Besonderheiten und Versorgung penetrierender Verletzungen am Beispiel von Schuss- und Explosionsopfern ohne ballistischen Körperschutz in Afghanistan (2009 - 2013)

Ines Richardsen, Christoph Güsgen, Arnulf Willms, Dan Bieler, Erwin Kollig, Robert Schwab

Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz

Einleitung

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Abb. 1: Versorgung einer thorakalen Schussverletzung (Bild: S. Schaaf, Koblenz)
Anschläge mit terroristischem Hintergrund haben mittlerweile auch Deutschland erreicht. Damit steigt auch in Deutschland die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von penetrierenden Verletzungen durch Stich-, Schuss- oder Explosionsverletzungen im Rahmen von Terroranschlagsszenarien. Im westlichen Europa sind penetrierende Verletzungen durch Stich-, Schuss- oder Explosionsverletzungen bis dato sehr selten [1]. In Deutschland weist etwa jeder fünfte polytraumatisierte Patient abdominelle Verletzungen auf, die in weit überwiegender Mehrzahl infolge eines stumpfen Traumas entstehen [2]. Diese Zahlen lassen erahnen, wie vergleichsweise selten das penetrierende Trauma des Körperstammes ist; es drängt sich die Frage auf, wie die Expertise zur Versorgung derartiger Verletzungen erhalten oder sogar erst erworben werden kann.

Daten zur Versorgung von Schuss-, insbesondere aber Explo-sionsverletzungen, stammen häufig aus Krisen- und Kriegsregio-nen und damit aus militärischen Quellen. Ein Vergleich mit Traumata bei Zivilpersonen im Rahmen von Terroranschlägen ist wegen des bei Soldatinnen und Soldaten in der Regel vorhandenen ballistischen Körperschutzes (Schutzwesten, Body armor) nur schwer möglich. Erfahrungen aus der Einsatzchirurgie leisten dabei einen wichtigen Beitrag, geeignete Behandlungsgrundsätze auch für die medizinische Versorgung von Verletzten in Terrorszenarien zu entwickeln. In diesem Zusammenhang ist zunächst einmal eine Übersicht über mögliche Verletzungsmuster und deren Mortalität für die Zukunft essenziell.

Haupttodesursache: Hämorrrhagie

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Abb. 2: Signifikant erhöhter ISS bei Explosionsverletzten
Bei Schuss- und Explosionsverletzungen in Krisen- und Kriegsgebieten oder terroristischen Szenarien ist eine massive Hämor-rhagie die Haupttodesursache, sodass das unmittelbare Stoppen einer lebensbedrohlichen Blutung Priorität vor der Atemwegssicherung haben kann. Problematisch ist dabei, dass eine Blutung in den Körperhöhlen nicht wie bei den Extremitäten mit Anlage eines Tourniquets kontrollierbar ist, sondern nur unter Schockraum- beziehungsweise optimaler Weise unter OP-Bedingungen effektiv zu stoppen ist [3]. EASTRIDGE et al. wiesen zudem nach, dass insbesondere über 90 % der potenziell vermeidbaren Todesfälle bei US-Soldaten durch Verbluten entstehen und in ihrer Mehrzahl die Körperhöhlen (67 %) bzw. ihre Übergänge zu den Extremitäten (Leiste und Axilla) betreffen (19 %) [4].

Bei Schwerstverletzten muss neben der aktiven Blutstillung die systemische Gerinnung optimiert werden; hierbei wird nach dem Prinzip der Damage Control Resuscitation (DCR) vorgegangen (Ziel: Durchbrechen/Verhindern der letalen Trias aus Azidose, Hypothermie und Koagulation) [5]. Aktuelle Arbeiten belegen Überlebensraten bis zu 92 % bei Anwendung dieses Konzeptes.

Ziel der vorliegenden Arbeit war es, thorakoabdominelle Höhlenverletzungen bei auch in Deutschland möglichen zivilen Anschlagsverletzungsmustern zu analysieren und Versorgungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Da die Datenlage in Deutschland aufgrund der geringen Anzahl von Schuss- und Explosionsverletzungen außerordentlich dürftig ist, wurde auf die Daten ziviler Patienten mit Schuss- und Explosionsverletzungen im -deutschen Militärhospital Mazar-e-Sharif in Afghanistan zurückgegriffen.

Methodik

Analysiert wurden die Daten von Patienten, die in den Jahren 2009 bis 2013 im deutschen Einsatzlazarett Mazar-e-Sharif wegen Schuss- oder Explosionsverletzungen versorgt wurden. Einschlusskriterien waren penetrierende Verletzungen des -Thorax bzw. des Abdomens. Zur besseren Vergleichbarkeit mit Verletzungsmustern aus zivilen Anschlagsszenarien wurden ausschließlich Patienten ohne ballistischen Körperschutz ein-geschlossen. Die Datenauswertung stützte sich hierbei auf die vollständige medizinische Behandlungsdokumentation im Archiv des Instituts für Präventivmedizin der Bundeswehr (früher: Institut für Wehrmedizinalstatistik und Berichtswesen der Bundeswehr).

Ergebnisse

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Abb. 3: Statistisch signifikant höhere Mortalität bei thorakoabdominellen Kombinationsverletzungen
Zur Auswertung kamen die Daten von insgesamt 117 Patienten mit penetrierender Verletzung des Thorax und/oder Abdomens. Die Verletzten waren im Mittel 29,6 ±11 Jahre alt und zu 98 % männlich. 58 (49,6 %) Patienten wurden durch Schüsse und 59 (50,4 %) durch Explosionen verletzt. In den meisten Fällen bestanden Kombinationstraumata mit 2 - 3 Verletzungen. Analysiert nach Traumamechanismus fanden sich bei den Schussverletzten mit im Mittel 2,8 ± 1,4 signifikant weniger verletzte Körperregionen als bei Explosionsopfern mit 3,6 ± 1,4, was sich auch im Injury Severity Score (ISS) widerspiegelt.

In 87 % der Fälle handelte es sich um Verletzungen aus Kriegshandlungen, bei 5 % um Unfälle und in 4 % um Traumata durch versuchten Suizid. 40,2 % der Patienten waren Opfer von IEDs, Hauptabgabewaffe bei Schutzverletzungen war überwiegend das weitverbreitete Sturmgewehr AK 47 russischer Bauart.

60 % der Patienten hatten thorakale, 69 % abdominelle und 25,6 % thorakoabdominelle Verletzungen. Die Analyse nach Traumamechanismus zeigte signifikant mehr Thoraxtraumen bei den Explosions- (87 %) als bei den Schussverletzten (73 %). 69 % der Patienten hatten Abdominalverletzungen. Hier war der Unterschied beim Traumamechanismus statistisch nicht auffällig (Schuss vs. Explosion: 72 % vs. 66 %).

Abdominell waren Leber-, Dünndarm- und Colonverletzungen in der Anzahl führend. -Thorakal überwog neben den oberflächlichen Verletzungen der (Hämato-) Pneumothorax. Hinsichtlich des Verletzungsmusters der Begleitverletzungen waren die Extremitäten (untere 42,7 % und obere 30,8 %) am häufigsten betroffen.

Signifikante Unterschiede wurden bezüglich des ISS nachgewiesen. Dieser lag bei den Schussverletzten im Mittel bei 23, bei den Explosionsverletzten bei 29 (siehe Abbildung 2). Auf das Gesamtkollektiv bezogen wurden im Mittel 33 % der Patienten im Rahmen einer Damage Control Surgery (DCS) erstversorgt (26 % der Schuss- und 41 % der Explosionsverletzten). Schussverletzungen hatten trotz -niedrigerem ISS keine geringere Anzahl an Operationen pro Patient.

Die Gesamtmortalität betrug 13,7 % (10,3 % nach Schuss-, 16,7 % nach Explosionsverletzungen). Die verstorbenen Patienten wiesen mit 32,9 einen signifikant erhöhten ISS-Wert auf. Die mit 25,7 % signifikant höchste Mortalität wiesen Patienten mit thorakoabdominellen Kombinationsverletzungen auf; diese betrug 8,3 % bei isoliert thorakal und 8,7 % bei isoliert abdominell Verletzten (siehe Abbildung 3).

Schlussfolgerung

Aus der Auswertung der Verletzungsmuster von zivilen Patienten (ohne ballistischen Schutz des Torso), die wegen Schuss- oder Explosionsverletzungen im Einsatzlazarett Mazar-e-Sharif behandelt wurden, lassen sich Rückschlüsse auf auch in Deutschland bei möglichen Terroranschlägen zu erwartende penetrierende Verletzungen ziehen. Dieses erlangt vor dem Hintergrund der Seltenheit des penetrierenden Traumas in Deutschland mit einem Anteil von etwa 5 % aller Traumapatienten erhebliche Relevanz.

Die praktischen Erfahrungen von Einsatzchirurgen der Bundeswehr im Management penetrierender abdomineller und/oder thorakaler Traumata, wie mit dieser Arbeit durch die Analyse der Behandlungsdaten im Einsatz belegt, zeigen, dass Patienten ohne ballistischen Schutz des Torsos vor allem bei thorakoabdominellen Verletzungen eine hohe Mortalität aufweisen und Explosionsverletzungen häufiger zur DCS-Indikation führen können. Es wird auch belegt, dass die Versorgung von Schuss- und Explosionsverletzten die Kenntnis und Kompetenz zur Durchführung von Damage Control Prozeduren des Thorax und des Abdomens voraussetzt. Es gilt, diese insbesondere bei den Einsatzchirurgen vorhandene Expertise und Erfahrung nun an die zivilen Kollegen weiter zu geben.

Literatur

  1. Bieler D, Franke AF, Hentsch S et al. Schuss- und Stichverletzungen in Deutschland – Epidemiologie und Outcome. Eine Analyse aus dem Traumaregister DGU. Unfallchirurg 2014; 117:995 - 1004.
  2. DGU. Traumaregister der DGU, Jahresbericht 2016.
  3. PHTLS National Association of Emergency Medical Technicians (NAEMT): Prehospital Trauma Life Support Committee 2015, 8. Auflage. Burlington MA: Jones&Bartlett Learning; 2015.
  4. Eastridge BJ, Mabry RL, Sequin P et al.Death on the battlefield (2001 - 2011): implications for the future combat casualty care. J Trauma Acute Care Surg 2012; 73:431 - 437.
  5. Duchesne JC, McSwain NE, Rotondo M et al. Damage Control Resuscitation: The new face of damage control. J Trauma 2010; 69:976 - 990.


Oberstabsarzt Dr. Ines Richardsen
E-Mail: inesrichardsen@bundeswehr.org

Datum: 15.02.2019

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