ICMM-Kongress zur Militärmedizinethik in der Schweiz
Vom 3. bis zum 5. Mai fand im schweizerischen Ermatingen der inzwischen achte „ICMM Workshop on Military Medical Ethics“ statt. Beim diesjährigen Kongress standen die „Ethics of Military Medical Innovation, Experimentation, and Enhancement“ im Focus.
Insbesondere das Human Enhancement mit immer mehr forcierten Ansätzen durch Fortschritte in Wissenschaft und Technik lässt sich als eine zukünftige Herausforderung für das militärische und zivile Gesundheitswesen identifizieren, wie hierdurch möglicherweise überhaupt auch die Art einer zukünftigen Kriegsführung beeinflusst werden könnte. Die verschiedenen Perspektiven, aus denen man sich der Thematik näherte, machten den Gedankenaustausch und die Diskussionen besonders fruchtbar.
Der Workshop wurde vom International Committee of Military Medicine (ICMM) in enger Zusammenarbeit mit der Direktion Sanitätsdienst der Schweizer Armee und dem Zentrum für Militärmedizinische Ethik in Zürich organisiert. Dr. Daniel Messelken, Leiter des „Center for Military Medical Ethics“ an der Universität Zürich, und Oberstleutnant Dr. David Winkler, Vorsitzender des „ICMM Center of Reference for Education on IHL and Ethics“, koordinierten das wissenschaftliche Programm. Das Format der ICMM-Konferenzreihe zur Militärischen Medizinethik und zum humanitären Völkerrecht bringt jährlich Referenten und Teilnehmer aus Wissenschaft und Praxis mit Expertise aus den Bereichen Militär, humanitäres Völkerrecht und Philosophie zusammen. Insgesamt 39 Gäste und Referenten aus der Schweiz, den USA, Kanada, Norwegen, Belgien, Frankreich, Israel, Australien, Großbritannien, Finnland, Kroatien, Ungarn und Deutschland nahmen in diesem Jahr teil.Zur Einführung gaben die Referenten einen historischen Überblick über den Einfluss kriegerischer Auseinandersetzungen bei der Implementierung von medizinischen Innovationen, z. B. bei der Behebung von LKGS-Spalten, und erläuterten das Spannungsfeld zwischen Innovation und Experiment mit der Frage, wo die ethische Grenze in Zeiten von Konflikten zu finden sei. Hierauf folgten Überlegungen zur Problematik des Einsatzes neuartiger Impfstofftechnologien verbunden mit informierter Einwilligung sowie zu ethischen und operativen Fragen im Zusammenhang mit Military Human Enhancement.
Der nachfolgende Vortragsblock thematisierte Prävention durch Innovation und Enhancement. Im Zusammenhang mit der experimentellen Nutzung von AI-gesteuerten Hirnimplantaten ergeben sich mannigfaltige ethische Fragen. Da solche Vorrichtungen insbesondere für psychiatrische Patienten entwickelt werden, sei beispielsweise problematisch, ob diese auch vollumfänglich im Sinne des Informed Consent in der Lage seien, an experimentellen Studien teilzunehmen. Weitere Anforderungen, Auswirkungen und Bedenken resultierend aus der Verwendung militärischer medizinischer Verbesserungen und autonomen Systemen mit künstlicher Intelligenz wurden ebenso diskutiert. Ferner erörterte man ethische Fragestellungen und rechtliche Bedenken bei der Modifikation von Erinnerungen in der PTBS-Behandlung von Soldaten, wie auch bei den sogenannten Left of Bang Interventions. „Left of bang“ bezeichnet die Zeit vor einer traumatischen Verletzung, wobei Interventionen auf eine Erhöhung der Überlebenschancen abzielen.
Im weiteren Vortragsteil reflektierten die Vortragenden philosophische Aspekte von Enhancement und medizinischen Experimenten im militärischen Kontext. Hier diskutierte man einen ethischen Vergleich von Supersoldaten und Super Agers, das Verhältnis von Patientenrechten, militärischer Notwendigkeit und medizinischer Verbesserung sowie die Auswirkungen der Pflicht, Befehle in Bezug auf medizinische Versorgung im Militär zu befolgen.
Darauffolgend beleuchteten die Referenten historische und ethische Aspekte von Forschung im militärischen und humanitären Kontext. Aufgezeigt wurde besonders das Experimentieren im Zusammenhang der Humanität. Die Verwendung von Wearables in der humanitären Hilfe und ein gewisser Technologieoptimismus sorgen hier für ethische Bedenken, ebenso wie das Experiment im Grenzbereich der humanitären Innovation. Ein weiteres Referat zeigte am Beispiel der Forschung am Menschen beim US-Militär rechtliche und ethische Überlegungen für das 21. Jahrhundert auf.
Zum Abschluss der Konferenz folgte ein Ausblick mit der Frage, ob es sich beim Enhancement um reine Science Fiction oder um die Realität der Zukunft handele. Ein Referent aus dem Sanitätsdienst der Bundeswehr und der Leiter der Lehr- und Forschungsstelle für Wehrmedizinische Ethik an der Sanitätsakademie der Bundeswehr beleuchteten die Thematik aus unterschiedlichen, aber komplementären Perspektiven. Oberstabsapotheker Dr. Frederik Vongehr referierte über die ethischen Implikationen von Military Human Enhancement im Spiegel der Literatur. Diese biete einen Vorgriff auf notwendige Diskurse über neu entstehende Dilemmata, die bei reiner Betrachtung des technologischen Ist-Zustandes nur schwer vorhersagbar seien. Science Fiction erweise sich hier als lohnendes medizinethisches Untersuchungsobjekt, indem es mögliche technische Entwicklungen vorwegnehme – oder auch eigenständige Hypothesen kreiere – und daraus entstehende ethische Implikationen skizziert. Oberfeldarzt d. R. Dr. Dr. Rupert Dirk Fischer sprach über philosophische Herausforderungen, die sich aus Human Enhancement, Transhuman Warfare und der Frage des Menschseins ergeben. Human Enhancement könne in einem militärischen Kontext nicht als getrennt von seinen allgemeinen Implikationen für den Menschen und die Gesellschaft gesehen werden. Ein Begriff wie „Transhuman Warfare“ sei als gedankliche Hilfestellung nutzbar, um die Bedeutung des Seins zu erforschen, wie auch die menschliche und die moralisch-philosophische Implikation des Enhancement in einem militärischen Kontext.
Der Inspekteur des Schweizerischen Sanitätsdienstes, Divisionär Andreas Stettbacher, konstatierte als einer der Schirmherren in seinem Schlusswort, dass die instruktiven Eindrücke und die wertvollen wie lebhaften Diskussionen des Kongresses zu diesem hochaktuellen Themenkomplex zeigen, dass ein Feld großer Herausforderungen und Aufgaben vor der Militärmedizin und Ethik liege.
Oberstabsapotheker
Dr. rer. nat. Frederik Vongehr
E-Mail: frederikvongehr@bundeswehr.org
Datum: 30.07.2018
Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2/2018