01.10.2010 •

DER ERSTE KLINISCHE ABSCHNITT

Positionierung zwischen Klinik und Auslandseinsatz

Eigentlich begann meine Dienstzeit 2001. Im Juli desselben Jahres habe ich meine Grundausbildung bei der Marine an der Marineunteroffiziersschule in Plön begonnen. Zu dieser Zeit wurden alle Bereiche der Teilstreitkräfte für Frauen geöffnet, und es gab großes Aufsehen um die ersten weiblichen Offiziersanwärter der Marine, die zukünftig auch Tornados fliegen oder als Erster Offizier zur See fahren sollten. In diesem Zusammenhang wurden ebenfalls wir angehenden Sanitätsoffiziere von der Öffentlichkeit unter die Lupe genommen. Wir wirkten damals aber wohl etwas unspektakulär, da wir nicht dem militärischen Bild entsprachen.

Für die Betrachtung klinischer und militärischer Arbeitsbereiche sind meine sechseinhalb Jahre Studienzeit jedoch nur von untergeordneter Bedeutung, da der angehende Sanitätsoffizier während des Studiums an einer zivilen Universität nur sporadischen Kontakt zur Bundeswehr halten kann. Das zivile Leben macht einen Großteil des Studienlebens aus und die Tatsache, dass man außerdem noch Soldat ist, realisiert man nur, wenn man in Uniform zu den Semestertreffen zusammengerufen wird.

Nach Beendigung des Studiums schien ich abrupt aus dieser wohlbehüteten Umgebung herausgerissen zu werden. Ich erinnere mich noch sehr gut an meinen ersten Tag der postuniversitären Ausbildung an der Sanitätsakademie: Ich wollte keine Kampfstiefel tragen, sondern mit meiner frisch erlangten Approbation endlich in der Klinik als Arzt tätig werden. Die Bedeutung meiner geteilten Berufung wurde mir erst mit der Zeit klar.

Die Bundeswehr zur heutigen Zeit wirft ein ganz anderes Licht auf meine Arbeit, da sie seit meiner Einstellung 2001 einem stetigen Wandel unterliegt: Stellenkürzungen, Standortschließungen, Auslandseinsätze mit Kampfcharakter.

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Der Dienst als Sanitätsoffizier setzt sich aus verschiedensten Anteilen zusammen, die einem spätestens dann bewusst werden sollten, wenn man sich auf einen Auslandseinsatz vorbereitet. Bis vor einem Jahr war ich noch reiner Kliniker (Abb. 1). Ich erhob Anamnesen und bereitete Patienten auf ihre Operationen vor. Das Leben in „Grün“ war da noch meilenweit entfernt. Der erste klinische Abschnitt näherte sich dem Ende und die Entscheidung für die Tätigkeit „in der Zeit danach“ stand an. Erstmalig bestand die Möglichkeit an dem „Einsatzpool Sanitätsoffiziere Rettungsmedizin“ teilzunehmen. Im Genaueren soll das heißen: Statt als Truppenarzt verwendet zu werden, verbleibt man an der Klinik und geht dafür vermehrt als Rettungsmediziner in Auslandseinsätze. Das Angebot, länger in der Klinik zu verbleiben, erschien äußerst verlockend. Allerdings wurde mir in sehr transparenten Gesprächen mit einsatzerfahrenen Vorgesetzten über Pro und Contra rasch die Brisanz dieser Entscheidung klar. Nach reiflicher Überlegung und Gesprächen in meiner Familie habe ich mich letztlich dafür beworben, weil mich auch die Aufgabe eines Rettungsmediziners im Auslandseinsatz reizt. Nun, nach Abschluss meines ersten klinischen Abschnitts und kurz vor Verlegung in den Auslandseinsatz nach Afghanistan ist die Frage, wie sich die militärischen und die medizinisch- klinischen Anteile auf der Arbeit eines Sanitätsoffiziers verteilen, unumgänglich.
Wir sind eben nicht nur Ärzte, die in weißen Kitteln durch die Gänge der Klinik flanieren. Wir sind auch Soldaten. Wir sind der „Doc“, der der Infanterie mit einem BAT (Beweglicher Arzttrupp) in den Kampfeinsatz folgt, bzw. als das bestgepanzerte Fahrzeug in der Marschkolonne plötzlich ganz weit vorne steht.

Im Rahmen der Vorausbildung für meinen kommenden Einsatz in Afghanistan bekam ich ein leichtes Gefühl dafür, was es bedeutet, plötzlich auch Infanterist zu sein: Ausbildung im Häuserkampf , IED-Ausbildung (IED: improvised explosive device) in der ZA-EAKK, Geiselnahme im GÜZ (Gefechtsübungszentrum) – und der „Doc“ ist 

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immer dabei (Abb. 2). Dass unsere „roten Kreuze“ mittlerweile abgetarnt sind, ist kein Novum mehr. Die Arbeit des Sanitätspersonals – unabhängig davon, ob als Rettungsassistent oder Arzt im Einsatz, ist eine andere geworden und unsere Ausbildung hat sich daran angepasst. Eine Einsatzvorbereitung beinhaltet Schießausbildung an den Handwaffen bis absolute Sicherheit mit deren Umgang gegeben ist. Wer der „vorangegangenen Ärztegeneration“ kann das wirklich von sich behaupten?
Zusammenfassend kann ich nur betonen, dass für mich der erste klinische Abschnitt geprägt war von einem steten Wandel meiner Ansicht über die verschiedenen Arbeitsanteile eines Stabsarztes. Der weiße Kittel rückte vermehrt in den Hintergrund, der Feldanzug trat aus der jahrelangen Tarnung hervor ins Licht. Meine Arbeit richtete sich immer mehr auf die Verwundeten-Erstversorgung in einer Kampfsituation aus. Was für mich vor 2 Jahren nicht vorstellbar gewesen wäre, ist nun Teil meines Lebens, meiner Routine. Der erste Auslandseinsatz steht mir noch bevor. Egal wie gut die Vorbereitung auch sein kann, egal wie viele Gespräche man mit seinen Kameraden darüber führt, ein leicht fahler Geschmack bleibt dennoch – eine gewisse Ungewissheit, was einen wirklich erwartet. Ich packe das geliehene P8-Holster in meine nagelneue Einsatzkiste und frage mich, ob ich es wirklich nutzen werde, ob ich wirklich in einem Feuerkampf werde schießen müssen. Diese Frage kann mir keiner mit Sicherheit beantworten, aber die Wahrscheinlichkeit, dass es dazu kommt, ist in den letzten Monaten rapide gestiegen.
Abschließend möchte ich herausstellen, dass ich meine damalige Entscheidung, Sanitätsoffizier zu werden, in keiner Sekunde bereue. Ich genieße jeden Anteil meiner Arbeit, den klinischen genauso wie den militärischen, und bin froh, dass ich einen Beruf gewählt habe, der mir so ein weites und farbenfrohes Arbeitsspektrum ermöglicht.
 

Datum: 01.10.2010

Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2010/3

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