
Weichgewebsmanagement bei implantologischen Komplettversorgungen
Zusammenfassung
A. Mund, T. Sköries und J. Ehlers
Zusammenfassung
Die vollständige implantologische Versorgung zahnloser Patienten erfordert ein gezieltes Management des periimplantären Weichgewebes. Vestibulumplastiken zur Vertiefung des Mundvorhofs und der Aufbau keratinisierter Gingiva sind entscheidend für langfristig stabile und entzündungsfreie Verhältnisse. Der Beitrag beleuchtet klassische und moderne vestibuloplastische Techniken, vergleicht xenogene Weichgewebsmatrizen (Mucoderm®, Mucograft®), diskutiert Maßnahmen zur Socket Preservation und illustriert die interdisziplinäre Versorgung eines zahnlosen Soldaten mit multiplen Nichtanlagen. Ergänzt wird die Darstellung durch einen Überblick zu maxillofazialen Kriegsverletzungen und deren implantologischen Konsequenzen.
Weichgewebsmanagement bei implantologischen Komplettversorgungen: Vestibulumplastiken und xenogene Weichgewebsmatrizen im wehrmedizinischen Kontext
Die Versorgung zahnloser Patienten mit implantatgetragenem Zahnersatz stellt insbesondere bei kompromittierter Weichgewebesituation eine große chirurgisch-prothetische Herausforderung dar. Besonders kritisch ist das Fehlen befestigter, keratinisierter Mukosa im Bereich der Implantatdurchtrittsstellen. Die funktionelle Relevanz zeigt sich nicht nur im Hinblick auf Reinigungsfähigkeit und Prothesenhalt, sondern insbesondere im Rahmen der Entstehung und Progression periimplantärer Erkrankungen. Bewegliche Schleimhaut im direkten Implantatkontakt erzeugt durch einen sog. „Pumpeffekt“ mechanische Reize und Mikroinfiltration, die Entzündungen fördern können.
Ein funktionelles Vestibulum ist dabei die Grundlage für stabile Verhältnisse. Die klassische vestibuloplastische Chirurgie kennt unterschiedliche Techniken wie die Edlan-Mejchar-, Kazanjian- oder Atlan-Modifikation. Während diese Verfahren eine effektive Vertiefung ermöglichen, sind sie häufig mit großflächig freiliegendem Periost assoziiert. Dies bedingt eine schmerzhafte Heilung und ein höheres Narbenrisiko. Moderne Techniken greifen deshalb zunehmend auf den Einsatz xenogener Weichgewebsmatrizen zurück. Zwei klinisch etablierte Materialien sind Mucograft® (Fa. Geistlich, Wolhusen, Schweiz) und Mucoderm® (Fa. Botiss, Zossen).
Mucograft® ist eine bilaminare porzine Matrix mit glatter Oberfläche und poröser, schwammiger Unterseite. Sie eignet sich insbesondere für offene Heilungssituationen bei Vestibulumplastiken, da sie eine schnelle Epithelisierung und geringere postoperativen Beschwerden fördert. Mucoderm® hingegen ist eine homogen strukturierte porzine Dermismatrix, die für gedeckte Verfahren oder als Transplantatersatz bei Socket Preservation geeignet ist. Beide Materialien zeigen in Studien vergleichbare Ergebnisse im Hinblick auf die Neubildung keratinisierter Gingiva, unterscheiden sich jedoch in Handling, Resorptionsverhalten und Indikationsbreite.
Ein frühzeitiger Weichgewebsaufbau kann bereits bei der Extraktion erfolgen. Socket Preservation mit kollagenem Deckmaterial (z. B. Punch-Technik mit Mucoderm®) hilft, das Volumen des Alveolarfortsatzes zu erhalten und begünstigt die spätere Implantatinsertion.

Fallbeispiel: Interdisziplinäre Versorgung aus zahnärztlicher, zahntechnischer und chirurgischer Sicht
Die implantologische Versorgung zahnloser Patienten innerhalb des wehrmedizinischen Systems stellt besondere Anforderungen an die Verzahnung und Kommunikation der beteiligten zahnärztlichen, chirurgischen und zahntechnischen Akteure. Eine enge Kooperation bereits bei der Erstuntersuchung – idealerweise in direkter Abstimmung zwischen Truppenzahnarzt und den spezialisierten Abteilungen der Bundeswehrkrankenhäuser – ermöglicht die frühzeitige Erkennung weichteilbedingter Komplikationen. Der hier geschilderte Fall zeigt exemplarisch, wie eine zentrale chirurgische Versorgung unter stationären Bedingungen und eine dezentrale, truppenzahnärztlich koordinierte Nachsorge erfolgreich miteinander kombiniert werden können.
Ein 1988 geborener Soldat stellte sich aufgrund multipler Nichtanlagen mit einer nicht dauerhaft erhaltungswürdigen Restbezahnung mit den Zähnen 15 und 37 in der Zahnarztgruppe Burg vor. Die initiale Behandlungsplanung erfolgte im Bundeswehrkrankenhaus Berlin in enger Abstimmung mit dem Truppenzahnarzt. Aufgrund der knöchernen Atrophie wurde der Patient in die Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie des Bundeswehrkrankenhauses Ulm überwiesen. Dort wurden 6 Monate nach einer umfangreichen Augmentation mit kortikospongiösem Beckenkammknochen unter schablonengeführter Navigation insgesamt 16 Implantate (8 im Oberkiefer und 8 im Unterkiefer) unter Vollnarkose inseriert. Ein Implantat im Oberkiefer regio 16 ging während der Einheilung verloren.
Bei der Freilegung zeigte sich eine vollständige Obliteration des vestibulären Raums mit fehlender befestigter Schleimhaut – sowohl im anterioren als auch im posterioren Bereich. In der Abteilung XXIII des Bundeswehrkrankenhauses Berlin erfolgte daraufhin die vestibuloplastische Rekonstruktion nach modifizierter Edlan-Mejchar-Technik. Es wurden sechs zugeschnittene Mucograft®-Membranen auf die periostale Fläche aufgebracht und mit Einzelknopfnähten fixiert. Zur Abdeckung diente ein intraoperativ verlängerter Interimsersatz, der postoperativ als Verbandplatte fungierte.

Die Heilung verlief komplikationslos. Nach 14 Tagen zeigten sich epithelisierte, stabile Verhältnisse mit ca. 5–6 mm befestigter Gingiva im Front- und Seitenzahnbereich. Die prothetische Versorgung erfolgte wiederum durch den Truppenzahnarzt am Standort Burg, der den Patienten kontinuierlich betreute und die therapeutische Koordination übernahm. In enger Kooperation mit einem zivilen zahntechnischen Meisterlabor wurde die definitive Versorgung mit Teleskopprothesen nach dem Weigl-Protokoll umgesetzt. Die Primärkronen wurden aus Zirkonoxid gefertigt. Die Teleskopprothesen mit Galvano-Sekundärkronen fügten sich spannungsfrei ein. Die zahntechnische Ausarbeitung ermöglichte eine hochpräzise Passung, die der Patient als deutlich funktionell überlegen im Vergleich zu früheren Versorgungen beschrieb. Der funktionelle und ästhetische Rehabilitationserfolg wurde durch die enge Verzahnung aller Beteiligten im wehrmedizinischen Behandlungsverbund maßgeblich ermöglicht. Die funktionelle und ästhetische Rehabilitation war vollständig.
Die Einbindung des zahnärztlichen und zahntechnischen Know-hows ermöglichte nicht nur eine passgenaue prothetische Umsetzung, sondern auch eine patientenzentrierte Versorgung in enger Abstimmung mit allen Fachdisziplinen. Die kontinuierliche Begleitung des Patienten über den gesamten Therapieverlauf hinweg – von der Indikationsstellung über die chirurgische und zahntechnische Umsetzung bis zur prothetischen Eingliederung – unterstreicht die Bedeutung multiprofessioneller Zusammenarbeit im Rahmen des wehrmedizinischen Versorgungsmodells.

Behandlungsverbund und koordinierte Versorgung
Die erfolgreiche Rehabilitation komplexer Fälle im wehrmedizinischen Kontext setzt ein fein abgestimmtes Netzwerk zwischen Zahnarztgruppen, spezialisierten Fachabteilungen der Bundeswehrkrankenhäuser sowie qualifizierten zahntechnischen Laboratorien voraus. Entscheidende Faktoren sind dabei kurze Kommunikationswege, standardisierte Übergabeformate und ein beidseitiges Verständnis der logistischen und personellen Rahmenbedingungen am jeweiligen Standort. Besonders bei langwierigen implantologischen Gesamtsanierungen ermöglicht dieser Verbund eine heimatnahe Betreuung großer Teile der Behandlung und gleichzeitig den Zugang zu modernsten operativen Verfahren in spezialisierten Zentren. Die Verzahnung dieser Ebenen trägt nicht nur zur Qualitätssicherung bei, sondern schafft auch Vertrauen beim Patienten – ein Aspekt, der gerade bei einsatzgeschädigten Soldaten mit hohem psychischen Belastungsprofil nicht zu unterschätzen ist.
Kriegsverletzungen als besondere Indikation
Insbesondere im Rahmen der Versorgung von Einsatzverwundeten zeigt sich die Notwendigkeit eines strukturierten Weichgewebsmanagements. Aktuelle Studien berichten, dass bis zu 40–50 % der Verletzungen im Ukrainekrieg den Kopf- und Gesichtsbereich betreffen. Häufige Ursachen sind Explosionstraumata und Schussverletzungen mit kombinierter Weichgewebs- und Knochenzerstörung. Das Vestibulum ist durch Narbenbildung und Weichteilretraktion dann meist vollständig obliteriert. Eigene Erfahrungen bei der Behandlung ukrainischer Patienten in deutschen Bundeswehrkrankenhäusern belegen den Stellenwert vestibuloplastischer Verfahren mit xenogenen Matrizes zur Vorbereitung auf implantologische Rehabilitation.

Evidenzlage zu Weichgewebsmatrizes
Mehrere klinische Studien und systematische Übersichtsarbeiten bestätigen die Wirksamkeit von xenogenen Weichgewebsmatrizes im periimplantären Weichgewebsmanagement. Mucograft® zeigt in prospektiven Untersuchungen eine vergleichbare Effektivität zur freien Schleimhauttransplantation hinsichtlich der Breite keratinisierter Gingiva, allerdings bei reduzierter Patientenmorbidität und kürzerer postoperativer Rekonvaleszenz (z. B. Lorenzo et al., 2012; Thoma et al., 2015). Mucoderm® wiederum weist in präklinischen Studien eine schnellere Integration in das umliegende Gewebe auf, allerdings bei geringfügig reduzierter Gewebestabilität im Vergleich zu autologen Transplantaten (Sanz et al., 2018). Beide Materialien stellen damit eine klinisch sinnvolle Alternative bei vestibulären Defiziten dar – insbesondere in Fällen, in denen autologes Gewebe nicht oder nur eingeschränkt verfügbar ist, wie dies bei Kriegsverletzungen oft der Fall ist.
Fazit
Vestibulumplastiken und der Einsatz xenogener Matrizes stellen ein effektives Instrument im Weichgewebsmanagement dar – sowohl präimplantologisch als auch im Rahmen sekundärer Rekonstruktionen. In Kombination mit vorausschauenden Maßnahmen wie der Socket Preservation kann die Grundlage für stabile periimplantäre Verhältnisse geschaffen werden. Der vorliegende Fall belegt die Bedeutung eines eng abgestimmten Behandlungsverbundes zwischen Zahnarztgruppen, Bundeswehrkrankenhäusern und zahntechnischen Laboren für eine erfolgreiche implantatprothetische Versorgung – selbst unter herausfordernden Bedingungen wie ausgeprägter Atrophie, komplexem Weichgewebsdefizit oder kriegsbedingten Verletzungsmustern.
Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2 / 2025
Für die Verfasser:
Oberstarzt Dr. Andreas Mund
Bundeswehrkrankenhaus Berlin
Scharnhorststraße 13
10115 Berlin