Explosionsverletzung des Auges – Falldarstellung
Blast injuries of the eye - case description
Aus der Klinik für Augenheilkunde- (Leiter: Oberstarzt Dr. F. Weinand) des Bundeswehrzentralkrankenhauses Koblenz (Chefarzt: Generalarzt Dr. M. Zallet)
Mona Wittmann
WMM, 59. Jahrgang (Ausgabe 4/2015; S. 123-125)
Zusammenfassung
Explosionsverletzungen der Augen im Rahmen bewaffneter Konflikte sind auch bei Tragen entsprechender Splitterschutzbrillen nicht zu vermeiden. Die Qualität der Erstversorgung stellt dabei sowohl für den Erhalt der Sehkraft als auch in Bezug auf das kosmetische Endergebnis erste Weichen. Die endgültige Versorgung erfordert umfassende Erfahrung im Umgang mit dieser Art von Verletzungen.
Am Fallbeispiel eines Patienten mit einer durch einen Feuerwerkskörper verursachten schweren Augenverletzung wird das optimale Versorgungsschema von Explosionstraumata des Auges im Einsatz erörtert.
Schlüsselworte: Explosionsverletzung des Auges, Versorgungsschema, Erhalt der Sehkraft, Einsatzverletzung
Summary
Blast injuries of the eye are common in armed conflicts and not avoidable by using protective goggles. The quality of the first treatment is essential for the preservation of vison and cosmetic results. Final therapy requires experience in the treatment of those types of injury.
Based on a case report of severe blast injury to the eye caused by an exploding firecracker the optimal treatment of those types of injuries under the circumstances of a foreign deployment will be discussed.
Keywords: blast injuries of the eye, treatment path, preservation of vision, combat injury
Kasuistik
Verletzungsmechanismus und -ausmaß
Ironischerweise nicht an Sylvester, sondern an einem August-abend sägt ein junger Mann einen großen Feuerwerks-Kanonenschlag in zwei Hälften und zündet ihn an. Durch das Teilen des Böllers kommt es nicht wie angenommen zu einer Abschwächung der Sprengkraft. Durch die Explosion erleidet der Patient linksseitig Frakturen an Orbitadach, -wand und -boden, einen kompletten lateralen Ausriss des Ober-und Unterlides und eine Risswunde der Augenbraue, die in der Tiefe die obere Orbitakante freilegt. Am schwerwiegendsten ist aber eine Bulbusruptur mit Einsprengung von grauem Pappmaterial, wie es in Feuerwerkskörpern Verwendung findet (siehe Abbildung 1 und 2). Solch eine Verletzung durch explosives Material erinnert an Verletzungsmuster durch Improvized Explosive Devices (IED), wie sie u.a. in Afghanistan eingesetzt werden.
Erstbehandlung
Nach einer sorgfältigen Wundreinigung und Entfernung von Schwarzpulverresten sowie Pappstücken erfolgt die notfallmäßige Primärversorgung. Die tiefe Risswunde der Augenbraue wird schichtweise verschlossen, die Kontinuität der sternförmig klaffenden Augenbraue plastisch rekonstruiert (siehe Abbildung 3). Auf eine Rekonstruktion der Lider mit lateraler Aufhängung wird verzichtet, um eine zu erwartende spätere Revisionsoperation des Auges nicht zu beeinträchtigen. Nach zirkulärer Eröffnung der Bindehaut am Limbus zeigt die Exploration noch weitere schichtweise gerollte Pappfragmente (Abbildung 4 zeigt die entfernten Pappfremdkörper), die lateral im Bulbus stecken und zwei laterale Sklerarisse. Auch die Hornhaut weist einen horizontalen, lamellierenden Riss auf. Nun werden, soweit es in der Tiefe möglich ist, Skleranähte nach Reposition von uvealem Gewebe durchgeführt. Dabei wird der Musculus rectus lateralis dargestellt, neben und teils unter dem sich der Sklerariss fortsetzt. Ein vollständiger Verschluss der Sklera ist aufgrund der Ausdehnung der Sklerarisse in der Tiefe nicht möglich. Im Anschluss erfolgt die Naht der Hornhaut nach Stellen des Bulbus mit BSS (balancierte sterile Salzlösung zur intraokularen Anwendung) und der Vorderkammer mit Healon GV®. Schließlich wird die Bindehaut soweit möglich wieder adaptiert (Operationsergebnis siehe Abbildung 5).
Eine primäre Versorgung der minimal dislozierten Orbitafrakturen wird durch den Mund-Kiefer-Gesichtschirurgen als nicht notwendig eingeschätzt und unterbleibt folglich.
Klinischer Verlauf
Während des stationären Aufenthaltes erhält der Patient gemäß Magdeburger Schema Stufe III [1] eine intravenöse Antibiotikaprophylaxe mit Vancomycin und Ceftazidim. In der Folge erweist sich der Bulbus - wie auf Grund des Ausmaßes der Verletzungen zu befürchten war - als nicht tonisiert, die Wahrnehmung von Lichtschein lässt sich nicht erhärten. Da aufgrund des massiven Traumas, der Einsprengung von Fremdkörpermaterial und der Verlagerung von intraokularen Geweben nicht mit einer Verbesserung des Befundes zu rechnen ist, wird mit dem Patienten eine endgültige kosmetische Versorgung geplant.
Sekundärversorgung
Im Rahmen der Sekundärversorgung erfolgt die Eviszeratio bulbi [2] mit Entfernung des gesamten uvealen Gewebes und die Versorgung mit einer Hydroxylapatitplombe. Die Hydroxylapatitplombe wird als Volumenauffüllung in den verbliebenen Lederhautsack eingenäht. Bei der Implantation der Plombe stellt sich heraus, dass die Linse nicht auffindbar ist; sie muss bereits durch das Trauma nach außen verlagert worden sein. Im letzten Schritt werden Oberlid und Unterlid lateral an verbliebenen Lidbandstrukturen bzw. am Periost befestigt (Operationsergebnis siehe Abbildung 6). Es zeigt sich ein kosmetisch zufriedenstellendes Operationsergebnis mit komplettem Lidschluss und ausreichend tiefen Fornices für den angestrebten sicheren Sitz einer Prothese. Abbildung 7 zeigt die mit Bindehaut gedeckte, mit Sklera ummantelte Plombe.
Bereits zwei Wochen nach der sekundären Operation kann die Illig-Schale (übergrosse Kontaktlinse zur Vorformung des Bindehautsackes für die Aufnahme der endgültigen Glas- oder Kunststoffprothese) durch eine provisorische Prothese ersetzt werden. (Abbildung 8 zeigt den Patienten mit dieser Versorgung.)
Diskussion
Zunächst sollte schon der Ersthelfer auf Zeichen achten, die eine offene Augapfelverletzung wahrscheinlich erscheinen lassen. Dazu zählen [4]:
- eine offensichtliche Eröffnung des Augapfels,
- ein kollabiertes oder stark verzogenes Auge,
- eine prolabierte Aderhaut, eine verzogene Pupille,
- eine unterblutete Bindehaut mit Abflachung der Vorderkammer,
- eine Hypotonie des Auges mit oder ohne Bindehautblutung.
Eine Bulbusberstung bedarf zum Erhalt des Auges der schnellstmöglichen Versorgung. Zunächst, nach möglichst steriler Abdeckung des Auges, sollte zur Einschätzung des Ausmaßes der Verletzung der Patient einem Augenfacharzt zugeführt werden. Zum Ausschluss verbliebener auch metallischer intraokuläre Fremdkörper (IOFK) muss eine bildgebende Diagnostik mittels Ultraschall und/oder cCT erfolgen. Unter Antibiotikaschutz wird dann unter aseptischen Bedingungen ein primärer Wundverschluss angestrebt. Der wasserdichte Verschluss des Bulbus muss unbedingt schnellstens sichergestellt werden, wenn der Patient überhaupt eine Chance zum Erhalt des Auges haben soll.
Die Sekundärversorgung erfolgt an spezialisierten Zentren durch einen Ophthalmochirurgen mit Erfahrung sowohl im vorderen als auch im hinteren Augenabschnitt. Der optimale Zeitpunkt der Zweitversorgung ist in der Literatur Gegenstand der Diskussion und variiert zwischen 2 Tagen und ein bis zwei Wochen [3, 4].
Die Bulbusruptur ist die schwerste Verletzung des Auges und hat eine schlechte Prognose quoad visum. Während des Irak-Krieges 2003 - 2005 wurden die Daten von 797 schwer verletzten Augen ausgewertet, von denen 438 offene Bulbusverletzungen (55 %) waren, 49 (6 %) dabei beidseitig. Der Hauptgrund der Augenverletzungen waren Explosionen mit Splittereinwirkung. 116 Augen (14,5 %) konnten nicht mehr gerettet werden und bedurften entweder einer Enukleation (Entfernung des Augapfels), Eviszeration (Belassung der Lederhauthülle des Auges nach Entfernung des Augeninhaltes) oder Exenteration (Entfernung des Auges und periorbitalen Gewebes), bei 6 Patienten (0.75 %) davon beidseits [5].
Fazit
Auch wenn bei dem vorgestellten Patienten auf Grund von Ausmaß und Schwere der Verletzung das Auge nicht erhalten werden konnte, verdeutlicht dieses Fallbeispiel die Versorgungsplanung eines auch im Auslandeinsatz zu erwartenden Explosionstraumas des Auges. Vor Ort sollte die Primärversorgung durch einen operativ versierten Augenarzt durchgeführt werden. Wichtig ist hier vor allem die Abdichtung des Bulbus durch Sklera- und Hornhautnähte. Die Sekundärversorgung kann nach Rückverlegung ins Heimatland erfolgen. Hier kann letztlich in den meisten Fällen auch erst eine endgültige Aussage zu den Möglichkeiten des Sehkrafterhalts erfolgen, häufig erst nach einer Revisionsoperation.
Bei der Planung der Repatriierung ist zu berücksichtigen, dass je nach Schweregrad der intraokularen Beteiligung eine Revision durch einen erfahrenen Ophthalmochirurgen zeitnah nach der Erstoperation sichergestellt sein muss [3, 4]. Auch wenn die Funktion des Auges nicht erhalten werden kann, ist ein Erhalt des Augapfels in der Regel möglich. Mit einer an die Form und Farbe des Partnerauges angepassten Prothese wird in den meisten Fällen dann zumindest eine kosmetisch ansprechende Versorgung erreicht. Deshalb sollte eine Enukleation des verletzten Auges im Rahmen der Erstversorgung auch aus diesem Grund unbedingt vermieden werden.
Literatur
- Behrens-Baumann W: Endophthalmitis. Klin Monatsbl Augenheilkd 2008; 225(11): 917-918.
- Tyers AG, Collin JRO: Colour Atlas of Ophthalmic Plastic Surgery. Butterworth Heinemann Elsevier 2008; 12.1: 294-298.
- Schrader WF, Pröll D: Erstversorgung bei Hinterabschnittsverletzungen. Vortrag Kongress der Deutschen Ophthalmochirurgen 2009.
- Kuhn F, Pieramici DJ: Ocular Trauma. Thieme 2002.
- Thach AB, Johnson AJ, Carroll RB et al.: Severe Eye Injuries in the War in Iraq 2003- 2005. Surv Ophthalmol 1997; 41: 433-459.
Bildquellen: Bundeswehrkrankenhaus Ulm 2014, Dr. Mona Wittmann
Datum: 15.05.2015
Quelle: Wehrmedizinische Monatsschrift 2015/4