06.10.2020 •

Two Roots – One Team – One Capability

Das sanitätsdienstliche Projekt Multinational Medical Coordination Centre / European Medical -Command (MMCC/EMC) - Entstehung, Sachstand und Ausblick

A. Jäckel

In der rückschauenden Betrachtung der letzten Dekade ist ein Ereignis aus militärkonzeptioneller Sicht herausragend und von nachwirkender Bedeutung. Es stellte durch seine Auswirkungen und Reichweite eine Zäsur für die strategische Ausrichtung und Schwerpunktsetzung der NATO aber auch der EU dar.

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In der rückschauenden Betrachtung der letzten Dekade ist ein Ereignis aus militärkonzeptioneller Sicht herausragend und von nachwirkender Bedeutung. Es stellte durch seine Auswirkungen und Reichweite eine Zäsur für die strategische Ausrichtung und Schwerpunktsetzung der NATO aber auch der EU dar. Mit der Annexion der Krim 2014 durch Russland und der „Renaissance klassischer Machtpolitik“ als politisches Instrument musste aus militärplanerischer Sicht ein radikales Umdenken erfolgen. Angesichts der grundlegend veränderten sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen und vielfältigen und komplexen globalen Herausforderungen verbunden mit einer notwendigen Refokussierung auf Landes- und Bündnisverteidigung rückten multinationale Kooperationen in den Vordergrund. Kaum eine Nation kann heute noch erfolgreich allein agieren, multinationale Zusammenarbeit ist zur „conditio sine qua non“ geworden.

Entstehung

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Am 4. September 2019 haben die 14 Mitgliedstaaten des MMCC/EMC die Initial Operating Capability erklärt.
Auf dem Gipfeltreffen der NATO 2014 in Wales wurde unter anderem das Framework Nations Concept, kurz FNC, beschlossen. Beim Rahmennationen-Konzept entscheiden sich die teilnehmenden europäischen Mitgliedstaaten in multinationalen Clustern zusammenzuarbeiten, um ihre Fähigkeiten auszubauen und besser zu organisieren. Später kam das Ziel der Befähigung zur Aufstellung und operationellen Zusammenwirkens von größeren Truppenverbänden hinzu, prägnant als „Larger Formations“ bezeichnet. Mit diesem Engagement europäischer NATO Staaten soll insbesondere der europäische Pfeiler der NATO ausgebaut und damit die Verteidigungsfähigkeit des Bündnisses nachhaltig und glaubwürdig gestärkt werden. Als Ergebnis der im Jahr 2014 aufgenommenen Arbeit des sanitätsdienstlichen Clusters „Medical Support“, für den der Deutsche Sanitätsdienst die Rahmennation Funktion übernommen hatte, erwuchs das Projekt Multinational Medical Coordination Centre“ (MMCC). Alle Beteiligten hatten erkannt: Um in Katastrophen, Krisen, Epidemien oder bewaffneten Konflikten, eine qualifizierte medizinische Versorgung von militärischen- und gegebenenfalls auch Zivilpersonen zu gewährleiten, müssen die Sanitätsdienste von EU und NATO effizient zusammenwirken und -arbeiten. Dafür benötigt es eine effektive und gezielte Koordination der Fähigkeiten der sanitätsdienstlichen Ressourcen von EU- und NATO-Mitgliedsstaaten.  

Am 2. Mai 2017 unterzeichneten auf der Festung Ehrenbreitstein in Koblenz Inspekteure von acht Sanitätsdiensten europäischer NATO-Staaten, darunter Deutschland, Belgien, Estland, Luxemburg, Niederlande, Norwegen, Tschechien und Ungarn, einen Letter of Intent, um die Zusammenarbeit im Rahmen des MMCC zu stärken. 

Im Dezember 2017 wurde mit dem Gründungsbeschluss zur Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit (Permanent Structured Cooperation – PESCO) durch den Rat der Europäischen Union (EU) eine Verstärkung der Zusammenarbeit und Kooperation im Bereich der Verteidigung vereinbart. In Folge dieses Beschlusses hat der Rat im März 2018 siebzehn Projekte bestimmt, die im Rahmen von PESCO aufgebaut werden sollen. DEU hat dabei u. a. die Koordination für das Projekt „European Medical Command“ (EMC) übernommen. 

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Inzwischen hat die Slowakei, als 15. Nation, ihren Beitritt zur Kooperation MMCC/EMC erklärt. Weitere Nationen befinden sich in einem intensiven Prüfprozess.
In der durch NATO und EU 2016 gezeichneten und 2018 bekräftigten Joint Declaration wird hervorgehoben, dass die durch EU und NATO entwickelten Initiativen komplementär entwickelt werden sollen, um Redundanzen zu vermeiden. In Sinne des ­„Single Set of Forces“-Prinzips wurden die beiden sanitätsdienstlichen Initiativen, Multinational Medical Coordination Centre (MMCC) im Framework Nations Concept (FNC) der NATO und des European Medical Command (EMC) im Rahmen der Permanent Structured Cooperation (PESCO) der EU – in eine Einrichtung als MMCC/EMC zusammengeführt.  

Am 4. September 2019 haben die 14 Mitgliedstaaten des MMCC/EMC die Initial Operating Capability erklärt. Die Feststellung der „Initial Operational Capability“ (IOC), also der Erstbefähigung des Multinational Medical Coordination Centre/European Medical Command (MMCC/EMC), bildet den eigentlichen Startschuss der Kooperation beider Initiativen. Im Rahmen der IOC Zeremonie erklärte Generalstabsarzt Dr. Schoeps, Stellvertreter des Inspekteurs des Sanitätsdienstes der Bundeswehr: „Die Anwesenheit der höchsten Vertreterinnen und Vertreter der beteiligten Nationen unterstreicht die Wichtigkeit dieses Projektes. Wir müssen die Interoperabilität zwischen diesen Staaten fördern, denn gemeinsam sind wir stark.“ 

Sachstand

Zu Beginn des Jahres 2020, rund fünf Jahre nach Beginn der ersten Schritte des FNC-Cluster Medical Support, hat sich das Projekt MMCC/EMC enorm weiterentwickelt. Im Herbst 2019 hat die Slowakei als 15. Nation ihren Beitritt zum MMCC/EMC Projekt erklärt, einige andere Nationen befinden sich im intensiven Prüfprozess eines Beitritts.

Mit der gemeinsamen Erklärung der IOC des MMCC/EMC haben die jetzt 15 Nationen auch dem sogenannten „Conceptual Frame­work“, dem Grundsatzdokument für die weitere gemeinsame Entwicklung des MMCC/EMC zugestimmt. Dieses Dokument dient in erster Linie dazu einen gemeinsamen Abholpunkt zu schaffen und dadurch den weiteren Aufbau des MMCC/EMC zu erleichtern. Dieser gemeinsame Abholpunkt wurde als absolut notwendig erachtet, denn er liefert eine Antwort auf die in den letzten zwei Jahren immer wieder aufgekommene Diskussion EU-Projekt vs. NATO-Projekt. Aus diesem Grund wurde in einem iterativen Prozess in enger Zusammenarbeit mit den beteiligten Nationen das Conceptual Framework entwickelt, abgestimmt und letztendlich mit der IOC Erklärung in Kraft gesetzt. Damit ist ein solides konzeptionelles Fundament gelegt worden. 

Dieses Conceptual Framework definiert Aufgaben, Handlungsfelder und Prinzipien der Organisation der Einrichtung sowie die Beteiligungs- und die Mitbestimmungsmöglichkeiten der Nationen. Ein Schwerpunktprojekt des MMCC/EMC ist die Erstellung des sanitätsdienstlichen Lagebildes in SACEUR`s Area of Responsibility und den EU Staaten. Dabei werden Erreichbarkeit, Informationen und Daten der zivilen und militärischen medizinischen/sanitätsdienstlichen Stakeholder zusammengeführt und bewertet. 

Eine zusätzliche koordinative Aufgabe des MMCC/EMC ist die Unterstützung der Nationen bei dem multinationalen strategischen Verwundetentransport aus einen Krisengebiet oder der Joint Area of Responsibilty in deren Heimatländer bzw. in sichere Transitländer. Erste Überlegungen finden sich hierzu in dem Dokument „Patient Flow Management Guidelines for Article 5 Missions“, das Mitte 2019 durch Chef des Stabes SHAPE herausgegeben wurde.

Zusammenfassend kann der Auftrag des MMCC/EMC als Koordinator und Moderator in der multinationalen „Medical Community“ verstanden werden.  

Beginnend mit der IOC Erklärung wird das MMCC/EMC in einem zyklischen Prozess mit den beteiligten Nationen ein jährliches Arbeitsprogramm entwerfen, abstimmen und mit den relevanten Stellen koordinieren und letztendlich umsetzen. Die Bearbeitung des ersten mit den Nationen entwickelten und mit Arbeitsprogrammes ist in vollem Gang und zurzeit werden die ersten Erfahrungswerte und Inputs zur Erstellung des Arbeitsprogramms für den nächsten Zyklus zusammengefasst, um das Ergebnis mit den beteiligten Nationen diskutieren und konsolidieren zu können. Zwei Beispiele des aktuellen Arbeitsprogramms sind die Durchführung der Übung CAMO 20, in der die sanitätsdienstlichen Prozesse zwischen den Stäben einer Division mit seinen unterstellten Brigaden sowie übergeordneter Stellen in einem Szenario mit hohen Verwundetenzahlen simuliert und daraus Erkenntnisse gewonnen werden sollen sowie eine Arbeitstagung mit dem Schwerpunkt Zivil-Militärischer Zusammenarbeit, bei der es um den Austausch von Erfahrungen und „Best Practice“ in Szenarien mit hohen Verletztenzahlen geht. 

Ausgehend von einem kleinen Aufbaustab im Jahr 2017 ist die personelle Besetzung inzwischen auf 14 Personen angewachsen. Dabei konnte die multinationale Repräsentanz durch permanente und zeitlich befristet eingesetzte Offiziere erhöht werden und wird in den nächsten Monaten noch weiter ausgebaut. Diese Entwicklung bestätigt die wachsende Relevanz, die die Nationen dem MMCC/EMC beimessen und trotz enger Ressourcen versuchen Wege zu finden, sich zu beteiligen. Die Erhöhung der multinationalen Präsenz ist eines der wesentlichen Ziele der aktuellen Entwicklungsphase des MMCC/EMC.  

Ein weiterer Arbeitsschwerpunkt ist die konzeptionelle Verankerung des MMCC/EMC innerhalb der relevanten Dokumente NATO & EU und die Erstellung von offiziellen Kooperationsübereinkünften mit den relevanten Institutionen und Organisationen, um für das zukünftige Handeln einen verlässlichen Rahmen zu definieren und die Grundlagen der Zusammenarbeit festzulegen.

Ausblick

Das MMCC/EMC befindet sich in der Anfangsphase seiner Entwicklung. Die letzten beiden Jahre wurden benötigt, um die notwendigen Grundlagen zu schaffen, die Zusammenführung und Weiterentwicklung des FNC-Projektes MMCC und des PESCO-Projektes EMC als MMCC/EMC vorzubereiten, durchzuführen und auf allen relevanten nationalen und multinationalen Ebenen zu verankern. Damit wurde eine solide Basis geschaffen. Die nächsten Schritte sind Stakeholder-Mapping, die fortgesetzte und zunehmend umfangreichere Entwicklung und Umsetzung von Projekten an der Schnittstelle der nationalen Sanitätsdienste, EU, NATO und anderen relevanten Organisationen – also die inhaltliche Ausgestaltung und Umsetzung des Zwecks des MMCC/EMC – sowie die weitere offizielle Verankerung als Institution in EU und NATO. Ziel ist, Ende 2021, also zwei Jahre nach der Initial Operational Capability, die Final Operational Capability, die grundsätzliche Befähigung zur Aufgabenerfüllung, erklären zu können. Ambitioniert – ja mit Sicherheit – aber machbar, wenn das vorhandene Momentum beibehalten werden kann. 

Zusammenfassung

Multilateralismus und internationale Zusammenarbeit sind Grundkonstanten deutscher Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Auch der Sanitätsdienst der Bundeswehr stellt sich diesen Herausforderungen und hat als Rahmennation für das Multinational Medical Coordination Centre (MMCC) im Framework Na­­tions Concept (FNC) der NATO und des European Medical Command (EMC) im Rahmen der Permanent Structured Cooperation (PESCO) der EU international Verantwortung übernommen. Beide Projekte werden unter Beachtung der jeweiligen Besonderheiten EU und NATO ressourcenschonend gemeinsam als MMCC/EMC weiterentwickelt. Damit betreten die beteiligten Sanitätsdienste Neuland, aber trotz aller Herausforderungen, die eine Zusammenarbeit zwischen EU und NATO mit sich bringt, ist es das Wohl der uns anvertrauten Patienten und Verwundeten, das die weitere Entwicklung leitet und vorantreibt. Dies macht das Projekt MMCC/EMC zu einem Leuchtturmprojekt der EU-NATO Zusammenarbeit und damit der Umsetzung der EU-NATO Joint Declaration von 2016. 

Abbildungen: Markus Dittrich

1 Aus dem Multinational Medical Coordination Center / European Medical Command (Direktor: Generalarzt Dr. St. Kowitz) beim Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr (Inspekteur des Sanitätsdienstes der Bundeswehr, Generaloberstabsarzt Dr. Baumgärtner)

Verfasser:
Oberstleutnant Alexander Jäcke
MMCC/EMC SO Plans
Andernacherstraße 100
56070 Koblenz
E-Mail: AlexanderJaeckel@Bundeswehr.org 

Datum: 06.10.2020

Quelle:

Oberstleutnant Alexander Jäckel
MMCC/EMC SO Plans
Andernacherstraße 100
56070 Koblenz
E-Mail: AlexanderJaeckel@Bundeswehr.org 

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