01.10.2010 •

SANITÄTSOFFIZIER MIT HERZ UND VERSTAND

Der wohl bekannteste deutsche Arzt, Professor Dietrich Grönemeyer, hat kürzlich gesagt, dass es „Kopf und Herz, Wissen und Vernunft, Leidenschaft und Mut“ braucht, „um das Leben verantwortlich zu leben. Darin liegt die Kunst zu leben, und auch die Kunst, seine Berufung zu leben. Hierin liegt auch ein Sinn des eigenen Lebens und der ganz besondere Beitrag eines jeden Menschen zur Gemeinschaft aller in dieser Einen Welt.“ Insbesondere in Zeiten des Wandels wie der Transformation der Bundeswehr und der Weiterentwicklung des Sanitätsdienstes brauchen wir also Mut, uns selbst und unser ganzes Persönlichkeitspotenzial einzubringen.

Es geht darum, unsere Zeit mit Inhalt zu füllen, sich zu freuen an dem, was man tut, und sich damit zu identifizieren. Und dabei nicht das Wesentliche aus dem Blick zu verlieren. Es gilt, die eigene Individualität zu stärken und sie einzubringen in die soldatische und soziale Gemeinschaft. Und wir sind selber verantwortlich für die Prioritäten, die wir setzen.

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Dabei lassen sich bei allen Unterschieden in der Schwerpunktsetzung die von einem Arzt und Offizier in der Ausübung seines Berufes zu erwartenden Kenntnisse, Fähigkeiten und Haltungen auf wenige zentrale Punkte reduzieren, die unabhängig von den jeweiligen politischen oder gesellschaftlichen Bedingungen Gültigkeit haben, unter denen die Tätigkeit stattfindet. Auf einen Nenner gebracht sind es die Anforderungen, die an Angehörige jedes Berufsstandes gestellt werden, die ihre Tätigkeit mit Hingabe, kompetent und an moralischen Prinzipien orientiert ausführen. Die Besonderheiten für den Arzt und Offizier ergeben sich dabei aus seinen Aufgaben gegenüber dem Patienten und gegenüber der Bundeswehr als Ganzem.
Wesentliche Grundlage und Aufgabe der ärztlichen Tätigkeit ist der Einsatz für das Wohl des Patienten. Dabei soll die Arzt-Patienten- Beziehung stets der Situation angemessen und professionell gestaltet werden. Erwartet wird ein altruistischer Einsatz für die Hilfesuchenden, bei dem das Interesse der Patienten im Mittelpunkt unseres Handelns steht. Um der Aufgabe gerecht zu werden, gilt es, eine professionelle Kompetenz zu entwickeln. Dieses gründet in den wissenschaftlichen Grundlagen für das ärztliche Handeln. Das in der Ausbildung erworbene Wissen und die erlernten Fähigkeiten sind durch lebenslanges Lernen an den wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn anzupassen. Beim Einsatz neuer Erkenntnisse im ärztlichen Handeln hat die Sicherheit des Patienten im Mittelpunkt zu stehen. Die Qualität der Patientenversorgung ist durch Zusammenarbeit mit den Angehörigen anderer Gesundheitsberufe zu optimieren. Diese Kooperation soll ebenso wie die mit ärztlichen Kolleginnen und Kollegen im Sinne der Hilfesuchenden und unter gegenseitigem Respekt erfolgen. Das Bekenntnis zu unserem Beruf Arzt und 
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Offizier ist sozusagen das moralisch-ethische Fundament unseres Denken und Handels. Es gibt zugleich der inneren Stimme unseres Gewissens eine klare Weisung. So binden wir uns selbst an bestimmte Charaktereigenschaften bzw. Tugenden, auf die ich im Folgenden näher eingehen möchte. Dabei ist die persönliche Grundhaltung, Überzeugung, Welt- und Menschenbild, Glaube, Verantwortung und Gewissen von herausragender Bedeutung. Denn unstrittig wird vom Arzt erwartet, bereit zu sein, auf die Gefühlswelt ebenso wie auf religiöse und kulturelle Grundeinstellungen seiner Patienten Rücksicht zu nehmen. Unter diesen Voraussetzungen wird der Arzt kommunikativer Partner und Berater zugleich, dem leichter Vertrauen entgegengebracht werden kann und der damit selbst therapeutische Wirkung ausübt. (Abb. 3) Neben dem Erwerb von Kenntnissen bilden die Anforderungen an die Fertigkeiten ebenso wie an professionelles Handeln beziehungsweise an die Persönlichkeit einen bedeutenden Teil des Berufsbildes. Es kommt also darauf hin, künftig den individuellen Aspekt der Persönlichkeitsentwicklung stärker zu berücksichtigen. (Abb. 4)

Einige meiner Ansicht nach wichtige moralische Tugenden bzw. kommunikative und soziale Kompetenzen sind demnach:

- Integrität, Ehrlichkeit, Vertrauenswürdigkeit,
- Bekenntnis, gute praktische Tätigkeit auszuüben, Streben nach Qualität,
- kritische und selbstkritische Fähigkeiten, besonnene Berufsausübung,
- mitmenschliche Fürsorge, Mitgefühl, Empathie,
- Kreativität,
- Initiative, Mut, Wille zum Erfolg,
- Kontaktfähigkeit.

Professionelles Arbeiten beinhaltet dabei die Fähigkeit:

- eigene Grenzen zu erkennen und ggf. um Unterstützung/Hilfe zu bitten,
- allein zu arbeiten, falls nötig,
- Probleme zu lösen,
- Entscheidungen zu fällen,
- loyal und rücksichtsvoll in einem multidisziplinären Team zu arbeiten,
- mit Experten anderer Disziplinen zu kommunizieren bzw. zu kooperieren,
- andere zu führen,
- sich auf neue Situationen einzustellen,
- zu organisieren und zu planen.(Abb. 5)

Die intellektuellen Tugenden listet Thomas von Aquin – Aristoteles folgend – so auf:

- Weisheit,
- Wissenschaft,
- Kunst,
- Verstehen,
- Klugheit.

Besonderer Nachdruck wird dabei auf letztere, d.h. die praktische Weisheit gelegt. Sie führt den Verstand zu den anderen Tugenden hin. Und sie gewährleistet das Verschmelzen des technisch Korrekten und moralisch Guten zur Einheit – so Aristoteles – ich zitiere „...weil die Willenswahl ohne Klugheit und ohne Tugend nicht recht geraten kann. Diese lässt uns das Ziel bestimmen, jene die Mittel dazu gebrauchen“. (Abb. 6)
Der militärärztliche Beruf lebt aus dem Spannungsfeld Arzt und Offizier. Er erfährt durch diese beiden Kristallisationspunkte letztlich auch seine Sinngebung. Jeder einzelne von uns sollte diese Polarität akzeptieren und sich selbstbewußt dazu bekennen. Innerhalb der soldatischen Gemeinschaft beruhen unser Ansehen und unsere Autorität schließlich auf der fachlichen Qualifikation des Arztes, des Zahnarztes, des Apothekers und des Veterinärs sowie auf der Fähigkeit, diese im militärischen Bereich zur Wirkung zu bringen.
Der Arzt und Offizier ist somit

- Bürger der Bundesrepublik Deutschland, der sich nachdrücklich für die Verwirklichung und die Verteidigung der zentralen Werte unseres demokratischen Staates, nämlich der Würde des Menschen, seines Rechts und seiner Freiheit, einsetzt,
- Offizier, der auf dem Boden einer umfassenden Erziehung, Bildung und Ausbildung zu präzisem, analytischem Denken geschult und in der Lage ist, auch in schwierigen Situationen Menschen auftragsgemäß zu führen,
- Arzt, der fachlich besonders qualifiziert, mit hohem sittlichem Anspruch, stets auf das Wohl seiner ihm anvertrauten Patienten bedacht ist, im Sinne seiner Humanität, die sich auf eine philosophisch-ganzheitliche Sicht vom Menschen gründet.

Der Arzt und Offizier muss daher die schwierige Gratwanderung an der Schnittstelle zwischen individueller Fürsorge und Interessen der Gemeinschaft bestehen, als Person des Vertrauens sowohl seiner Patienten, deren Arzt er ist, wie seiner militärischen Vorgesetzten, die er fachlich zu beraten hat, sowie als Führer, Ausbilder und Vorgesetzter seines Sanitätspersonals.
Meine These ist, dass wir zum moralischen Herz und zum Wesentlichen unseres Berufs zurückfinden müssen. Arzt und Offizier sein heißt nicht, Privilegien in Anspruch zu nehmen, sondern vielmehr für das Wohl anderer moralisch Verantwortung zu übernehmen. Mit der Frage „Kann ich ihnen helfen?“ verspreche ich, dass ich kompetent bin, und über Kenntnisse verfüge, die die gewünschte Hilfe gewährleisten können. Ich lade den Patienten ein, mir zu vertrauen. Mir darin zu vertrauen, sowohl dass ich imstande bin, ihm zu helfen, als auch, dass ich diese Kompetenz nur zu seinem Wohl einsetze. So nimmt es der Patient entgegen, und darin liegt der Kern des Bekenntnisses zu unserer Profession, zu unserem Beruf als Arzt und Offizier. In diesem Bekenntnis ist bereits die Selbstverpflichtung zu bestimmten Verhaltensweisen enthalten. (Abb. 7)

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Das Wissen um die Leistungsfähigkeit unseres modernen Sanitätsdienstes und die Befähigung, zugeschnitten auf die wehrmedizinischen Grundsätze dem Wohl von Kranken,Verletzten und Verwundeten nach besten Kräften zu dienen und die Maßnahmen für diese so zu gestalten, dass sie den militärischen Auftrag nicht beeinträchtigen sind die entscheidenden Voraussetzungen für die Erfüllung der dem Sanitätsdienst der Bundeswehr zugewiesenen humanitären Aufgabe. Ein so vorbereiteter Sanitätsdienst dokumentiert seine Bereitschaft in bester Form und wird eine angesehene Position wahren. Entscheidend ist letztlich die Identifikation mit dem Sanitätsdienst: das „Wir“- bzw. Zusammenhörigkeitsgefühl, wobei hierbei gerade in Zeiten des Wandels Aspekte wie gelungene Kommunikation, Dialog und Kooperation eine hohe Relevanz haben. So sollten alle Angehörigen des Sanitätsdienstes Hochachtung und Respekt vor der Tätigkeit des jeweils anderen aufbringen und die zu bewältigenden Aufgaben als gemeinsames Ganzes verstehen. Denn das müssen wir uns immer wieder bewußt machen, dass unser gemeinsamer Auftrag, der Gesunderhaltung der Truppe zu dienen, das Verbindende im Sanitätsdienst ist. Ich appeliere hier insbesondere auch an unsere jungen Kameraden. Die Erfahrenen sind stolz auf sie. Wir machen ihnen Mut, die Stafette von uns bewußt zu übernehmen mit Freude über das Erreichte, mit der Achtung vor der Leistung der Älteren, die die Saat für die Früchte von morgen gesät haben, mit dem optimistischen Feuer, das der Jugend eigen sein soll, aber auch mit der Heiterkeit, die einzig die Tugend ist, die befähigt, auch schwierige Zeiten mit Gelassenheit zu überwinden. (Abb. 9)
Machen wir unsere Arbeit mit Liebe und Hingabe! Nicht weil die Tätigkeit so toll ist, die Rahmenbedingungen optimal sind oder irgendeine von außen kommende Instanz gesagt hat, wie wertvoll die Aufgabe ist. Sondern ganz einfach darum, weil wir diese gewählt haben. Aus keinem anderen Grunde. Lieben wir was wir tun! Denn wahre Berufszufriedenheit ist gerade durch das Leben in der Berufung begründet. Jammern und nichts an der Sache tun, immer auf das zu starren, was fehlt – damit zieht man sich selbst herunter: Wer sich beschwert, macht sich schwer.
Tun wir das, was wir tun, also mit Begeisterung und Enthusiasmus. Sagen wir ein volles „Ja!“ zu unserem Handeln. Oder wir lassen es ganz. Wir haben die Wahl. Im London der frühen 70er Jahre konnte man auf T-Shirts diese Dreistufigkeit bündig zusammengefaßt lesen: „Love it, leave it or change it“. (Abb. 10) Ich wünsche uns allen daher Humor, Zuversicht, Optimismus und Vertrauen, und die Bereitschaft sich für unsere Werte und Visionen einzusetzen. Unser Beruf dient höheren Zielen. Nicht nur der Erwerb und die Sicherung des Lebensunterhalts stehen im Zentrum, sondern eine Berufung, die mit Selbstverpflichtung und Verantwortung verbunden ist. Was wir heute professionell nennen, ist eine systematische Umsetzung beruflicher Standards plus der besonderen Hingabe an den Dienst. Nehmen wir uns insbesondere auch vor, unsere Arbeitsplätze zu freundlichen, menschlichen, positiven, erhebenden, fürsorglichen, gesunden, kraftspendenden und belebenden Orten zu machen. Sorgen wir für eine Atmosphäre, in der Innovation und persönliche Kreativität blühen können. Sorgen wir für ein Klima der Begeisterung und der Flexibilität, ein Klima, in dem wir uns angeregt fühlen, so innovativ wie möglich zu sein, und unser Bestes zu geben. Und ein solches Arbeitsklima ist Wert schöpfend und somit Sinn-stiftend, weil es die menschlichen Ingredienzen für den Erfolg unseres Sanitätsdienstes bereitstellt. Dazu mein Appell: Jeder darf, kann, soll den Sanitätsdienst mitprägen. Leben und seien wir Sanitätsoffizier mit Herz und Verstand – intensiv, gegenwärtig und gemeinsam! Wann, wenn nicht jetzt!

Datum: 01.10.2010

Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2010/3

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