur unter diesen Voraussetzungen ist es möglich in einer sich rasch weiterentwickelnden Forschungslandschaft urteils- und handlungsfähig zu bleiben, um im Ernstfall rasche und hochwertige Erkenntnisse zum Schutz unserer Soldaten im In- und Ausland zur Verfügung stellen zu können.
Aufmacherbild: Cornelia Menichelli/pixelio.de
Datum: 19.06.2015
Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2015/1