11.03.2011 •

DER PATIENT MIT HAARAUSFALL

Aus der Abteilung Dermatologie und Venerologie (Leitender Arzt: Oberstarzt Dr. Ralf Hartmann) des Bundeswehrkrankenhauses Berlin (Chefarzt: Oberstarzt Dr. Wolfgang Düsel)

Warum wir Haare benötigen: Haare erfüllen gleichzeitig mehrere Funktionen am menschlichen Körper.

 Sie dienen unter anderem der Thermoregulation, in dem sie einen Wärmeverlust über den Kopf reduzieren. Dies ist insbesondere bei Kindern mit ihrer im Vergleich zum Erwachsenen verschobenen Kopf- Körper-Relation wichtig. 

Ein wichtiger Aspekt ist weiterhin die Protektion vor schädigenden äußeren Einflüssen. Hier ist zum einen ein mechanischer Schutz des Kopfes zu nennen und zum anderen die Reduktion der UV-Belastung durch Sonnenlicht, da es an ungeschützter Kopfhaut im Verlaufe des Lebens zu chronischen Lichtschäden mit konsekutiver Entwicklung von Hautkrebsvorstufen und letztlich Hautkrebs selbst kommen kann. Nicht unterschätzt werden darf auch die Funktion der Haare für die menschliche Psyche, da ein als kosmetisch entstellend empfundener Haarverlust schnell die Lebensqualität erheblich einschränken kann. Zur Vereinfachung erfolgt im weiteren Verlauf keine Unterscheidung zwischen Körperbehaarung und Kopfhaaren. 

Einige wichtige physiologische Daten zur Behaarung:

Die Anzahl der Kopfhaare eines Menschen beträgt zwischen 90000 und 150000 mit einer Lebensdauer von meistens 2 bis 6 Jahren und einer Wachstumsgeschwindigkeit von etwa 0,3 mm pro Tag.

Es besteht ein Kreislauf aus zyklischen Aktivitätsphasen, dem sich alle Haarfollikel unterwerfen. Es findet eine Unterteilung in Anagenphase, Katagenphase sowie Telogenphase statt (Tabelle 1).

Der Patient mit Haarverlust in der truppenärztlichen Sprechstunde:

Anamnese

Stellt sich ein Patient wegen Haarverlustes ärztlich vor, ist eine spezielle Anamnese vor weiteren diagnostischen Schritten unabdingbar.

Sofern nicht ein lokales bzw. makroskopisch bereits auffälliges Effluvium infrage kommt, sollte der erste Schritt immer die über mehrere Tage stattfindende Zählung der täglichen Haarverlustmenge sein. Hierzu gehören eine Inspektion der Kleidung, Bettwäsche, Kamm bzw. Haarbürste und ggf. auch der Abflüsse von Dusche und Waschbecken.

Häufig zeigt sich so bei der anschließenden Auswertung ein im Normbereich liegender Haarverlust und der Patient kann beruhigt werden. Eine sich bei pathologischem Befund anschließende weitere Befragung umfasst Aussagen zu: 

  • Dauer und Ausbreitung des aktuellen Haarverlustes
  • in der persönlichen Vorgeschichte aufgetretenen Episoden von Haarverlust
  • vergleichbaren Symptomen bei nahen Verwandten
  • aktuellen Beschwerden an Haut- und Kopfhaut
  • aktuellen oder kurz zurückliegenden Infekten, Vergiftungen, Operationen
  • eventuell vorhandenen Grunderkrankungen (Schilddrüse, Diabetes mellitus, Malignome,
  • Autoimmunerkrankungen)
  •  Zyklusunregelmäßigkeiten und gynäkologischen Auffälligkeiten (bei Frauen)
  • Einnahme von Medikamenten
  • eventuell vorhandenen Stressoren und psychischen Beeinträchtigungen
  • kosmetischer Behandlung der Haare
  •  

Klinische Inspektion 

Eine körperliche Untersuchung berücksichtigt verschiedene Faktoren. Hierzu zählen:

  • das Verteilungsmuster des Haarausfalls (circumscript vs. diffus)
  • die Art des Haarausfalls (vernarbend vs. nichtvernarbend)
  • der Zustand der Haut und Kopfhaut (Entzündungszeichen, Schuppenbildung, Seborrhoe)
  • allgemeine und spezifische Zeichen einer eventuell zugrunde liegenden Erkrankung

Weiterführende Diagnostik

Bei unklarer Ursache eines Haarverlustes können ergänzend zusätzliche Parameter bestimmt werden, wobei ggf. die Einschaltung einer Facharztuntersuchungsstelle sinnvoll ist:

  • Blutbild, Eisenstatus
  •  Hormonstatus (Testosteron, DHEA, Prolaktin, SHBG, Progesteron, TSH, fT3, fT4)
  • Trichogramm
  • mykologisches Präparat
  • Probebiopsie der Kopfhaut

Differentialdiagnosen bei Haarverlust

Es gibt eine große Anzahl von angeborenen und erworbenen Erkrankungen, welche mit Haarverlust einhergehen. Eine Übersicht über die wichtigsten erworbenen diffusen Alopezien liefert Tabelle 2. Die wichtigsten circumscripten Alopezien stellt Tabelle 3 dar.

Schwerpunkte in der truppenärztlichen Praxis

Alopecia androgenetica
Die häufigste Ursache wegen derer sich ein Patient mit Haarverlust in der Sprechstunde vorstellt, ist die androgenetische Alopezie. Ca. 95 % aller diffusen Alopezien bei Männern fallen unter diese Kategorie. Die Wahrscheinlichkeit, im Laufe des Lebens daran zu erkranken, beträgt etwa 80 %, wobei die Ausprägung individuell unterschiedlich ist und in 4 Schweregrade eingeteilt wird (siehe Grafik 1).

Nicht jeder Patient muss zwangsläufig Grad 4 erreichen. Je eher der Haarausfall beginnt, desto größer jedoch die Wahrscheinlichkeit eines schweren Verlaufes. Der Haarverlust ist irreversibel. Hauptursache ist eine deutlich erhöhte Geschwindigkeit des Haarzyklus durch eine genetisch determinierte stärkere Stimulierbarkeit des Haarfollikels durch Dihydrotestosteron (DHT) mit daraus resultierender zunehmender Erschöpfung und Rückbildung des Haarfollikels.

Eine Schlüsselrolle in der Pathogenese nimmt das Enzym 5-a-Reduktase ein, welches die Umwandlung von Testosteron zum DHT katalysiert. Die effektivste Behandlung der androgenetischen Alopezie besteht daher in einer Hemmung dieses Enzyms. Seitens der Industrie existiert hier z.B. die Möglichkeit der systemischen Anwendung von Finasterid (Propecia ®). Allerdings ist lediglich ein Stopp der Progression zu erzielen. Bereits zugrunde gegangene Haarfollikel bilden sich nicht neu. Mit Absetzen des Medikaments kommt es zu einem erneuten Auftreten des Haarausfalls. Die wichtigsten Nebenwirkungen können eine Absenkung der Libido und eine mögliche erektile Dysfunktion sein. Die Kosten für die Behandlung sind in der Regel durch den Patienten selbst zu tragen und belaufen sich im Monat auf durchschnittlich € 50,- .

Darüber hinaus existiert als topische Therapie die Anwendung von östrogenhaltigen Haar wässern mit einer dem Finasterid vergleichbaren, jedoch auf die Applikationsstelle begrenzten Wirkungsweise und Minoxidil-Lösung (Regaine®), welches ursprünglich als Blutdruckmedikament entwickelt wurde und deren Wirkung vermutlich über eine gesteigerte Durchblutung durch Förderung der Bildung die Haarfollikel versorgender Gefäße erreicht wird. Nach Absetzen des Präparates ist jedoch auch hier die Wirkung reversibel und der Haarverlust beschleunigt sich wieder.

Die Angaben zu Ansprechraten der topischen Therapien zeigen ein schwankendes Bild und können individuell unbefriedigend ausfallen. Es empfiehlt sich daher jeweils eine kritische Beurteilung des Therapieergebnisses nach einigen Wochen.

Alopecia areata (kreisrunder Haarausfall)
Bei der Alopecia areata handelt es sich um die häufigste Form der circumscripten Alopezie. Die höchste Inzidenzrate findet sich bei Kindern und jungen Erwachsenen. Das klinische Bild ist durch das Auftreten einzelner bis multipler, annähernd kreisrunder, haarloser Areale gekennzeichnet (siehe Grafik 2).

Der Verlauf zieht sich in der Regel über Monate, wobei es anschließend in der Regel zu einem Nachwachsen der Haare kommt. Ein rezidivierender Verlauf mit Schüben im Abstand von mehreren Jahren wird gelegentlich beobachtet. Als Maximalvariante ist der Verlust der gesamten Kopf- und Körperbehaarung möglich, was als Alopecia areata totalis bezeichnet wird.

Ursächlich liegt der Erkrankung vermutlich eine autoimmune Genese mit lymphozytärer Reaktion gegen die Haarfollikel zugrunde. Weitere Autoimmunkrankheiten (z.B. der Schilddrüse und Nebenschilddrüse) werden vermehrt parallel beobachtet und erhärten daher den Verdacht auf ein immunologisches Geschehen.

Die Therapie ist entsprechend nur symptomatisch möglich und erschöpft sich meist mit der topischen Anwendung von Kortikosteroiden zur Unterdrückung der lokalen Entzündungsreaktion. Ein weiterer Therapieansatz ist die Auslösung einer lokalen Kontaktdermatitis, was zu einer Verdrängung der autoimmunen Lymphozyten führen soll. Zum Einsatz kommen hier z.B. Diphencyprone und Cignolin. Es gibt zusätzlich Einzelfallbeschreibungen von lokaler Applikation weiterer eher exotischer Externa; z.B. Knoblauchexsudat.

Da die besten Resultate der Therapie in den ersten Wochen nach Symptombeginn zu erzielen sind, sollte eine kurzfristige Vorstellung bei einem Dermatologen stattfinden um dieses Zeitfenster optimal auszunutzen. Je länger mit einer Behandlung gewartet wird, desto größer die Gefahr eines fortschreitenden und evtl. irreversiblen Haarverlustes.

Zusammenfassung

Das Spektrum von Erkrankungen, welche mit Haarverlust einhergehen ist breit gefächert. Bei unklarem Befund sollte immer zuerst eine Zählung der täglich ausgefallenen Haare durchgeführt werden, um eine Abgrenzung zwischen normaler „Haarmauser“ und pathologischem Effluvium zu ermöglichen.

Neben einer differenzierten Anamnese kann bzw. muß im nächsten Schritt eine weitere, zum teil auch invasive Diagnostik erfolgen. Hierbei sollte die Hinzuziehung eines Spezialisten erwogen werden.

Mit Abstand am häufigsten erfolgt eine Vorstellung wegen androgenetischer Alopezie. Es empfiehlt sich dabei eine umfangreiche Information über Verlauf, Prognose und mögliche Therapie. Bei bestehendem Therapiewunsch des Patienten ist eine Verordnung eines 5-α -Reduktase-Hemmers (z.B. Finasterid) am erfolgversprechendsten. Zu beachten ist jedoch, dass die nicht unerheblichen Therapiekosten durch den Patienten zu tragen sind.

Merke: Unklare Befunde und hoher Leidensdruck sollten umgehend fachärztlich versorgt werden.

Bei allen weiteren Haarverlustsyndromen, die nicht der androgenetischen Alopezie zugeordnet werden können empfiehlt sich regelhaft eine kurzfristig anzuberaumende fachärztliche dermatologische Vorstellung.

Datum: 11.03.2011

Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2010/4

Verwandte Artikel

Zentrale molekulare Gewebediagnostik im Systemverbund der Bundeswehrkrankenhäuser – erste Auswertung und Erfahrungsbericht

Zentrale molekulare Gewebediagnostik im Systemverbund der Bundeswehrkrankenhäuser – erste Auswertung und Erfahrungsbericht

Die Bedeutung molekular zielgerichteter Therapien in der Versorgung von Krebserkrankungen nimmt stetig zu.

Wehmedizinische Monatszeitschrift 10/24

Rauchlose orale Nikotinprodukte (Teil 2)

Rauchlose orale Nikotinprodukte (Teil 2)

Die zunehmende Verbreitung von oralen Nikotinprodukten in der Bundeswehr ist eine komplexe Herausforderung für den präventiven Gesundheitsschutz. Die Vermittlung von Wissen und Schaffung eines Bewusstseins für die verschiedenen Aspekte des...

Wehrmedizinische Monatsschrift 5/2024

Speicheldrüsentumore: Histopathologie und Stellenwert der zahnärztlichen Untersuchung

Speicheldrüsentumore: Histopathologie und Stellenwert der zahnärztlichen Untersuchung

In der klinischen Medizin und im Fach Pathologie besteht der Eindruck, dass die histomorphologische Diagnostik von Tumoren der kleinen Speicheldrüsen komplex und manchmal mit Fehlklassifikation behaftet ist im Bezug auf die der großen...

Wehrmedizinische Monatsschrift 4/2024

Meist gelesene Artikel

Photo

Sonographie im Einsatz

Die Entwicklung des medizinischen Ultraschalls wurde nach den ersten Verwendungen in der Neurologie in den 1950er Jahren zur Darstellung von Ventrikeln mittels A-Mode in den darauffolgenden Jahren…