14.12.2020 •

Émile Roux und Emil von Behring: „Retter der Kinder und Soldaten“

V. Hartmann

Zum 3. militärmedizinhistorischen Seminar deutscher und französischer Sanitätsoffizieranwärter(-innen) (SanOA) an der Sanitätsakademie der Bundeswehr

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Das wissenschaftliche Poster
Die Stärkung der praktischen Zusammenarbeit zwischen den Angehörigen der deutschen und französischen Sanitätsdienste ist seit langem Anliegen beider Führungen. Es gilt daher besonders die junge Generation durch Famulaturen, Praktika oder Lehrgänge zueinander zu führen. Diesem Ziel der Förderung der Kooperation zwischen Sanitätsoffizieranwärterinnen und Sanitätsoffizieranwärtern (SanOA) beider Streitkräfte hat sich auch die Alma Mater des Sanitätsdienstes, die Sanitätsakademie der Bundeswehr, gewidmet und der Pandemie zum Trotz fünf angehende Militärärzte der Ecole de Santé des Armées aus Lyon nach München eingeladen. Vom 30. August bis zum 4. September 2020 fand dort unter den strengen Kautelen der COVID 19 Prävention das 3. Deutsch-französische militärmedizinhistorische Seminar statt. Wie in den Vorjahren hatten die Franzosen gemeinsam mit fünf deutschen Sanitätsoffizieranwärtern wieder ein Thema aus der gemeinsamen Geschichte zu erschließen und ein zweisprachiges wissenschaftliches Poster zu erarbeiten.

In diesem Jahr stand ein Thema aus der großen Zeit des Beginns der Infektiologie Ende des 19. Jahrhunderts auf dem Plan, nämlich das wissenschaftliche Werk und die besondere, auch persönliche Zusammenarbeit zweier Protagonisten der Serotherapie, Émile Roux (1853 - 1933), dem dritten Direktor des renommierten Instituts Pasteur und Emil von Behring (1854 - 1917), keinem geringeren als dem ersten Nobelpreisträger für Medizin im Jahre 1901.

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Ausbilder und Teilnehmer des deutsch französischen militärmedizinhistorischen Seminars bei der Abschlusspräsentation. (Abb.: SanAkBw OL Höpfl)
Die jüngere deutsch-französische Ge­schich­­te ist bekannter Maßen reich an wechselseitigen positiven kulturellen Beein­flussungen, aber leider genauso von verhängnisvollen kriegerischen Auseinandersetzungen geprägt. Vor 150 Jahren, im August 1870, begann – heute fast vergessen – der sogenannte Deutsch-Französische Krieg, der neben den typischen Verheerungen eines Krieges für den Mensch und seine Umwelt in der Folge zu nationalistischen Strömungen in beiden Gesellschaften führte und sich im weiteren Fortgang der Geschichte unheilvoll auswirken sollte. Diese Missstimmigkeiten hatten auch Auswirkungen auf die wissenschaftliche Zusammenarbeit in der Bakteriologie und verwandter Disziplinen. Legendär ist der bis ins Persönliche ausgetragene Diskurs zwischen den beiden Großmeistern der Erforschung der Infektionskrankheiten, Louis Pasteur (1822 - 1895) und Robert Koch (1843 - 1910). In ihrem Poster wiesen die jungen Deutschen und Franzosen durchaus auf diese ambivalenten Strukturen im Kontext der damaligen nationalen Rivalitäten hin.

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Teilnehmende bei der Postererstellung. (Abb.: Dr. Hartmann)
Sie zeigten jedoch anhand der beiden ehemaligen Militärärzte Roux und Behring auf, dass es auch damals durchaus möglich war, fruchtbar zusammenzuarbeiten und wissenschaftliche Höchstleistungen zu erbringen. Roux gilt als einer der Entdecker des Diphtherietoxins, der Behring zu seinen grundlegenden Arbeiten zur Entdeckung der passiven Immunisierung dieser gefürchteten Kinderkrankheit animierte. Das hohe Ansehen Behrings in Frankreich wurde auch durch die auf Betreiben von Roux erfolgte Verleihung des Offizierkreuzes der Ehrenlegion und eines aus dem Fundes des Prix Alberto Levi stammenden hochdotierten Preises des Instituts Pasteur an ihn unterstrichen. Später entwickelten Roux und Behring auch wirksame Tetanusantiseren, die vor allem im Ersten Weltkrieg eingesetzt wurden. Beide können heute somit mit Recht als „Retter der Kinder und Soldaten“ bezeichnet werden. Die Sanitätsoffizieranwärter beider Nationen schlossen ihr Projekt mit folgendem Fazit: Die beiden Wissenschaftler „erreichen … weltweite Anerkennung durch ihre Forschungsarbeit und Entdeckung einer Impfung gegen Diphtherie. Nichtsdestotrotz besteht ihre große Leistung darin, die Vorbehalte und Konflikte ihrer Länder zu überwinden. Mit Hilfe ihrer gemeinsamen Arbeiten zu Tetanus und Diphtherie erlangen sie einen wissenschaftlichen Durchbruch, nicht nur für ihre eigenen Länder, sondern auch für die ganze Welt. Behring und Roux eröffnen damit die Möglichkeit, Brücken zwischen beiden Nationen zu bauen und eine friedliche und fortschrittliche Zukunft einzuleiten.“

Auch mit diesem für Betreuende wie Studierende sehr aufwändigen Seminar konnten am Beispiel eines konkreten historischen Ereignisses nicht nur tiefere medizinhistorische Kenntnisse in wichtigen Epochen und entsprechende Arbeitsweisen und –techniken erlernt bzw. angewendet, sondern auch über die Sprachbarriere hinweg die praktische Zusammenarbeit zwischen junge Deutschen und Franzosen geübt werden. Zudem zeigte das strikt kompetenzorientiert aufgebaute militärmedizinhistorische Seminar eindrucksvoll, wie man junge Sanitätsoffizieranwärterinnen und -anwärter beider Nationen für die wissenschaftliche Arbeit an der gemeinsamen Geschichte begeistern, ein tieferes Verständnis für historische Prozesse erzeugen und auch Wurzeln setzen kann für ein gemeinsames berufliches Selbstverständnis. Die Zertifizierungsstelle der Charité – Universitätsmedizin Berlin wird darüber hinaus den Teilnehmenden entsprechende CST Punkte vergeben.

 Flottenarzt Dr. Volker Hartmann, SanAkBw München

Datum: 14.12.2020

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