COMPLIANCE VON SOLDATEN NACH SYSTEMATISCHER PARODONTITISTHERAPIE

Soldiers Compliance with Periodontal Therapy



Aus der Abteilung VIIA- Fachzahnärztliches Zentrum- Parodontologie (Ltd. Zahnarzt: Oberstarzt Dr. Th. Eger) am Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz (Chefarzt: Generalarzt Dr. T. Sohns)



Thomas Eger, René Thierbach, Sabine Müller, Gabor Boros und Almir Kashta

Der Erfolg des langfristigen Zahnerhaltes ist in verschiedenen Studien dokumentiert worden. Bei angenommener regelmäßiger unterstützender Parodontitistherapie wurde Zahnverlust nur noch selten beobachtet.

Ziel dieser retrospektiven Studie war es, die Überlebensrate von Zähnen bei complianten, teilcomplianten und noncomplianten Soldaten während eines mindestens 10-jährigen Zeitraumes zu bestimmen.

Methoden: 430 Soldatinnen und Soldaten mit aggressiver oder generalisierter schwerer chronischer Parodontitis wurden nach Überweisung durch ihre Truppenzahnärzte in den Jahren 1995 – 2000 im Rahmen der systematischen nicht-chirurgischen Parodontalbehandlung durch einen Fachzahnarzt für Parodontologie behandelt. Anschließend wurden die Patienten risikoorientiert in 3- bis 6-monatigen Abständen im Rahmen der unterstützenden Parodontitistherapie wieder einbestellt.

Ergebnisse: Bei aggressiver und chronischer Parodontitis bestanden bezüglich der Zahnverlustraten keine Unterschiede. Kürzere Anreisen, ein höherer militärischer Dienstgrad oder eine herausgehobene Dienstverwendung, Nichtrauchen, begleitende systemische Antibiose zur nicht-chirurgischen Parodontal - therapie nach parodontalem Erregernachweis und schwere internistische Grunderkrankungen waren begünstigende Faktoren für die vollständige Compliance in diesem Zeitraum.

Schlussfolgerungen: Die erhöhte risikoorientierte Nachsorgefrequenz verbessert die Prognose von Zähnen und führt zur Vermeidung von Extraktionen, Zahnverlust und umfangreichen prothetischen Versorgungen. Die Zahnarztwahl des Patienten ist ein entscheidender Faktor, der den Verlust oder Erhalt parodontal schwer geschädigter Zähne beeinflusst.

Summary

Background: The success of long-term retention of teeth is well documented in previous studies. When regular supportive periodontal treatment was performed tooth loss was rarely observed.

Methods: In this retrospective study, the survival rate of teeth in compliant, partly-compliant and non-compliant military populations during long-term supportive therapy lasting more than 10 years was evaluated. 430 patients were initially treated by a single periodontist between 1995 - 2000 and were reasessed every 3 bis 6 months for maintenance therapy at the same military dental facility.

Results: In aggressive and chronic periodontitis similar numbers of teeth were lost. Short distance to periodontal treatment, higher military rank or position, non-smoking, adjunctive antibiotic treatment and severe internal diseases were the most important factors for the outcome of compliance. Complete patient compliance with increased frequency of periodontal maintenance is important for improved dental prognosis through reduction of tooth loss.

Conclusions: The aim of treatment should be to prevent the progression of periodontal disease and to prevent early extraction and inevitable prosthetic rehabilitation. The selection of the dentist is an important factor for the patient to loose or maintain severely periodontally compromised teeth.

1. Einführung

Die Bedeutung ihrer Parodontalerkrankungen auf das tägliche Leben und die militärische Einsatzfähigkeit wird heute von kritischen Soldaten höher eingeschätzt als vor 25 Jahren. Identifizieren und schnelles Behandeln von Hochrisikopatienten für Karies und Parodontitis sind das wichtigste Ziel des zahnärztlichen Dienstes einer modernen einsatzorientierten Armee im Heimatland. In der Bundeswehr wird durch die verpflichtende jährliche einsatzbezogene Dental-Fitness-Untersuchung ein wichtiger Beitrag zu dieser nicht zivil dargestellten zahnmedizinischen Diagnostik, zum Beispiel im Rahmen der Feststellung der Auslandsdienstverwendungsfähigkeiten, geleistet.

Seit Ende der 80er Jahre ist im zivilen Sektor durch freiwillige frühkindliche Untersuchungen, Kindergartenbetreuung durch Zahnärzte, Bewerbung und Verbreitung von fluoridierter Zahnpasta und Interdentalraumreinigung mit Zahnseide oder Zwischenraumbürsten sowie Einführung kostenfreier individualprophylaktischer Leistungen für Kinder und Jugendliche ein erheblicher und erfreulicher Kariesrückgang in Deutschland eingetreten. Als zahnmedizinische Volkskrankheit Nr. 1 rückte damit die Parodontitis, die inzwischen bis zum 65. Lebensjahr für den größten Teil des Zahnverlustes verantwortlich ist, in den Vordergrund des Behandlungsbedarfes in Deutschland. Zwischen dem 36. und 45. Lebensjahr fehlen derzeit durchschnittlich 2,7 Zähne. Nach Angaben des Instituts der Deutschen Zahnärzte (11) steigt diese Zahl bis zum 65. Lebensjahr auf durchschnittlich 14,2 Zähne an und führt zu erheblichen prothetischen Kosten. Zahnbeweglichkeit, freiliegende Zahnhälse und Zahnhalsüberempfindlichkeiten bei der Nahrungsaufnahme, genauso wie funktionelle Limitationen, Dyskomfort durch Schmerz oder Dysstress, zum Beispiel bei verändertem Lächeln, Behinderung (physisch, psychosozial und sozial) durch Mundgeruch spielen nach O’Dowd et al. (19) eine große Rolle bei der Nachfrage nach einer Therapie. Im Sanitätsdienst besteht derzeit folgende Betreuungssituation: Ein in drei Jahren Vollzeitform weitergebildeter Fachzahnarzt/Spezialist für Parodontologie ist für 35 000 Soldaten zur Behandlung schwerer Parodontalerkrankungen und Entzündungen an Implantaten vorgesehen. Eine kassenzahnärztliche zivile Abstützung ist derzeit aufgrund der fehlenden flächendeckenden Versorgungssituation in Deutschland (circa 150 Fachzahnärzte/Spezialisten) nicht gegeben.

Bei der Parodontaltherapie handelt es sich um die Behandlung einer meist bakteriellen Infektionserkrankung. Das Übertragungsrisiko der akuten Parodontitis ist, historisch betrachtet, wissenschaftlich spätestens in den Schützengräben des 1. Weltkrieges nachgewiesen worden. Parodontale Aktivität ist bei fehlender Behandlung im Inland bereits innerhalb eines Jahres messbar. Müller et al. (16) zeigten, dass bei 102 deutschen Soldaten zwischen 18 und 25 Jahren, die keine Parodontal - therapie erhielten, eine Sondiertiefenerhöhung = 2 mm an mindestens drei Zahnflächen bei vorbestehender leichter Parodontitis in 39 % und bei vorbestehender schwerer Parodontitis in 78 % der Fälle eintrat. Bei vorbestehender schwerer Parodontitis und klinischem Attachmentverlust von mindestens 5 mm benötigten während eines 6-monatigen Auslandseinsatzes 85,7 % der Bundeswehrsoldaten eine parodontale Notfalltherapie (6).

Eine reduzierte Mundhygiene und eine ernährungs-, genussmittel- und stressbedingte zeitweise unvorteilhaft veränderte Entzündungsreaktion des Körpers erhöhen das Risiko des Verlustes des Zahnhalteapparats, der im Endstadium zu Zahnverlust führt. Dieser wiederum erfordert sowohl im Einsatz als auch im Frieden in den modernen Industrienationen kosten- und zeitintensive, prothetische oder implantologische Folgebehandlungen. Jede Ersterkrankung an einer Parodontitis hat, um die Einsatzfähigkeit der betroffenen Soldaten sicherzustellen, eine dienstzeitlange unterstützende Parodontitistherapie (UPT) zur Folge.

Es gibt keine einheitliche Meinung, wie langfristig Behandlungserfolg erzielt wird.

Die erfolgreiche Parodontalbehandlung umfasst heute die Einflechtung internistischer Befunde in das Behandlungskonzept. Eine erfolgreiche Parodontaltherapie hat durch die Reduktion von Entzündungsparametern einen günstigen Einfluss auf die Herz-Kreislauferkrankungen und die Diabetesund Rheumatherapie ebenso wie auf die Vermeidung vor Frühgeburten.

Unter Compliance bei der Parodontal - therapie versteht man das Maß der Übereinstimmung des Patientenverhaltens mit den medizinischen Empfehlungen im Sinne einer therapeutischen Allianz zwischen Patient und Arzt (23). Die Patientenmotivation ist der wichtige Antrieb, ein Ziel zu erreichen. Jede Ausprägung eines Motivs ist ein ganz persönlicher Leistungsmotivator. Was man kann, prägt sich tief durch das eigene Wollen und den Wohlfühleffekt ein (Abb 1). Das Ansprechen von Motiven erfolgt durch das parodontologische Behandlungsteam unter dem Motto „Erkenne den Sinn“.

Zahnverlust wird erheblich durch die Compliance des Patienten bestimmt.

Ziel der Untersuchung

Behandlungsentscheidungen werden durch Alter, allgemeinmedizinische Grunderkrankungen, Form und Ausprägungsgrad der Parodontitis, die strategische Bedeutung des Zahnes, den Gesamtbehandlungsplan, zum Beispiel bei prothetischem Behandlungsbedarf, die Zahnform und den Furkationsgrad, die Morphologie von Zahn, Wurzel oder Knochenläsion, Zahnlockerung, Erfahrung und Fähigkeiten der Behandler und ganz erheblich durch die Patientencompliance beeinflusst.

Die Dental-Fitness-Diagnostik einschließlich Therapieplan bei Soldaten benötigt einen truppenzahnärztlichen Zeitansatz von 14 min. Die Behandlungszeit zum Wiedererlangen der Auslandsdienstverwendungsfähigkeit erfordert durchschnittlich sogar über 91 min (9,10). Bessere Behandlungsergebnisse werden in (Parodontitis-risikoorientierten) Spezialistenpraxen gegenüber Generalistenpraxen erzielt (7). Noncompliance führt aber auch bei Behandlung durch Spezialisten zum Misserfolg (18). Ziel dieser retrospektiven Betrachtung war es daher, die Patienten- Compliance aller in der Abteilung VII/Fachzahnärztliches Zentrum– Parodontologische Ambulanz nach Überweisung durch Truppenzahnärzte systematisch parodontal behandelten Soldaten von 1995 – 2000 nach mindestens 10 Jahren festzustellen, Risikofaktoren abzuwägen und Vorschläge für die einsatzorientierte Organisation des zahnärztlichen Dienstes der Bundeswehr zu erarbeiten.

2. Methoden

2.1 Patienten und Behandlungsverfahren

In die Studie wurden 430 Soldatinnen und Soldaten mit aggressiver oder generalisierter schwerer chronischer Parodontitis aufgenommen. Sie wurden im Rahmen der systematischen nicht-chirurgischen Parodontalbehandlung durch einen Fachzahnarzt für Parodontologie nach mikrobiologischem RNA-Sonden- Erregernachweis (Institut für angewandte Imunologie- IAI-Padotest 4.5, Zuchwil, CH) gegebenenfalls zusätzlich zur nicht-chirurgischen Parodontaltherapie (Full Mouth Scaling and Root Planing und zusätzliche 6-wöchige häusliche Chlorhexidin-Anwendung) unterstützend antibiotisch behandelt. Bei Vorliegen von Aggregatibacter actinomycetemcomitans (Aa) erfolgte die Antibiose mittels Amoxicillin (3x500 mg/Tag) und Metronidazol (3x400 mg/Tag) für eine Woche und mit Metronidazol (3x400 mg für 10 Tage) bei einer Infektion mit Porphyromonas gingivalis (Pg) ohne gleichzeitigen Aa-Nachweis.

Eine Risikokalkulation zwischen den verschiedenen Behandlungssitzungen wurde unter Berücksichtigung des prozentualen Anteils des Blutens nach dem Sondieren, der Anzahl von Sondiertiefen > 5 mm, der Zahl der verlorenen Zähne (maximal 28), des Attachmentverlustes von Zahnflächen mit = 4 mm auf Röntgenaufnahmen (RAL) sowie vorhandener genetischer Risikofaktoren und des Tabakkonsums durchgeführt. Bei Verschlechterung der Parameter wurden die Behandlungsabstände verkürzt und bei Verbesserung verlängert (12).

Die Unterscheidung in chronische oder aggressive Verlaufsformen wurde sekundär (nach Auswertung aller Befunde) getroffen. Primär wurden zunächst einheitliche Voraussetzungen in Schweregrad und Ausprägung der Parodontitis definiert. Die Studienpatienten wiesen alle Attachmentverluste von = 3 mm beziehungsweise einen radiologisch nachweisbaren Knochenabbau von mindestens 30 % an mehr als 30 % aller Zahnseiten auf.

Diese Einteilung wurde an die klassischen Schweregradstufen einer chronischen Parodontitis mit generalisierter Ausprägung nach Armitage (1) angelehnt.

Die Studienpatienten wurden außerdem nach ihrem sozioökonomischen Status anhand des Dienstgrades klassifiziert. Als Entscheidungsgrundlage diente der Anamnesebogen der Behandlungskartei.

Compliance als Maß der Übereinstimmung des Patientenverhaltens mit der medizinischen Empfehlung wurde über die Teilnahme an der UPT gemessen (5, 23).Compliante Patienten hatten ihre vereinbarten Behandlungstermine um maximal einen Monat überzogen und mindestens 80 % der Termine eingehalten. Teilcompliance lag vor, wenn die Intervallzeiten von Seiten des Patienten maximal verdoppelt und 50 – 80 % der Termine eingehalten wurden. Noncompliance lag bei mehr als verdoppelter Intervallzeit und weniger als 50 % Terminwahrnehmungen vor.

Bei den Probanden handelte es sich um routinemäßig als Patienten behandelte Soldatinnen und Soldaten.

2.2 Statistische Auswertung

Die statistische Auswertung der Faktoren Patientenalter, Anreiseweg, Diagnose, Zahnzahl, Anzahl der tiefen Zahnfleischtaschen (Sondiertiefen = 7 mm), Zahnverlust, Allgemeinerkrankungen, Rauchverhalten, Nachweis von Aggregatibacter actinomycetemcomitans (Aa) und Porphyromonas gingivalis (Pg), Anzahl der UPT-Sitzungen und Zeitpunkt des Abbruches der UPT erfolgte deskriptiv. Dabei wurden die Mittelwerte und Standardabweichungen ermittelt (Tab 1).

3. Ergebnisse

Das Durchschnittsalter der parodontal behandelten Soldatinnen und Soldaten lag bei 43,2 (± 8,0) Jahren. Die durchschnittliche einfache Anreisezeit der zur Behandlung in Koblenz mehrheitlich durch Truppenzahnärzte überwiesenen Patienten betrug 2,0 (±1,5) Stunden.

14,4 % der Soldaten (61 Männer, 1 Frau) haben nach der nicht-chirurgischen Parodontaltherapie keine UPT wahrgenommen. Die durchschnittliche Anreisedauer war in dieser im Folgenden nicht weiter ausgewerteten Gruppe mit 2,5 Stunden über der aller anderen Gruppen und das Alter bei Behandlungsbeginn (Baseline) mit 42,7 Jahren wenig von den übrigen Gruppen unterschieden. An der UPT haben 368 (362 Männer und 6 Frauen) durchschnittlich 6,8 (± 5,4) Jahre lang teilgenommen (Tab 1). Die drei Compliancegruppen unterschieden sich bei Behandlungsbeginn weder bezüglich des Alters noch der Anzahl der vorhandenen Zähne. Die durchschnittliche Zahl der Behandlungssitzungen war bei complianten Patienten (54,7 ± 23,5) und teilcomplianten Patienten (45,4 ±19,9) deutlich höher als bei noncomplianten Patienten (17,0 ±13,9). Die durchschnittliche Zahnverlustrate und die Anzahl der tiefen Zahnfleischtaschen mit erhöhtem Risiko für weiteren Zahnverlust war bei noncomplianten Patienten deutlich höher als bei complianten Patienten. Die Gruppe der noncomplianten Patienten hatte einen deutlich höheren Anteil an aktiven Rauchern (48 %) und Patienten mit aggressiver Parodontitis (51,5 %) sowie einen hohen Anteil an Patienten in den Dienstgradgruppen der Unteroffiziere und Feldwebel bis Hauptfeldwebel (Abb 2).

Compliance fördernd waren Anreisen der Soldaten von weniger als zwei Stunden vom Wohnort oder Heimatstandort zur Behandlung, Nichtrauchen, schwerwiegende bekannte Grunderkrankungen (Diabetes mellitus, Herzerkrankungen und Tumoren), eine aufgrund eines Nachweises von Aggregatibacter actinomycetemcomitans erfolgte systemische, die nicht-chirurgische Therapie begleitende Antibiose und die Dienstverwendung als Stabsfeldwebel oder Stabsoffizier.

Der Abbruch der UPT erfolgte bei den noncomplianten Patienten nach durchschnittlich 2,3 Jahren. In den ersten beiden Nachsorgejahren war dies am häufigsten und pendelte sich vom 3. – 12. Jahr zwischen jährlich 8 und 17 Fällen ein (Abb 3). Der UPT-Abbruch war bei Anreisen mit mehr als zwei Stunden oder bei nahem Dienstzeitende des Soldaten ebenfalls in den ersten vier Jahren der Nachbehandlung von Bedeutung.

Einzelner Zahnverlust betraf viele compliante und teilcompliante Patienten ausschließlich in den ersten beiden Jahren der UPT, wenn häufig auch prothetische Behandlungsentscheidungen getroffen wurden. Teilcompliante Patienten verloren häufiger höhere Zahnzahlen ( 7) als compliante Patienten (Abb 4).

4. Diskussion

Parodontologisches Behandlungsziel ist immer, Zahnverlust zu vermeiden, bei entzündungsfreien Parodonten wiederherzustellen und damit eine zufrieden - stellende Kaufunktion und Ästhetik langfristig zu erhalten.

Eine erfolgreiche Parodontitistherapie berücksichtigt veränderte „Lifestyles“ im Leben, da das Risiko für das Wiederauftreten einer Parodontitis immer von einem empfänglichen Wirt abhängt, komplexe Behandlungsanforderungen bestehen und sich psychologische Aspekte verändern (2, 21).

Costa et al. (4) verglichen in einer prospektiven dreijährigen Studie an 75 complianten und 89 teilcomplianten Patienten bei einer risikoabhängigen Parodontitisnachsorge die Häufigkeit von Zahnverlust und Parodontitisrezidiven. 6,7 % der Patienten mit hohem Risiko entsprechend der von Lang und Tonetti 2003 publizierten Risikospinne (13) entwickelten in diesem Zeitraum bei vollständiger Compliance ein Parodontitisrezidiv, bei Teilcompliance sogar in 11,2 % der Behandlungsfälle. Teilcompliante Patienten hatten schon in diesem kurzen Zeitraum signifikant höhere Zahnverlustraten. In Langzeitstudien parodontologischer Praxen mit Messung der Compliance im Rahmen der unterstützenden Parodontitistherapie wurden sehr unterschiedliche Ergebnisse festgestellt (Tab 2). Eine Definitionsänderung mit Reduktion der Wahrnehmung von UPT-Terminen von 80 % auf 70 % für vollständige und von 50 % auf 30 % für teilweise Compliance führt zu geringgradig niedrigeren Anteilen an noncomplianten Patienten (15).

Die Teilnehmer der vergleichbaren Langzeitstudien waren Zivilisten und kamen hierbei meist aus der räumlichen Nähe der Praxis. Der Anteil der Patienten mit vollständiger Compliance schwankte hierbei zwischen 20 % (3) und 32 % (24) und der von Patienten, die eine UPT nicht wahr - nahmen, zwischen 14,4 % und 32,8 % (17).

Die Compliance war in einigen Untersuchungen bei Frauen, besser verdienenden Patienten, bei bekannten schwerwiegenden Allgemeinerkrankungen wie Diabetes mellitus, Herz-, Kreislaufoder Tumorerkrankungen und häufig nach chirurgischer Parodontaltherapie und unterstützender Antibiotikatherapie günstiger. Unser Patientengut umfasste hauptsächlich männliche Soldaten mit weiten Anreisen. Aufgrund der Möglichkeit des Behandlungsabbruches durch das Dienstzeitende ist ein Vergleich mit zivilen Studien erschwert. Insbesonders Stabsfeldwebel und Stabsoffiziere, mehrheitlich auf Dienstposten mit eigenverantwortlicher Tätigkeit, wiesen in unserem Kollektiv die beste Compliance auf. Weite Anreisen und das Dienstzeitende waren ebenfalls Risikofaktoren für nicht compliantes Verhalten in den ersten beiden postoperativen Jahren, die bisher in anderen Studien nicht untersucht wurden.

Verschiedene Studien haben gezeigt, dass die initiale Akzeptanz der Notwendigkeit und Durchführung einer parodontalen Therapie durch emotionale Intelligenz gesteuert wird. In einer aktuellen Review- Arbeit zur UPT haben Umaki et al. (22) festgestellt, dass non-compliante Patienten häufig eine höhere Frequenz an stressreichen Lebensereignissen absolviert haben. Noncompliance kann nicht durch einen einzelnen Grund erklärt werden. Die Berücksichtigung von besonderen Persönlichkeitsfaktoren, Neurotizismus mit emotionaler Labilität, Nervosität, Klagen über körperliche Schmerzen, Ärger und Ängste, schnelle Stressreaktion, Unsicherheit, Traurigkeit und geringeres Pflichtbewusstsein ist hierbei bedeutsam. Kenntnisse hierüber helfen den Behandlern, individualisierte Behandlungsstrategien zur Verbesserung der Patientencompliance zu entwickeln. Hierzu zählt unter anderem, „Behandlungsbarrieren“ zu beseitigen. Dies kann an den Behandlungsstandorten zum Beispiel durch das Bereitstellen von Zahnseide oder anderen Zahnzwischenraumhygienemitteln erfolgen. Diese Hilfsmittel dienen der täglichen Erinnerung an die eigene Mundhygiene und Notwendigkeit der UPT. Zur weiteren Reduktion von Barrieren empfiehlt es sich, die Anreisen zu den parodontologischen Behandlungszentren in der Bundeswehr zu verkürzen, da die Reisekosten im Rahmen der unentgeltlichen truppenzahnärztlichen Versorgung übernommen werden. Die Bewertung der Compliance stellt für die parodontologische Arbeit ein Mittel des Qualitätsmanagements dar. Durch organisatorische Maßnahmen und psychologische Beseitigung von Behandlungsbarrieren wurde die Compliance der Patienten deutlich verbessert (23, 24). Die Complianceraten sind je nach Praxis und Behandler unterschiedlich und können nur intern selbst bestimmt werden. Um die Compliance zu verbessern und Noncompliance zu vermeiden, müssen Risikofaktoren der Compliance und Persönlichkeitsfaktoren, die ungünstige Verhaltensantworten verursachen, erfasst und minimiert werden.

5. Schlussfolgerungen

Adäquate Therapie und risikoorientierte Nachsorge über 15 Jahre führen bei Patienten mit niedrigem und hohem Risiko zu keinem nennenswerten Zahnverlust (20). Graezt et al. (8) konnten bei vollständig complianten Patienten 88,2 % der Zähne mit fraglicher und 59,5 % mit hoffnungsloser Prognose über einen Zeitraum von mehr als 10 Jahren erhalten. Die Weltgesundheitsorganisation fordert für Industrienationen sogar, dass 20 Zähne über das gesamte Leben erhalten werden können. Allerdings ist das Bewusstsein für eine Therapie stark parodontal geschädigter Zähne in Deutschland, im Vergleich zum Beispiel zur Schweiz, nur schwach ausgeprägt. Zahnärzte mit Interesse, Erfahrungen und Zufriedenheit bei Parodontaltherapien und Zahnärzte in städtischen Regionen entscheiden sich eher gegen die Extraktion von Zähnen (14). Die durchschnittliche jährliche Zahnverlustrate der 35- bis 45-Jährigen in Deutschland sank im Zeitraum von 1997 bis 2005 nach Angaben des Instituts der Deutschen Zahnärzte (11) von 0,45 auf 0,38. Die in unserer retrospektiven Betrachtung an Soldaten mit Zahnverlustraten von 0,14 bei complianten Patienten mit vormalig schweren Parodontalerkrankungen über einen Zeitraum von mehr als 10 Jahren sind demgegenüber deutlich günstiger. Die Teilnahme an der unterstützenden Parodontitistherapie ermöglicht damit parodontal vorgeschädigten Soldaten an Auslandseinsätzen mit gegebenenfalls weit disloziierten zahnärztlichen Behandlungseinrichtungen ohne erhöhtes Zahnverlustrisiko teilzunehmen.

Primäre Aufgabe der Truppenzahnärzte ist es, möglichst barrierefrei Parodonti tis - patienten zu identifizieren und aufzuklären anstatt nur die Zahnerhaltungswürdigkeit zu prüfen. Die schnelle, möglichst barrierefreie Behandlung von Hochrisikopatienten für Parodontitis ist die primäre Aufgabe von Fachzahnärzten und Spezialisten für Parodontologie, um die Entwicklung einer schweren generalisierten Parodontitis zu vermeiden und hierdurch die Zahn er haltungs fähig - keit weiter zu entwickeln.

Literatur

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Datum: 20.09.2012

Quelle: Wehrmedizinische Monatsschrift 2012/7

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