24.10.2016 •

Die posttraumatische Belastungsstörung bei der Bundeswehr

Ein Überblick

Aus dem Bundesministerium der Verteidigung

Risiko, Auftreten und Prävention
Die Soldaten der Bundeswehr haben in den Einsätzen dieser vergangenen 25 Jahre bewiesen, dass sie den an sie gestellten Anforderungen gerecht werden. Neben hervorragender Professionalität, technisch und taktisch einwandfreiem Verhalten und großem Wissensstand ist in den Situationen des Einsatzes auch eine ausgesprochene Rationalität unter Hintanstellung persönlicher Bedürfnisse, wie auch in anderen Fällen eine große Empathie mit Verständnis beispielsweise für die lokale Bevölkerung gefragt.

Gerade unter diesen Bedingungen des Einsatzes kann es aber nicht verwunderlich sein, dass je nach persönlicher Konstitution und den äußeren Umständen auch Belastungsgrenzen erreicht werden können, die vereinzelt im Krankheitsbild einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) münden

Die PTBS wird nach der internationalen Klassifikation ICD 10 als eine „verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde“ beschrieben. Dies ist naturgemäß keine Erscheinung ausschließlich bei der Bundeswehr, aber sie kommt auch in der Bundeswehr vor. Feuerwehrleute, Polizisten, Rettungskräfte und Lokomotivführer sind neben den Soldaten betroffen. Professor Dr. Hans-Ulrich Wittchen, Dresden, hat in seiner grundlegenden Studie von einer Erkrankungsrate von 2,9 % der in Afghanistan eingesetzten Soldaten der Bundeswehr gesprochen. Diese Rate ist im Vergleich zu anderen großen Nationen als eher unterdurchschnittlich zu bewerten.

Derartige Risiken zu vermeiden heißt, bereits während der Ausbildung für den Einsatz eine hohe Resilienz zu erwerben. Von großer Bedeutung für die psychische Gesundheit und damit einhergehend auch für die Leistungsfähigkeit der Soldaten ist die detaillierte Vorbereitung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit dem Ziel, den künftigen Belastungen widerstandsfähig entgegen treten zu können. Gerade in diesem Bereich sind erhebliche Fortschritte zu verzeichnen.

Die posttraumatische Belastungsstörung ist nur eine von vielen möglichen psychischen Erkrankungen. Sie bildet mit der für sie typischen Symptomatik, einem willkürlich nicht zu beeinflussenden Wiedererleben der belastenden Situationen und damit verbundenem Vermeidungsverhalten eine besonders einschneidende Erkrankung, die den täglichen Lebensvollzug dominieren kann und in einigen Fällen auch unmöglich macht. Gerade vor diesem Hintergrund ist es nur berechtigt, den Erkrankten neben möglicher Therapie auch die vorgesehenen Entschädigungen entsprechend der aktuellen Gesetzeslage zukommen zu lassen.

Diagnose und Therapie in der Bundeswehr

Die Bundeswehr verfügt mit ihrem Sanitätsdienst, dem psychologischen Dienst und dem Sozialdienst über fachkompetente Elemente, die geeignet sind, durch ihr Handeln das Risiko der Entstehung psychischer Erkrankungen zu verringern, die Widerstandsfähigkeit des Einzelnen zu stärken, im Alltagsleben zu unterstützen und im Bedarfsfall eine gegebenenfalls auch langfristigen Therapie zu gewährleisten und zu unterstützen.

Erste und entscheidende Anlaufstelle sind die Bundeswehrkrankenhäuser. Dort werden seelische Erkrankungen diagnostiziert und wesentliche Therapien eingeleitet um damit die Voraussetzungen für eine erfolgreiche ambulante Weiterbehandlung stellen. Eine ganz besondere Bedeutung kommt dabei dem Psychotraumazentrum beim Bundeswehrkrankenhaus Berlin zu, in dem „Forschung“ und „Klinik“ Hand in Hand eine Symbiose eingehen. Erkenntnisse, die aus Einzelfällen gewonnen wurden, werden dort von einem wissenschaftlichen Beirat analysiert und können dann in Forschungsprojekte einfließen. Die ambulante Behandlung findet dann in der Regel wohnortnah durch zivile Ärzte für Psychiatrie und Psychotherapie bzw. psychologische Psychotherapeuten statt. Eine regelmäßige Wiedervorstellung in dem Bundeswehrkrankenhaus ist vorzusehen. Tagesklinische Kapazitäten sind dabei in Planung.

Betreuung von Angehörigen und ehemaliger Soldaten

Während Behandlung und Betreuung der einsatzgeschädigten Soldaten einem in den letzten Jahren fest etablierten Algorithmus folgen, besteht bei Betreuung und Einbeziehung der Angehörigen, wie auch der weit gefassten Thematik bereits ausgeschiedener Soldaten noch Raum für weitere Entwicklungen. Gerade für die ehemaligen Angehörigen der Bundeswehr wird derzeit im Bundesministerium der Verteidigung ein zusammenfassendes Konzept „Betreuung von ehemaligen Angehörigen der Bundeswehr, die unter Einsatzfolgen leiden“ als fachübergreifendes Dokument für die Verbesserung von Beratung, Betreuung und Versorgung erarbeitet.

Familien und Angehörige stellen als primäre Bezugspersonen einen wesentlichen Faktor für Therapie und Begleitung der im Einsatz Geschädigten dar. Dies betrifft auf der einen Seite die Geschädigten selbst, wenn es um Unterstützung im alltäglichen Lebenslauf oder auch um Begleitung einer Therapie geht. Auf der anderen Seite aber ist es von Bedeutung, die Bezugspersonen vor eigener Überforderung und der sog. „Sekundärtraumatisierung“ zu schützen. Der Bundeswehr ist es hier gelungen, teilweise auch mit Unterstützung privater Stiftungen und den dankenswerten Bemühungen der evangelischen und katholischen Militärseelsorge, hier deutliche Angebote zu schaffen. Herausgehoben seien hierbei die Fachberatungsseminare, bei denen Geschädigte und deren Angehörige unter enger Betreuung u. a. des Sozialdienstes, des psychologischen Dienstes und des Sanitätsdienstes ein einwöchiges und weit gefächertes Angebot erhalten.

Wehrdienstbeschädigung und finanzielle Abgeltung

Neben der medizinischen und psychologischen Behandlung ist die finanzielle und gesellschaftliche Unterstützung einsatzgeschädigter Soldaten von besonderer Bedeutung. In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass die Gesetzgebung der Jahre 2004 bis 2015, zuletzt mit dem von Frau Bundesministerin Dr. von der Leyen initiierten Artikelgesetz, ein ausgesprochen umfassendes und effektives Regelungswerk darstellt, um die gesundheitlichen, finanziellen und beruflichen Folgen der Einsatzschädigung abzumildern. Die hierin vorgesehene zeitlich befristete Aufnahme bereits ausgeschiedener Soldaten in ein Wehrdienstverhältnis besonderer Art zur beruflichen Ausbildung bzw. medizinischen Therapie wie auch in besonderen Fällen die Übernahme in das Dienstverhältnis eines Berufssoldaten sind ein ganz besonderes Merkmal der Fürsorge.

Koordinierungs- und Ansprechstelle

Zur Sicherstellung der zentralen Koordinierung aller Maßnahmen der militärischen Personalführung wurde dem Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr mit Wirkung vom 1. Januar 2014 die bis dahin im Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) verortete Aufgabe „Zentrale Koordinierung aller die Personalführung betreffenden Angelegenheiten im Zusammenhang mit der Verwundung/Verletzung von Soldatinnen und Soldaten im Auslandseinsatz“ übertragen. Sie besitzt eine umfassende Kompetenz und bearbeitet über­greifend alle Anträge und Personalvorgänge nach dem Einsatz-Weiterverwendungsgesetz und der Einsatzunfallverordnung.

Unterstützung vor Ort und auf Augen­höhe: Das Lotsenkonzept

Bereits früh nach Etablierung der ersten Konzepte zur Bewältigung der mit der Erkrankung PTBS verbundenen Herausforderungen wurde die Notwendigkeit erkannt, standortnahe und für den Soldaten leicht erreichbare Ansprechstellen zu etablieren. Besonderes Anliegen war dabei nicht nur die gute regionale Erreichbarkeit eines festen Ansprechpartners, das sog. „Vertraute Gesicht“, sondern auch die Forderung, die emotionale Hürde möglichst niedrig zu halten und damit niederschwellige Angebote zu schaffen. Zwischenzeitlich wurden mit einem Zentralerlass Lotsinnen und Lotsen für Einsatzgeschädigte als örtliche Ansprechpartner der einsatzbelasteten Soldaten eingerichtet. Ihre Aufgabe ist es, mit profunder Kenntnis über die Hilfsangebote vor Ort einen niederschwelligen Zugang zu Unterstützungsmöglichkeiten zu ermöglichen. Sie sollen initial informieren und helfend den Weg in die professionelle Diagnostik und Therapie ebnen. Im Laufe der Erkrankung unterstützen und beraten Lotsinnen und Lotsen fortgesetzt und stehen als kompetente Helfer zur Verfügung.

Die Einführung der Lotsen auf Truppenebene hat sich fraglos bewährt. Ihr großes Engagement hat deutlich zur Akzeptanz beigetragen, so dass alle Organisationsbereiche und Teilstreitkräfte Dienstposten hierfür ausbringen.

Beauftragter des BMVg für einsatz­bedingte posttraumatische Belastungs­störungen und Einsatztraumatisierte

In der Erkenntnis, dass eine effektive Versorgung psychisch erkrankter Soldaten sowohl auf der Basis ministerieller Regelungen beruht, wie aber auch der komplexen Integration verschiedenster Unterstützungsbemühungen bedarf, wurde im Jahre 2010 im Bundesministerium der Verteidigung der „Beauftragte für einsatzbedingte posttraumatische Belastungsstörungen und Einsatztraumatisierte“, kurz PTBS-Beauftragter geschaffen. Er stellt eine wesentliche Koordinierungs- und Beratungsinstanz für alle Fragen der Einsatzschädigungen dar. Diese prominente Positionierung erlaubt es, mit allen an der Einsatzversorgung beteiligten Stellen ohne Unterschied von Hierarchie oder Größe zu sprechen, diese zu integrieren und darüber hinaus der Leitung des Ministeriums Vorschläge für künftige Verbesserungen zu unterbreiten. Die sich hierdurch ergebenden kurzen Wege stellen eine unabweisbare Stärke dieses Elements dar.

Es ist dem Beauftragten PTBS damit möglich, Verbände, Organisationen, die großen Glaubensgemeinschaften und auch den Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages mit Fragen und Einzelproblemen zu befassen und die Ergebnisse für Verbesserungsansätze zu verwenden. In regelmäßigen Abständen finden unter Einbeziehung weiterer Stellen, wie z. B. des Bundesamts für das Personalmanagement der Bundeswehr, Sitzungen der Arbeitsgemeinschaft PTBS statt. Hier werden sowohl notwendige Regel- und Gesetzesänderungen besprochen, wie auch das weitere Vorgehen in Einzelfällen beraten. Abschließend dient das Netzwerk der Hilfe zur Integration und Information der außerhalb der Bundeswehr stehenden freiwilligen Hilfsorganisationen.

Internationale Zusammenarbeit

Streitkräfte verschiedener Länder haben in den letzten Jahren ausgesprochen unterschiedliche Aufgaben wahrgenommen und dabei auch unterschiedliche Erfahrungen zu bewältigen gehabt. Gerade Streitkräfte mit einem erheblich intensiveren Einsatzspektrum, wie beispielweise die Vereinigten Staaten von Amerika oder Israel, mussten sich auch in erheblichem Umfang mit der Frage der Behandlung, Entschädigung und Weiterverwendung von körperlich und psychisch geschädigten Soldaten befassen. Vor diesem Hintergrund ist es für uns von großem Interesse, an den dortigen Erkenntnissen und Erfahrungen zu partizipieren und davon zu profitieren. Informationsbesuche erbringen eine Vielzahl von Eindrücken, die dann sorgfältig zu bewerten und sinnvoll einzubringen sind. Beispielsweise konnten aus Österreich interessante Anregungen zur Eignungsfeststellung, aus Frankreich gute Therapieansätze und aus den Niederlanden Einblicke in das Veteranensystem gewonnen werden. In aller Regel ist es dabei aber nicht möglich, sofortige Umsetzungen vorzunehmen. Es ist die Summe der Informationen, die in Diskussionen und Planungen zur Weiterentwicklung einfließen. Eines ist auf alle Fälle festzuhalten: Unser System, insbesondere die Versorgung unserer Soldatinnen und Soldaten steht im internationalen Vergleich gut da! z

 

Anschrift des Verfassers:
Generalarzt Dr. Bernd Mattiesen
Beauftragter für einsatzbedingte posttraumatische ­Belastungsstörungen und Einsatz­trauma­tisierten im Bundesministerium der ­Verteidigung
Stauffenbergstr. 18, 10785 Berlin

E-Mail: berndmattiesen@bmvg.bund.de

Vita des Verfassers siehe Heft 2/2016.

Datum: 24.10.2016

Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2016/3

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