01.10.2019 •

    „…transparenter Prozess im ­Forschungsmanagement“

    Interview mit Generalarzt Dr. Hans-Ulrich Holtherm, Direktor Wehrmedizinische Wissenschaft und Fähigkeitsentwicklung Sanitätsdienst

    WM: Herr Generalarzt Dr. Holtherm, Sie sind seit geraumer Zeit offiziell zum „Beauftragten des Inspekteurs für Forschung im Bereich der Gesundheitsversorgung der Bundeswehr“ bestellt worden. Welche Aufgaben bringt dieses neue Amt mit sich? Sind Sie auf diesem Gebiet mehr koordinativ tätig oder haben Sie auch eine Art Leitungsfunktion?

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    GA Dr. Holtherm an seinem Arbeitsplatz in der SanAkBw (Abb.: Dr. Hartmann)
    Generalarzt Dr. Holtherm: Meine Tätigkeit als „Beauftragter des Inspekteurs für Forschung im Bereich der Gesundheitsversorgung der Bundeswehr“ ist nur ein Teil ­meiner Verantwortung in der hiesigen Verwendung an der Sanitätsakademie der Bundeswehr. Speziell in diesem Bereich ist es zu einer Bündelung von Kompetenzen, Verantwortung und Ressourcen gekommen, wie sie in unserem Sanitätsdienst durchaus nicht so häufig zu finden ist. Die Forschungskoordination wird nämlich unterhalb und auch oberhalb der Ebene der Sanitätsakademie im Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr im Wesentlichen nicht mehr redundant abgebildet. Insofern ist meine Funktion als Beauftragter ­tat­sächlich koordinierend als Letztverantwortlicher für den Inspekteur des Sanitätsdienstes der Bundeswehr. In meiner eigentlichen Funktion als Direktor Wehrmedizinische Wissenschaft und Fähigkeitsentwicklung Sanitätsdienst an der Sanitätsakademie habe ich sehr wohl Leitungsfunktion, da mir drei Abteilungen der Sanitätsakademie direkt unterstehen. Diese leite ich als Direktor und lenke verantwortlich alle dort zu bearbeitenden Projekte.

    WM: Die Steuerung von Wissenschaft und Forschung im Sanitätsdienst ist heute ein komplexer und übergreifender Prozess. Stichworte sind z. B. Bewerten der Lage Gesundheitsforschung Bundeswehr, Berücksichtigen aktueller Entwicklungen im Bereich der Gesundheitsforschung oder Erarbeitung des Beitrags des Sanitätsdienstes der Bundeswehr für den Ressortforschungsplan des BMVg. Können Sie in kurzer Form erläutern, in welchem – auch politisch-strategischem Gesamtzusammenhang eine zielgerichtete Schwerpunktsetzung der Wehrmedizinischen Forschung erfolgen muss?

    Generalarzt Dr. Holtherm: Der politisch strategische Zusammenhang ergibt sich aus unseren Grundlagendokumenten, dem Weißbuch, der Konzeption der Bundeswehr und dem Fähigkeitsprofil der Bundeswehr. Hier werden die Zukunftslinien für die Streitkräfte in Abhängig von der sicherheitspolitischen Lage festgelegt. Natürlich muss sich Wehrmedizinische Forschung auch auf solche Schwerpunkte konzentrieren. Ein konkretes Beispiel: Die Landesverteidigung / Bündnisverteidigung hat andere Forschungsschwerpunkte als die bisherigen Auslandseinsätze, die wir in den letzten Jahrzehnten durchgeführt haben. Ich denke z. B. an die sichere Versorgung mit Blut und Blutprodukten in einem großen Konflikt mit vielen zu behandelnden Verwundeten. Unsere Aufgabe ist es nun, ein solches wichtiges Thema auch in der Schwerpunktforschung aktiv anzugehen und mitzuhelfen, Lösungsmodelle zu entwickeln.

    WM: Früher ist innerhalb des Sanitätsdienstes der Bundeswehr nahezu ausschließlich in den Instituten geforscht worden. Welche Institutionen sind im Rahmen der strategischen Neuaus­richtung heute in Wissenschaft und Forschung eingebunden? Können Sie in diesem Zusammenhang den Begriff der Forschungs­korridore näher erläutern?

    Generalarzt Dr. Holtherm: Die Ressortforschungsinstitute des Sanitätsdienstes stellen tatsächlich entscheidende Kompetenzen in unserer wehrmedizinischen Forschung und Entwicklung dar. Diese sind ein aus dem Auftrag des Sanitätsdienstes abgeleiteter Teilbereich der Ressortforschungsaktivitäten des BMVg. Neben den drei Münchner Instituten für Medizinischen ABC-Schutz wird die SollOrg gebundene Forschung am Schifffahrtmedizinischen Institut der Marine, dem Zentrum für Luft- und Raumfahrtmedizin der Luftwaffe und dem Institut für Präventivmedizin in Koblenz geleistet. Wir schauen darüber hinaus aber auch in unseren Bundeswehrkrankenhäusern auf klinische Forschung auf höchstem Niveau. Die Krankenhäuser sind so wichtig für die wehrmedizinische Forschung geworden, dass wir an vier Bundeswehrkrankenhäusern nun eine personelle Verstärkung mit einem eigenen Dienstposten Forschungskoordinator und zwei Dienstposten auf der Ebene des medizinischen Assistenzpersonals, sog. Study Nurses, ausgebracht haben, um die klinische Forschung dort zu unterstützen. In diesem Gesamtumfeld wird wehrmedizinisch relevante Forschung geleistet. Im Rahmen der Strukturierung der Forschung wurden schon von meinen Vorgängern verschiedene Forschungskorridore, z. B. für den Medizinischen ABC-Schutz, Gesundheitsschutz-Public Health / Schifffahrt- und Tauchmedizin / Luft- und Raumfahrtmedizin aber auch wehrmedizinische klinische und individualmedizinische Versorgung, Bildungsforschung mit Modellbildung und Simulation, oder auch Geschichte und Ethik der Medizin implementiert. Als eigenen Korridor neu eingeführt haben wir bei der letzten Strategiekonferenz den zukünftig immer wichtiger werdenden Bereich der Gesundheitssystemforschung und Digitalisierung der Gesundheitsversorgung der Bundeswehr.

    WM: Wie werden Forschungsvorhaben eingebracht und auf welcher Basis findet der Diskussions- und Entscheidungsprozess statt?

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    GA Dr. Holtherm (Abb.: Dr. Hartmann
    Generalarzt Dr. Holtherm: Wir haben einen transparenten Prozess im Forschungsmanagement etabliert. Zu Beginn jedes Jahres werden in einer „Strategieklausur Forschung“ zukunftsgerichtete Themen über die nächsten 2 Jahre hinaus spezifiziert. Sicherheitspolitische Vorgaben haben hier, wie schon erwähnt, Einfluss. ­Daraus entsteht ein Forschungsprogramm, das zusammen mit der inhaltlichen Verfeinerung der Forschungskorridore dem Inspekteur des Sanitätsdienstes zur Billigung vorgelegt wird. Danach werden allen Forschenden die Schwerpunkte des Inspekteurs zur Kenntnis gegeben, damit diese ihre Vorhaben entlang dieser­ ­Vorgaben bis zum Ende des Jahres einbringen können. Die eingereichten Projekte werden dann ausführlich geprüft und bis zum 30.06. des Folgejahres dem BAAINBW als im Bereich der Verbundforschung finanzierende und koordinierende Stelle vor­gelegt. Zum Ende des zweiten Jahres werden die Vertragsabschlüsse getätigt, die eigentliche Forschungstätigkeit kann dann beginnen.

    WM: Inwieweit sind Forschung und Wissenschaft im Sanitätsdienst der Bundeswehr heute international ausgerichtet? Gibt es besondere Bereiche oder Forschungsfelder, in denen Internationalität eine entscheidende Rolle spielt? Mit welchen befreundeten Sanitätsdiensten kooperieren wir besonders intensiv?

    Generalarzt Dr. Holtherm: Internationalität ist bereits heute und wird zukünftig noch weiter bestimmend für den Sanitätsdienst. Dies gilt auch und gerade für Wissenschaft und Forschung. Wir haben mit unseren Ressortforschungsinstituten seit langem sehr weitreichende internationale Verknüpfungen mit den entsprechenden amerikanischen, französischen und auch britischen Einrichtungen, mit denen gemeinsame Forschungsansätze auf internationalen Konferenzen diskutiert werden. Daraus können sich natürlich enge Kooperationen entwickeln, wie wir sie z. B. mit dem französischen Institut de recherche biomédicale des armées (IRBA) in Bretigny intensiv pflegen. Aber auch im klinischen Bereich gibt es mittlerweile vielversprechende Forschungs­ansätze zwischen unseren Bundeswehrkrankenhäusern und ihren zugeordneten französischen Partnerhäusern. Hinweisen möchte ich auch auf den neu etablierten sogenannten „structured dialog“ mit US-amerikanischen Forschungsinstituten, der bereits substan­tielle Fortschritte erkennen lässt.

    WM: Die Sanitätsakademie der Bundeswehr versteht sich seit ihrer Umgliederung 2013 als das Kompetenzzentrum für militärmedizinische und sanitätsdienstliche Forschung, Weiterentwicklung, Ausbildung und Lehre sowie des Medizinischen ABC-Schutzes. Welche Strukturen und Abläufe gewährleisten eine schnelle Umsetzung von Ergebnissen der Einsatzauswertung sowie der Forschung und Entwicklung in die Weiterentwicklung bzw. Lehre, Produkte und Verfahren. Können Sie einige erfolgreiche Beispiele bzw. Abläufe erläutern?

    Generalarzt Dr. Holtherm: In den letzten Jahren haben wir in vielen Prozessen und Abläufen eine wirklich gute Verbindung zwischen den beiden Direktoraten, zwischen Wissenschaft und Forschung und der Ausbildung und Lehre, erreicht. So sind fast alle Dienstposten in meinem Zuständigkeitsbereich mit einem prozentualen Lehrdeputat versehen, das im vielen Fällen doch eine sehr unmittelbare Information aus dem Forschungs- und Wissenschaftsbereich für unsere Trainingsteilnehmenden erlaubt. Als besonderes Beispiel möchte ich auf unsere Abteilung F Medizinischer ABC- Schutz hinweisen, die im Rahmen der PumA Ausbildung für unsere jungen Sanitätsoffiziere sehr eng in die Ausbildung und Lehre eingebunden ist, ein eigenes Training durchführt und natürlich die neuesten Erkenntnisse aus diesem wichtigen Bereich vermittelt.

    WM: An der Sanitätsakademie ist ein Gremium „Beratende SanOffz Gruppe Wissenschaftliche Beratung an der SanAkBw“ eingerichtet worden. Welche Funktion hat dieses Gremium und wie versprechen Sie sich konkrete Hilfestellung aus dem zivilen Bereich für unsere militärischen Vorhaben?

    Generalarzt Dr. Holtherm: Die Beratenden Sanitätsoffiziere sind ein im Sanitätsdienst der Bundeswehr seit langem bekanntes und geschätztes Gremium. Nach einigen strukturellen Änderungen ist dieses Beratungsgremium seit 2018 regelhaft an der Sanitätsakademie tätig. Ihre Mitglieder sind sehr erfahrene, oft im Zivilen als Hochschullehrer, Kliniker und leitende Wissenschaftler eingesetzte hochmotivierte Reservedienstleistende. Sie kommen aus vielen verschiedenen wissenschaftlichen Fachrichtungen und sind für uns eminent wichtig für die externe wissenschaftliche Begutachtung unserer Projekte. Außerdem helfen sie auch unserem Nachwuchs, den jungen Sanitätsoffizieranwärterinnen und –anwärtern ganz konkret durch das Etablieren einer Promotion-­börse. Ihnen wird damit unter Nutzung des San-Netzes die Suche und Vermittlung von entsprechenden wissenschaftlichen Arbeiten ermöglicht.

    WM: Im Zuge der Neuausrichtung der Bundeswehr ist die Fachkompetenz für den Medizinischen ABC-Schutz nahezu vollständig an der Sanitätsakademie zusammengefasst. Auch die drei Ressort-Forschungsinstitute sind wieder der Sanitätsakademie angegliedert. Wie ist der Sachstand zu dem vorgesehenen gemein­samen Neubau der Institute und was sind die Vorteile einer Zusammenfassung in einem Gebäudekomplex?

    Generalarzt Dr. Holtherm: Nach langen Jahren der Planung ist nun der Neubau eines Gebäudekomplexes in der Ernst-von Bergmann-Kaserne, in dem alle drei Institute untergebracht werden können, durch das BMVg gebilligt worden. Gebilligt wurde übrigens auch eine begleitende Kommunikationskampagne, die sicherstellen soll, dass die berechtigten Fragen vor allem aus der Bevölkerung beantwortet werden können, warum am Standort München eines solches Zentrum für Medizinischer ABC- Schutz entstehen soll. Die Vorteile liegen auf der Hand: Indem man sich Gebäude und Infrastruktur teilt, z. B. durch gemeinsame Nutzung von IT-Struktur und Datenspeicherung, sind große Synergie­effekte sowohl bei der Hardware, aber auch beim zuständigen IT- Personal zu erwarten. Und auch die Absicherung dieser sicherheitssensiblen Einrichtung lässt sich natürlich deutlich erleichtern. Nicht zuletzt möchte ich auf die dringend erneuerungsbedürftige Infrastruktur des InstMikroBioBw hinweisen.

    WM: Zum Abschluss noch eine Frage zu Frauen im Wissenschafts- und Forschungsbetrieb. Bisher ist dieser Bereich im Sanitätsdienst im Gegensatz zu Prävention und Kuration doch eher von Männern geprägt. Wie könnte man sich eine weitere Förderung von interessierten und fähigen jungen weiblichen Sanitätsoffizieren in Forschung und Wissenschaft vorstellen?

    Generalarzt Dr. Holtherm: Das ist natürlich ein sehr wichtiges in die Zukunft reichendes Thema. Bei fast 60 % Frauen unter den angehenden Sanitätsoffizieren müssen wir zwingend die Wissenschaftslaufbahn für Frauen attraktiver gestalten. Erfreulicherweise sehen wir schon jetzt – zwar noch nicht auf der Leitungsebene – einen deutlich wachsenden Anteil von Frauen in den Dienstgraden Stabsarzt bis Oberfeldarzt in den Instituten und den anderen forschenden Einrichtungen. Ich weise hier auch auf die von BAPersBw initiierte Möglichkeit hin, als Alternative für die Truppenarztverwendung in den Instituten, z. B. in den Bereichen Pharmakologie-Toxikologie, Radiobiologie oder Mikrobiologie, eingesetzt zu werden. Darüber hinaus könnte ich mir ­vorstellen, dass wir z. B. durch Etablierung von Mentoring-­Programmen für Wissenschaftslaufbahnen tatsächlich speziell junge Frauen zielgerichtet fördern. Denn wir sehen bei ihnen ein enormes Potential gerade für den Bereich der Biowissenschaften. Ich wünsche mir, dass wir auch in wenigen Jahren eine ähnliche proportionale Verteilung von Frauen und Männern im Wissenschaftsbereich haben werden, wie heute schon in Prävention und Kuration. 

    WM: Herr Generalarzt, wir bedanken uns für das interessante Interview und wünschen Ihnen persönlich nur das Beste.

    Datum: 01.10.2019

    Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 3/2019

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