Arbeitsplatz Cockpit im Wandel

Eine qualifizierte flugmedizinische Betreuung der Besatzungen moderner fliegender Waffensysteme erfordert neben medizinischer Professionalität auch ein umfassendes Fachwissen und genaue Kenntnisse des Arbeitsumfeldes des hier anvertrauten Personals. Dies ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, sowohl im Auswahlprozess, wie auch bereits zu Beginn der zeitaufwendigen und kostenträchtigen fliegerischen Ausbildung geeignete Maßnahmen ergreifen zu können, um diesen hoch ausgelesenen Personenkreis eine möglichst lange fliegerische Karriere ermöglichen zu können. Dabei bedeutet die Einführung neuer Hubschrauber in die Heeresfliegertruppe mehr als nur die technische Verbesserung bisherigen Fähigkeiten; sie führt zugleich zu einem erheblichen Wandel des Arbeitsumfeldes und somit des Berufsbildes des Hubschrauberpiloten, dem der Fliegerärztliche Dienst des Heeres in seiner zukünftigen Tätigkeit Rechnung tragen muss.

„In den Wolken verloren, von Nebeln umhüllt, von Stürmen umhergeschleudert, gezwungen, mit seinem großen Drachen durch das Dunkel vorwärts zu stürmen, steht der Aviatiker immer plötzlichen Gefahren gegenüber, ohne auf irgend eine menschliche Hilfe rechnen zu können.“
(Aus: WELLCOMES Materia Therapeutica, 1912)


Seit den Anfängen des bemannten Motorflugs haben sich die Arbeits- und Einsatzbedingungen des fliegenden Personals stetig verändert. Hierbei hat zunächst in den Cockpits der Luftfahrzeuge in der Zivilluftfahrt ein zunehmender Komfort Einzug gehalten, geprägt von den Erkenntnissen moderner Ergonomie und leistungsphysiologischer Erfahrungen. Die Cockpits von Militärluftfahrzeugen, und hier gerade auch von Militärhubschraubern, waren demgegenüber noch lange Jahre geprägt von den Erfordernissen der Einsatztauglichkeit, somit standen Robustheit, Schlichtheit und letztendlich Anspruchslosigkeit im Vordergrund.

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Abb. 1: Cockpit der Alouette II, bis 2006 in der fliegerischen Grundschulung eingesetzt.


Der Arbeitsplatz der Hubschrauberführer war immer gekennzeichnet durch die typischen Belastungen durch Lärm, Vibration, eine unphysiologische Sitzhaltung und ständige Beanspruchung von Feinmotorik und Koordination, da bauartbedingt Hubschrauber aerodynamisch instabil waren und sind und dauernde Steuereingaben erforderten. Gesteigert wurden die physischen Belastungen noch durch die Einführung von Restlichtverstärkersystemen, die die Helmgewichte erhöhten und deren Schwerpunkte vor die Längsachse der HWS verlagerten, somit eine hohe Haltearbeit der nuchalen Muskulatur verlangten.
Die typischen Beschwerdebilder älterer Hubschrauberführer spiegeln diese Einsatzwirklichkeit deutlich wieder und stehen häufig in den fliegerärztlichen Sprechstunden im Mittelpunkt.
Hinzu traten die Belastungen durch die recht unzureichende Klimaregulation in den Cockpits, die bei längerer und intensiverer Sonneneinstrahlung enorme Innentemperaturen entwickelten, über nicht immer wirkungsvolle Belüftungssysteme verfügten und in Verbindung mit der ver-fügbaren Bekleidung und persönlichen Ausrüstung allenfalls als bedingt geeignet für manche Klimaregionen – und selbst Jahreszeiten – anzusehen waren.
Im Gegensatz zu den Cockpits von Flugzeugen – insbesondere in der kommerziellen Luftfahrt – fanden sich die Hubschraubercockpits lange Zeit eher sparsam instrumentiert; das typische Einsatzprofil von Militärhubschraubern, das Bewegungen in geringer Höhe in der Hinderniskulisse verlangt, zwingt die Aufmerksamkeit nach außen, hier war es geboten, sowenig Aufmerksamkeitsleistung wie möglich zu binden an Instrumente oder Anzeigen. Andererseits führte dies auch wiederum zu Einschränkungen der Einsatzmöglichkeiten; hier kam es nun darauf an, für zukünftige Entwicklungen Lösungen zu finden.
Die Einführung der neuen Hauptwaffensysteme TIGER und NH 90 in die Heeresfliegertruppe wird zu einer Veränderung der Arbeitsbedingungen der Hubschrauberbesatzungen führen, deren gesamtes Ausmaß vermutlich erst in einigen Jahren erkennbar sein wird. Einige wesentliche Veränderungen sind bereits jetzt deutlich; hier wird flugmedizinisch zum einen in der Auswahl des fliegenden Personals, zum anderen in der präventivmedizinischen Arbeit der Fliegerärzte eine kontinuierliche Anpassung von Grundsätzen und Verfahren erfolgen müssen.

Cockpitergonomie

Die Anordnung der Steuerorgane hat sich gegenüber bisherigen Hubschraubern nicht verändert; weiterhin zwingt die Anordnung von Steuerknüppel (stick zur zyklischen Blattverstellung) und Leistungshebel (pitch zur kollektiven Blattverstellung) den Piloten in eine anteflek-tierte, im thorakolumbalen Übergang linksrotierte und dafür im cervicothorakalen Übergang rechts gegenrotierte Sitzhaltung, meist noch akzentuiert durch eine cervicale Hyperlordosierung. Zahlreiche Untersuchungen sind zur Thematik der dorsolumbalen Schmerzsymptome bei Hubschrauberpiloten durchgeführt worden; deutlich zeigte sich, dass in der Ätiologie die Sitzhaltung eine größere Rolle spielt als die Vibration, zudem lösen flie-gerisch anspruchsvolle Einsätze eher Beschwerden aus, als ereignisarme Routineflüge. Hier bringen moderne Flugunterstützungssysteme – bis hin zu Autopiloten – eine deutliche Entlastung gegenüber früheren Hubschraubertypen. Demgegenüber steht die eher größer werdende Belastung durch höhere Gewichte der neuen Helme, die integraler Bestandteil der neuen Hubschraubergeneration sind.
Flugmedizinisch kommt es hier auf genaue Auswahl und sorgfältiges Monitoring dieser Besatzungen an, ebenso ist eine intensive Prävention durch geeignete Trainingsprogramme unverzichtbar, um bei langfristigem Einsatz bleibende Schädigungen im Wirbelsäulenbereich vermeiden zu können.
Beispielgebend ist hier das Konzept der Luftwaffe für die sportmedizinische Prävention bei Besatzungen strahlgetriebener Kampfflugzeuge, hier wird auch die Heeresfliegertruppe weitere Maßnahmen ergreifen müssen, um eine vergleichbare Qualität in der Betreuung der fliegenden Besatzungen zu erreichen.

Visionik und Instrumentierung

Das Fliegen mit Restlichtverstärkersystemen ist seit langem eingeführte und erprobte Praxis. Auch in den neuen Waffensystemen steht diese Technik zur Verfügung, neu ist hierbei die nun seitliche Anordnung der bilderzeugenden Röhren am Helm, die das generierte Bild dann in die vor die Augen gesetzten Projektionslinsen einspiegeln. Damit ergibt sich der Effekt einer Hyperstereopsis, da das binokulare Bild anders ausfällt, als dies mit den bloßen Augen erzeugt würde. Andere Bilderzeugungssysteme – wie beispielsweise Infrarotsensorbilder – ergeben das Problem, dass die Blickachse des Auges und die Achse des an anderer Stelle am Hubschrauber angebrachten Sensors nicht selten erheblich auseinanderliegen. Beide Effekte erschweren die genaue Orientierung und können deutliche Schätzfehler auslösen (Abb.3).
Die Instrumentierung moderner Cockpits stützt sich auf multifunktionelle Displays; hier kön-nen erheblich mehr Informationen bereitgestellt werden als in früheren Cockpits, wobei dem Informationsmanagement ein völlig anderer Stellenwert zukommt (Abb.4). Um die visuelle Aufmerksamkeit weiterhin überwiegend außerhalb des Cockpits halten zu können, können Informationen in die Helmoptiken eingespiegelt werden.
Hier wird es künftig erheblich darauf ankommen, die Fülle an verfügbaren Informationen so zu kanalisieren, dass eigene Verarbeitungskapazitäten nicht überfordert werden oder die Aufmerksamkeitsverteilung ungünstig verschoben wird.

Virtuelle Welten

Bereits in der Hubschrauberführergrundausbildung werden Simulatoren für die ersten Ausbildungsabschnitte eingesetzt. Neben Wirtschaftlichkeits- und Umweltschutzerwägungen bieten sie den Vorteil, auch solche Verfahren lernen und üben zu können, die in der Realität als zu risiko- oder verlustreich zu bewerten wären; hier sind insbesondere die Notverfahren zu erwähnen. Im Zuge weiterer Muster- und Einsatzausbildung nimmt die Simulatorausbildung dann einen konstant hohen Stellenwert ein. Auch in der folgenden taktischen Ausbildung sowie der Lizenzerhaltung werden Simulatorsysteme in erheblichem Umfang eingesetzt werden. Damit verbundene medizinische Problematiken werden an anderer Stelle hier im Heft behandelt. Für die Hubschrauberführer der Zukunft ergibt sich hier eine völlig neuartige Arbeitsumgebung, in der sie voraussichtlich mehr Zeit zubringen werden, als in den Hubschraubercockpits.

Zusammenfassung

Der Wandel in der Gestaltung des Arbeitsplatzes Cockpit ist in vollem Gange. Zukünftige Pilotinnen und Piloten von Hubschraubern der Heeresfliegertruppe werden in viel größerem Umfang Waffensystemmanagement betreiben, dabei verglichen mit früheren Generationen aber weniger gefordert sein in der kontinuierlichen motorischen Arbeit während des Fluges.
Gerade auch die zu erwartenden Einsatzszenarien – und hier werden Transporthubschrauber- und Kampfhubschrauberverbände sich nicht signifikant unterscheiden - werden den Besat-zungen ein Höchstmaß an physischer, psychischer und auch intellektueller Leistungsfähigkeit abverlangen. Dies zu erreichen, erfordert eine genaue Auswahl, eine kontinuierliche Betreuung und auch eine stetige Überwachung gerade auch in den Einsatzgebieten. Der Prävention im Sinne einer Gesundheitserziehung wie auch einer kontinuierlichen sportmedizinischen Betreuung kommt dabei ein besonderer Stellenwert zu, da fliegendes Personal im Jahrgang nicht regenerierbar ist und krankheitsbedingte Ausfälle nicht kurzfristig ersetzt werden können.
Solange noch Menschen in den Cockpits Fluggeräte steuern, werden diese voraussichtlich immer höheren Belastungen – unterschiedlicher Art – ausgesetzt werden. Ob und wenn ja, wann dieser Prozess zum endgültigen Abschied aus der bemannten Militärfliegerei führen wird, wird abzuwarten sein. Mit Einführung der neueren unbemannten Luftfahrzeuggenerationen sind die ersten Schritte erfolgt.
 

Datum: 30.06.2008

Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2008/2

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