Diabets mellitus - Standortbestimmung 2008
Ca. 4-6 Millionen Mitbürger sind in Deutschland an einem Diabetes mellitus erkrankt, hierbei ist die Dunkelziffer erheblich. Der überwiegende Anteil der Diabetiker sind Typ 2 Diabetiker, diese werden auf 4,2 Millionen geschätzt. Ca. 3,2 Millionen Typ 2 Diabetiker werden nicht mit Insulin behandelt, ca. 1 Million Typ 2 Diabetiker mit fortgeschrittener Erkrankung jedoch mit Insulin. Die Anzahl der Typ 1 Diabetiker in Deutschland soll circa 0,6 Millionen betragen. Nicht nur in Deutschland, sondern auch weltweit wird die Zahl der Diabetiker weiter erheblich zunehmen. So soll die Zahl der Diabetiker, die weltweit im Jahre 2003 bei ca. 194 Millionen gelegen haben soll, bis zum Jahre 2025 auf weltweit circa 333 Millionen Diabetiker ansteigen, was einer Zunahme von 72 % entspricht. Die Kosten des Diabetes mellitus sind daher erheblich. Diese werden in einem nicht unerheblichen Maße durch Sekundärerkrankungen infolge des Diabetes mellitus ausgelöst.
Gemäß der CODE-2-Studie (Cost of Diabetes in Europe) treten bei 72% der nicht Insulin-abhängigen Typ 2 Diabetiker Komplikationen auf. Am teuersten ist hierbei die Gruppe der Diabetiker mit mikround makrovaskulären Komplikationen, die Behandlungskosten steigen hier um 250% an. Die direkten medizinischen Behandlungskosten des Typ 2 Diabetes in 8 europäischen Ländern (Belgien, Frankreich, Deutschland, Italien, Niederlande, Spanien, Schweden und Großbritannien) liegen bei 29 Billionen Euro pro Jahr (bezogen auf das Jahr 1999).
Die Diagnosestellung des Diabetes mellitus ist bereits mit zahlreichen Fehlern behaftet, häufig werden trockenchemische Messverfahren, wie Testgeräte, die zur Blutzuckerselbstkontrolle im Rahmen einer Diabetestherapie zugelassen sind, für die Diagnose eines Diabetes mellitus eingesetzt. Diese Messgeräte sind jedoch für die Diagnosestellung eines Diabetes mellitus nicht geeignet, da die Bestimmungsverfahren zu ungenau sind. Hier ist die nasschemische Bestimmung in Bestimmungsröhrchen, die EDTA und Fluorid enthalten, zu fordern. Die Diagnose eines Diabetes mellitus Typ 2 ist zu stellen, wenn der Nüchternblutzucker im Plasma 126 mg/dl bzw. höher liegt oder wenn im oralen Glucosetoleranztest mit einer 75 g Standardglucoselösung der 2-h-Wert der Plasmaglukose 200 mg/dl oder mehr beträgt. Auch ein Gelegenheitszucker über 200 mg/dl, unabhängig von der letzten Mahlzeit in Verbindung mit den Symptomen eines Diabetes mellitus, kann als Diagnosekriterium herangezogen werden. Meistens sind die klassischen Symptome einer Diabetes mellitus Manifestation wie Polyurie, Polydipsie bzw. ungeklärter Gewichtsverlust beim Typ 2 Diabetiker jedoch nicht vorhanden. Dann ist bereits bei entsprechendem klinischen Verdacht oder der im Rahmen der Vorsorgeuntersuchung beim metabolischen Syndrom eine Kontrolle des Nüchternblutzuckers bzw. die Durchführung eines oralen Glucosetoleranztestes angezeigt (Tab. 1).
Tab. 1: Diagnosestellung des Diabetes mellitus nach ADA-Kriterien (American Diabetes Association)
1. Symptome des Diabetes mellitus (Polyurie, Polydipsie, ungeklärter Gewichtsverlust) und ein Gelegenheitszucker >200 mg/dl unabhängig von der letzten Mahlzeit |
oder |
2. Nüchternblutzucker (letzte Kalorienzufuhr > 8 Std.) im Plasma >/= 126 mg/dl |
oder |
3. im oralen Glucosetoleranztest (75 gr Glucose) 2 Stundenwert Plasmaglukose >/= 200 mg/dl. |
Standards of Medical Care in Diabetes 2007, ADA, DIABETES CARE, VOLUME 30, SUPPLEMENT 1, January 2007 |
Im Rahmen einer klinischen Risikostratifizierung wird der Diabetes mellitus als Risiko - äquivalent zu einer manifesten Koronaren Herzerkrankung (KHK) bei Nicht-Diabetikern bewertet, d.h. Patienten mit einem manifesten Diabetes mellitus gelten als Hochrisikopatienten. Ihre Behandlung orientiert sich an der Behandlung von Nicht-Diabetikern mit manifester atherosklerotischer Erkrankung. So wird mittels Statintherapie beim Nicht- Diabetiker mit KHK das LDL-Cholesterin auf <100 mg/dl abgesenkt, genauso wie beim Diabetiker ohne bisher aufgetretene atherosklerotische Erkrankung, beim Diabetiker mit manifester Atherosklerose sogar < 70 mg/dl (siehe Tab. 2).
Tab. 2: Therapieziele von Risikofaktoren bei Diabetes mellitus.
Hyperlipidämie |
Arterieller Blutdruck |
Hyperglykämie |
Prothrombotischer Zustand |
*(American Diabetes Association: Standards of Medical Care in Diabetes . Diabetes Care 2008; 31, Supplement 1: 54-554) #(The task force on diabetes and cardiovascular diseases of the Euopean society of cardiology (ESC) and of the European association for the study of diabetes (EASD). Guidelines on diabetes, pre-diabetes, and cardiovascular diseases: executive summary. Eur Heart J 2007; 28:88-136) |
Die Bedeutung des Diabetes mellitus als kardiovaskulärer Risikofaktor wurde verdeutlicht durch eine im Jahre 2004 im Lancet von Yusuf publizierte Studie, der INTERHEART-Studie[ 4]. Im Rahmen dieser Studie wurden als Fallkontrollstudie 15.152 Fälle und 14.820 Kontrollen in 52 Ländern der Erde untersucht, um das potentielle Risiko verschiedener koronarer Risikofaktoren für einen im Krankenhaus diagnostizierten Myokardinfarkt zu erfassen. Das relative Risiko lag hierbei für einen Diabetes mellitus bei 2,37. Nach Adjustierung für Alter, Geschlecht und Zigarettenrauchen lag das relative Risiko für einen Myokardinfarkt bei selbst berichtetem Diabetes mellitus im weltweiten Durchschnitt bei 3,08, in Westeuropa sogar bei 4,29. Bereits 1998 konnte Haffner et al. zeigen, dass Patienten mit einem Diabetes mellitus, aber ohne Hinweise für einen Myokardinfarkt, das gleiche kardiovaskuläre Mortalitätsrisiko über 7 Jahre hinweg besitzen wie nicht-diabetische Postinfarkt-Patienten[5]. Kürzlich wurde eine Verlaufsbeobachtung dieser Studie nach 18 Jahren publiziert, hierbei ergab sich eine vergleichbare Aussage für die Inzidenz des Koronartodes. In diese Analyse wiesen Patienten mit einem früheren Myokardinfarkt sogar eine fast dreimal so hohe Inzidenz des Koronartodes auf, wenn zusätzlich ein Diabetes mellitus vorlag[6].
Heute steht eine Vielzahl von Antidiabetika zur Therapie des Typ 2 Diabetes zur Verfügung. Bisher konnten jedoch nur zwei orale Antidiabetika in prospektiv angelegten Studien einen positiven Effekt auf die Mortalität zeigen. In der 1998 im Lancet publizierten UKPDS-Studie zeigte sich bei übergewichtigen Patienten eine signifikante Überlegenheit einer Metformintherapie im Vergleich zur Therapie mit einem Insulin oder Sulfonylharnstoff[ 7]. So war die Gesamtmortalität signifikant erniedrigt in der Metformingruppe (p=0,021), alle diabetesbezogene Endpunkte waren ebenfalls signifikant erniedrigt (p=0,0034). Die kürzlich veröffentliche PROactive- Studie hat prospektiv den Einfluss von Pioglitazon versus Placebo in 5238 Patienten mit Typ 2 Diabetes und klinischem Hinweis für bereits bestehende makrovaskuläre Veränderungen auf kardiovaskuläre Komplikationen untersucht[8]. Der primäre Endpunkt, der sich zusammensetzt aus Gesamtsterblichkeit, Myokardinfarkt, Schlaganfall, akutem Koronarsyndrom, kardiovaskulären Interventionen oder Operationen sowie Amputationen oberhalb des Knöchels wurde zwar nicht signifikant beeinflusst. Hingegen zeigte der sekundäre Endpunkt, der klinische Ereignisse erfasste ( Mortalität, nicht tödlicher Myokardinfarkt und Schlaganfall) eine signifikante Prognoseverbesserung über einen mittleren Beobachtungszeitraum von 34,5 Monaten. Die relative Risikoreduktion unter einer Pioglitazon- Therapie betrug 16 %.
Diese Studienergebnisse wurden bestätigt durch eine im Jahre 2007 publizierte Metaanalyse von 19 randomisierten Studien mit insgesamt 16.390 Patienten, die das kardiovaskuläre Risiko bei Typ 2 Diabetikern unter einer Pioglitazon-Therapie untersuchte. Hierbei zeigte sich, dass das Risiko des Todes, des Myokardinfarktes oder Schlaganfalles von 5,7 % auf 4,4 % abnahm (p=0,005)[8]. Gemäß dem Konsensus-Statement der American Diabetes Association und der European Association for the Study of Diabetes zur antihyperglykämischen Therapie des Typ 2 Diabetes steht heute an erster Stelle nach Diagnosestellung die Lebensstilintervention in Kombination mit einer Metformintherapie. Sollte diese Therapie nicht ausreichend sein, so besteht nach diesem Stufenschema schon an zweiter Stelle unter anderem die Option, ein Glitazon in die Stufentherapie einzuführen[9]. Aufgrund der Studienlage bietet sich hier Pioglitazon an. Bei einer Therapie mit Rosiglitazon ist insbesondere bei postmenopausalen Frauen Vorsicht geboten, da unter der Therapie mit Rosiglitazon erhöhte Knochenfrakturraten auftraten (9,3 %), die bei einer Metformintherapie mit 5,1 % und unter einer Glibenclamidtherapie mit 3,5 % signifikant niedriger lagen[10]. Desweiteren scheinen auch Unterschiede bezüglich einer Auswirkung auf den Lipidstoffwechsel unter einer Therapie mit Pioglitazon und Rosiglitazon zu bestehen[ 11]. Hier führte Pioglitazon zu einer Erniedrigung der Triglyceride um 12 %, während diese unter Rosiglitazon um 14,9 % anstiegen (p<0,001), unter Pioglitazon nahm der HDL-Spiegel um 14,9 % zu, während die Zunahme bei Rosiglitazon bei 7,8 % lag (p<0,01), der LDL-Spiegel stieg unter Pioglitazon um 15,7 % an, unter Rosiglitazon hingegen um 23,3 % (p<0,001)[11]. Im Jahre 2007 erschien eine Metaanalyse von Nissen im New England Journal of Medicine, die den Effekt von Rosiglitazon auf das Risiko eines Myokardinfarktes bzw. das kardiovaskuläre Mortalitätsrisiko untersuchte. Hierbei zeigte sich unter einer Rosiglitazon-Therapie ein signifikanter Anstieg des Myokardinfarktrisikos mit einer odds ratio von 1,43 (p=0,03)[12].
Tab. 3: Empfehlungen zur Therapie der Hyperglykämie beim akuten Koronarsyndrom
Glucose sollte initial mitbestimmt werden. Bei Patienten, die mit ACS auf einer Intensiv- |
(Deewania P., Kosiborod M., Barret E., Deriello A., Isley W., Mazzone T., Raskin P., Hyperglycemia and acute coronary syndrome. A scientific statement from the American Heart Association Diabetes Committee of the Council on Nutrition, Physical Activity, and Metabolism. Circulation 2008; 117: March 25). |
Während eine Monotherapie mit einem Glitazon alleine zu einer Gewichtszunahme führen kann, ist die Kombination eines Glitazon-Präparates mit Metformin als gewichtsneutral zu betrachten. Dies gilt sowohl für Pioglitazon, als auch Rosiglitazon[13].
Auch beim akuten Koronarsyndrom ist eine optimale Therapie einer Hyperglykämie anzustreben (siehe Tabelle 3). Die Höhe des Nüchternglucosespiegels zum Zeitpunkt der Krankenhausaufnahme besitzt bei Patienten mit einem akuten Myokardinfarkt einen praediktiven Wert für die Sterblichkeit, unabhängig davon, ob zum Zeitpunkt der Krankenhauseinlieferung ein Diabetes mellitus bekannt war oder nicht. So konnte z.B. Suleiman in einer 2005 im Circulation publizierten Studie zeigen, dass der Nüchternblutzucker bei Patienten mit einem akuten Myokardinfarkt ein wichtiger unabhängiger Risikofaktor für die 30 Tage Mortalität darstellt[14]. Bezogen auf einen Nüchternglucosewert von <110 mg/dl betrug das relative Risiko bei Werten zwischen 110 und 121 mg/dl 4,6, bei Werten zwischen 122 und 138 mg/dl 6,4 und bei Werten über 139 mg/dl 11,5. Die Rolle einer Blutzuckersenkung beim akuten Myokardinfarkt zeigte die DIGAMI-Studie an. Hier wurde belegt, dass eine schnelle und strikte Blutzuckersenkung die Sterblichkeit senken kann[15]. Die American Heart Association fordert daher bei Patienten mit einem akuten Koronarsyndrom eine engmaschige Kontrolle der Blutzuckerwerte. Es sollten Blutzuckerwerte zwischen 90 und 140 mg/dl angestrebt werden, am optimalsten unter Einsatz einer intravenösen Insulininfusion (siehe Tabelle 3). Die Bevölkerung wird immer älter, Adipositas nimmt zu, eine diabetische Pandemiewelle rollt auf Deutschland zu. Eine gute Einstellung der Typ 2 Diabetiker ist erforderlich, um mikrovaskuläre Komplikationen mit ihren hohen Folgekosten zu vermeiden. Der Einfluss einer ausschließlich Glukose senkenden Diabetestherapie auf makrovaskuläre Folgeerkrankungen ist leider geringer. In Kombina - tion mit additiven Therapieansätzen, wie Senkung des Blutdrucks und der Plasmalipide (siehe Tabelle 2), die konsequent bei jedem Typ 2 Diabetiker umzusetzen sind, kann jedoch auch hier eine Prognoseverbesserung erreicht werden. Dies konnte eindrucksvoll Gaede belegen, der im Jahre 2008 die Follow up Daten der Steno-2-Studie im New England Journal of Medicine publizierte[16]. Im Rahmen dieser Studie wurden initial 160 Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 und Mikroalbuminurie randomisiert auf eine intensive (inklusive Blutzuckerkontrolle, Blutdruckund Lipidsenkung, ACE-Hemmer/AT-1-Blocker, Aspirin und Vitamine) oder konventionelle Diabetestherapie. Bereits nach der Therapiephase über 7,8 Jahre zeigte sich eine signifikante, 53 %-ige Reduktion des kombinierten Endpunktes aus kardiovaskulärem Tod, Myokardinfarkt, Schlaganfall, Revaskularisation und Amputation. Die Follow-up Studie mit Nachverfolgung von 130 Patienten über weitere 5,5 Jahre zeigte eine 46%-ige signifikante Reduktion der Mortalität und eine 59%-ige signifikante Reduktion der kardiovaskulären Ereignisse, wie kardiovaskulärer Tod, Schlaganfall, Myokardinfarkt, Bypass- Operation, PCI, Revaskularisation oder Amputation. Den stärksten therapeutischen Einfluss hatten hierbei die Statine und die antihypertensive Therapie.
Dieser multimodale Therapieansatz in der Therapie des Diabetes mellitus Typ 2 ist daher von besonderer prognostischer Wichtigkeit. Eine reine Absenkung des HbA1c-Wertes im Rahmen einer Diabetestherapie ohne Einsatz der übrigen in Tabelle 2 genannten Therapieoptionen stellt heute eine veralterte, ausschließlich auf die Höhe des Glucosespiegels ausgerichtete und damit die Prognose des Patienten nur minimal beeinflussende Diabetestherapie dar.
Datum: 01.12.2008
Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2008/4