Bewegung ist Leben – INVICTUS Games 2016 in Orlando

Aus dem Zentrum für Sportmedizin der Bundeswehr, Warendorf1 (Leiter: Oberstarzt Dr. A. Lison), der Sportschule der Bundeswehr, Warendorf2 (Kommandeur: Oberst M. Maul) und der Dr. Becker Klinik, Möhnesee3 (Chefarzt: Dr. R. Schubmann)

Rainer Schubmann1,3, Julian Tatje2 und Andreas Lison1

Zusammenfassung
Es ist hinlänglich bekannt, dass körperliche Aktivitäten und Sport im Bereich der Prävention und Rehabilitation von Zivilisationskrankheiten wirksam sind. Weniger bekannt ist der erhebliche Einfluss von beidem auf emotionale Prozesse und kognitive Funktionen.

In einer bereichsübergreifenden Kooperation zwischen dem Zentrum für Sportmedizin der Bundeswehr und der Sportschule der Bundeswehr wird der integrative Ansatz von „Gesundheit durch Bewegung“ und „Heilung durch Bewegung“ in die tägliche Arbeit umgesetzt. Dieses Kooperationsmodell ist in seiner Konzeption einzigartig und könnte für umfassendere Therapieansätze (comprehensive care) auch in zivilen Gesundheitseinrichtungen beispielgebend sein.

Eine besondere Bedeutung haben die Trainings von Verwundeten, Verletzten und erkrankten Soldaten, die in der „Gruppe Sporttherapie nach Einsatzschädigung“ der Sportschule in engem Schulterschluss mit den Sportmedizinern des Zentrums durchgeführt werden.

In diesem Beitrag wird die Betreuungskonzeption dieser Gruppe insbesondere im Hinblick auf die Teilnahme einer deutschen Bundeswehr-Delegation an den „INVICTUS Games for wounded warriors“ im Mai 2016 in Orlando/Florida vorgestellt, bei denen im Sinne eines paralympischen Wettkampfes insgesamt 500 aktive und ehemalige Militärangehörige aus 14 Nationen zum Wettkampf antraten.

Auf die möglichen Wirkfaktoren von Sport und körperlicher Aktivität als Therapieform wird unter kurzer Darstellung der aktuellen medizinischen Fachliteratur eingegangen.

Schlüsselworte: Sport, Verwundeter, Rehabilitation, INVICTUS, PTBS, Sportschule, Sportmedizin, Bundeswehr

Keywords: sport, wounded warrior, rehablitation, INVICTUS, PTSD, sports school, sports medicine, Bundeswehr

Einleitung

Überall in der Welt wurden und werden Konflikte zwischen Staaten und unterschiedlichen Interessengruppen auch militärisch ausgetragen. Die Ereignisse

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Tab. 1: Aus der S3-Leitlinie PTBS [2]
und Erlebnisse während der Erfüllung ihrer soldatischen Aufträge, oft auch im weltweiten Einsatz, stellen für die Beteiligten fast immer eine außergewöhnliche Dimension der menschlichen (oder auch un-menschlichen) Erfahrung dar. Diese Erlebnisse können zu sichtbaren und unsichtbaren Verwundungen führen, die nach den modernsten medizinischen und psychotherapeutischen Therapieleitlinien behandelt werden müssen. Seit nahezu zwei Jahrzehnten kehren auch Tausende von Bundeswehrsoldaten pro Jahr nach mehrmonatigem Auslandseinsatz nach Deutschland zurück. Viele nutzen dabei das Angebot einer sogenannten Präventivkur zum Erhalt der Dienstfähigkeit [5] nach dem Einsatz.

Bei der Behandlung einsatzbedingter Schädigungen spielt – neben der körperlichen Rehabilitation – die Behandlung posttraumatischer Belastungsstörungen (PTBS) eine erhebliche Rolle. Hier wird von einer Inzidenz von PTBS im Bereich von 1 - 3 % inklusive Dunkelziffer ausgegangen [8].

Gemäß ICD-10 (F43.1) wird die posttraumatischen Belastungsstörung wie folgt definiert:

Die PTBS ist eine mögliche Folgereaktion auf eines oder mehrere traumatische Ereignisse, die an der eigenen Person, aber auch an fremden Personen erlebt werden können. In vielen Fällen kommt es zum Gefühl von Hilflosigkeit und durch das traumatische Erleben zu einer Erschütterung des Selbst- und Weltverständnisses.

Zunehmend werden allerdings auch andere seelische Traumafolgestörungen diagnostiziert (Tabelle 1).

Die Bedeutung von Sport bei der Behandlung körperlicher und seelischer „Verwundungen“ wurde in den letzten Jahren immer deutlicher, was in diesem Beitrag aufgezeigt werden soll.

Sporttherapie nach Einsatzschädigung

Zur Erweiterung der integrierten bio-psycho-sozialen Rehabilitation und Reintegration von verwundeten, verletzten und erkrankten Soldaten wurde im Jahre 2012 in enger Kooperation zwischen dem Zentrum für Sportmedizin der Bundeswehr (ZSportMedBw) und der Sportschule der Bundeswehr (SportSBw) in Warendorf die Gruppe „Sporttherapie nach Einsatzschädigung“ ins Leben gerufen. Dies ermöglichte die Entwicklung eines interdisziplinären, organisationsbereichsübergreifenden Rehabilitationsprogramms. Regelmäßige ambulante Untersuchungen und Beratungen, Intensiv-Rehabilitationsmaßnahmen und zwei- bis dreiwöchige sporttherapeutischen Trainings für Soldatinnen und Soldaten mit sichtbaren und mit unsichtbaren Verwundungen, Verletzungen und Erkrankungen sind die Bausteine dieses Programms.

Ziel: Vollständige berufliche Rehabilitation

Patienten mit seelischen Traumafolgestörungen und gleichzeitig bestehenden somatischen Risikokonstellationen (z. B. Adipositas, Hypertonie, eingeschränkte kardiopulmonale Leistungsfähigkeit, chronische Schmerzen des Bewegungsapparates) können nach einer ambulanten Erstbegutachtung am ZSportMedBw in Warendorf und vorheriger Empfehlung durch einen Facharzt für Psychiatrie der Bundeswehr im Rahmen der bereitstehenden Kapazitäten in das Rehabilitationsprogramm aufgenommen werden. Ziel ist die vollständige soziale und berufliche Rehabilitation im Sinne einer Wiedereingliederung auf einen militärischen Arbeitsplatz.

Dauerhafte interdisziplinäre Begleitung

Unter dem Motto „Kameraden für Kameraden“ werden die Teilnehmer dabei über einen begrenzten Zeitraum (in der Regel zwei Jahre) in einem interdisziplinären Setting aus Sportmedizin und Sportwissenschaft betreut, das regelmäßige ambulante und trainingsgebundene Maßnahmen umfasst. Körperlich ehemals erheblich Verwundete, Verletzte (in und außer Dienst) und Patienten, die nach schwerer Erkrankung eine die funktionale Kapazität dauerhaft einschränkende Behinderung am Bewegungsapparat erlitten haben, werden durch komplexe physiotherapeutische Intensivmaßnahmen und individuelle Hilfsmittelversorgung in engem Verbund mit den regionalen Sanitätseinrichtungen und den Bundeswehrkrankenhäusern (BwKrhs) im Sinne einer interdisziplinären patientenzentrierten Rehabilitation (IPR) dauerhaft begleitet.

Wesentlicher Bestandteil: Gruppenerlebnis

Die sporttherapeutischen Trainings stellen für diese heterogenen Patientengruppen einen unverzichtbaren Bestandteil des Rehabilitationsprogramms dar. Die Sporttherapie erreicht über die Teilaspekte Aktion, Emotion und Kognition in geradezu idealer Weise das Wiedererleben von Selbstwirksamkeit, Achtsamkeit und Teilhabe und trägt dabei wesentlich zur physischen und psychischen Unterstützung des Krankheitsbewältigungsprozesses bei. Das Gruppenerlebnis als wesentlicher Bestandteil sporttherapeutischer Interventionen steigert zudem das Gefühl sozialer Eingebundenheit und soziales Wohlbefinden und ist geeignet, Gefühle von Einsamkeit und Hilflosigkeit abzubauen.

Motivationsfaktor: Sondervorhaben

Von den Teilnehmern und Teilnehmerinnen wird erwartet, dass sie im Alltag (in Freizeit und Beruf) körperlich aktiv bleiben, an ihren persönlichen Zielen arbeiten, Trainingsnachweise dokumentieren und an die Sportwissenschaftler zur Auswertung einsenden. Diejenigen Soldaten, die ihre individuellen Trainingsziele erreichen (z.B. aufhören zu rauchen, Gewicht verlieren, Muskeln aufbauen, Leistungstestergebnisse verbessern, usw.) und auch nach den jeweiligen Trainings ihre individuellen Zielvereinbarungen erfüllen, können sich bei entsprechender Eignung für die Teilnahme an sportlichen Sondervorhaben bewerben. Diese Option stellt einen überragenden Motivationsfaktor für die Bewältigung des eigenen Schicksals dar und belegt einen außergewöhnlichen Willen zur Gesundung. Für die Teilnahme an derartigen Sondervorhaben steht nur eine begrenzte Zahl von Plätzen zur Verfügung.

INVICTUS Games for wounded warriors

Das bedeutendste Sondervorhaben stellen die „INVICTUS Games“ dar. Sie fanden im Jahre 2014 zum ersten Male in London nach zehnmonatiger

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Abb. 1: Logo der INVICTUS-Games
Vorbereitung – auch damals schon unter deutscher Beteiligung – statt. Die Idee für die „Spiele“ stammt von H.R.H. Prinz Harry von Wales („Captain Wales“), entwickelt aus seinen Erfahrungen und Erlebnissen als Soldat und Hubschrauberpilot im Afghanistaneinsatz.

Das Wort INVICTUS stammt aus dem Lateinischen und bedeutet „unbesiegt“/“unbezwungen“. Die INVICTUS Games sind eine paralympische Sportveranstaltung für kriegsversehrte, verletzte oder erkrankte Soldaten. In Orlando traten dabei vom 8. Mai bis zum 12. Mai 2016 etwa 500 Athleten aus 14 Nationen gegeneinander an. Die Teilnehmer kamen aus Afghanistan, Australien, Kanada, Dänemark, Estland, Frankreich, Georgien, Deutschland, Italien, Jordanien, Holland, Neuseeland, Großbritannien und den USA. Ausgetragen wurden Wettkämpfe in zehn unterschiedlichen Disziplinen, darunter Bogenschießen, Schwimmen, Leichtathletik, Radfahren, Indoor-Rudern und Mannschaftssportarten, wie Rollstuhl-Basketball oder Sitzvolleyball. Von Seiten der deutschen Athleten war keine Teilnahme an den Mannschaftssportarten vorgesehen. Je nach Verletzung und Einschränkung starteten die Teilnehmer in verschiedenen Kategorien, die Festlegungen erfolgten bereits mit der Anmeldung zu den Wettkämpfen.

Der Bedeutungsgehalt der Wettkämpfe zeigt sich schon in dem Titel INVICTUS: Die Teilnehmer sind trotz ihres Schicksals unbesiegt und unbezwungen!

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Abb. 2: Das deutsche Teilnehmer- und Betreuerteam in Orlando (Foto: Bundeswehr)
„Am Leben weiter teilhaben“, „sich Ziele stecken und erreichen“, „einen schwierigen Weg weitergehen“ ist Programm. Entscheidend ist nicht, Medaillen von den Wettkämpfen mit nach Hause zu bringen  - auch wenn das natürlich ein Ziel sein kann -, sondern die Teilnahme als solche ist schon Motivation und Belohnung. Sich unbezwungen zu erleben – „auf dem Wege sein“ – ist schon Teil der psychosozialen Rehabilitation.

Durch ein umfangreiches interdisziplinäres sportmedizinisches und sportwissenschaftliches Auswahlverfahren wurden für die fordernde Aufgabe körperlich und (wieder) seelisch belastbare Kameraden ausgewählt und ihnen sowie ihren Angehörigen eine Teilnahme an den „INVICTUS Games for wounded warriors“ in Orlando/Florida ermöglicht. Eine abschließende sportmedizinische Diagnostik und ein zweiwöchiger Trainingslageraufenthalt in Warendorf im April 2016 gaben den letzten Schliff. Letztendlich bestand das Team aus 21 Athleten im Alter zwischen 22 und 53 Jahren (Dienstgrade vom Stabsgefreiten bis zum Oberstleutnant) und einem Betreuerteam von sieben Soldaten inklusive Delegationsleiter, der gesamten Gruppe Sporttherapie, einer Psychologin, einer Physiotherapeutin und dem Teamarzt. Zusätzlich wurden die Sportler von 40 Familienangehörigen begleitet. Die Kosten für die Teilnahme, Unterbringung und Verpflegung wurden vom Veranstalter, der Stiftung INVICTUS Games Foundation, getragen. Die Reisekosten wurden durch die Bundeswehr übernommen.

Fallbeispiel 1

Ein älterer Feldwebeldienstgrad aus einem Sanitätsunterstützungszentrum hat vier Auslandseinsätze abgeleistet und dabei keine physischen Verletzungen

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Abb. 3: Stabsfeldwebel Manfred Faget (Kugelstoßen) mit einem US-amerikanischen „Konkurrenten“ (Foto: Phil Ellsworth für ESPN Images)
erlitten.

Aber er hatte wiederkehrend belastende Erlebnisse: Gräber ausheben, persönliche Bedrohungen durch Schusswaffen, Tod eines Freundes im Einsatzland. In der Folge zieht er sich im Alltag mehr und mehr zurück, die Ehe zerbricht. Der Sport wird zum Lebensanker. Ein Lotse für Einsatzgeschädigte aus dem Standort gibt die richtigen Hinweise, eine Psychotherapie wird begonnen. Er absolviert erstmalig ein Training für Ein-satz-geschädigte in Warendorf. Die Teilnahme an den Wettkämpfen in Orlando im Bogenschießen und Hallenrudern ist jetzt ein Meilenstein für ihn. Er gewinnt jetzt zwar keine Medaille, aber er gewinnt an Lebensmut. Die selbstgesteckten Ziele in den beiden Disziplinen werden übertroffen. Die Begegnungen mit den Soldatinnen und Soldaten der anderen Nationen zeigen: Keiner ist alleine, sie alle sind „Invictus“.

Fallbeispiel 2

Stabsfeldwebel F. trat bereits bei den INVICTUS Games in London im Jahre 2014 unter anderem im 1500 m-Lauf und im Radfahren in der Startklasse „Funktionsverlust/Amputation der oberen Extremitäten“ an. Ein Motoradunfall vor 16 Jahren auf dem Weg zur Dienststelle hatte das Leben des Soldaten schlagartig verändert. Eine eingerissene Milz, Schädigung des Plexus axillaris und offene Unterarmtrümmerfraktur links mit anschließender Amputation des linken Armes nach akutem Nierenversagen waren die schwerwiegenden Folgen. Zusätzlich erlitt er eine Rippenserienfraktur links und beidseitige Lungenkontusionen; er wurde für etwa sechs Wochen in ein künstliches Koma versetzt, was mit 30 kg Gewichtsverlust einherging. Im Anschluss an die Akutbehandlung folgten eine zehnmonatige Intensivtherapie inklusive Nachamputation für Prothesenversorgung sowie die Anschlussheilbehandlung. Der Heilungsprozess führte durch weitere Rehabilitationsmaßnahmen, insgesamt sieben Operationen und schließlich an das ZSportMedBw. Im Juli 2014 erfolgte die erste Teilnahme am dreiwöchigen Training „Sporttherapie nach Einsatzschädigung“, was den Beginn der langfristig angelehnten Betreuung bedeutete. Durch die sehr positive Entwicklung seiner Leistungsfähigkeit und die verbesserte Prothesenversorgung fand der Soldat den Weg zurück ins Leben. Seit dem Sommer 2015 fährt er regelmäßig mit einem auf ihn angepassten Rennrad. Bei den INVICTUS Games in London 2014 gewann er die Silbermedaille im 1500 m-Lauf. 2016 konnte er persönliche Bestleistungen im 1500 m-Lauf, im Radrennen und im Kugelstoßen sowie im Diskuswerfen erzielen.

Mögliche Wirkfaktoren der Sporttherapie

Gut beschrieben wird das dramatische Auf und Ab von Emotionen bei Lebenskrisen in einem Gedicht von William Ernest Henley (1849 – 1903). Die letzten

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Tab. 2: Chronifizierung einer Traumafolgestörung (modifiziert nach [4])
beiden Zeilen des Gedichtes waren in Orlando allgegenwärtig:

I am the master of my fate:

I am the captain of my soul.

Ob und wie ein traumatisierendes Ereignis bewältigt werden kann, hängt oft von den persönlichen und psychosozialen Ressourcen und Unterstützungssystemen ab. Wenig ist bisher über die neurobiologischen modifizierenden Effekte von Sport als integrativem Therapiebestandteil bei Schmerzsyndromen nach Verwundung oder Verletzung oder bei der Behandlung von Traumafolgestörungen bekannt. Gut erforscht und beschrieben hingegen wurde die Negativspirale von Emotion und Kognition bei der Chronifizierung einer Traumafolgestörung.

Wichtige Hinweise auf die möglichen Wirkfaktoren und Zusammenhänge von körperlicher Aktivität und psychischer Gesundheit geben zwei kürzlich publizierte Übersichtsarbeiten [7, 3], eine davon sogar aus einer deutschen Quelle [7]. In dieser im Bundesgesundheitsblatt veröffentlichten Arbeit wird dargestellt, dass körperliches Training bei Depressionen ähnlich wirksam ist wie eine medikamentöse Therapie. Aerobes Ausdauertraining wirkt deutlich reduzierend auf das Ausmaß von Ängstlichkeit, sogar stärker als andere Formen der anxiolytischen Behandlung, wie Entspannungsverfahren, Stressmanagement, Gruppentherapie oder Yoga.

Neurobiologische Mechanismen im Focus der Forschung

Auch zu der Fragestellung, wie denn neurobiologische Mechanismen bei körperlichen Aktivitäten modifiziert werden, gibt diese Arbeit einen Hinweis. Heute

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Abb.4: Hauptfeldwebel Naef Adebahr (Bronzemedaille im 200 m-Lauf) bei der Siegerehrung (Foto: Kohjiro Kinno für ESPN-Images)
wird angenommen, dass bei Depressionen eine verminderte Veränderungsfähigkeit von Synapsen, Nervenzellen oder gar ganzen Hirnarealen vorliegt (verminderte Neuroplastizität). Für die neuronalen Neubildungs- und Veränderungsprozesse benötigen wir sogenannte Neurotrophine, z. B. den Brain-derived neurotrophic factor (BDNF). Dieser Faktor ist im Körper ubiquitär vorhanden. Bei Depressiven liegen wohl verminderte BDNF-Konzentrationen vor, antidepressive Medikamente gleichen den Mangel aus. Und körperliches Training führt zum Ansteigen dieses Neurotrophin-Spiegels im peripheren Blut!

Möglicherweise weist auch eine erst vor kurzem publizierte Pilotstudie aus dem Department of Veterans Affairs [5] einen weiteren Weg zum besseren Verständnis der neurobiologischen Prozesse bei sportlichen Aktivitäten: Ein höheres Maß an Fitness bei weiblichen Veteranen zeigte auch höhere Konzentrationen von Neuropeptid Y sowie von Pregnanolon und Allopregnanolon. Dies wiederum war korreliert mit einer niedrigeren Schmerzsensitivität.

Viele Wirkfaktoren sind noch nicht genau identifiziert, weitere Forschungsprojekte sollen folgen.

Sportpsychologische Aspekte

Eine Übersichtsarbeit von SCHULZ et al. [7] zeigt zusätzlich noch den aktuellen sportpsychologischen Forschungsstand auf:

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Abb. 5: Hauptfeldwebel Kai Cziesla (Silbermedaille im Hallenrudern) bei der Siegerehrung (Foto: Phil Ellsworth für ESPN Images)

• Sport führt bei Erwachsenen zu einer leichten, aber signifikanten Verbesserung des globalen Selbstwertgefühles.

• Körperliche Aktivität (KA) führt zu einer Stärkung der Selbstwirksamkeitserwartung.

• Sport führt zu einer Verbesserung des physischen Selbstkonzeptes.

Auf die Bedeutung von körperlicher Aktivität im Rahmen der Therapie von PTBS weist die Metaanalyse von ROSENBAUM et al. [3] ausführlich hin. In vier randomisierten und kontrollierten Studien (seit dem Jahre 2014 veröffentlicht), die den Einschlusskriterien entsprachen, konnte Folgendes gezeigt werden:

• Körperliche Aktivität (KA) reduziert PTBS-Symptome in höherem Maße als in Kontrollgruppen ohne KA.

• Durch KA werden Symptome von Depression stärker reduziert als in Kontrollgruppen ohne KA.

• Es zeigten sich keine negativen Auswirkungen von vermehrter KA.

• Die Daten waren nicht aussagefähig in Hinblick auf Messdaten, wie z.B. Körpergewicht.

Die Auswirkungen von aerobem Ausdauertraining auf die Symptome von PTBS untersuchte eine aktuelle Studie von FETZNER und ASMUNDSON [1] aus Kanada: Nach einem nur zweiwöchigem Interventionsprogramm berichteten die 33 Studienteilnehmer über eine klinisch signifikante Verringerung der Symptomatik.

Wettkämpfe als Meilenstein der Rehabilitation

Erfahrungsgemäß und nun auch durch Wissenschaft und Forschung belegt, können sportliche Herausforderungen therapeutisch auf vielen Ebenen wirksame Prozesse veranlassen und fördern. Sporttherapie gezielt eingesetzt ist Ressourcenaktivierung! Und dabei stellen natürlich besondere sportliche Ereignisse, wie „Ride 2 Recovery“[1] oder die nun etablierten INVICTUS Games, einen wichtigen Meilenstein im persönlichen Erleben der Betroffenen dar. Wettkämpfe sollten dabei gut in das gesamte Instrumentarium der Therapiemaßnahmen eingebettet sein – als langfristiges Ziel, auf das die Teilnehmer hintrainieren und hinarbeiten können.

Fazit und Ausblick

Jeder Teilnehmer des deutschen Teams, sei es Athlet oder Betreuer, hat etwas von dem „INVICTUS Spirit“ mit nach Hause gebracht. Zwei Athleten

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Abb. 6: Hauptmann Julian Tatje übergibt das Gastgeschenk der Sportschule der Bundeswehr an H.R.H. Prinz Harry (Foto: Bundeswehr)
erzielten sogar Medaillen: Silber gab es für den Wettkampf im Hallenrudern, Bronze beim 200 Meter Sprint.

Eines muss abschließend noch besonders erwähnt werden: Es ist die Gastfreundschaft, die dem deutschen Team und seinen Angehörigen sowohl in London als auch Orlando zuteil wurde und die alle Teilnehmer zutiefst bewegte! Die professionelle Organisation der zu wesentlichen Teilen durch die Zivilgesellschaften in Großbritannien und den USA finanziell und ideell unterstützten Veranstaltungen, aber auch das dortige Medieninteresse – was nicht zuletzt durch den ausgesprochen freundlichen und authentischen Umgang des Schirmherrn der Veranstaltung, H.R.H. Prinz Harry, mit allen Teams entstand – trugen entscheidend dazu bei, auf das Schicksal der Betroffenen und ihren außergewöhnlichen Weg zurück ins Leben aufmerksam zu machen.

Umso erfreulicher ist zu bemerken, dass sich erstmals auch die Presse in Deutschland dem Thema INVICTUS Games widmete.

Beim nächsten Mal wird die INVICTUS Fahne im September 2017 in Toronto/Kanada wehen. Das deutsche Team wird als Botschafter für Deutschland und die Bundeswehr und Hoffnungsgeber für viele vom Schicksal schwer geprüfte Kameraden gut vorbereitet mit dem INVICTUS Spirit antreten.

 

Kernaussagen

 

• Die psychosozialen Belastungen von Soldaten mit Verwundungen (sichtbar und/oder unsichtbar), Verletzungen und Erkrankungen sind erheblich.

• Nach akutmedizinischer Behandlung ist eine interdisziplinäre patientenzentrierte Rehabilitation langfristig notwendig und effektiv.

• „Heilung durch Bewegung“ und „Gesundheit durch Bewegung“ sind unter vielfältigen Aspekten erprobte und wissenschaftlich belegte erfolgreiche erweiterte Behandlungsansätze.

• Sportmedizin (das Zentrum für Sportmedizin der Bundeswehr) und Sporttherapie (Gruppe Sporttherapie für Einsatzgeschädigte der Sportschule der Bundeswehr) sind ideale Partner für diese Behandlungen.

• Die Möglichkeit zur Teilnahme an internationalen Wettkämpfen für Versehrte, wie den INVICTUS-Games, ist Ziel und Motivator zur aktiven Arbeit an der eigenen Rehabilitation.

Literatur

  1. Fetzner, M. G. & Asmundson, G. J.: Aerobic exercise reduces symptoms of Posttraumatic stress disorder: a randomized controlled trial. Cognitive Behaviour Therapy. 44:4, 2015. 301-313.
  2. Flatten, G., Gast, U., Hofmann, A. et al.: S3–Leitlinie Posttraumatische Belastungsstörung. Trauma & Gewalt 3, 2011. 202-205.
  3. Rosenbaum, S., Vancampfort, D., Steel, Z. et al.: Physical activity in the treatment of Post-traumatic stress disorder: A systematic review and meta-analysis. Psychiatry Research 230, 2015.130-136.
  4. Sack, M., Gromes, B.: Ressourcenorientierte Behandlungsstrategien in der Traumatherapie. Autonomie und Handlungskompetenz zurückgewinnen. Psychotherapie im Dialog 1, 2013. 2-7.
  5. Scioli-Salter, E., Forman, D., Otis, J. et al.: Potential neurobiological benefits of exercise in chronic pain and Posttraumatic stress disorder: Pilot study. Journal of Rehabilitation Research & Development 1, 2016. Vol. 53. 95-106.
  6. Schubmann, R.: Konfrontation mit Gewalt und fremder Kultur – Psychosomatische Rehabilitation von Soldaten nach Auslandseinsätzen. In: Muthny / Bermejo (Hrsg.): Interkulturelle Medizin. Deutscher Ärzte-Verlag, Köln 2009. 121-137.
  7. Schulz, K-H., Meyer, A., Langguth, N.: Körperliche Aktivität und psychische Gesundheit. Bundesgesundheitsbl 55, 2012. 55-65
  8. Wittchen HU, Schönfeld S, Kirschbaum C, et al.: Traumatic experiences and posttraumatic stress disorder in soldiers following deployment abroad: how big is the hidden problem? Dtsch Arztebl Int 2012; 109(35–36): 559–68.

Anhang:

Webseite der Sportschule der Bundeswehr:

Kontaktadresse der Gruppe Sporttherapie nach Einsatzschädigung:

Sportschule der Bundeswehr - Gruppe Sporttherapie
Dr. Rau-Allee 32, 48231 Warendorf
E-Mail: SportSBwGrpSporttherapie@bundeswehr.org

Presseberichte zu INVICTUS Games:

Bericht Bundeswehr

Bericht Sanitätsdienst

Bericht Invictusgames

Für die Verfasser:
Oberstarzt d. R. Dr. Rainer Schubmann
Chefarzt Dr. Becker Klinik Möhnesee
Schnappweg 2, 59519 Möhnesee

E-Mail: rschubmann@dbkg.de

 

[1]
Ride 2 Recovery (R2R) ist eine Radsport-Veranstaltung für aktive und ehemalige verwundete, verletzte oder erkrankte Soldaten, die erstmals im Jahre 2008 in den USA durchgeführt wurde. Die Sportart Radfahren wird zur Unterstützung von Genesungs- und Rehabilitationsprozessen genutzt, sie fand u.a. im Jahre 2015 unter Teilnahme von sechs Nationen von Holland nach Warendorf statt. An 8 Radetappen wurden insgesamt über 800 km mit den Rädern zurückgelegt.



 

Datum: 29.10.2016

Quelle: Wehrmedizinische Monatsschrift 2016/9-10

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