14.06.2021 •

Fumare necesse est ...

... vivere non est necesse

F. J. Reuther

Erlauben Sie mir die Abänderung dieses alten Aphorismus, dessen erstes Wort richtigerweise navigare heißt. Frei übersetzt: Zur See fahren muss man auf jeden Fall, auch wenn man dabei stirbt. Nach den Parallelbiographien des Plutarch soll der römische Politiker und Feldherr Gnaeus Pompeius Magnus (106–48 v. Chr.) dies Matrosen zugerufen haben. Diese wollten bei stürmischer See nicht auslaufen. Rom sollte aber weiter mit Getreide versorgt werden. Übertragen allerdings auf das Rauchen (fumare) dient der Einsatz des eigenen Lebens hier zur Pflege eines Brauchs mit sozialem und süchtigem Charakter.

Das Rauchen und die Raucherinnen und Raucher verdienen deshalb nicht nur eine isoliert medizinische Betrachtung. Eingeengt rein auf die Medizin erfährt die Beurteilung von Lebenssachverhalten oft nur eine sehr eindimensionale Betrachtung. Das Ergebnis derselben wird dann oft wenig akzeptabel. Menschen fühlen sich in ihrer Selbstbe­stimmung mit gehobenem Zeigefinger gegängelt und reagieren dann – vom Psychiater gut nachzuvollziehen – widerständig und unterschwellig aggressiv.

Entfaltung seiner Persönlichkeit. Hier kann nichts absolut gestellt werden. Es ist immer eine Güterabwägung vorzunehmen. Ein Vergleich sei gestattet: Psychisch Kranke, die nicht suizidal sind, können nach geltender Rechtslage kaum oder nur mit sehr großen, oft vergeblichen Mühen gegen ihren Willen einer erfolgreichen medizinischen Behandlung zugeführt werden, was zu hohen Folgekosten führt. Dabei wird von nicht wenigen ein Recht auf (psychische) Krankheit vertreten. Beim Durchschnittsraucher wird man jedoch fast ausnahmslos von Einwilligungsfähigkeit ausgehen können. Rauchen erfolgt ganz häufig im sozialen Kontext. Johann Wolfgang von Goethe äußerte sich dazu sehr direkt kritisch:

„Aber es liegt auch im Rauchen eine arge Unhöflichkeit, eine impertinente Ungeselligkeit. Die Raucher verpesten die Luft weit und breit und ersticken jeden honetten Menschen, der nicht zu seiner Verteidigung zu rauchen vermag. Wer ist denn imstande, in das Zimmer eines Rauchers zu treten, ohne Übelkeit zu empfinden? Wer kann darin verweilen, ohne umzukommen?“

Hier hat allerdings ein deutlicher gesellschaftlicher Wandel stattgefunden. Bis auf ganz wenige Ausnahmen wurde das Rauchen in öffentlichen geschlossenen Räumen abgeschafft, was auch von den Raucherinnen und Rauchern akzeptiert wird. Hier gilt das Prinzip der Vermeidung des Schädigens anderer, die sich früher aus sozialen Zwängen hier dem Tabakrauch aussetzen mussten. Letzter prominenter Vertreter des ubiquitären Rauchens dürfte der 2015 verstorbene ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt gewesen sein.

Auswirkungen des Tabakrauches

Das Tabakrauchen als solches wird – zumindest von der Medizin – nicht nur als ein schädlicher sozialer Brauch aufgefasst. Es ist – aus psychiatrischer Sicht zu Recht – nosologisch in die Suchterkrankungen eingegliedert. Gemäß der Internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD) findet es sich im Kapitel F, das der psychischen Störungen. Die nähere Klassifikation lautet F17. Hauptsubstanz der Suchtauslösung und -unterhaltung ist dabei das Nikotin, ein in den Blättern der Tabakpflanze (Nicotiana tabacum), aber auch in anderen Nachschattengewächsen ­(Solanaceae) vorkommendes Alkaloid. Dieses wirkt in geringer Dosis stimulierend und in mittlerer eher entspannend, was als Nesbitt-Paradox bezeichnet wird. Nikotin selbst ist nicht als karzinogen klassifiziert. Obwohl vorrangig das Nikotin die Suchtwirkung des Tabakrauchens ausmacht, bedingen die übrigen inhalierten Substanzen die wesentlichen gesundheitsschädigenden Wirkungen.

Die Einatmung von Kohlenmonoxid führt zur Bindung von Hämoglobin, was dann nicht mehr für den Sauerstofftransport zur Verfügung steht. Liegt der Wert beim Nichtraucher unter 2 % COHb, so steigt dieser beim leichten Raucher bis auf 4 % und kann bei starken Rauchern über 8,5 % liegen. Eine leichte Kohlenmonoxid-intoxikation macht sich ab 10 % COHb zumeist mit Kopfschmerzen bemerkbar. Die häufigsten auf das Tabakrauchen zurückzuführenden Erkrankungen sind die des Herz-Kreislauf-Systems, die chronisch-obstruktive Atemwegserkrankung und das Bronchialkarzinom. Letzteres ist durch das Kondensat des Tabakrauchs bedingt. 90 % aller Bronchialkarzinome bei Männern und 80 % derer bei Frauen sind auf das Tabakrauchen zurückzuführen. Dieses stellt aber einen wesentlichen Risikofaktor bei zahlreichen weiteren Erkrankungen dar, so den Karzinomen der „Raucherstraße“ (Rachen und Kehlkopf), aber auch Speiseröhre, Magen, Niere, Blase, Pankreas sowie zahlreichen anderen.

Aussagekräftig zur Frage der Nikotinabhängigkeit ist der Fager­ström-Test. Dabei lassen die Antworten auf insgesamt sechs standardisierte Fragen und der daraus abgeleitete Punktwert einen Rückschluss auf die Tabakabhängigkeit zu.

Beispielsweise werden für die Frage, wann nach dem Aufstehen die erste Zigarette geraucht wird, je nach zeitlichem Abstand (bis 5 min, 30 min, 60 min und später) 3–0 Punkte vergeben. Wenn es schwerfällt, an Orten, an denen es untersagt ist, nicht zu rauchen, gibt es einen weiteren Punkt, ebenso für das Nicht-Verzichten-Wollen auf die Morgenzigarette. In Abhängigkeit der täglichen Zigarettenmenge (über 30, bis 30, bis 20 und weniger als 10 Zigaretten) erfolgt die Vergabe von 3–0 Punkten. Ein weiterer Punkt wird für vermehrtes Rauchen in den Morgenstunden, aber auch wenn bei anderer krankheitsbedingter Beeinträchtigung gerauchten wird. Die Summe von 0–10 Punkten wird dann im Abstand von jeweils zwei Punkten mit einer sehr niedrigen, niedrigen, mittleren, hohen und sehr hohen Wahrscheinlichkeit einer Nikotinabhängigkeit verknüpft.

Rauchen in der Bundeswehr

Die Bundeswehr ist ein Abbild der Gesellschaft. Allerdings überwiegt das männliche Geschlecht, vor allem in der kämpfenden Truppe, deutlich. Die typische, bereits beschriebene Wirkung des Nikotins kann gerade bei erheblicher auch emotionaler Stressbelastung genutzt werden. Hinzukommt eine nicht unbedeutende soziale Prägung. Mir persönlich ist dies aufgefallen, als mir auch im „grünen“ Teil der einsatzvorbereitenden Ausbildung Soldatinnen und Soldaten anvertraut waren. Da das Rauchen „nach eigener Maßgabe“ weder bei der Ausbildung als solche noch beim Wechsel der Ausbildungsstationen „erlaubt“ war, musste ich aus faktisch-pragmatischen Gründen zahlreiche Rauchpausen konkret ermöglichen. Auch wenn einem Vorgesetzten das Fördern des Tabakrauchens sicher sehr fern liegen dürfte, hätte hier eine ablehnende und vermeidende Haltung die gesamte Ausbildung empfindlich gestört.

Ob jemand nicht zu Rauchen anfängt oder das Rauchen aufgibt, ist komplex sozial bedingt. Genetische Suchtfaktoren haben sicher einen Einfluss. Im Kindes- und Jugendalter spielen die Vorbilder von Eltern, Großeltern und anderer Verwandter eine Rolle. Wesentlich dürfte vor allem die Peer-Group sein und die Frage, ob das Rauchen als „Initiationsritus“ etabliert ist. Später hängt es vor allem von der Grundstruktur des einzelnen ab, welche soziale Faktoren für das Tabakrauchen noch vorhanden sind oder welche Anstöße für einen Verzicht vorliegen können. Wenig erfolgversprechend dürften dabei rigorose, eher von Machtdemonstration geprägte Maßnahmen sein, wie das Schließen und weite Wegverlegen von Rauchorten sowie das Androhen von Sanktionen. 

Diese Oktroyierung dürfte eher den inneren Widerstand der betroffenen Raucherinnen und Raucher heraufbeschwören und zu einer Demotivation bezüglich der generellen Arbeitsleistung führen. Auch zu explizite Hinweise auf die schädlichen Folgen mit Bildern, die eher emotional aufwühlen als sachliche Information vermitteln sollen, dürften wenig geeignet sein. Der Hinweis auf langfristige Krankheitsfolgen und die Verkürzung der Lebenszeit sind zwar richtig, aber nicht immer geeignet, eine Abstinenzmotivation zu generieren. Der Mensch ist, was oft nicht beachtet wird, nicht nur ein rationales, sondern vor allem auch ein emotionales Wesen. 

Würde man immer rein der Rationalität folgen, dürfte niemand an einer Lotterie teilnehmen. Aber so wie da der statistisch-rational nicht begründbare Wunsch, auch bei sehr niedriger Wahrscheinlichkeit einen Gewinn zu erzielen, eine ganz wesentliche Rolle spielt, so hofft auch jeder Raucher, eben nicht an einem tabakrauchassoziierten Leiden zu erkranken. Wesentliche Wirkung auf die Entwicklung eines Abstinenzwunsches kann eine bereits eingetretene körperliche Beeinträchtigung haben. Auch die Vorbildwirkung von Kameradinnen und Kameraden, eben nicht zu rauchen, kann hier wirksam werden. Auf jeden Fall benötigt es eine emotionale Verknüpfung, die stärker sein muss als die als positiv empfundene Suchtwirkung des Tabakrauchens.

Unterstützende Maßnahmen zur Raucherentwöhnung

In der Bundeswehr ist es wichtig, dass das Rauchen nicht nur dienstlich-formell, sondern auch im persönlichen Umgang nicht als Regelvariante des Verhaltens verbal und vor allem nonverbal kommuniziert wird. Immer dann, wenn sich der Nichtraucher als nicht zugehörig empfinden muss, nützen alle formellen Empfehlungen gegen das Rauchen nichts. Wenn sich jemand mit dem Gedanken trägt, das Rauchen aufzugeben, können nichtrauchende Kameradinnen und Kameraden der Peer-Group wesentliche Unterstützung leisten. Bei vorhandener Motivation können gegen und für das Rauchen sprechende Argumente dann auch rational benannt und gegeneinander abgewogen werden.

Eine Nikotinersatztherapie kommt bei ausgeprägter Nikotinabhängigkeit für die ersten acht bis 12 Wochen der Aufgabe des Rauchens in Frage. Bei mehrfachem Versagen in Bezug auf Rauchfreiheit sind in Deutschland mit Bupropion und Vareniclin zwei Medikamente zugelassen. Diese stellen aber keine Regelbehandlung dar.

Fazit

Das Tabakrauchen gilt als ein schon sehr langes sozial etabliertes Verhalten, was in den letzten Jahren und Jahrzehnten eine Zurückdrängung erfahren hat. Für den Raucher stehen neben erlerntem Verhalten vor allem die als kurzfristig positiv empfundene Wirkung des Nikotins im Vordergrund. Dabei werden langfristig erhebliche gesundheitsschädigende Wirkungen einschließlich einer statistischen Lebenszeitverkürzung in Kauf genommen. Ein klares Bekenntnis zum Nichtrauchen wäre ein wichtiges Zeichen für die Bundeswehr. Repressive Maßnahmen dürften dabei eher Widerstände der betroffenen Personen auslösen. Letztlich gilt es, durch Förderung des Nichtrauchens eine intrinsische Motivation hierzu zu schaffen. 


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