6 MONATE BAT BEI DER QRF 5
ERFAHRUNGEN AUS SICHT EINES CHIRURGISCHEN ASSISTENZARZTES (W)
Ich möchte in diesem Erfahrungsbericht meine Erlebnisse aus insgesamt 6 Monaten als Ärztin im (Beweglicher Arzttrupp) BAT der 5.QRF vorstellen. Geprägt war der Einsatz von starken Einschränkungen in den persönlichen Freiräumen, hygienischen Bedingungen und ständiger Gefahren durch Feindkontakt und Beschuss. Davon abgesehen habe ich selten zuvor ein so hohes Maß an Kameradschaft und gegenseitigem Vertrauen erleben können.
Gerade den jungen Kollegen soll ein Einblick in den Einsatzalltag als BAT-Arzt gegeben werden, um so die Angst vor dem ersten Einsatz zu nehmen und eine optimale – auch psychische – Vorbereitung zu ermöglichen.
Ablauf
Relativ kurzfristig wurde ich auf die Stelle eines BAT-Arztes in der SanKpbwglEins der Quick Reaction Force (QRF) 5 gesetzt, so dass ich nur noch die nötigste Vorausbildung (RÜZ, GÜZ und ZEAKK) absolvieren konnte. Zu meinem Bedauern musste ich feststellen, dass mir niemand richtige Vorabinformationen zu dieser Stelle geben konnte und ich daher nicht abschätzen konnte, was auf mich zukommen würde. Sicherlich hatte ich gehört, dass die Arbeit im BAT auch in der Begleitung von Patrouillen besteht und dass gelegentlicher Feindkontakt möglich sei. So verlegte ich relativ ängstlich und unbedarft am 21.04.2010 nach Mazar-e-Sharif.
Dort stelle sich sehr schnell heraus, dass wir das Lager sehr selten sehen würden. Insgesamt verbrachte ich von den 179 Tagen im Einsatzland 109 Tage außerhalb von Mazar-e-Sharif. Nach Ankunft im Lager begannen wir zunächst mit der Übernahme der Teileinheiten (TE). Die ersten Rettungstrupps und BATs verließen bereits 7 Tage nach Ankunft in Mazare- Sharif das Lager wieder, um auf den ersten Patrouillen Sanitätsunterstützung zu leisten. Wir übernahmen einen Transportpanzer (TPZ) Fuchs Typ 7 in BAT-Ausstattung mit Maschinengewehr MG3 auf Lafette montiert. Auch ich wurde während des Einsatzes zum Teil zu Sicherungsaufgaben herangezogen.
Unser erster Marsch erfolgte dann am 16.05.2010 mit Teilen der 2./QRF 5 nach Khilagay (Region Baghlan). Von dort nahmen wir an Patrouillen zu den Brücken Roman, Iron oder Dutch teil. Wir übernachteten entweder in Typ 2-Zelten in Khilagay, unter freiem Himmel des sich im Aufbau befindlichen OP North oder im Fahrzeug in den Combat Outposts (COP).
Am 27.05.2010 verlegten wir mit Teilen der 3./QRF 5 nach Kunduz, um von dort weiter in die Region Taquar, wenige Kilometer südlicher der tatschikischen Grenze, zu marschieren. Im Rahmen der Operation KHUK CHAR wurde ein forward arming and refueling point (FARP) aufgebaut, um die Operation der Afghanischen Nationalarmee (ANA) zu unterstützen. Während der Operation verlegten wir zusammen mit dem E-Zug luftgebunden für sechs Tage auf ein Feld vor einem Dorf im Nichts, um zwei Hubschrauberlandeplätze zu sichern (Abb. 1). Diese sechs Tage waren geprägt von großer Hitze, wunderbaren Sternenhimmeln, aber auch der ständigen Gefahr durch Übergriffe.
Hier wurden wir mit den schwierigsten hygienischen Verhältnissen konfrontiert. Nicht einmal eine Mobile Toilette war aufgestellt, und fließend Wasser war auch nicht vorhanden. So gestaltete sich die Körperhygiene sowie jeder Toilettengang als kleines Abenteuer. Die Verpflegung bestand aus Obst und Gemüse aus dem benachbarten Dorf und Gruppen-EPA. Traurigerweise wurde der eine Hubschrauberlandeplatz nur für Verpflegungsflüge genutzt und der zweite nur einmalig, um den Halbzug abzuholen. Nach weiteren drei Tagen in der FARP erfolgte der Rückmarsch über Kunduz nach Mazar-e-Sharif. Hier konnten wir den Luxus von fest installierten Toiletten und Duschen sowie richtigen Betten voll genießen, den wir vorher lange Zeit als Selbstverständlichkeit angesehen hatten.
In Mazar-e-Sharif nutzten wir die Zeit, um unsere Fahrzeuge zu reinigen und instand setzen zu lassen. Da ein Ersatzteil fehlte, musste es aus Deutschland angefordert werden. So dauerte die Instandsetzung durch Lieferung und Einbau insgesamt 2 Wochen. Um die Zwangspause effektiv zu nutzen, führten wir eine Fortbildung der Einsatzsanitäter A und B sowie der eigenen Rettungsassistenten durch.
Am 06.07.2010 sollte der Marsch mit der 3./QRF 5 nach Khilagay erfolgen. Nach circa 15 Minuten Marschzeit zogen schwarze Rauchwolken aus dem Motorraum unseres TPZs. Die Kolonne hielt und wir fuhren wieder zurück ins Lager, während die Infanteriekompanie ihren Marsch nach Khilagay fortsetzte. Bei der erneuten Instandsetzung wurde ein lockerer Dieselschlauch festgestellt. Nach Reparatur waren wir wieder einsatzbereit. So marschierten wir am selbigen Abend ab 22.00 Uhr zusammen mit den Blacksheep der US Amerikaner Richtung Khilgay. Etwa 50 km vor Pol-e-Khomri gab es einen lauten Knall und unser TPZ blieb erneut liegen - und das gegen 1.30 Uhr nachts. Ein sehr mulmiges Gefühl, kann man sagen.
Mit Hilfe der Amerikaner, die uns abschleppten, erreichten wir gegen 4.30 Uhr die forward operating base (FOB) in Khilagay. Nach einem Tag Pause saß ich auf einem der drei Rettungstrupps auf und begleitete so die Patrouillen, teils auch zu Fuß, zur Erkundung des Geländes in Vorbereitung auf die Operation TAHOID 3 (Abb. 2 und 3). Hierbei machten wir unsere ersten Erfahrungen mit Feindkontakt, plötzliches smallarms- fire und rocket-propelled grenade (RPG)-Beschuss. Mehrmals kamen wir in Gefechtssituationen, wobei das längste Gefecht, welches ich miterlebt habe, sich über vier Stunden erstreckte. Unser Fahrzeug wurde in der Zwischenzeit nach Mazar-e-Sharif transportiert und repariert, so dass es ab dem 18.07.2010 wieder einsatzbereit war.
Mit neuer Kommandantin begann am 31.07.2010 die Operation TAHOID 3. Diese Operation sollte eine ANA-geführte Operation werden, bei der die deutschen Kräfte nur unterstützenden Charakter haben sollten. Dies gestaltete sich auf Grund der unterschiedlichen Mentalität, Arbeitsmoral und Sprachbarrieren sehr schwierig. Nach sweapen (also dem Aufspüren und Räumen von IEDs oder Minen) der Zugangsstraßen zum Operations-gebiet (hier insgesamt vier IEDs) (Abb. 4), ließen wir uns auf einem Feld vor Qunduz Tapa nieder. Dort verbrachten wir wieder insgesamt zehn Tage unter freiem Himmel (Abb. 5). Immerhin wurden hier nach vier Tagen Mobile Toiletten aufgestellt.
Ziel der Operation war das Sichern und Halten des Gebietes mit anschließender Übergabe an die lokalen afghanischen Sicherheitskräfte. Leider konnte dieses Ziel nur teilweise realisiert werden. Anschließend fuhren wir zum observation post (OP) North, um von dort die Zugangswege der Umgebung zu sichern. Auf einer der Patrouillen Richtung der Ortschaft Shahabuddin wurde eine radio-controlled IED (also ein ferngezündeter improvisierter Sprengsatz) unter einem Dingo gezündet. Zum Glück gab es hierbei keine Verwundeten. Ein Highlight am 29.08.2010 war der Besuch des Verteidigungsministers. Sein erster Versuch, den OP North zu besuchen, musste im Juli auf Grund von Gefechten abgebrochen werden, umso mehr freuten wir uns dieses Mal.
Der Minister zeigte sich erfreulicherweise sehr interessiert an unseren Erfahrungen und imponierte durch ein hohes Maß an militärischem Fachwissen. Er zeigte sich außerordentlich gesprächsbereit und versuchte, uns auch schwierige Fragen zu Lage und Sinn zu beantworten. Nach schließlich acht Wochen im Baghlan-Gebiet erfolgte am 30.08.2010 die Rückverlegung nach Mazar-e-Sharif. Nach einer kurzen Erholungspause von 10 Tagen wurden wir in Bereitschaft gesetzt. Während der Wahlen wurden wir schließlich alarmiert und sollten innerhalb von zwei Stunden luftbeweglich verlegbar sein, um dann zwei Tage später doch mit unseren Fahrzeugen zur letzten Fahrt nach Baghlan aufzubrechen. Nach einer kurzen Nacht im OP North verbrachten wir die nächsten zwei Wochen vor Shahabuddin, um dort zusammen mit den Special Forces der Amerikaner und den einheimischen Milizen (Afghanen, die am afghan peace and reintegration program teilnehmen) die Straßen frei zu halten und das Gebiet zu sichern (Abb. 6).
Unterstützt wurden wir auch vom Ausbildungs- und Schutzbataillon (ASB) 1 aus Kunduz. Vor Ort lösten wir die 2. Kompanie der QRF 5 ab, die während der Wahlperiode offensiv gegen die Aufständischen vorging, um den COP vor Shahabuddin wieder zurück zu gewinnen. Anschließend verlegten wir wieder in den OP North und bereiteten uns gedanklich schon auf die Heimreise vor. In den letzten Tagen geschah das Selbstmordattentat am COP Remagen. Nach Alarmierung (3 Verwundete der Kathegorie A und 2 der Kathegorie B) waren wir innerhalb von 10 Minuten abmarschbereit. Nach Abtransport der Verwundeten vor Ort erfolgte die endgültige Gewissheit: Ein Toter und zwei Schwerverwundete. Wir lösten die ersteintreffende Kompanie, die sich noch im Gefecht befand, vor Ort aus.
Nach noch andauernden Gefechten verlief die anschließende Nacht ruhig. Am nächsten Tag konnten Teile unserer Kompanie durch unsere Nachfolger (ASB 1 Mazar-e- Sharif) ausgelöst werden. Nach einem weiteren Sweap (1IED), 2 weitere wurden durch die Amerikaner gefunden und ein viertes durch einen zivilen Lastwagen ausgelöst, verbrachten wir eine weitere Nacht im COP Remagen, bevor wir am nächsten Tag endgültig abgelöst wurden und am 10.10.2010 nach Mazare- Sharif zurückverlegten. Uns blieben noch 6 Tage, um unsere TE zu übergeben sowie das zusätzlich erhaltene Material zurück zu geben. Am 16.10.2010 erfolgte der Rückflug über Termes nach Köln. Somit endete ein halbes Jahr voller Kameradschaft, Zuverlässigkeit, aber auch Gefahren, teils Hilflosigkeit und Trauer.
Resumee
Es war ein halbes Jahr, in dem ich viele Erfahrungen sammelte, aber auch ein Jahr, in dem ich die Einfachheit kennenlernte (keine Mobile Toiletten, keine Klimaanlagen bei bis zu 54°C im Schatten). Nach diesen Erfahr-ungen lernt man die kleinen Dinge des Lebens wieder völlig neu zu schätzen und vieles, was vorher selbstver-ständlich war, mit anderen Augen zu sehen. Dies sorgt aber zum Teil auch für Missverständnisse mit den daheim Gebliebenen, die eine solche Erfahrung nicht durchlebt haben, da sich die eigene Einstellung gegenüber den allgemeinen Lebensumständen in Deutschland ändert.
Es ist eine Arbeit, die fordert, denn man ist Ansprechpartner für alle Kameraden. Nicht nur in Truppenarztangelegenheiten oder in der Versorgung von Verwundeten, man ist Mädchen für alles, für Gespräche und Diskussionen, auch über die Situation zuhause, die Heimkehr, über den Sinn des Einsatzes und allgemeine Umstände wie Verpflegung und Nachschub. Wichtig, um eine solche Aufgabe zu bewältigen, ist meiner Meinung nach eine gute und vollständige militärische (EAKK, ZA EAKK, RÜZ, GÜZ, San- PersMedevac) und ärztliche Vorausbildung (PHTLS, BAT-Kurse), eine langfristige Einsatzplanung sowie Ansprechpartner, um die ersten Ängste zu reduzieren. Ein halbes Jahr ist eine lange Zeit, meines Erachtens wäre die Möglichkeit eines Splittings auch in einer solchen Verwendung durchaus sinnvoll. Sicherlich sind keine 6-Wochen-Intervalle möglich wie auf anderen Dienstposten, aber beispielsweise die Halbierung der Einsatzzeit würde die persönliche Belastung bereits enorm reduzieren. Auf der anderen Seite wäre dann der Arzt der einzige, der splittet. Im Einsatz wird die Kompanie zu einer Familie, die man ungern allein lassen möchte.
Abschließend kann ich sagen, dass es ein anspruchsvolles Jahr war, dass ich sehr froh bin wieder gesund zuhause zu sein, ich aber die Erfahrung auf keinen Fall missen möchte
Datum: 10.10.2011
Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2011/2