Lage
Seit Beginn der COVID-19-Pandemie haben sich bis zum Januar 2022 in Deutschland ca. acht Millionen Menschen, darunter mehr als 15 000 SoldatInnen der Bundeswehr, mit SARS-CoV-2 infiziert. Auch nach der akuten Infektionsphase berichten viele dieser PatientInnen von persistierenden oder neu aufgetretenen Symptomen. Als Post-COVID-19-Erkrankung werden entsprechend der aktuellen WHO-Definition vom Oktober 2021 alltagsrelevante und über mindestens acht Wochen anhaltende Beschwerden bezeichnet, die in der Regel bis zu drei Monate nach der Akutinfektion bestehen oder in diesem Zeitraum neuauftreten. Unter den vielfältigen Symptomen sind häufig Dyspnoe, Fatigue und neurokognitive Defizite zu nennen. Aktuell wird eine variable Prävalenz von 5–35 % berichtet.
Da auch leichte Akutinfektionen mit einer Post-COVID-19-Erkrankung assoziiert sind und zu relevanten funktionellen Einschränkungen führen können, ist der Erkrankung aufgrund ihrer Auswirkungen auf die Dienst- und Verwendungsfähigkeit von SoldatInnen eine hohe wehr- und versorgungsmedizinische Relevanz beizumessen. Es liegen zwar interdisziplinäre nationale und internationale Leitlinien vor, die im September 2021 in der „Fachlichen Information“ des Kommandos Sanitätsdienst der Bundeswehr aufgegriffen wurden. Allerdings ist im Einzelfall eine Abgrenzung zu exazerbierten prä- bzw. komorbiden Erkrankungen schwierig. Daher sollte allen SoldatInnen eine zeitnahe, strukturierte und interdisziplinäre Diagnostik angeboten werden, um letztlich eine Fehl-, Über- als auch Unterversorgung zu vermeiden.
Organisationsstruktur
Vor dem Hintergrund dieses neuartigen Krankheitsbildes, des hohen individuellen Leidensdrucks der Patienten und limitierter medizinischer Ressourcen in der ambulanten Versorgungslandschaft stellte sich nicht nur die Notwendigkeit, sondern auch das Potential einer interdisziplinären Post-COVID-Klinikambulanz dar. In Kenntnis der häufig zur Vorstellung kommenden Symptomkonstellationen erfolgte die Einrichtung der interdisziplinären Post-COVID-Ambulanz durch die Kliniken für Innere Medizin, Psychiatrie, Neurologie sowie der Teileinheit Klinische Psychologie. Zudem kooperiert die Ambulanz eng mit der Klinik für Radiologie sowie der Labormedizin.
Aufgrund der initial schwer zu prognostizierenden PatientInnenzahlen und Dringlichkeit, muss der Patientenstrom bereits vor dem persönlichen Kontakt gesteuert werden. Hierfür steht ein Screeningbogen zur Verfügung, der gemeinsam von den PatientInnen mit den Truppenärzten ausgefüllt wird. Nach Sichtung erfolgt eine Kontaktaufnahme und die Erörterung des weiteren Vorgehens durch einen ärztlichen Vertreter des Teams. Dies kann entweder die Vorstellung in einer geeigneten Fachärztlichen Untersuchungsstelle oder aber auch eine Vorstellung in der Post-COVID-Ambulanz sein. Letztere ist als dreitägiger ambulanter Kontakt vorgesehen. Bei Bedarf kann eine dienstliche Unterkunft vermittelt werden. Der genaue Ablauf erfolgt unter Berücksichtigung der vorliegenden Symptomatik.
Ein besonderer Schwerpunkt liegt im Einsatz umfangreicher neuropsychologischer Testinstrumente zur Diagnostik und Validierung neurokognitiver Defizite sowie affektiver Begleitsymptome, die verbreitete Screeningverfahren häufig nicht sensitiv genug erfassen. In einer regelmäßigen Fallkonferenz wird abschließend ein gemeinsamer Ambulanzbrief konsentiert und die diagnostische Einschätzung sowie die weiteren Empfehlungen mit den PatientInnen per Videokonferenz erörtert. Unabhängig vom Krankheitsverlauf ist eine ambulante Verlaufskontrolle nach sechs Monaten vorgesehen. Das Informationsmaterial inkl. Screeningbogen steht digital zur Verfügung.
Ausblick
Bis zum Januar 2022 wurden unter diesem Konzept mehr als 50 SoldatInnen untersucht. Eine Reevaluation der Organisationsstruktur sowie eine Auswertung der bisherigen Daten sind für 2022 geplant. Diese könnte auch in eine gepoolte Analyse der Daten aus anderen Bundeswehrkrankenhäusern einfließen. Daneben wird eine Kooperation der Ambulanz mit internen und externen Partnern zur Unterstützung und Entwicklung individueller therapeutischer und rehabilitativer Konzepte angestrebt. Daher ist eine enge Abstimmung zwischen allen Ebenen der sanitätsdienstlichen Versorgung wünschenswert. Auch 2022 ist eine hohe Dynamik in der translationalen Post-COVID-Forschung zu erwarten, die eine regelmäßige fachliche und wissenschaftliche Anpassung der wehrmedizinischen Vorgaben erfordern könnte.
Wehrmedizin und Wehrpharmazie 1/2022
Oberfeldarzt S. Bischoff
Bundeswehrkrankenhaus Berlin
Scharnhorststr. 13
10115 Berlin
E-Mail: Sebastian4Bischoff@bundeswehr.org