24.10.2016 •

CoachPTBS

Eine multimediale App für Soldaten/Soldatinnen mit Posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS)

Aus dem Bundeswehrkrankenhaus Berlin (Leiter: Admiralarzt Dr. K. Reuter)

Soldatinnen und Soldaten mit psychischen Erkrankungen befürchten noch immer eine Stigmatisierung, falls sie sich offenbaren und aktiv Hilfe suchen. Die Entscheidung, sich an den Truppenarzt oder Facharzt für Psychiatrie zu wenden, fällt deshalb meist erst nach einer langen Phase von Beschwerden und damit verbundenen Einschränkungen im täglichen Leben der Betroffenen.

Immer mehr nutzen Betroffenen deshalb zunächst das Medium Internet um sich möglichst anonym über ihre Beschwerden und Erkrankungen zu orientieren (67 % der Bevölkerung). Die Qualität der Information ist dabei für den Nutzer meist nicht bewertbar. Untersuchungen zeigen, dass ca. 90 % der Gesundheitsseiten im Internet keine vollständigen Informationen enthalten und zwischen 5 % (Seiten zu Krebserkrankungen) und 90 % (Seiten zur Ernährung) falsche Informationen beinhalten. Physische und psychische Schäden durch diese Falschinformationen können zum Beispiel durch verspätete Arztkonsultation, vermehrte Arztkonsultation (Cyberhypochondrie), falsche Selbstdiagnose und die Anwendung von ärztlich nicht indizierten Medikamenten entstehen.

Ziel des nun vorliegenden „CoachPTBS“ war es deshalb eine App zu entwickeln, mit der Betroffene und ihre Angehörigen richtige und umfassende Informationen zum Thema PTBS erhalten, mit der vorhandene Hilfesysteme innerhalb und außerhalb der Bundeswehr aufgezeigt werden und über die Unterstützung in Form von einfachen, sinnvollen Übungen erfolgt. Dieses anonym und niederschwellig nutzbare Angebot soll keine fachgerechte Therapie ersetzen, sondern den Betroffenen vielmehr den Zugang zu einer solchen erleichtern.

Hintergrund

Bereits im Jahr 2011 entwickelte das US Department of Veterans Affairs (VA) den PTSD-Coach, welcher bis heute mehr als 100 000-mal heruntergeladen wurde. Es folgten eine kanadische (auch in Französisch) und australische Version, welche umfangreiche Ergänzungen beinhaltete. Aktuell sind entsprechende niederländische und schwedische Apps in der Entwicklung. Inspiriert hierdurch suchte die Technische Universität in Dresden, Klinik und Poliklinik für Psychotherapie und Psychosomatik, Kontakt zur Universität der Bundeswehr in München, die ab April 2015 ein Sonderforschungsprojekt zur Entwicklung einer deutschsprachigen App starten konnte. Zunächst erfolgte in enger Kooperation die Analyse der vorhandenen Datenstruktur. Aufgrund des erheblichen inhaltlichen Überarbeitungsbedarfs, der technischen Überalterung und der notwendigen Datenschutzmaßnahmen entschied man sich für eine komplette Neuprogrammierung, um ein auf dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik basierendes Produkt anbieten zu können.

In weiteren Schritten erfolgte die inhaltliche Analyse und Übersetzung der vorhandenen Texte durch die Technische Universität Dresden. Insgesamt ergab diese Analyse über 1 600 Textblöcke, welche nun auf ihre notwendigen Anpassungen und Ergänzungen hin untersucht wurden. Aufgrund bestehender psychosozialer, gesellschaftlicher, religiöser und versicherungsrechtlicher Unterschiede zwischen dem anglo­amerikanischen Raum und Deutschland erfolgte durch das Psychotraumazentrum der Bundeswehr in Berlin die Adaptation an die bundeswehrspezifischen Gegebenheiten sowie eine Ausweitung der bisherigen Übungen und Informationen aufgrund der gemachten Erfahrungen in der Behandlung und Betreuung von Soldatinnen und Soldaten. Hier war es ein großer Vorteil, dass im Psychotraumazentrum ein seit vielen Jahren erfahrenes und interdisziplinär zusammengesetztes Team aus Ärzten, Psychologen, Sozialarbeitern und Krankenpflegern aller Dienst­gradgruppen sowie ziviler Mitarbeiter zusammenarbeitet und so die sehr komplexe Thematik von verschiedenen Perspektiven beleuchtet werden konnte. Die Universität der Bundeswehr in München, Lehrstuhl für Systeminformatik achtete auf die datenschutzrechtlich solide Grundlage.

 

Aufbau und Inhalt der App

Die App umfasst im Wesentlichen fünf Themenbereiche.

Im ersten Abschnitt, „Informieren“, kann der Benutzer über eine Posttraumatische Belastungsstörung und andere psychische Traumafolgen nachlesen oder sich vorlesen lassen. Auch wenn eine Posttraumatische Belastungsstörung heute sicher insbesondere unter Soldaten/Soldatinnen nach einem Auslandseinsatz zu den bekanntesten und akzeptiertesten psychischen Erkrankungen gehört, so ist sie weder innerhalb noch außerhalb der Bundeswehr die häufigste psychische Erkrankung. Dies trifft auch auf die Gruppe der Einsatzfolgeerkrankungen zu, in welcher Depression (7,8 %), Angst (11,8 %) und Alkoholerkrankung (3,4 %) eine höhere Prävalenz als die Posttraumatische Belastungsstörung haben (2,9 %). Mit einer weitaus stärkeren Fokussierung auf andere Einsatzfolgeerkrankungen, als in den Ursprungsversionen, wurde dies im CoachPTBS berücksichtigt. Darüber hinaus finden sich auch Informationen zu gesetzlichen Regelungen, Ansprechpartnern und Rahmenbedingungen der Behandlung und Beratung innerhalb der Bundeswehr sowie im Gesundheitswesen allgemein.

Im zweiten Abschnitt, „Selbsteinschätzung“, kann der Benutzer einen kurzen Selbsttest mittels der Posttraumatic Checklist (PCL-5) durchführen. Die PCL-5 überprüft anhand des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-5) das Vorhandensein der Kriterien einer PTBS und deren Ausprägung. Dieser Selbsttest ersetzt zwar nicht eine fachgerechte Diagnose durch einen Arzt oder Psychologen, kann jedoch eine erste Einschätzung für den Betroffenen geben und im Verlauf zur Dokumentation der aktuellen Symptomatik eingesetzt werden.

Im dritten Abschnitt, „Symptome bearbeiten“, findet der Benutzer verschiedene Übungen, Tipps und Anregungen. Beispielsweise werden hier spezielle Entspannungsübungen (Atemübungen, Imaginationsverfahren, Progressive Muskelrelaxation nach Jacobson u. a.), Anregungen für eine bessere Schlafhygiene, Inspirationen für angenehme Tätigkeiten u.v.m. angeboten. Diese können wahlweise selbst gelesen oder angehört werden. Durch eine individuelle Bewertung der Wirksamkeit einzelner Übungen werden dem Benutzer vermehrt subjektiv wirksamere Übungen angeboten. Zusätzlich können auch eigene Bild- und Musikdateien zur Entspannung integriert werden.

Im „Stimmungslogbuch“, dem vierten Abschnitt der App, kann ähnlich einem Tagebuch, die aktuelle Stimmung bewertet und kurz kommentiert werden.

Im fünften und letzten Abschnitt, „Unterstützung finden“, finden sich Hilfe- und Kontaktmöglichkeiten, auch für den akuten Krisenfall. Neben der rund um die Uhr besetzten PTBS-Hotline, finden sich ein Kontaktformular (auch anonym nutzbar) sowie Links zu vielen bundeswehrnahen und zivilen Vereinen und Institutionen.

Insgesamt haben die Texte in der App einen Umfang von mehr als 200 DIN A4 Seiten und stellen nach Ansicht der Entwickler das umfangreichste Informations- und Hilfsangebot für betroffene Soldaten/Soldatinnen und deren Angehörige dar.

In den letzten Dekaden gerieten Familie und Partnerschaft nicht mehr nur als krankheitsauslösende Faktoren, sondern auch als Ressource und Teil der Rehabilitation von psychischen Erkrankungen ins Blickfeld. Klar ist heute, dass kein noch so gutes professionelles Behandlungsnetzwerk die natürlichen sozialen Einbindungen in Familie und Partnerschaft ersetzen kann. So korrelieren unter anderem die Dauer und Qualität der Partnerschaft negativ mit der Symptomschwere von Betroffenen. Andererseits sind psychische Erkrankungen für die betroffenen Familien häufig eine große Belastung, da z. B. Aufgaben des Erkrankten übernommen werden müssen, dieser zusätzliche Unterstützung und Hilfe benötigt u. v. m. Psychoedukation (Vermittlung von wissenschaftlich fundiertem Wissen), Hilfsangebote und Entlastung sind hierbei wesentliche Faktoren in der Reduktion der Belastung von Angehörigen, denen auch im CoachPTBS Rechnung getragen wird. In Folge dieser Überlegungen wurde für die Angehörigen von Betroffenen ein eigener Pfad entwickelt, der sich verstärkt mit Informationen und Hilfen für diese wichtige Gruppe beschäftigt.

Der Datenschutz fand bei der Entwicklung besondere Beachtung. Damit sich Betroffene anonym informieren können, wurde darauf geachtet, keine personenbezogenen Daten zu übertragen. Zu diesem Zwecke wurde die App als reine offline laufende App konzipiert, bei der keine Kommunikation mit einem Server im laufenden Betrieb stattfindet. Die persönlichen Bewertungen von Übungen, Selbsttests und -einschätzungen sowie andere Eintragungen werden in einem separaten passwortgeschützten Bereich auf dem Gerät des Benutzers gespeichert. So wird sichergestellt, dass sensible Daten ausschließlich beim Nutzer verbleiben.

Bezüglich des Layouts/Designs wurde auf eine klare und übersichtliche Darstellung Wert gelegt. Betroffene wurden u. a. mittels einer Befragung im Bundeswehrkrankhaus Berlin in die Auswahl des Logos einbezogen.



             












Schlussfolgerungen und Ausblick

Mit der öffentlichen Präsentation der App „CoachPTBS“ am 5. Juli 2016 im Bundesministerium der Verteidigung endete die erste, 15-monatige, Entwicklungsphase. Die Betroffenen und deren Angehörige können sich seitdem im
APP STORE© und GOOGLE PLAY STORE© den CoachPTBS kostenlos herunterladen.

Inwieweit sich durch das niederschwellige Angebot ein verbesserter Zugang in eine adäquate und leitliniengerechte Behandlung erreichen lässt, bleibt abzuwarten. Es ist beabsichtigt das dies Gegenstand entsprechender Untersuchungen im Psychotraumazentrum der Bundeswehr und an der Technischen Universität Dresden wird. Sicher ist jedoch, dass mit der App ein neuer und wichtiger Zugangspfad zu sachlichen Informationen und Hilfsangeboten implementiert wurde, der dem Nutzungsverhalten einer immer internetaffineren Gesellschaft entspricht. Ziel ist und bleibt es hierbei, die Anzahl der Betroffenen zu verringern, die sich trotz vorhandenem Leidensdruck aufgrund von Scham oder Ängsten vor Stigmatisierung noch nicht in eine Behandlung begeben. 

 

Anschrift für die Verfasser:
Oberfeldarzt Heinrich Rau
Bundeswehrkrankenhaus Berlin
Psychotraumazentrum
Scharnhorststr. 13

10115 Berlin

E-Mail: heinrichrau@bundeswehr.org

 

Oberfeldarzt Heinrich Rau
geb. am 22.03.1977 in Crivitz

 

Dienstlicher Werdegang...

  • 01/1997: Eintritt in die Bundeswehr
  • 10/1997: Beginn des Studiums der Humanmedizin, Humboldt Universität Berlin
  • 12/2003: Studium Abschluss und Beginn Assistenzzeit in der Abt. VI des Bundeswehrkrankenhauses Berlin
  • 10/2005 - 09/2008: Truppenarzt ArztGrp Prenzlau
  • 10/2009 - 04/2010: Erwerb der Fachkunde Rettungsmedizin am Bundeswehrkrankenhaus Berlin
  • 05/2010 - 12/2010: Assistenzzeit Abt. VIb Bundeswehrkrankenhaus Berlin
  • 01/2011 - 12/2012: Assistenzzeit Charité Berlin

Derzeitige Verwendung...

  • seit 01/2013: Projektoffizier im Psycho­traumazentrum der Bundeswehr; Abt. VIb Bundeswehrkrankenhaus Berlin
  • seit 04/2013: Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie

Auslandseinsätze...

  • KFOR, ISAF

Datum: 24.10.2016

Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2016/3

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