PSYCHISCHE RESSOURCENSTÄRKUNG BEI VN-BEOBACHTERN ZUR PRÄVENTION EINSATZBEDINGTER PSYCHISCHER STÖRUNGEN - EINE PILOTSTUDIE

Aus der Abteilung VIB – Psychotraumazentrum/Forschungssektion am Bundeswehrkrankenhaus Berlin¹ (Chefarzt: Flottenarzt Dr. W. Titius, MBA), der Professur für Allgemeine Psychologie, Helmut Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg² (Präsident: Prof. Dr. W. Seidel) und dem Dezernat Beobachter Missionen, Einsatzführungskommando der Bundeswehr Potsdam³ (Befehlshaber: Generalleutnant R. Glatz)



von Jana Böhme², Jörn Ungerer¹, Rene Klein³, Thomas Jacobsen², Peter Zimmermann¹ und Jens T. Kowalski¹

In den letzten Jahren hat mit zunehmender Belastung deutscher Soldaten in den Auslandseinsätzen die Zahl psychischer Erkrankungen stetig zugenommen.

Neben der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) sind auch andere einsatzbedingte psychische Erkrankungen verbreitet. Besonderen Belastungen im Einsatz sind auch die deutschen VN (Vereinte Nationen)-Beobachter ausgesetzt.

Methoden:

Die derzeit praktizierte Form der Einsatzvorbereitung für die Teilnehmer solcher Missionen wurde in der vorliegenden Pilotstudie erstmals evaluiert. Dazu wurden die psychische Belastung (SCL-90-R) und Stressresilienz (RS-25) mittels psychologischer Testverfahren bei einer Gruppe von 7 VN-Beobachtern erfasst.

Ergebnisse:

Die Evaluation des missionsspezifischen Einsatzvorbereitungsseminars am Dezernat Beobachter Missionen (DezBeobMiss) hat ergeben, dass sich nach dem Seminar sowohl die persönlichen Kompetenzen der Teilnehmer (N = 7) im Bereich der Stressresilienz (Z = -2,46; p = 0,014) als auch deren subjektives Wohlbefinden (p = 0,028) signifikant gesteigert hat (GSI: Z = -2,20; p = 0,028/ DEPR: Z = -2,06; p =0,039). Es ergaben sich somit Hinweise darauf, dass die Ergänzung der Ausbildung um spezielle Anteile eines „Gruppentrainings“ möglich und Erfolg versprechend sein könnte.

Schlussfolgerungen:

Die vorliegenden Ergebnisse weisen darauf hin, dass die strukturierte psychologische Einsatzvorbereitung als Präventionsmaßnahme für Soldaten von Bedeutung ist.

Evaluation of a pre-deployment psychological prevention training for UN-military observers – a pilot study

Summary

Background:

Over the last years, with the growing psychological distress for German soldiers in out-of-area-deployments, the number of psychiatric diseases among them has grown constantly. Beside the nowadays wellknown PTSD, many deployment-related psychiatric diseases are also wide-spread. Due to their mission characteristics, the German UNmilitary observers are exposed to extraordinary psychological distress.

Methods:

A currently applied pre-deployment psychological prevention training course for a team of observers was therefore evaluated in this study using psychological symptoms (SCL- 90-R) und stress-resilienz (RS-25) as criterions in order to verify its effectiveness as a primary prevention.

Results:

The evaluation of the mission-specific deployment preparation course at the department for observer missions (DezBeobMiss) in the Bundeswehr Operations Command showed that both the personal competence in stressresilience (p = 0.014) and the subjective wellbeing (p = 0.028) of the participants (N = 7) have improved significantly. Moreover, there was some evidence that the amendment to the course with some special group-training could be possible and quite promising.

Conclusions:

The presented results support the idea of a structured pre-deployment psychological training to prevent negative stress effects for UN-military observers

1. Einführung

Im Jahr 2009 begaben sich insgesamt 681 Soldatinnen und Soldaten wegen einer einsatzbedingten psychischen Erkrankung in einem Bundeswehrkrankenhaus in Behandlung. 2010 stieg diese Zahl bereits auf 1 097 Fälle und in den ersten sieben Monaten des Jahres 2011lag sie bereits bei insgesamt 722 Fällen [Quelle: Psychotraumazentrum]. Durchschnittlich 89 % dieser erkrankten Soldaten waren im Vorfeld im Rahmen eines ISAF- oder KFOR-Kontingentes im Ausland stationiert gewesen. Neben diesen beiden wohl bekanntesten deutschen Auslandsmissionen sind allerdings auch Bundeswehrsoldaten im Rahmen kleinerer Einsätze in den verschiedensten Krisenregionen der Welt eingesetzt. Etwas am Rande des medialen Fokus werden aktuell mehrere EU- und VN-Missionen im Raum Afrika von deutschen Soldatinnen und Soldaten unterstützt. Neben Einsätzen in der Demokratischen Republik Kongo, dem Gebiet in und bei Somalia und dem Südsudan wird momentan auch eine VN-Mission im Sudan mit deutscher Beteiligung durchgeführt.

Im Rahmen der internationalen Mission UNAMID (United Nations-African Union Hybrid Mission in Darfur) in der Region Darfur sind seit 2007 deutsche VN-Beobachter im Einsatz, um das Friedensabkommen vom Mai 2006 sowie die derzeit geführten Friedensverhandlungen zu unterstützen. Im Regelfall sind die Soldaten bei solchen VN-Einsätzen nicht unmittelbar in Kampfhandlungen involviert, die das Risiko, psychische Störungen oder Erkrankungen zu erleiden, erheblich erhöhen würden [1]. Allerdings fanden Sareen et al. auch Befunde dafür, dass das bloße Erfahren und Erleben von Kriegsleiden und Gräueltaten im Einsatzgebiet ebenfalls die Prävalenz für psychische Störungen erhöhten [2]. Diese Erkenntnisse sind auch für die Bewertung der Situation deutscher VN-Beobachter relevant, denn für deren psychische Gesundheit existiert durch die enorm hohen VNEinsatz- spezifischen Belastungen ein erhöhtes Gefährdungspotenzial.

Dieses entsteht einerseits aus den speziellen Einsatzbedingungen wie lange Trennung von Familie und sozialem Umfeld, Camps mit stark eingeschränkter Infrastruktur vor Ort und multinationale Zusammenarbeit (häufig ohne deutsche Kameraden) sowie auch aus den spezifischen Aufgaben der VN-Beobachter. Diese bringen es mit sich, dass die Soldaten fast ständig mit Eindrücken von Zerstörungen durch Kriegshandlungen und mit der Not und dem Elend der Bevölkerung konfrontiert sind, ohne intervenieren zu dürfen oder zu können. Da den Soldaten durch das VN-Mandat ‚die Hände gebunden‘ sind, kann das Gefühl der Ohnmacht gegenüber Gewalt, Unrecht, Brutalität und Willkür auch zu einer so genannten ethischen Traumatisierung führen [3].

Das Beobachten des offenen Verstoßes gegen moralische Werte und Regeln wie Menschenrechte oder Menschenwürde, die für Bundeswehrsoldaten aus einem christlich geprägten Kulturkreis selbstverständlich und tief im Gewissen verankert sind, kann innere Konflikte hervorrufen. Diese können unlösbar erscheinen und zu psychischen Störungen bei Schuldgefühlen und Gewissenskonflikten führen. Ausschlaggebend hierbei ist vor allem das eigene, ethisch bedeutsame, Handeln, was sich natürlich auch als Unterlassen bestimmter Handlungen darstellen kann.

Das wohl prominenteste Beispiel hierfür ist die Krankheitsgeschichte des kanadischen Generals Romeo Dallaire, der nach seinem Einsatz in Ruanda massive psychische Störungen erlitt [4]. Um einsatzbedingten psychischen Erkrankungen und Schädigungen bei Soldatinnen und Soldaten vorzubeugen, hat die Bundeswehr ein spezielles Ausbildungs- und Betreuungskonzept entwickelt, das sogenannte Rahmenkonzept zur Bewältigung psychischer Belastungen von Soldaten. Kern dieses Konzeptes ist das Drei-Phasen-drei-Ebenen- Prinzip [5]. Die in dieser Studie untersuchte Ausbildung deutscher Soldaten zu VN-Beobachtern ist der Phase der Einsatzvorbereitung (EVB) zuzuordnen. Allgemeines Ziel der EVB ist die Stärkung der psychischen Belastbarkeit der Soldaten als Präventionsmaßnahme gegen die Entstehung späterer psychischer Störungen infolge des Einsatzes.

Im Rahmen der EVB durchlaufen alle Teilnehmer eine mehrwöchige missionsunspezifische Grundlagenausbildung im VN-Ausbildungszentrum Hammelburg, bei der neben einsatztheoretischen Anteilen auch psychologische Ausbildungsblöcke, zum Beispiel „interkulturelle Kompetenz“, vermittelt werden. Abschließend, vor Beginn des Einsatzes, wird am Einsatzführungskommando der Bundeswehr (EinsFüKdoBw ) im Dezernat Beobachtermission (DezBeobMiss) eine 7-tägige missionsspezifische Einsatzvorausbildung durchgeführt, welche die Teilnehmer individuell auf das entsprechende Einsatzgebiet und ihren Auftrag dort vorbereiten soll. Diese Seminare finden, je nach Bedarf, etwa sieben Mal pro Jahr statt. Es werden konkrete Informationen über die Art und den Umfang des Auftrags, das Gefährdungsrisiko, die Rechtsgrundlagen, das Verhalten im Umgang mit Medien, die Verhältnisse und Lebensbedingungen im Einsatzgebiet und die Kommunikationsmöglichkeiten in die Heimat und mit der Familie gegeben.

Darüber hinaus findet eine psychologische Ausbildung und Betreuung statt, welche neben den Unterrichtseinheiten auch persönliche Gespräche zwischen dem Truppenpsychologen und dem Soldaten sowie Gespräche des Truppenpsychologen mit den am fünften Tag des Einsatzvorbereitungsseminars (EVS) anreisenden Familien der Soldaten beinhaltet [Quelle: DezBeobMiss]. Die Themen Prävention und Soforthilfe bilden somit den zentralen Bestandteil der psychologischen Ausbildung des EVS. Rosenstiel beschreibt, dass die kognitive und emotionale Vorbereitung auf traumatogene Einsätze als Schutzfaktor wirkt, der die psychischen Folgen traumatisierender Erlebnisse eindämmen kann [6]. Ein Grund hierfür könnte die mögliche Erhöhung der Resilienz durch entsprechende Präventivmaßnahmen sein. So konnte Bonanno zeigen, dass Menschen, die in ihrer Persönlichkeit eine gesunde Ausprägung von Resilienz zeigen, weniger häufig posttraumatische Störungen entwickeln [7]. Die Resilienz einer Person kann hiernach vor allem dadurch gesteigert werden, dass sie daran glaubt, einen bedeutungsvollen Einfluss auf ihre Umwelt und ihre persönliche Entwicklung zu haben und dass sie von negativen Ereignissen etwas Positives fürs Leben lernen kann. Diese Resilienz-fördernden Faktoren sind in Form von auftragsspezifischer und psychologischer Aufklärung in der Einsatzvorausbildung am DezBeob- Miss implementiert und sollten daher einen förderlichen präventiven Effekt haben.

Neben der persönlichen Resilienz gilt auch die soziale Unterstützung der Betroffenen als wichtiger Schutzfaktor, die nach einem traumatischen Ereignis der Ausbildung psychischer Störungen und Erkrankungen vorbeugen kann [8, 9]. Anders als in den amerikanischen Streitkräften [10] wurden in der Bundeswehr psychologische Gruppenprogramme bislang jedoch lediglich in der Sekundärprävention, also nach traumatischen Erlebnissen, und in der Behandlung psychischer Erkrankungen angewandt. Da sich deren Wirksamkeit zur Verbesserung sozialer Kompetenzen und klinischer Symptomatik bereits wissenschaftlich nachweisen ließ [11], gibt es seit 2008 erste Ansätze, gruppentherapeutische Verfahren auch in der Primärprävention einsatzbedingter Traumafolgestörungen einzusetzen.

2. Methoden

In der vorliegenden Pilotstudie ging es darum, die Wirksamkeit des bisherigen Einsatzvorbereitungsseminars zu untersuchen, das vom Truppenpsychologen des EinsFüKdoBw Dez- BeobMiss im Rahmen der Einsatzvorausbildung von VN-Beobachtern angeboten und durchgeführt wird.

Der Anteil psychologische Ausbildung umfasst entsprechend des Rahmenkonzepts zur Bewältigung psychischer Belastungen von Soldaten fünf Teilmodule. In den Modulen ‚Stress‘ und ‚Anti-Stress-Strategien‘ werden die Teilnehmer darüber aufgeklärt und dafür sensibilisiert, was die Ursachen für Stress sein können, wie er sich auf den Betroffenen auswirken kann und welche Methoden und Techniken es gibt, den schädlichen Folgen von Stress vorzubeugen. Im Modul ‚PTBS‘ wird den Soldatinnen und Soldaten diese Krankheit näher vorgestellt und sie werden dafür sensibilisiert, die ersten Anzeichen bei sich und ihren Kameraden zu erkennen. Das Modul ‚Psychologische Selbst- und Kameradenhilfe‘stellt den teilnehmenden Soldatinnen und Soldaten Wege und Methoden vor, die ihnen selbst und ihren Kameraden im Falle von traumatischen Erlebnissen helfen können, diese besser zu verarbeiten, um somit der Manifestation längerfristiger psychischer Störungen und Erkrankungen entgegen zu wirken.

Das Psychosoziale Netzwerk und dessen Fähigkeiten und Angebote werden im Modul `Unterstützung durch die Bundeswehr‘ vorgestellt. Die Teilnehmer (n = 7) eines solchen missionsspezifischen EVS für den VN-Einsatz in Darfur bearbeiteten zu den Erhebungszeitpunkten t1 (vor dem EVS im Frühjahr 2011) und t2 (nach dem EVS im Frühjahr 2011) psychologische Testverfahren zur Erfassung psychischer Symptome (SCL-90-R) [15] und Stressresilienz (RS- 25) [16]. Der SCL-90-R erfasst mit Hilfe von 90 Items die symptomatische psychische Belastung von Probanden, die in Bezug auf neun Skalen und drei globale Kennwerte ausgewertet wird. Es handelt sich hierbei um die Erfassung aktueller Belastungen, sodass der Einsatz als Prä- /Post-Messung möglich ist. Hohe Werte weisen dabei auf eine hohe Ausprägung, zum Beispiel Ängstlichkeit, der gemessenen Dimension hin. Im Rahmen der Studie soll mit Hilfe des SCL-90-R der psychische Belastungsgrad der Teilnehmer über den Zeitverlauf beobachtet werden.

Beim RS-25 handelt es sich um ein Messinstrument zur Erfassung der psychischen Widerstandsfähigkeit als protektives Persönlichkeitsmerkmal. Er besteht aus 25 Items, die in Form einer summativen Gesamtskala und zweier summativer Subskalen dargestellt werden. Der RS-25 soll eine mögliche Entwicklung der persönlichen Stressresilienz der Teilnehmer erfassen. Höhere Werte korrespondieren mit einer höheren Resilienz. Beide Testverfahren wurden in Fragebogenform am ersten und letzten Tag des EVS durch den durchführenden Truppenpsychologen an die Teilnehmer verteilt und von diesen anonymisiert ausgefüllt. Ergänzend hierzu füllten die Probanden zum Erhebungszeitpunkt t2 einen Evaluationsbogen zur Bewertung des psychologischen Anteils des EVS aus. Dieser Evaluationsfragebogen bestand aus insgesamt 12 Items und erfasste neben den soziodemografischen Daten der Soldaten (Tab 1) auch deren Zufriedenheit mit der psychologischen Ausbildung und schätzte deren persönliche Weiterentwicklung durch das EVS ein. Bei der Auswertung aller erhobenen Daten wurden aufgrund der geringen Stichprobengröße nur non-parametrische statistische Analyseverfahren genutzt.

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 3. Ergebnisse

Bei der Testung des SCL 90-R konnte vom Testzeitpunkt t1 bis zum Testzeitpunkt t2 eine signifikante Reduktion der Durchschnittswerte für den Global Severity Index (GSI) und die Skala Depressivität (DEPR) gemessen werden (GSI: Z = -2,20; p = 0,028; DEPR: Z = -2,06; p = 0,039). Ebenso zeigte sich auf allen anderen Skalen, mit Ausnahme der Skala ‚Aggressivität/Feindseligkeit‘, eine Reduktion der Skalenwerte, die allerdings nicht signifikant war (Abb 1). Die Auswertung der RS-25 Fragebögen zur Stressresilienz ergab für die Subskala ‚Persönliche Kompetenz‘ (RSKomp) eine signifikante Erhöhung von t1 nach t2 (Z = -2,46; p = 0,014).

 

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Abb 1: Vergleich der Mittelwerte der SCL-90-R-Skalen und des globalen Kennwertes GSI über die Gesamtstichprobe zu den Erhebungszeitpunkten t1 und t2 im Verlaufe des EVS.

Sowohl der Gesamtwert (RS-Ges) als auch die Werte der Subskala ‚Akzeptanz des Selbst und des Lebens‘ (RSAkz) erhöhten sich vom Messzeitpunkt t1 zum Messzeitpunkt t2 tendenziell. Zum Zeitpunkt t2 konnte eine hohe negative Korrelation zwischen den Skalen GSI und RS-Ges festgestellt werden (rs = -0,794; p = 0,033, Abb 2). Die Auswertung der Evaluationsbögen ergab, dass alle Teilnehmer mit der psychologischen Ausbildung insgesamt und mit dem Inhalt jedes der fünf Teilmodule zufrieden oder sehr zufrieden waren. Die wahrgenommene persönliche Weiterentwicklung aufgrund des EVS korrelierte dabei sehr hoch mit der Resilienz (RS-Ges) zum Zeitpunkt t2 (rs = 0,943; p = 0,001).

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Abb 2: Korrelation ( r= -0,794) zwischen der Skala des RS-25 und des Kennwertes GSI des SCL-90-R bei den einzelnen Teilnehmern zum Zeitpunkt t2.

4. Diskussion

In der vorliegenden Studie wurde der Effekt eines Einsatzvorbereitungsseminars auf die psychische Belastung und die Resilienz bei VN-Beobachtern mittels standardisierter psychometrischer Verfahren vor einem Einsatz untersucht. Die Ergebnisse dieser Pilotstudie aus dem Erhebungszeitraum t1 bis t2 stellen eine erste Momentaufnahme dar, die jedoch bereits Tendenzen erkennen lässt. Bei keinem der untersuchten Probanden lag erwartungsgemäß zu einem der beiden Messzeitpunkte ein Wert vor, der auf eine krankheitswertige Belastung schließen lässt. Die signifikante Verminderung der Werte des GSI beim SCL-90-R nach dem Seminar lässt sich als globale Reduktion der psychischen Beanspruchung bei den Probanden und somit grundsätzlich auf eine Verbesserung des psychischen Wohlbefindens interpretieren.

Es ist denkbar, dass die nicht-psychologischen Inhalte des EVS dazu beitragen, dass die Teilnehmer Unsicherheiten und Ängste bezüglich des bevorstehenden Einsatzes abbauen können, da sie spezifische Informationen zu den Bedingungen im Einsatzgebiet und ihrem Auftrag erhalten. Darüber hinaus kann auch die Lehrgangssituation selbst einen Einfluss auf das Wohlbefinden haben. Zu Beginn des EVS kennen sich die Teilnehmer in der Regel noch nicht, was unter Umständen von einigen Teilnehmern als sozialer Stressor erlebt wird. Möglicherweise besteht auch Unsicherheit über die Inhalte und Anforderungen des Seminars.

Zum zweiten Erhebungszeitpunkt unmittelbar nach dem Seminar (t2) haben sich soziale Beziehungen aufgebaut und die Gruppe sich als „Peergroup“ entwickelt, mit der anschließend auch gemeinsam ins Einsatzland verlegt wird. Diese erhöhte soziale Handlungssicherheit und die Unterstützung durch die Gruppe könnten sich positiv auf das allgemeine Wohlbefinden der Teilnehmer ausgewirkt haben. Die (teilweise signifikante) Erhöhung der Werte auf den Skalen des RS-25 weist auf eine Stärkung der persönlichen Ressourcen der Teilnehmer im Bereich der Stressresilienz hin. Bei der Unterkategorie ‚Persönliche Kompetenz‘ konnten besonders stabile, wenn auch nur geringfügige, Verbesserungen festgestellt werden.

Die wahrgenommene Steigerung der persönlichen Kompetenz der Teilnehmer im Umgang mit Stress ist mit Blick auf die psychologischen Ausbildungsinhalte des EVS sehr gut nachvollziehbar. Die Soldaten erlangten im Seminar Wissen und erlernten Techniken, die sie befähigen können, in beziehungsweise nach potenziell traumatisierenden Situationen aktiv zu bleiben und sich selbst und anderen zu helfen, mit der Situation umzugehen. Dieser „belief that one can influence ones surroundings and the outcome of events” [7] wird hierdurch gestärkt und wirkt somit resilienzfördernd. Militärische Ausbildungskonzepte, die gezielt auf die primärpräventive Steigerung der Resilienz von Soldaten ausgerichtet sind, wurden bisher nicht nur im Rahmen des EVS am DezBeobMiss implementiert, sondern sind auch an anderer Stelle verbreitet.

Die US-Streitkräfte wenden beispielsweise ein Resilienztraining sowohl während der regulären Grundlagenausbildung ihrer Soldaten an (Battlemind- Lifecycle) als auch in der spezifischen Einsatzvor- und Nachbetreuung (Battlemind-Deployment Cycle) [12]. Diese Trainingsformen sind, wie auch in Deutschland, auf der Grundlage psychologischer Erkenntnisse entwickelt worden und werden in den US-Streitkräften explizit als Resilienztraining definiert [13]. Die Bundeswehr entwickelt aktuell ein multimediales Trainingssystem zur Steigerung einsatzbezogener Kompetenzen von Soldaten zum Stressmanagement („CHARLY“), das sich aufgrund der Überschneidungen der thematischen Schwerpunkte mit dem EVS kombinieren ließe [14].

Die Bewertung der einzelnen Ausbildungsblöcke durch die Teilnehmer im Rahmen der Abschlussevaluation zeigt ein reges Interesse an und eine hohe Zufriedenheit der Teilnehmer mit den behandelten psychologischen Themenblöcken. Auch Soldaten, die im Vorfeld bereits mehrfach an Auslandseinsätzen der Bundeswehr teilgenommen hatten, gaben an, dass sie die Ausbildung insgesamt als sehr sinnvoll erachteten und deren Umsetzung als zufriedenstellend bewerteten. Die wahrgenommene persönliche Weiterentwicklung aufgrund des EVS korrelierte dabei hoch mit der gemessenen Resilienz zum Zeitpunkt t2. Teilnehmer, die am Ende des Seminars eine hohe Resilienz aufwiesen, gaben auch an, eine hohe persönliche Weiterentwicklung erfahren zu haben.

5. Schlussfolgerungen

Schlussfolgernd ergaben sich Hinweise, dass dieses Modell des EVS eine subjektive Weiterentwicklung der Teilnehmer erzielen konnte. Die persönlichen Kompetenzen der Soldaten konnten gemäß der ersten Befunde gesteigert werden. Die vermittelten Informationen zum Einsatz und den möglichen hieraus resultierenden Belastungen waren umfassend, um Unsicherheiten abbauen zu können und eine Steigerung des Wohlbefindens der Teilnehmer zu erreichen. Die hier praktizierte Einsatzvorausbildung im kleinen Gruppenrahmen (bis maximal 15 Personen) über mehrere Tage könnte zu einer Bildung erster Gruppenstrukturen beigetragen haben, die positive Synergieeffekte zeigten.

Dieser Effekt ließe sich durch eine Erweiterung der Gruppenanteile weiter verstärken und sollte daher im Rahmen einer weiteren Studie untersucht werden. Hierdurch könnte die Effizienz und die langfristige präventive Wirksamkeit von gruppendynamischen Prozessen im Sinne der Etablierung sozialer Strukturen im Einsatz erprobt und erforscht werden. Um die sozialen Strukturen von Soldaten, als einen nach Brewin [9] wichtigsten Präventiv- Faktor zur Verhinderung einsatzbedingter psychischer Erkrankungen, besser im Präventionsprozess integrieren zu können, wäre es außerdem denkbar, die bereits vollzogene Einbindung der Familie zum Ende des EVS weiter auszubauen.

Im nächsten Studienabschnitt ist vorgesehen, Daten der Untersuchungsgruppe unmittelbar vor Einsatzbeginn als auch zu mehreren Messzeitpunkten im Einsatz und nach dem Einsatz zu erheben. Damit könnten auch längerfristige Effekte des Präventionsprogrammes systematisch betrachtet werden.

Limitationen

Die vorliegenden Ergebnisse müssen aus mehreren Gründen mit Zurückhaltung interpretiert werden. Die Stichprobe ist mit n = 7 klein, auch wenn sie tatsächlich die Grundgesamtheit der aktuellen Beobachter umfasst. Aus methodischer Sicht muss ferner kritisch angemerkt werden, dass keine Kontrollgruppe erfasst werden konnte. Des weiteren konnte die Katamnese-Untersuchung noch nicht durchgeführt werden, sodass die Ergebnisse nur Aussagen zu kurzfristigen Effekten ermöglichen. Letztlich beruhen die erfassten Parameter ausschließlich auf Selbstbeschreibungen der Soldaten. Hier könnten künftige Studien zum Beispiel auch Fremdratingverfahren einbeziehen.

Literatur:

  1. Hoge CW, Castro CA, Messer SC, McGurk D, Cotting DI, Koffmann R: Combat Duty in Iraq and Afghanistan, Mental Health Problems, and Barriers to Care. N Engl J Med 2004; 351(1): 13-22.
  2. Sareen J, Cox BJ, Afifi TO, Stein MB, Belik S, Meadows G, Asmundson GJG: Combat and Peacekeeping Operations in Relation to Prevalence of Mental Disorders and Perceived Need for Mental Health Care. Arch Gen Psychiatry 2007; 64(7): 843-852.
  3. Siegel S, Ungerer J, Zimmermann P: Wenn Werte wanken. Ethische Traumatisierung bei Soldaten im Auslandseinsatz. In: Jahrbuch Innere Führung 2011. Berlin: Miles-Verlag 2011.
  4. Dallaire R: Shake Hands with the Devil. The Failure of Humanity in Rwanda. London: Random House UK 2005.
  5. Bundesministerium der Verteidigung: Rahmenkonzept zur Bewältigung psychischer Belastungen von Soldaten. 2004.
  6. Rosenstiel NA: Psychische Belastungen und mögliche Folgen. Wehrmedizin und Wehrpharmazie 1/2010.
  7. Bonanno GA: Loss, Trauma and Human Resilience: Have We Underestimated the Human Capacity to Thrive After Extremely Aversive Events? American Psychologist 2004; 59(1): 20-28.
  8. Biesold KH, Barre K: Auswirkungen von Stress und Traumatisierung bei Soldaten der Bundeswehr. In: Okon E, Meermann R. (Hrsg.): Prävention und Behandlung posttraumatischer Störungsbilder im Rahmen militärischer und polizeilicher Aufgabenerfüllung. Bad Pyrmont: Schriftenreihe 2001.
  9. Brewin CR, Andrews B, Valentine JD: Meta-analysis of risk factors for posttraumatic stress disorder in trauma-exposed adults. J Consult Clin Psychol. 2000; 68(5): 748-766.
  10. Cohn A, Pakenham K: Efficacy of a cognitive-behavioral program to improve psychological adjustment among soldiers in recruit training. Mil Med 2008; 173(12): 1151-1157.

 Weitere Literaturhinweise bei den Verfassern.

Datum: 31.01.2012

Quelle: Wehrmedizinische Monatsschrift 2011/10

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