27.02.2023 •

MilEvakOp Kabul August 2021 – Ein Bericht aus einsatzchirurgischer Sicht

M. Schulbert, N. Huschitt und T. Braasch

Im August 2021 führten ca. 600 Soldaten der Bundeswehr elf Tage lang gemeinsam mit dem Auswärtigen Amt eine Evakuierungsoperation in Kabul/Afghanistan durch. Hierbei wurden über 5 000 Bundesbürger, afghanische Ortskräfte und Bürger von über 40 anderen Staaten mit knapp 40 Evakuierungsflügen von Kabul über das usbekische Taschkent nach Frankfurt ausgeflogen.

Erstversorgung einer Schussverletzung am Bein im Eingangsbereich des Flughafens
Erstversorgung einer Schussverletzung am Bein im Eingangsbereich des Flughafens
Quelle: Mara Schulbert

Alarmierung und Einsatz

Nach Machtübernahme der Taliban verschlechterte sich die Sicherheitslage in Afghanistan rapide, woraufhin im August 2021 die deutsche Bereitschaft für Militärische Evakuierungsoperation (MilEvakOp) aktiviert wurde, um ausgewählte Hilfeersuchende und deutsche Staatsbürger in Sicherheit zu bringen. Einen Tag nach Alarmierung an einem Wochenende erfolgte die Kräftezusammenführung in Deutschland, bereits 16 Stunden später startete der gesamte Verband in Richtung Einsatzgebiet. Aufgrund der chaotischen Zustände am Hamid Karzai International Airport in Kabul mit fehlender Beleuchtung, unterbrochenem Funkverkehr und unkontrollierbaren Personen auf dem Rollfeld, gestaltete sich der erste Anflug kompliziert. Nach teilweise verzögerter Ankunft konnte dann aber zügig die Arbeitsbereitschaft aller militärischen deutschen Truppenteile in einem verlassenen Bürogebäude des ehemaligen internationalen Camps Kaia auf dem Flughafengelände hergestellt werden. Primäraufträge der Sanitäter waren die Sicherstellung einer notfallärztlichen Versorgung an den Toren, die medizinische Absicherung der Evakuierungsflüge durch Krisenunterstützungsteams sowie die Implementierung einer kleinen chirurgischen Versorgungseinheit. Das notfallchirurgische Team setzte sich aus ärztlichem Personal der Bundeswehrkrankenhäuser sowie medizinischem Personal und Material aus dem Kommando SES zusammen.

Alle Truppenteile wurden im Verlauf unter anderem durch Kontakt mit Verwundeten nach scharfer und stumpfer Gewalt herausgefordert. Beispielhaft waren teils große Wunden durch Direktkontakt mit Blendgranaten, Schussverletzungen von Thorax, Abdomen und Extremitäten sowie Verletzungen, die nicht mit dem Leben vereinbar waren. Die kontinuierliche Konfrontation mit menschlicher Verzweiflung, Gewalt und Tod einerseits, sowie der ständigen Gefährdung durch Explosionen, Bombendrohungen und bewaffnete Kämpfer andererseits, führte auch zu akuten Belastungsreaktionen der eigenen Truppe. Eine truppenpsychologische Betreuung der Soldaten vor Ort war nicht gewährleistet. Daher unterstützte sanitätsdienstliches Personal vor Ort hier Soldaten auch anderer Nationen in der ersten Bewältigung von akuten Belastungsreaktionen.

Evakuierungsmaßnahmen

Afghanische Ärzte, die mit dem deutschen Sanitätsdienst viele Jahre an unterschiedlichen Standorten Afghanistans zusammenarbeiteten und teilweise auch in Bundeswehrkrankenhäusern an Ausbildungsmaßnahmen teilgenommen hatten, wurden von den neuen Machthabern als Kollaborateure gebrandmarkt, verfolgt und mit dem Tode bedroht. Diese baten ihre ehemaligen Ausbilder in Deutschland um Rettung von ihnen und der eigenen Familien. Über unterschiedliche Kanäle wurde diese Bitte an die Sanitäter vor Ort weitergeleitet. Zusammen mit einer aufwendigen Organisation einer kleinen Zelle in Deutschland wurde eine Liste mit elf schutzbedürftigen ärztlichen Familien erstellt und über das Auswärtige Amt die Evakuierung dieser Personengruppe genehmigt. Vor Ort konnten anschließend mit internationaler Hilfe, Bestimmung eines „taktischen“ Führers aus der Gruppe der zu Rettenden und einer komplexen Koordination alle identifizierten Familien körperlich unbeschadet nach Deutschland ausgeflogen werden. Nach knapp eineinhalb Jahren dauert der Integrationsprozess in Deutschland noch an. Von den von uns geretteten 64 Personen sind 31 Kinder, die inzwischen in einen deutschen Kindergarten gehen oder eine deutsche Schule besuchen. Trotz bürokratischer Hürden absolvierten bereits drei der geretteten Ärzte ihre deutsche Fachsprachenprüfung und sind klinisch tätig.



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