Betriebliches Gesundheitsmanagement – Mehr als nur Bewegung
Aus der Unterabteilung VI – Präventivmedizin, Vorbeugender Gesundheitsschutz, Gesundheitsförderung (Unterabteilungsleiter Oberstarzt Dr. Th. Harbaum) des Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr (Inspekteur: Generaloberstabsarzt Dr. M. Tempel)
„Ein rollender Stein setzt kein Moos an.“ Diese Volksweisheit postuliert, dass Menschen, die sich bewegen, gesünder bleiben als wenn sie dies nicht tun. Diese weitgehend unstrittige These, die auch in der Wissenschaft regelmäßig Bestätigung findet, ist bei den Beschäftigten der Bundeswehr bekannt. Deswegen sind Bewegungsmaßnahmen auch ein ganz zentrales Element von Maßnahmen des Betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM), das stark nachgefragt und genutzt wird. Darüber hinaus besteht auch im Bereich der gesunden Ernährung hohe Nachfrage nach Informationsangeboten. Doch zur Gesundheitsförderung am Arbeitsplatz gehört ein bisschen mehr als attraktive Bewegungsangebote garniert mit Information zu gesunder Ernährung.
Der vorliegende Beitrag gibt einen Überblick sowohl über die klassischen und vielfach bekannten Maßnahmen der Gesundheitsförderung, als auch über die innovativen Ideen, die in das BGM Eingang gefunden haben.
Gesundheitstag – häufiger Startschuss für BGM
Es ist soweit, eine Dienststelle beginnt mit der Einführung von BGM im eigenen Bereich. Das bedeutet, dass die Erwartungshaltungen der Soldatinnen und Soldaten aber insbesondere auch der Zivilbeschäftigten hoch sind. Endlich hat man die Möglichkeit etwas, durch den Dienstherrn unterstützt, für die eigene Gesundheit zu tun – und das auch noch während der Dienstzeit.
Gesundheitstage bilden oft den durch die Dienststellen gewählten Einstieg in die Thematik des „gesunden Arbeitens“ und damit häufig den ersten erlebbaren Kontakt der Beschäftigten mit dem BGM der Bundeswehr. Während der Gesundheitstage will man Neugier wecken, informieren aber auch Betroffenheit erzeugen, um die Maßnahmen des BGM, die nach einem Gesundheitstag eigentlich erst beginnen, entsprechend publik zu machen und für deren Nutzung zu sorgen. Das beinhaltet in der Regel Informationsangebote in Form von Vorträgen (z. B. zum gesunden Altern), Informationsstände zu Gesundheitsthemen (z. B. Stand zur gesunden Ernährung gestellt durch eine gesetzliche Krankenkasse) und Mitmachangebote (bspw. ein Schnuppertraining im Nordic Walking). Die Herausforderung bei der Gestaltung eines Gesundheitstages besteht vor allen Dingen darin, nicht nur in einem Kraftakt einen besonders aufwändigen und hochkarätig besetzten Informations- und Aktionstag zu etablieren, sondern durchhaltefähige Angebote erlebbar zu machen und Interesse dafür zu wecken. Das schließt exklusive und nur an diesem Tag angebotene Maßnahmen nicht grundsätzlich und gänzlich aus, macht aber deutlich, wo der Schwerpunkt liegen sollte. Ziel des BGM ist schließlich die gesundheitsförderliche Gestaltung von Arbeitswelt und Arbeitsprozessen und die langfristige Verhaltensänderung von Bundeswehrangehörigen hin zu einem gesunden Lebensstil. Reine Sensibilisierung reicht dafür nicht aus.Langfristige Verhaltensänderung bei Erwachsenen durch dauerhafte Ressourcenförderung
Sichtbarste Erscheinungsform der Maßnahmen des BGM sind die ressourcenfördernden Maßnahmen der Betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF). Diese Maßnahmen, die die Handlungsfelder Bewegung, gesunde Ernährung, Stressprävention und Suchtprävention beinhalten, sind darauf gerichtet, die Resilienz, also die Widerstandfähigkeit der Beschäftigten gegenüber Krankheiten und den sonstigen Unwägbarkeiten des Dienstalltags, zu steigern.
Ist der motivierende Effekt eines einführenden Gesundheitstages erst einmal verhallt, gilt es zu zeigen, dass tatsächlich gesundheitsförderliche Maßnahmen im Dienstalltag der Beschäftigten nutzbar werden. Dazu trifft das jeweilige Gremium Gesundheit der Dienststelle meist die Entscheidung mit Bewegungsmaßnahmen zu beginnen. Grundsätzlich ist die Einsicht der breiten Masse darin, dass im Alltag gemeinhin Bewegung fehlt, konsensfähig. Deshalb ist hier die Nachfrage entsprechend hoch. So finden sich in den meisten Dienststellen, die BGM bereits implementiert haben, in der Regel wöchentlich stattfindende Kurse zum Funktionskrafttraining. Diese Kurse mit dem Ziel der Kräftigung der Rumpfmuskulatur haben verschiedene Namen und Erscheinungsformen, die vom Training mit dem Schlingentrainer, über die Rückenschule, das Core-Training bis hin zu leichten und gesundheitsadaptierten Formen des Zirkel- oder Crosstrainings reichen. In den meisten Dienststellen finden sich daneben noch Angebote zum Ausdauer- oder Kraftausdauertraining. Hier reicht die Spannweite vom klassischen Nordic Walking, über Laufgruppen bis hin zu Indoorcycling-Kursen. Abhängig von den jeweiligen infrastrukturellen bzw. materiellen Voraussetzungen und der Umgebung der Dienststellen ergeben sich aber auch weniger alltägliche BGM-Bewegungsmaßnahmen wie etwa Aquafitness, therapeutisches Bogenschießen oder therapeutisches Klettern. Wichtig ist, dass sich die Maßnahmen aus dem Anforderungsprofil der Arbeitsplätze ableiten lassen und tatsächlich positive Auswirkungen auf die persönlichen Ressourcen der Beschäftigten zu erwarten sind. Eine reine Verlagerung von Freizeitaktivitäten in die Dienstzeit ist kein Ziel von BGM-Maßnahmen. Ebenso wenig erfüllen einmalige Bewegungsmaßnahmen die Anforderungen der Qualitätskriterien des BGM, da insbesondere im Handlungsfeld Bewegung nur regelmäßige Angebote zum Erfolg führen können.
Im Handlungsfeld der gesunden Ernährung besteht der Bedarf der Beschäftigten vielfach an Informationen zur gesunden Ernährung. Nur wer weiß, was tatsächlich gesund ist und was nicht, wo Defizite in der eigenen Ernährung liegen und was gegebenenfalls individuell zu viel konsumiert wird, kann seine Ernährung nachhaltig zum Positiven hin verändern. Immer beliebter werden inzwischen Kochkurse zur gesunden Ernährung beispielsweise für Pendler. Hier wird vermittelt, wie auch in der kleinen Teeküche einer Truppenunterkunft trotz eingeschränkter Möglichkeiten leckere und gesunde Mahlzeiten zubereitet werden können. Eine weitere innovative Maßnahme im Rahmen des BGM ist das „Einkaufstraining“, das an einzelnen Standorten bereits durchgeführt wurde. Unter Anleitung eines Ernährungsberaters wird hier beim gemeinsamen Einkauf unter anderem offengelegt, in welchen Lebensmitteln denn z. B. überall der Zucker lauert, wo man ihn nicht erwartet. Nach dem Motto: „Was gar nicht erst im Kühlschrank landet, kann auch nicht gegessen werden.“ soll so Hilfe zur Selbsthilfe offeriert werden. Der vielfach geäußerte Wunsch nach individueller präventiver oder therapeutischer Ernährungsberatung kann im Rahmen des BGM allerdings nicht erfüllt werden. Hier sind für Soldatinnen und Soldaten die Truppenärzte und für Zivilbeschäftigte der Hausarzt der richtige Ansprechpartner und können dies bei Vorliegen entsprechender Anhaltspunkte verschreiben.Da Stress im beruflichen und privaten Alltag für viele Menschen an der Tagesordnung ist, erfreuen sich Maßnahmen zur Stressreduktion und Stressprävention immer größerer Beliebtheit. Dabei werden unter anderem fernöstliche Entspannungstechniken, wie Yoga, Qigong oder Taichi besonders gern angenommen. Aber auch autogenes Training, progressive Muskelrelaxation oder Achtsamkeitsübungen kommen gut an.
Schließlich bleibt aus dem Reigen der BGF-Maßnahmen noch das Handlungsfeld der Suchtprävention. Dieses oftmals tabuisierte Themenfeld wird in der Regel zunächst einmal auf die Alkoholabhängigkeit reduziert. Dass das Feld aber deutlich weiter zu fassen ist und auch beispielsweise die Raucherentwöhnung, die überzogene Nutzung von modernen Medien, den Umgang mit leistungssteigernden Medikamenten oder die Arbeitssucht umfassen kann, ist nur wenigen klar. Bislang werden aber vor allen Dingen Kurse für Vorgesetzte zur Erkennung von Abhängigkeitszeichen offeriert. Die Herausforderung besteht für die Zukunft darin zu verdeutlichen, dass Suchtprävention nicht Therapie bedeutet, sondern weit früher ansetzt.
Alle genannten Maßnahmenfelder haben gemeinsam, dass sich ihre Wirksamkeit beim Endverbraucher nicht durch einmaligen Besuch einstellt. Am Bespiel von Bewegungsmaßnahmen, deren einmalige Teilnahme höchstens zu Muskelkater führt, wird dies deutlich und verständlich. Aber auch die einmalige Präsentation von einer gesunden Ernährung führt nicht dazu, dass es zu einer langfristigen Verhaltensänderung kommt. Hier gilt: „Steter Tropfen höhlt den Stein.“
Arbeits- und Gesundheitsschutz – Informationsquelle und arbeitsplatzspezifische Maßnahmen
Der Arbeits- und Gesundheitsschutz (AGS) ist ein hochgradig durch Gesetze und Vorschriften reguliertes Themenfeld. Wahrnehmbar ist es schon seit Jahrzehnten durch die Arbeit der Fachkraft für Arbeitssicherheit (FAS) oder durch die betriebsärztliche Betreuung. Des Weiteren ist vielen die Gefährdungsbeurteilung bekannt. Diese enthält wesentliche Informationen, die zur Gestaltung eines auf die Dienststelle und ihre Beschäftigten angepassten BGF-Maßnahmenangebots erforderlich sind, da hier Belastungen, die auf die Beschäftigten wirken, sichtbar gemacht werden. Aber das ist nicht alles, was der AGS zu gesünderen Mitarbeitern beisteuern kann. Hier können auch Maßnahmen, die tatsächlich nur für bestimmte Berufsgruppen sinnvoll und zweckmäßig sind, entwickelt und umgesetzt werden. Ein Beispiel zur Verdeutlichung: Auch medizinisches Personal, wie Zahnärzte und zahnmedizinisches Assistenzpersonal, ist in seiner täglichen Arbeit nicht zu vernachlässigenden Belastungen ausgesetzt. Die Position bei der Behandlung von Patienten führt bei vielen zu Schmerzen am Bewegungsapparat. Um dies zu vermeiden, kann es hier angebracht sein, eine In-House-Schulung zur Ergonomie am zahnmedizinischen Arbeitsplatz durchführen zu lassen. Dadurch kann die Arbeitsplatzgestaltung gesundheitsschonend verbessert werden.
Gesundheitsförderliche Führung und Arbeitsorganisation – ohne geht nichts
Das beste BGF-Angebot an einer Dienststelle bringt nichts, sofern die verschiedenen Führungsebenen nicht dahinterstehen. Wird das Angebot durch die Vorgesetzten kritisch gesehen oder dessen Nutzung regelmäßig verwehrt, kann sich keine positive Wirkung einstellen. Optimal ist es hingegen, wenn die Dienststellenleitung und die Zwischenvorgesetzten das BGM für sich selbst als gewinnbringend erachten und seine Angebote aktiv nutzen.
Großes Potenzial liegt aber auch in der reflektierten Überprüfung von Arbeitsprozessen an einer Dienststelle. So gibt es in fast allen Bereichen Verfahrensabläufe, die viel Aufwand kosten und Stress produzieren, ohne dass diese nach ihrer Zweckmäßigkeit und Ressourcenschonung hinterfragt werden. Phänomene, wie die häufige Arbeitsunterbrechung durch Telefonanrufe, Kameraden und Kollegen oder durch eine Vielzahl an LoNos, über die sehr viele Soldatinnen und Soldaten, aber auch Zivilbeschäftigte klagen, lassen sich nur in einer Dienststelle durch gezielte und passgenaue Maßnahmen verbessern. Die vereinbarte Einführung einer „stillen Stunde“, in der man gezielt Arbeiten und sicher sein kann, dabei von keinem anderen gestört wird, kann hier als ressourcenneutrale Maßnahme beispielsweise Abhilfe schaffen. Die häufige reflexartige Forderung nach mehr Personal würde dieses Problem nicht lösen, sondern tendenziell wahrscheinlich eher verschlimmern, da plötzlich noch mehr potenzielle „Störquellen“ da wären.
Realisierung von BGM-Maßnahmen – vieles geht intern, manches aber nicht
Grundsätzlich soll versucht werden mit den zur Verfügung stehenden Mitteln BGM in der Bundeswehr umzusetzen. Dazu gibt es eine Vielzahl an personellen, infrastrukturellen und materiellen Ressourcen. Am Beispiel der BGF-Bewegungsmaßnahmen kann man zeigen, dass durch die Sportinfrastruktur (Sporthallen, Krafträume, Schwimmbäder etc.), die Sportausbilder (Übungsleiter, Fachsportleiter Gesundheitssport) und das Sportmaterial durchaus viele Mittel zur Umsetzung vorhanden sind. Im Bereich der Stressprävention oder der Suchtprävention können Truppenpsychologen oder der Sozialdienst der Bundeswehr um Unterstützung angefragt werden. Lediglich in Ernährungsfragen dürfte nur punktuell fachkundige Unterstützung in der Bundeswehr zur unmittelbaren Unterstützung vor Ort gefunden werden (z. B. in den Bundeswehrkrankenhäusern und teilweise in den Sanitätsversorgungszentren bei Sanitätsoffizieren mit der Zusatzqualifikation Ernährungsmedizin). Es gibt aber auch eine Vielzahl von Maßnahmen, die der Gesundheit zuträglich sind und die Resilienz der Beschäftigten steigern, die aber nicht ohne Weiteres mit bundeswehreigenem Personal, Räumlichkeiten oder Ausrüstung nicht realisierbar sind. Fehlt es zur internen Umsetzung einer BGM-Maßnahme lediglich an Personal oder Material, bestehen Möglichkeiten Finanzmittel zur externen Qualifizierung von Personal anzufordern oder um das erforderliche Material zu beschaffen. Wo immer es begründet notwendig ist, können auch externe Anbieter BGM-Angebote realisieren. Vor dem Hintergrund, dass dann aber auch die besondere Verantwortung für den Einsatz von Haushaltsmitteln des Bundes zum Zuge kommt, sind hier allerdings Qualitätsstandards zu berücksichtigen. So müssen Anbieter die Voraussetzungen des § 20 Sozialgesetzbuch V erfüllen, um Berücksichtigung bei der Vergabe von externen Maßnahmen zu finden. Für den Bereich der BGF-Maßnahmen wird darüber hinaus die Zertifizierung „Deutscher Standard Prävention“ der Zentralen Prüfstelle Prävention (ZPP) als Benchmark genutzt und wo immer möglich vorausgesetzt.
Zusammenfassung und Ausblick – Wie wird BGM ein Erfolg
Das BGM der Bundeswehr bietet eine Vielzahl von Möglichkeiten, die Gesundheit der Beschäftigten zu erhalten und zu stärken. Neben Klassikern der Gesundheitsförderung sind auch innovative Ideen und arbeitsplatzspezifische Maßnahmen von wachsender Bedeutung. Hier liegt noch viel ungenutztes Potenzial. Eine stärkere Vernetzung mit den vielfältigen, aber bisher weitgehend isoliert betrachteten bundeswehrinternen Einzelmaßnahmen, die im Kontext zu Gesundheit stehen, ist zwingend erforderlich. Gemeint sind hier bspw. die Angebote des Zentrums Innere Führung zum Thema guter und gesunder Führung, aber auch Gesundheitskampagnen, wie „Arbeiten in Balance“ und viele weitere.
Die Herausforderung im Bereich der Präventionsarbeit ist es, auf dem schmalen Grat zwischen den subjektiv wahrgenommenen Bedürfnissen der Beschäftigten einerseits und dem objektiven Bedarf andererseits zu balancieren. Nicht alles, was der Gesundheit zuträglich ist, passt in ein BGM. Hier gilt es zielführende Kompromisse zu finden.
Schließlich bleibt noch festzuhalten, dass sich die Verantwortung für die Gesundheit der Beschäftigten nicht „outsourcen“ lässt. Auch wenn die eine oder andere Maßnahme nicht mit eigenen Mitteln umsetzbar ist und durch externe Leistungserbringer realisiert werden muss. Die Kernprozesse eines systematischen BGM, wie fundierte Bedarfsanalyse, ganzheitliche und selbstkritische Betrachtung der Arbeitsbedingungen und die Partizipation der Beschäftigten sind nur durch die Dienststellen selbst zu leisten, wenn langfristig und nachhaltig gesundes und motiviertes Personal erhalten bleiben soll.
Major
Dipl.-Sportwiss. Christian Lützkendorf
christianluetzkendorf@bundeswehr.org
Datum: 30.04.2018
Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 1/2018