13.01.2016 •

Hubschrauberrettung und Langstrecken-Intensivtransport – eine Schlüsselrolle für Anästhesisten der Bundeswehr

Aus der Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin (Ärztlicher Direktor: Oberstarzt Professor Dr. med. L. Lampl) des Bundeswehrkrankenhauses Ulm (Chefarzt: Generalarzt Dr. A. Kalinowski)

I. Bretschneider, B. Hossfeld, M. Helm, L. Lampl

Zusammenfassung

Die Bundeswehr war an der Entstehung der Hubschrauberrettung in Deutschland mit der Aufstellung von SAR-Kommandos und Luftrettungszentren in den 1970er Jahren maßgeblich beteiligt. Seither entwickelte sich sowohl die Luftrettung im Inland, als auch die Betreuung von Intensiv-patienten auf Langstreckentransporten insbesondere im militärischen Auslandseinsatz zu einer Kernkompetenz der -Anästhesisten in der Bundeswehr. Die nachfolgende Arbeit soll diese Entwicklung bis zum heutigen Stand der Rettungshubschrauber an den Bundeswehrkrankenhäusern, der SAR-Kommandos und des Langstrecken-Intensivtransports (Strategic Aeromedical Evacuation) darstellen.

Schlüsselworte: Luftrettung, RTH, AirMedEvac, SAR, Anästhesiologie, Bundeswehr
Keywords: HEMS, AirMedEvac, SAR, anaesthesiology, German Federal Armed Forces

Historischer Hintergrund

Seit 1959 ist die Bundeswehr in die luftgestützte Patientenversorgung in Deutschland und in der weiteren Entwicklung in die luftgestützte Patientenversorgung ihrer Soldaten und derer verbündeter Nationen sowie von Bundesbürgern im Großschadensfall weltweit eingebunden.

Die ersten Berichte, in denen die Rettung bzw. Evakuierung von Verwundeten beschrieben werden, stammen aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. So wird bereits über einen ersten, mit einem Heißluftballon durchgeführten Krankentransport 1871 berichtet [1]. Im frühen 20. Jahrhundert gibt es vermehrt Berichte über Kranken- und Verwundetentransport mit Flugzeugen. Erstmals wurde im zweiten Weltkrieg 1943 eine größere Anzahl an Verwundeten aus Stalingrad mit einer JU-52 ausgeflogen [1]. Neben Überlegungen und Bestrebungen zur Verbesserung des Transportes wurden auch Überlegungen zur Patientenversorgung angeregt. So formulierte Kirschner bereits 1938 die Forderung, dass der Arzt zum Patienten kommen müsse [3]. Der erste dokumentierte Hubschrauberrettungsflug wurde im Jahr 1944 in Burma mit einer Sikorsky Y-4b durchgeführt [2] (Abbildung 1a/1b).

Ein weiterer Fortschritt in der Entwicklung der Luftfahrt war die Regelung des internationalen Luftrechtes. In diesem Zusammenhang wurde am 7. Dezember 1944 in Chicago die Convention of International Civil Aviation unterzeichnet und in der Folge die ICAO (International Civil Aviation Organization) gegründet. Die ICAO ist eine Unterorganisation der United Nations Organization (UNO). In Übereinstimmung mit Artikel 25 der Konvention ist jeder Mitgliedsstaat verpflichtet, Maßnahmen zu ergreifen und Einrichtungen zu schaffen, um bei Luftnotfällen über Land und See des eigenen Hoheitsgebietes entsprechende Hilfe und Unterstützung leisten zu können [4].

Die Bundesrepublik Deutschland trat der ICAO am 8. Juni 1959 bei und übernahm dadurch auch die Verpflichtung, die ICAO-Forderungen zu erfüllen. Diese waren die Aufteilung des Hoheitsgebiets über Land und über den der deutschen Flug-sicherung zugeteilten Seegebieten in einen oder mehrere -Search-and-Rescue (SAR)-Bereiche, die Einrichtung von SAR-Leitstellen sowie die Zuordnung von SAR-Mitteln ersten Grades, also geeigneten Such und Rettungsmitteln, die ausschließlich für diese Aufgabe vorgesehen waren (Flugzeuge, Hubschrauber). Letztere müssen mit hierfür besonders ausgebildetem und erfahrenem Personal besetzt werden [4].

SAR-Dienst
Den Such- und Rettungsdienst – oder SAR–Dienst – im Bundesgebiet und in den der Bundesrepublik Deutschland durch ICAO-Regionalplan für die Flugsicherung zugewiesenen Seegebieten der Nord- und Ostsee führen das Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) und das Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Stadtentwicklung (BMVBS) mit ihren dafür vorgesehenen Einrichtungen für alle Luftfahrzeuge gemeinsam durch [4].

Im Rahmen des Zuständigkeitsbereiches des BMVg wurde ein militärischer SAR-Dienst etabliert. Aufgabe dessen ist die Unterstützung der eigenen und verbündeten Streitkräfte im Frieden, in Krisen und im Krieg bei besonderen Notfällen wie der Lebensrettung [4]. Darüber hinaus übernimmt der militärische SAR-Dienst Aufgaben des nationalen Such- und Rettungsdienstes bei Luft- und Seenotfällen. In der Folge baute die Bundeswehr im Jahr 1959 die ersten Luftrettungs- und Verbindungsstaffeln auf. Die ersten Standorte hierfür waren Faßberg, Lechfeld und Fürstenfeldbruck [5].

In den Anfangsjahren wurde das zivile Rettungsdienstsystem nur in dringenden Notfällen durch den militärischen SAR-Dienst unterstützt (Abbildung 2). Im Zuge der Zunahme der Verkehrsunfälle in Deutschland in den 50er und 60er Jahren kam es anlässlich des Pfingstreiseverkehrs 1960 erstmals zur Abstellung eines Bundeswehrhubschraubers an der Autobahn [6].

Am 2. November 1971 wurde daraufhin das erste „Testrettungszentrum“ am Bundeswehrkrankenhaus Ulm etabliert [7]. Hintergrund war der „Verkehrspolitische Bericht“ der Bundesregierung von 1970, der zu der Feststellung führte, dass sich der Sanitätsdienst der Bundeswehr an bestimmten und auszuwählenden Schwerpunkten am zivilen Rettungsdienst beteiligen sollte [7]. Parallel hierzu entwickelte sich die zivile Luftrettung in Deutschland, so dass heute ein flächendeckendes Netz besteht.

Die SAR-Mittel werden von zwei militärischen SAR-Leitstellen geführt. Die zur Marine gehörende SAR-Leitstelle für die Seegebiete befindet sich in Glückburg, die bis 2013 luftwaffen- und ab da heeresgeführte in Münster. Ihre Aufgaben sind die Planung, Leitung, Koordinierung und der Abschluss von SAR-Aufgaben [4].

Die SAR-Leitstelle Glücksburg kann auf Ressourcen des Marinefliegergeschwaders 5 in Nordholz sowie auf die SAR-Kommandos auf Helgoland und in Warnemünde zurückgreifen. Die SAR-Leitstelle in Münster wiederum auf das Transporthubschrauberregiment 30 Niederstetten mit den SAR-Kommandos in Landsberg (SAR 56 und 58), in Nörvenich (SAR 41) und in Holzdorf (SAR 87) [5].

Die Rolle der Bundeswehr in der Entwicklung der Luftrettung in Deutschland
Der erste Rettungshubschrauber „Christoph 1“ wurde am 1. November 1970 in München durch den Allgemeinen Deutschen Automobilclub (ADAC) in Dienst gestellt [6]. Nach Feststellung der Beteiligungsabsicht des Sanitätsdienstes durch den verkehrspolitischen Bericht 1970 war Oberstarzt Prof. Dr. med. F. W. Ahnefeld mit dem Aufbau des Testrettungszentrums Ulm beauftragt worden [7]. Ahnefeld war zu diesem Zeitpunkt Leiter des Departments für Anaesthesiologie und Dekan der Universitätsklinik Ulm und gleichzeitig Chefarzt des im Aufbau befindlichen Bundeswehrkrankenhauses (BwKrhs) in Ulm. Schon damals erkannte er die hervorragenden Möglichkeiten, Ärzte und Sanitäter der Bundeswehr durch die arbeitstägliche Praxis im Rettungs- und Notarztdienst auszubilden und in Übung zu halten. Somit war der SAR 75 am Testrettungszentrum Ulm der zweite dauerhaft besetzte Rettungshubschrauber in Deutschland. Von Beginn an bildeten Soldatenpatienten die Ausnahme, und die Besatzung des militärischen Rettungshubschraubers stand fast ganz im Dienste der Zivilbevölkerung.

Aufgrund der positiven Erfahrungen aus Ulm und des Bedarfes an notfallmedizinischer Versorgung bundesweit wurden weitere notärztlich besetzte Luftrettungszentren an folgenden Standorten etabliert [5]:

  • SAR 75 in Ulm (1971),
  • SAR 73 in Koblenz (1973),
  • SAR 71 in Hamburg (1973),
  • SAR 74 Nürnberg (1974),
  • SAR 72 in Würselen (1974),
  • SAR 76 in Rheine (1982),
  • SAR 93 in Neustrelitz (1996).

Darüber hinaus waren nicht ständig arztbesetzte SAR-Hubschrauber an folgenden Standorten eingesetzt:

  • SAR 41 in Nörvenich,
  • SAR 46 in Pferdsfeld/Malmsheim,
  • SAR 51 in Manching/Ingolstadt,
  • SAR 61 in Bremgarten,
  • SAR 89 in Erfurt,
  • SAR 56 und 58 in Landsberg.

Dadurch wurde der Sanitätsdienst der Bundeswehr integraler Bestandteil des zivilen Rettungswesens [7]. Alleine der SAR 75 flog im Zeitraum seit Indienststellung bis zum Betreiberwechsel im Frühjahr 2003 über 24 000 Einsätze.

Änderung der rechtlichen Grundlagen
Im Jahr 1996 machten die Vorgaben des europäischen Luftrechts JAR OPS 3[1] die Einführung neuer Hubschraubertypen bis 2009 notwendig. Die bis dato in der Luftrettung genutzten Hubschraubertypen BO 105, Bell 202 beziehungsweise die militärische Version der Bell 202, die Bell UH-1D, genügten mit einem einzelnen Triebwerk nicht mehr den Anforderungen. Seither werden überwiegend die Typen Eurocopter EC 135, EC 145, BK 117 sowie die Bell 412 in der deutschen Luftrettung eingesetzt [9]. Im Rahmen der Umstellung der Hubschraubertypen zog sich die Bundeswehr fliegerisch aus der zivilen Luftrettung zurück und erfüllt seither wieder die originären SAR-Aufgaben über die beiden Leitstellen in Glücksburg und Münster und deren SAR-Kommandos in Helgoland, Warnemünde, Landsberg, Nörvenich und Holzdorf.

Zivil-öffentliche-militärische Kooperationen
Um die medizinischen Teams weiter durch die arbeitstägliche Routine in der Luftrettung für die sanitätsdienstlichen Aufgaben in den Auslandseinsätzen zu schulen, wurden an den betroffenen BwKrhs Kooperationsverträge mit zivilen gemeinnützigen sowie öffentlichen Betreibern geschlossen.

Seit 2003 wird zum Beispiel in Ulm in Kooperation mit der ADAC Luftrettung gGmbH geflogen. Dabei werden das Fluggerät, die medizinische Ausstattung und die Piloten vom ADAC gestellt, Rettungsassistent und Notarzt von der Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin des Bundeswehrkrankenhauses (Abbildung 3 und 4).

In ähnlicher Zusammensetzung erfolgen die Kooperationen auch an den anderen an der Luftrettung beteiligten BwKrhs. In Koblenz werden Rettungshubschrauber (RTH) und Pilot vom ADAC, in Hamburg vom Bundesamt für Zivilschutz und Katastrophenhilfe (BBK) gestellt; das medizinische Personal kommt weiterhin von den Anästhesieabteilungen der BwKrhs. Der Rettungsassistent, in der Luftrettung aufgrund des erweiterten Aufgabenspektrums auch als HEMS (Helicopter Emergency Medical Services)-Crew-Member bezeichnet, übernimmt hierbei zusätzliche Aufgaben im fliegerischen Bereich. Wie alle Rettungshubschrauber in Deutschland haben diese den zivilen Funk-rufnamen „Christoph“ bekommen. Nun retten am BwKrhs Ulm Christoph 22, am BwZKrhs Koblenz Christoph 23 und am BwKrhs Hamburg Christoph 29.

Bedeutung der Luftrettung für die Patientenversorgung

Der initiale Gedanke zum Aufbau eines Luftrettungssystems in Deutschland war die zeitkritische Traumaversorgung; aber schon bald wurde das Spektrum erweitert, so dass die Einsatzbereiche der RTH heute vielfältig sind, und auch internistische, neurologische sowie pädiatrische Patienten zeitkritisch versorgt werden.

Dabei erfüllen die RTH aus einsatztaktischer Sicht zwei Aufgaben. Zum einen sind sie schneller Notarztzubringer, zum anderen erfüllen sie eine wichtige Transportfunktion [9]. Ein RTH soll bei

  • bestehender Notarztindikation und nicht verfügbarem Bodennotarzt,
  • nicht möglicher Einhaltung der Hilfsfrist durch den bodengebundenen Notarzt oder
  • bei medizinisch relevantem Zeitvorteil seitens des RTH

zum Einsatz kommen [9]. Im ländlichen Raum ist der Notarztmangel deshalb ein häufiger Grund für den Einsatz eines RTH [10]. Als Transportmittel hat der RTH seinen Stellenwert, wenn ein bodengebundener Transport medizinisch kontraindiziert ist oder deutliche gesundheitliche Nachteile mit sich bringen würde, der Patient schnellstmöglich transportiert werden muss oder der bodengebundene Notarzt durch die Begleitung des Transportes unvertretbar lange vom Standort abwesend wäre [9]. Im Falle der Traumaversorgung bedeutet dies den raschen Transport des Patienten von der Notfallstelle in ein überregionales Traumazentrum [10]. Dank moderner GPS-Ortungssysteme, wie zum Beispiel RescueTrack©, ist es den Rettungsleitstellen möglich, sämtliche RTH in ihrem Verantwortungsbereich zu orten und zeitkritisch einzusetzen [9].

Frink et al befassten sich 2007 anhand von Daten des Traumaregisters der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (TR-DGU) mit der Frage, ob sich der Einsatz der RTH durch das schnellere Erreichen des Patienten und durch die damit bedingte Verkürzung der Prähospitalphase positiv auf das Überleben der Patienten auswirkt. In der Untersuchung zeigte sich, dass der RTH signifikant später als das bodengebundene Notarzt-Einsatz-Fahrzeug (NEF) am Einsatzort eintraf (18:18 min versus 14:33 min) und dass die Verweilzeit des Luftrettungsteams am Einsatzort länger war (26:26 min versus 22:29 min) [11]. Die längere Verweilzeit am Unfallort erklärt sich allerdings durch eine deutlich höhere Rate an invasiven Interventionen am Unfallort, wie beispielsweise Narkose und endotracheale Intubation oder die Anlage einer Thoraxdrainage durch den RTH-Notarzt. Schließlich ergibt sich, trotz der späteren Eintreffzeit und der längeren Verweildauer, ein signifikanter Überlebensvorteil für schwerverletzte Traumapatienten: Die von einem RTH-Team versorgten Patienten wiesen eine Letalität von 34,9 % im Vergleich zu 40,1 % der von einem NEF-Team versorgten Patienten auf [11]. Weitere Untersuchungen haben sich mit diesem Überlebensvorteil befasst [12, 13, 14]: Als wesentlicher, für das Outcome relevanter Faktor zeigte sich die Auswahl eines Traumazentrums als Zielklinik. Hesselfeldt und Kollegen konnten in Dänemark eine Reduktion der Zeitspanne zwischen Unfallereignis und Erreichen der „Definitive Care“- Ebene bei Schwerverletzten von 218 min auf 90 min durch den Einsatz eines RTH verzeichnen [15]. Insgesamt beschreiben sie eine Reduktion der Mortalität bei Patienten mit einem Injury Severity Score (ISS) >15 von 29 % auf 14 % durch den RTH-Einsatz [15]. Ausschlaggebend für diesen Überlebensvorteil scheint die größere Erfahrung der RTH-Notärzte zu sein, da diese nach einer Untersuchung von Gries et al. häufiger mit komplexeren Notfallsituationen konfrontiert sind [16] und entsprechend mehr Routine aufweisen. Dies gilt insbesondere für Anästhesisten, die nicht nur aus dem Notarztdienst, sondern aus ihrer arbeitstäglichen Routine im Operationssaal und auf der Intensivstation die notwendigen invasiven Techniken zur Bewältigung komplexer und vitalbedrohlicher Notfallsituationen (Atemwegsmanagement, Thoraxentlastung, Analgosedierung und Narkose) beherrschen.

Einerseits profitieren die zivilen Notfallpatienten von dieser Routine der auf den Rettungshubschraubern eingesetzten Bundeswehr-Anästhesisten, andererseits gewinnen gerade diese Anästhesisten durch ihren täglichen Einsatz im zivilen Rettungsdienst die notwendige Expertise für die Bewältigung schwierigster notfallmedizinischer Situationen auch im militärischen Auslandseinsatz.

Neben der Traumaversorgung hat die Luftrettung auch bei anderen Krankheitsbildern ihren Stellenwert. So konnte beim akuten Koronarsyndrom eine Verbesserung der leitliniengerechten Behandlung durch den Hubschraubereinsatz gezeigt werden [17, 18]. Eine österreichische Forschergruppe um Reiner-Deitemeyer konnte bei der Diagnose „Stroke“ zeigen, dass die kürzesten Zeiten vom Symptombeginn bis zum Erreichen des Krankenhauses bei direkter Versorgung und Transport durch einen RTH erreicht werden konnte [19]. Auch bei den Sekundärverlegungen von Strokepatienten gewinnt der Transport mit dem Hubschrauber an Bedeutung [20]. Insgesamt kann festgestellt werden, dass die Verlegungszeiten durch den Einsatz eines Luftrettungsmittel signifikant kürzer sind [21].

Status quo
Heute besteht ein flächendeckendes Luftrettungsnetz in Deutschland mit etwa 80 Luftrettungsstationen. Der routinemäßige Einsatzradius beträgt 50 - 80 km. Die meisten Rettungshubschrauber sind täglich von 07:30 Uhr bis Sonnenuntergang im Dienst. Die Intensivtransporthubschrauber, die in der Regel dem Sekundärtransport von Patienten dienen, sind meist rund um die Uhr einsatzbereit. Einschränkungen der Einsatzfähigkeiten sind überwiegend witterungsbedingt, da nach Visual Flight Rules (Sichtflugbedingungen) geflogen wird.

An den Luftrettungseinsätzen der bundesweit rund 80 Stationen war die Bundeswehr im Jahr 2014 mit ihren Rettungshubschrauberstationen Christoph 22, 23 und 29 und den verbliebenen SAR-Kommandos maßgeblich beteiligt.

2014 wurden in Koblenz 1 690 mit dem Christoph 23 sowie mit dem Christoph 22 in Ulm 1 539 Einsätze der deutschlandweiten 52 577 ADAC-RTH-Einsätze geflogen [22]. Christoph 29 am BwKrhs Hamburg absolvierte in 2013 sogar 1 858 Einsätze [23]. Die SAR-Hubschrauber flogen 2013 370 Einsätze mit 600 Flugstunden [24].

Dabei gehören zum Aufgabenspektrum der RTH, neben der Primärrettung, auch immer wieder dringende Sekundärtransporte kritisch kranker, schwerverletzter und vital bedrohter Patienten. Bodengebunden werden solche Transporte von speziell ausgestatteten Intensivtransportwagen (ITW) durchgeführt. Solche Fahrzeuge sind an allen BwKrhs stationiert und werden ähnlich wie die RTH durch die Abteilungen für Anästhesiologie und Intensivmedizin ärztlich und pflegerisch besetzt. Auch hier ergibt sich, ähnlich wie bei der Hubschrauberrettung, ein positiver Effekt für die Aus- und Weiterbildung sowie den Kompetenzerhalt hinsichtlich der Repatriierung im Auslandseinsatz verletzter oder erkrankter Soldaten durch anästhesiologische Teams der Bundeswehr.

Weltweite Einsätze

Seit Anfang der 1990er Jahre ist die Bundeswehr in weltweiten Auslandseinsätzen vertreten. Der erste Einsatz fand als humanitärer Einsatz unter einem Mandat der Vereinten Nationen in Kambodscha statt. Im Rahmen der Veränderung der Auftragslage ist die Bundeswehr seither an zahlreichen Orten der Welt im Einsatz. Dies machte es nötig, nicht nur in den Einsatzländern eine qualifizierte Versorgung von Erkrankten und Verwundeten in entsprechenden medizinischen Einrichtungen (Role 1 bis Role 3) zu gewährleisten, sondern diese erforderlichenfalls auch zeitnah unter adäquaten medizinischen und vor allem intensivmedizinischen Bedingungen zur weiteren Versorgung nach Deutschland zu repatriieren.

Der Transport der häufig vital gefährdeten Patienten erfordert sowohl eine beständig dem (zivilen) Inlandsstandard anzupassende medizintechnische Ausstattung der militärischen Luftfahrzeuge, als auch entsprechend qualifiziertes intensivmedizinisches Begleitpersonal, welches wiederum von den Abteilungen für Anästhesiologie und Intensivmedizin der BwKrhs gestellt wird. [25].

Hinter dem Begriff AirMedEvac verbirgt sich die Evakuierung beziehungsweise der Transport von Patienten unter medizinischer Betreuung auf dem Luftweg.

Militärisch unterscheidet man dabei drei (aufeinanderfolgende) Phasen [25]:

  • Foreward AirMedEvac: Patiententransport von der Schadensstelle zur ersten medizinischen Versorgung innerhalb des Einsatzgebietes,
  • Tactical AirMedEvac[2]: Weitertransport der Patienten zu einer höherwertigen medizinischen Versorgungsebene oder zu einem Flugplatz, von dem ein Anschlusstransport mit Mitteln des Strategic AirMedEvac möglich ist, und
  • Strategic AirMedEvac: (Langstrecken-)Transport von Patienten aus dem Einsatzgebiet zur definitiven Versorgung im Heimatland.

Foreward AirMedEvac entspricht im Wesentlichen der Primärrettung im notfallmedizinischen Sinne [25], jedoch mit wesentlichen einsatztaktischen Besonderheiten im Vergleich zum zivilen System. Hier liegt der Schwerpunkt auf lebensrettenden Sofortmaßnahmen und gegebenenfalls zügiger Evakuierung bei bestehender Eigengefährdung, zum Beispiel bei Kampfhandlungen.

Tactical und Strategic AirMedEvac entsprechen im Wesentlichen dem Sekundärtransport in eine Einrichtung höherer Versorgungsstufe. Dieses kann zum Beispiel eine Role 3-Einrichtung zur klinische Akutversorgung im Einsatzland oder eine Role 4-Einrichtung zur abschließenden klinischen Versorgung im Heimatland im Sinne eines BwKrhs sein.

Für die Durchführung derartiger MedEvac-Einsätze, sowohl für den einzelnen Patienten, als auch für den Massenanfall, stehen der Bundeswehr verschiedene Luftfahrzeuge sowie speziell geschultes medizinisches Personal zur Verfügung [25].

Die Dringlichkeit der Medical Evacuation ist im Wesentlichen vom Erkrankungs- oder Verletzungsbild des Patienten abhängig und wird von den behandelnden Sanitätsoffizieren vor Ort festgelegt. Bei kritisch Kranken[3] ist es das Ziel, den Patienten innerhalb von 24 bis 48 Stunden nach Trauma oder Erkrankungsbeginn in eine endgültige Versorgungseinrichtung in Deutschland zu verbringen. Diese ist in der Regel ein BwKrhs.

Für Foreward AirMedEvac stehen der Bundeswehr je nach Einsatzland die Hubschrauber Sikorsky CH-53 (Abbildung 5a/5b) oder Eurocopter NH-90 (Abbildung 6) zur Verfügung. Im Rahmen der internationalen Kooperation stützt sich die Bundeswehr auch häufig auf die Ressourcen anderer Nationen ab. Als Beispiel sind hier die „Black Hawks“ UH-60 der US-amerikanischen Streitkräfte zu nennen.

Beim Tactical AirMedEvac kommen der Hubschraubertyp CH-53 und die Transall C-160 (Abbildung 7a/7b) zum Einsatz.

Die Flüge im Rahmen des Stategic AirMedEvac werden je nach zurückzulegender Distanz und Patientenzahl mit den Flugzeugtypen Transall C-160, Airbus A 310 und Airbus A 319 durchgeführt (Abbildung 8 und 9). Bis November 2011 war auch die Challenger C-601 im Einsatz.

In jedem der Luftfahrzeuge für Strategic AirMedEvac können Patienten unter intensivmedizinischen Bedingungen, wie sie auch auf Intensivstationen in Deutschland vorzufinden sind, transportiert werden. Zu diesem Zweck werden bei der Luftwaffe für die Luftfahrzeuge sogenannte Patienten-Transport-Einheiten (PTE) vorgehalten. Die PTE ist eine einheitlich ausgestattete Behandlungseinheit für intensivpflichtige Patienten, die als gesamte Einheit in kurzer Zeit in die entsprechenden Luftfahrzeuge eingerüstet werden kann. Ihre Ausstattung erfüllt die Anforderungen eines modernen Intensivarbeitsplatzes im Inland. Dementsprechend gelten für das dort tätige Personal hohe Anforderungen an die fachliche Qualifikation sowie die militärisch-fliegerische Ausbildung. Wesentliche fachliche Kriterien sind auch hier die qualifizierte notärztliche und intensivmedizinische Ausbildung der Anästhesisten und Pflegekräfte, ergänzt durch Kenntnisse der Flugphysiologie und deren -Auswirkung auf den Intensivpatienten. Insbesondere beim -Foreward-AirMedEvac und beim Tactical AirMedEvac in Krisen- und Kriegsgebieten sind die einsatztaktischen und militärischen Aspekte von wesentlicher Bedeutung.

Die bekanntesten militärischen StratAirMedEvac-Einsätze sind sicherlich der Einsatz in Kabul nach einem Anschlag auf einen Bus deutscher ISAF-Kräfte 2003 oder der Einsatz nach den Karfreitagsgefechten nahe Kunduz 2010. Daneben gab es jedoch zahlreiche Einsätze, die zum Teil lebensbedrohlich erkrankte oder verletzte Kameraden sicher nach Hause brachten. Dabei wurden nicht nur Angehörige der Bundeswehr transportiert, sondern auch der NATO-Bündnisstaaten.

Auch wenn die Luftrettungsmittel für AirMedEvac ursprünglich für den militärischen Einsatz aufgestellt wurden und in diesem Zusammenhang regelmäßig zum Einsatz kommen, so stehen diese im Großschadens- oder Katastrophenfall nach Anforderung und Prüfung durch das BMVg auch für den zivilen Bereich zur Verfügung, so zum Beispiel bei der Evakuierung Dresdener Kliniken auf Grund des Elbe-Hochwassers. Bei -diesem Einsatz wurden mit mehreren Luftfahrzeugen der -Bundeswehr kritisch kranke Patienten der Universitätsklinik und des Herzzentrums Dresden auf aufnehmende Kliniken in ganz Deutschland verteilt. Über die deutschen Grenzen hinaus wurden für zivile Zwecke die Luftrettungsmittel des -StratAirMedEvac zum Beispiel im Rahmen der Repatriierung deutscher Touristen nach dem Brandanschlag auf die Synagoge in Djerba 2002, nach dem Busunfall eines deutschen Reiseunternehmens in Mexiko oder nach der Tsunamikatastrophe in Südostasien 2004 eingesetzt.

Auch im Intensivtransport ergibt sich die gleiche Synergie wie in der Luftrettung: Zivile Patienten profitieren von der Profes-sio-nalität der Anästhesisten und Rettungsassistenten der Bundeswehr, und diese wiederum erhalten ihre Routine für den militärischen Einsatz („Kompetenzerhalt“).

Fazit

Seit 56 Jahren engagiert sich die Bundeswehr in der luftgestützten Patientenversorgung. Im Laufe der Jahre war sie maßgeblich an der Weiterentwicklung einer hochqualifizierten Patientenversorgung in der prähospitalen Notfallmedizin und im Intensivtransport beteiligt

Damit ist die Bundeswehr ein hochqualifizierter, verlässlicher Partner und Leistungserbringer auf dem Gebiet der luftgestützten Patientenversorgung innerhalb der NATO und ebenso für zivile Mitbürger in den verschiedenen Einsatzbereichen.

Dies gilt es auch in Zukunft durch beständiges Streben nach Optimierung der fachlichen, personellen, militärischen und materiellen Bedingungen und Expertise zu gewährleisten. Durch die Teilnahme an der zivilen notfallmedizinischen Patientenversorgung steigern die Anästhesieabteilungen die Außenwirkung der Bundeswehr und die Anerkennung in der Bevölkerung; gleichzeitig profitieren im Einsatz verwundete, verletzte oder erkrankte Soldaten von der Routine der im zivilen Rettungsdienst eingebundenen Anästhesisten, Fachkrankenpfleger Intensivpflege/ Anästhesie und Rettungsassistenten.

Kernaussagen

  • Die Bundeswehr ist seit den 50er Jahren an der luftgestützten Patientenversorgung in Deutschland beteiligt und hat diese maßgeblich entwickelt.
  • Personal der Bundeswehrkrankenhäuser ist fester Bestandteil der heutigen flächendeckenden Luftrettung in Deutschland.
  • Von Kompetenzerwerb und -erhalt durch die Teilnahme von Anästhesisten und Rettungsassistenten der BwKrhs an der zivilen Luftrettung profitieren auch die Soldatinnen und Soldaten im Einsatz.
  • AirMedEvac auf allen Ebenen der sanitätsdienstlichen Einsatzversorgung leistet einen wesentlichen Beitrag für die erfolgreiche medizinische Behandlung von Patienten mit Einsatzverwundungen.

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[1] JAR OPS 3 = Joint Aviation Requirements Operations Band 3; europäische Luftfahrtvorschrift, die den Flugbetrieb mit Hubschraubern und die technischen Anforderungen an diese regelt.

[2] Je nach Lage kann auch die direkte Weiterleitung eines Patienten aus dem Forward AirMedEvac (nach Versorgung in der entsprechenden Role 2/3 Einrichtung) mit Strategic AirMedEvac erfolgen.

[3] Unter dem Begriff „Kranke“ werden hier Erkrankte, Verletzte und Verwundete subsummiert.

Datum: 13.01.2016

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