ZUR PROBLEMATIK DER MESSUNG VON G*z-BELASTUNGSBEDINGTEN VERÄNDERUNGEN DER LUNGENFUNKTION
Aus der Abteilung Forschung, Wissenschaft und Lehre Luft- und Raumfahrtmedizin (Leiter: Oberstarzt Dr. H. Glaser) des Flugmedizinischen Institutes der Luftwaffe Fürstenfeldbruck¹ (Leiter: Oberstarzt Dr. W. Krause) und dem Zentrum für Weltraummedizin der Charité in Berlin² (Leiter: Prof. Dr. H.-C. Gunga)
von Eckard Glaser¹, Andre Gens¹, Hanns-Christian Gunga² und Carla Ledderhos¹
Zusammenfassung
Hintergrund:
Hochleistungsflugzeuge der 4. Generation können eine neue Qualität von Beschleunigungsbelastungen auf den Luftfahrzeugführer (LFF) ausüben. Dabei liegen sowohl die Dauer der Gz-Belastung, einzeln wie auch kumulativ, als auch die Geschwindigkeit ihres Anstiegs und Abfalls deutlich über den Werten althergebrachter Luftfahrzeugmuster.
Um die Einsatzfähigkeit des LFF sowohl kurzals auch langfristig zu gewährleisten, erfordert dies unter anderem auch eine erneute wissenschaftliche Betrachtung der Auswirkungen hoher Gz-Belastungen auf die Lunge, ihre Funktionsfähigkeit und Leistungsgrenzen.
Methoden:
Mit Hilfe heutiger etablierter und durch die einschlägigen fachärztlichen Verbände European Respiratory Society (ERS) und American Thoracic Society (ATS) standardisierter Messverfahren können im klinischen Alltag Parameter der Ventilation, Diffusion und Perfusion in einem einzigen Messgang erfasst werden. Für die spezifischen Versuchsbedingungen in der Humanzentrifuge müssen die dafür kommerziell erhältlichen Geräte allerdings modifiziert werden. Zudem ist es aus grundsätzlichen Erwägungen heraus nicht möglich, mit eben jenen Verfahren In-situ-Messungen vorzunehmen.
Ergebnisse:
In der vorliegenden Arbeit werden prinzipielle Überlegungen zur Erfassung von beschleunigungsbedingten Veränderungen der Lungenfunktion angestellt, eine in der Abteilung Forschung, Wissenschaft und Lehre des Flugmedizinischen Institutes der Luftwaffe modifizierte und für derartige Messungen geeignete gerätetechnische Konfiguration vorgestellt sowie exemplarisch erste Ergebnisse von Messungen in der Humanzentrifuge präsentiert.
Schlussfolgerungen:
Wesentlich war, dass der gewählte Versuchsaufbau, in einem Messdurchgang zuverlässig und reproduzierbar Parameter der Ventilation (Totale Lungenkapazität TLC, Vitalkapazität VC, Residualvolumen RV, RV/TLC, Alveoläre Ventilation VA), Diffusion (DLCO, DLNO, Dm) und Perfusion (Vc) erfassen konnte. Die bisher erhobenen Daten lassen deutliche Auswirkungen von Zentrifugenbelastungen und Anti-G-Schutzanzug-Design auf diese drei Teilprozesse der Lungenfunktion erkennen.
Aspects of the measurement of Gz-induced changes of the lung function
Summary
Background:
Fourth-generation fighter aircraft bring a new quality of exposure to acceleration to aircrews. Not only can the Gz forces be sustained much longer, but also the onset and offset of these forces can be much more sudden than in traditional fighter aircraft. In an effort to assure both short as well as long-term operational readiness of aircrews it appears well advised to further analyze the effects of high acceleration, among many other aspects, on the lung, its functionality and limitations.
Methods:
By means of today’s established and standardized methods, parameters of ventilation, diffusion and perfusion can be obtained in a single procedure. However, for the specific boundary conditions found in a human- use centrifuge (HZF), commercial products, having these clinical routine procedures implemented, need to be modified. Additionally, for very basic reasons it is impossible to deploy the above mentioned measurement procedures in useful in-situ measurements during actual Gz loading events.
Results:
In this paper, basic considerations regarding the measurement of acceleration-induced changes in lung performance will be discussed. Furthermore, a measurement system, suitably modified by the German Air Force Institute of Aviation Medicine, will be presented and first exemplary results obtained during HZF tests of different anti-G suits (AGS) will be shown.
Conclusions:
It is important to note that the chosen measurement setup proved to be very reliable in obtaining reproducible parameters of ventilation, diffusion and perfusion in just one single procedure. Data gathered so far shows different effects of Gz exposures and anti-G-suit-design on above processes of lung function.
1. Einleitung
Die im Vergleich zu herkömmlichen strahlgetriebenen Kampfflugzeugen bisher nicht gekannte Agilität der Hochleistungsflugzeuge der 4. Generation wie Eurofighter, Mirage 2000, Rafale und SAAB J39, um nur einige zu nennen, bringen grundsätzliche Veränderungen in der Natur des Beschleunigungsstresses im Hinblick auf Größe („G-load“: +9-12 Gz), Dauer („sustained G-load“: bis zu +9 Gz dauerhaft) der Zentrifugalbeschleunigung, Gz, Lastwechsel (+Gz to -Gz transition) und „G-onset-Rate“ (>+12 Gzs-1) mit sich. Damit wird der ungeschützte Mensch zum eigentlich limitierenden Element der Nutzung einer faszinierenden technischen Entwicklung.
Flugmedizinisch verdienen Auswirkungen der erheblich höheren Beschleunigungen auf den menschlichen Organismus, welche die aktuelle Generation von Kampfflugzeugen nicht nur sehr schnell auf- und wieder abbauen, sondern auch nachhaltig aufrechterhalten kann, eine besondere Aufmerksamkeit. Neben Auswirkungen auf die Wirbelsäule und den muskulären Halteapparat sind vor allem jene auf das kardiovaskuläre und pulmonale System zu nennen. Dabei spielen insbesondere die in der Körperlängsachse, der sogenannten Gz-Achse, wirkenden Beschleunigungen eine entscheidende Rolle1.
Im Hinblick auf das kardiovaskuläre System kommt es mit zunehmender Gz- Beschleunigung zu einer Zunahme des intravaskulären hydrostatischen Druckgradienten und zu einer Blutverlagerung in die abhängigen Extremitäten, das Splanchnikusgebiet und die unteren Lungenabschnitte. Man spricht vom sogenannten „blood pooling“, mit dem zentralnervöse und sensorische Effekte mit Minderversorgung von Gehirn und Retina und entsprechende Einschränkungen bis hin zu Ausfällen von Funktionen (Verlust von Farbsehen, peripherem und zentralem Sehen bis hin zum Bewusstseinsverlust, dem „G induced loss of consciousness“ (G-LOC) einhergehen.
Um dies zu verhindern und den LFF überhaupt zu befähigen, dem hohen Leistungsanspruch der neuen Luftfahrzeuggeneration gerecht zu werden, gibt es eine Reihe von Möglichkeiten die + Gz-Toleranz im Hinblick auf Höhe und Dauer zu verbessern. Diese bestehen in aktiven Anti-G-Maßnahmen wie den sogenannten „Anti-G Straining- Maneuvers“, die der Pilot während der Gz-Belastung ausführt und die die Gz- Toleranz um bis zu 3 Gz und mehr steigern können. Darüber hinaus können passive Maßnahmen den Piloten wirksam vor zu hohen Gz -Belastungen schützen.
Dazu gehören die Rückneigung der Lehne des Pilotensitzes (zumindest in einigen Flugzeugen verwirklicht), die zu einer hämodynamisch effektiven Verringerung des Herz-Augen- Abstandes führt, und das Tragen von Anti-G-Schutzbekleidung (Anti-G Suits) und eine positive Druckbeatmung („positive pressure breathing for G-protection“ (PBG). Dabei führen sowohl die Gz -Belastungen an sich als auch die aktiven Maßnahmen durch den Piloten selbst und das Anzugsystem inklusive positiver Druckbeatmung zu Veränderungen der Lungenfunktion, die bisher nur sehr unvollkommen verstanden und beschrieben sind.
1.1 Die Lunge als zentrales Organ für den Gasaustausch
Für seine Energiegewinnung braucht der menschliche Körper Sauerstoff. Dieser ist im Allgemeinen am jeweiligen Ort der Energieumsetzung nicht verfügbar, sondern muss vom Körper aufgenommen und an die Stellen seines Verbrauchs transportiert werden. Ohne eine stabile Versorgung mit Sauerstoff ist eine dauerhafte Umsetzung von Energie nicht möglich.
Das Organ zur Aufnahme von Sauerstoff im menschlichen Organismus ist die Lunge. Von seiner Aufnahme bis zum Verbrauch durchläuft der Sauerstoff dabei eine Reihe von Prozessen, deren mögliche Limitationen zu Versorgungsengpässen führen können: Hierbei sind vor allem zu nennen:
1. die Ventilation (Belüftung der Lunge)
2. der Gasaustausch (Diffusion durch die alveolo-kapilläre Membran)
3. der Transport mittels Blutkreislauf sowie
4. die Diffusion an den Stellen des Verbrauchs (Zellebene).
Die beiden ersten Prozesse, als eine Funktion der Lunge, sollen in der vorliegenden Arbeit näher betrachtet werden.
1.2 Auswirkungen von Gz-Beschleunigungen auf die Lungenfunktion
Bekannt ist, dass hohe Beschleunigungen in der Körperlängsachse durch die Absenkung des Zwerchfells, die Beeinträchtigung der Rippenatmung und die fliehkraftbedingte Verschiebung von Lungenabschnitten mit daraus resultierender Verschiebung der Atemruhelage das Atmen erschweren. Durch die erhöhte unidirektionale (Beschleunigungs-) Kraft nimmt der hydrostatische Druck in Richtung der wirkenden Kraft zu. Es kommt zur Verstärkung des bereits existierenden Druckgradienten entlang der z-Achse und das im Bereich der Lunge ohnehin schon bestehende Missverhältnis von Ventilation und Perfusion wird weiter gesteigert.
In den apikalen Lungenbezirken nimmt die Durchblutung ab und gleichzeitig steigt die Ventilation an. In den basisnahen Bereichen nimmt bei eingeschränkter Belüftung die Perfusion zu. Im Ergebnis dessen kann es bei LFF von strahlgetriebenen Hochleistungsflugzeugen an der Lungenbasis zum Kollaps der Alveolen und zur Ausbildung „Gz-induzierter Atelektasen“ kommen [1]. Hier handelt es sich um Lungenbezirke, die von der Ventilation nicht mehr erfasst werden und damit auch nicht (mehr) zum Gasaustausch beitragen. Dabei treten gewöhnlich intensive Schmerzen im Brustraum, Hustenanfälle und Atemnot auf. Dieser Prozess wird noch verstärkt durch die Wirkung von Anti-G-Anzügen, die das Zwerchfell anheben und damit einhergehend die funktionelle Residualkapazität vermindern. All diese Faktoren können den Netto-Transport von Gas (O2, CO2) in und aus dem Kreislaufsystem limitieren und zu einer, für den LFF leistungsbegrenzenden, hypoxischen Hypoxie führen. Die Lunge als das zentrale Organ des äußeren Gasaustauschs kann so zum limitierenden Faktor werden, wenn hohe Gz-Belastungen über einen längeren Zeitraum oder häufig in schneller Folge hintereinander auftreten.
Die bisher nur unzureichend verstandenen Gz-induzierten Änderungen der Ventilation und des Gastransportes von der Lunge in die Kapillaren können mit der klassischen Spirometrie in Kombination mit unterschiedlichen Verfahren der Diffusionsmessung erfasst und quantifiziert werden. Während Untersuchungen zu Veränderungen der Ventilation bei unterschiedlichen Gz-Belastungen sehr deutliche Veränderungen der statischen Lungenparameter insbesondere bei der Vitalkapazität zutage gefördert haben [4, 8, 9, 10], sind Arbeiten, die eventuelle Veränderungen der Diffusionsleistung und der kapillären Durchblutung der Lunge charakterisieren, bisher nicht bekannt und sollen einen Schwerpunkt dieser Betrachtung bilden. Auch stehen auf Messdaten beruhende Vergleiche zwischen unterschiedlichen Anti-G-Schutzkonzepten im Hinblick auf die Charakterisierung der Ventilations- und Diffusionsleistung der Lunge bisher noch aus oder sind nicht öffentlich zugänglich.
2. Methoden
2.1 Verfahren zur Erfassung beschleunigungsbedingter Veränderungen der Lungenfunktion
Aus dem klinischen Alltag ist die Messung der unterschiedlichen Lungenparameter heute nicht mehr wegzudenken. Akzeptierte Messverfahren sind durch die Vorgaben der European Respiratory Society (ERS) und American Thoracic Society (ATS) [3] standardisiert und entsprechende Geräte inzwischen kommerziell erhältlich. Nicht alle Verfahren sind allerdings für die Untersuchung der Lungenfunktion bei hohen Beschleunigungen, wie sie in der Humanzentrifuge oder im Kampfflugzeug vorkommen, geeignet oder anwendbar.
Neben verfahrensbedingten Einschränkungen sowohl von Seiten der Testpersonen als auch zentrifugenseitig gibt es noch eine Reihe von Limitationen, die besonders beachtet werden müssen. Verfahrenseitig sind häufig exakt ausgeführte, definierte Atemmanöver vonnöten, um die entsprechenden Atemparameter zuverlässig bestimmen zu können. Diese können unter hohen Gz-Belastungen vom LFF häufig nicht ausgeführt werden.
Von Seiten der Zentrifuge ist andererseits das Platzangebot für die in der Mehrzahl etwas größeren Geräte nicht gegeben. Üblicherweise benutzte und aus Gasflaschen zugeführte Indikatorgase können aus sicherheitstechnischen Gründen so hohen Beschleunigungen nicht ausgesetzt werden. Insofern gilt es, neben der Wahl der „richtigen“ Messverfahren zur Erfassung Gz-induzierter Änderungen von Atemfunktionsparametern auch Aspekte der Anwendbarkeit der Verfahren und Geräte unter den spezifischen Versuchs- und Umgebungsbedingungen der Humanzentrifuge zu berücksichtigen.
2.1.1 Auswahl des Messverfahrens zur Bestimmung von Diffusionsparametern der Lunge
Belüftungsstörungen der Lunge bei Gz-Belastungen verschiedenster Art sind bereits beschrieben worden [4, 8, 9, 10]. Eine Untersuchung der Auswirkung von Gz-Belastungen auf jene Lungenvolumina, die sich der Messung mittels Spirometrie entziehen, steht allerdings bisher aus. Über Veränderungen des alveolo- kapillären Gasaustausches bei Beschleunigungsbelastungen gibt es bisher noch gar keine Untersuchungen.
Der Gasaustausch zwischen Alveolen und Kapillaren – neben der Ventilation eine zentrale Aufgabe der Lunge – kann mittels der Diffusionskapazität quantifiziert werden [2, 3]. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, ob der Körper fähig ist, insbesondere Sauerstoff aus der Lunge unter Beteiligung physikalischer und chemischer Prozesse über verschiedene Barrieren ins Blut zu transportieren, dort zunächst physikalisch zu lösen und später chemisch zu binden und für den Transport zur Verfügung zu stellen. Die zentrale verfahrenstechnische Schwierigkeit bei der Bestimmung des Diffusionsvermögens von Sauerstoff ist allerdings der nicht-verschwindende, endliche Sauerstoffpartialdruck in den Lungenkapillaren. Zur Bestimmung der Diffusionskapazität ist die Kenntnis des Partialdrucks des Gases in den Kapillaren jedoch notwendig. Für die Messung dieses Sauerstoffpartialdruckes gibt es bisher keine einfach zu handhabende, nichtinvasive Methode.
Man hilft sich, indem man das Diffusionsvermögen anderer Gase bestimmt, deren Partialdruck in den Kapillaren mit guter Genauigkeit als bekannt angenommen werden kann und bei denen man aus dem Diffusionsvermögen des verwendeten Gases auf das Diffusionsvermögen von Sauerstoff schließen kann. Dabei macht man sich insbesondere die der Sauerstoffdiffusion verwandten Eigenschaften des Kohlenmonoxids und neuerdings auch des Stickstoffmonoxids zunutze. Bei bekannten Ausgangskonzentrationen kann man anhand der Messwerte des Kohlenmonoxids und des NO auf die Diffusionskapazität der Lunge für CO, NO und indirekt auch auf die für Sauerstoff schließen sowie unterschiedlich geartete Störungen des Diffusionsprozesses unterscheiden [5, 6]. In der Historie der Lungenfunktionsdiagnostik sind verschiedene Verfahren der Messung der Diffusionskapazität der Lunge angewandt worden (Rückatmungstechnik, Steady-state- Technik, Single-breath-Technik). Die teilweise sehr aufwendigen Messungen hatten dabei eine Reihe von Limitationen, die ihre Anwendung im klinischen Alltag erschwert haben.
Mittlerweile hat sich die Single-breath-Technik nach dem von Ogilvie et al. modifizierten Verfahren von Marie und August Krogh in der Klinik nach und nach durchgesetzt und ist von der Fachwelt breit akzeptiert [2, 3]. Roughton und Forster unterteilten die Diffusion in zwei wesentliche Schritte, nämlich in die sich an der alveolo-kapillären Membran (sogenannter Membranfaktor) und innerhalb des Blutes abspielenden Prozesse (Blutfaktor). Damit und durch die im Laufe der Zeit entstandenen Verbesserungen hinsichtlich der Gasanalyse hat sich mittlerweile ein klinisch taugliches Verfahren zur Erfassung der Diffusionsleistung der Lunge etablieren können. Es schien für die Erprobung in der Humanzentrifuge geeignet und wurde getestet.
Dabei haben die Testpersonen nach maximaler Inspiration eines Helium- CO-NO-Gemisches für 5 Sekunden den Atem angehalten und die Verteilung der Indikatorgase wurde anschließend in ihrer Ausatemluft analysiert. Der Einsatz von NO ermöglichte es, zwischen einer unzureichenden Belüftung beziehungsweise Durchblutung der Alveolen und einer Störung der Diffusion durch die Membran zu unterscheiden. NO bietet darüber hinaus die Vorteile vereinfachter Messmanöver und einer verkürzten Messzeit. Es ermöglicht außerdem, die Diffusionskapazität der Lunge (DLCO), das Blutvolumen in den Lungenkapillaren (Vc) und den Membranfaktor (Dm) mit einer einzigen Messung zu bestimmen.
In einem ersten Pilotprojekt wurde das von der gemeinsamen Task Force der ERS und der ATS erarbeitete und empfohlene Verfahren [3] der kombinierten DLCO-DLNO-Messung im Single- breath-Verfahren, jeweils als Doppelbestimmung durchgeführt, angewendet. Der zusätzliche Einsatz von Helium zur Bestimmung des Residualvolumens sollte mögliche Verteilungsstörungen aufdecken.
2.2 Anwendbarkeit des Verfahrens zur Bestimmung der Diffusionsparameter und zum Einfluss der Versuchsbedingungen
Die zeitliche Auflösung für eine reproduzierbare stabile Diffusionsmessung liegt, abgeleitet von Messerfordernissen und einer typischen Atemfrequenz von 12 bis 20 min-1, durch die Vorgaben von ERS/ATS [3] bei circa 10 bis 12 Sekunden pro Messung. In diesem Zeitintervall ist ein korrektes Einhalten des vorgegebenen Atemmanövers erforderlich. Abweichungen im Atemmanöver können zu nicht-verlässlichen Ergebnissen führen.
Der EUROFIGHTER ist in der Lage, sogenannte G-onset-Raten von bis zu 12 Gzs-1 zu erzeugen. Damit kommt ein LFF in deutlich weniger als 1 Sekunde bis auf 9 Gz. Analoges gilt auch für den Abbau der auf den LFF wirkenden Kräfte.
Um die Belastungen durch die hohen Beschleunigungen sicher zu ertragen und handlungsfähig zu bleiben, werden die LFF trainiert, sogenannte „anti-G straining maneuver“ (AGS) durchzuführen. Eine kontrollierte, von der normalen freien Atmung abweichende, Atmung ist fester Bestandteil des AGS. Eine vorgeschriebene, für die Atemgasanalyse notwendige, getaktete Atmung ist während des Zentrifugenlaufs daher nicht möglich.
Zudem eignet sich die angesprochene Methode nicht für Messungen während des Fluges beziehungsweise der Zentrifugenfahrt, weil damit eine grundsätzliche Voraussetzung für Messungen ganz allgemein verletzt würde: Jeder Messaufbau hat so genannte skalierende Größen. Das sind jene Größen, die als Bezug für qualitative Fragestellungen angewandt werden. Eine skalierende Größe bei der bearbeiteten Fragestellung ist die Dauer einer Messung. Veränderungen im betrachteten System müssen langsam im Vergleich zur skalierenden Größe sein, um aufgelöst werden zu können (vergleiche: Nyquist-Shannon-Abtasttheorem [7]). Diese Randbedingung ist aber grundsätzlich nicht erfüllt, wenn man im Vergleich zur skalierenden Größe schnell veränderliche Systeme betrachtet. Genau das ist aber bei der vorliegenden Problematik der Fall.
Dennoch disqualifiziert das oben Gesagte die Methode nicht an sich. Es ist nur sinnvoll, gar nicht erst den Versuch einer In-situ-Messung zu machen. Vielmehr liegt der Fokus, im Rahmen des technisch Möglichen, auf einem Versuchsablauf bei dem vor und nach der Belastung gemessen wird. Man hat so quasi-statische, reproduzierbare Messbedingungen und kann sich auf einen „Vorher-Nachher-Vergleich“ von durch die Belastung hervorgerufenen kumulativen Effekten konzentrieren.
2.3 Marktrecherche, Bewertung und Auswahl eines geeigneten Gerätes für Untersuchungen von Gz-bedingten Veränderungen der Lungenfunktion
Für die Planung der Messungen wurde eine Marktrecherche durchgeführt. Ziel war es, Geräte zu identifizieren, die den oben beschriebenen technischen Randbedingungen der Untersuchung genügen und in Deutschland nachweisbar guten Kundendienst bieten. Ad hoc fand sich kein geeignetes kommerziell erhältliches Gerät.
Das für den Einsatz in dieser Studie letztendlich favorisierte Gerät, ein MasterScreen PFT Pro der Fa. Cardinal Health Germany 234 GmbH, erfüllte alle messtechnischen Anforderungen. Es war aber aufgrund seiner Auslegung für den klinischen Alltag ohne Anpassungen für diese Studie nicht geeignet. Um den Umgebungs- und Einsatzbedingungen im Arbeitsbereich der HZF gerecht zu werden, wurden daher wesentliche Umbauten hinsichtlich
- der Mobilität des Gerätes,
- der Flexibilität des Messkopfes sowie
- der Robustheit des Aufbaus
vorgenommen, ohne dabei zulassungsrelevante Größen und insbesondere die Sicherheit und die Qualität der Messung betreffende Parameter zu verändern.
2.3.1 Umbau des Gerätes
In der Grundkonfiguration [Abb 1] ist das Gerät für den klinischen Alltag geeignet. Es besteht aus zwei voneinander getrennten mobilen Teilen, dem Gasflaschenwagen und dem eigentlichen Messsystem mit PC, die über die Messgasleitungen miteinander verbunden sind. Während des Betriebs der Zentrifuge durfte sich aus Sicherheitsgründen natürlich nichts Bewegliches in der Zentrifugenhalle befinden. Das notwendige Zulassungsverfahren von Zentrifugenkomponenten schloss eine Montage in oder an der Zentrifugenkammer aus.
Abb 1: Unveränderte kommerziell verfügbare Ge räte - einheit ohne Gasflaschenwagen (Foto: Cardinal Health Germany 234 GmbH)
Daher blieb für die eigentlichen Messungen nur noch die Option, das Messsystem zusammen mit seinem für die Messung notwendigen Zubehör kompakt und hinreichend stabil auf einen Wagen zu montieren. Damit konnte es unmittelbar nach der Zentrifugenfahrt direkt in die Zentrifugenhalle verbracht werden. Dies hatte überdies den Vorteil, dass der LFF nach der Zentrifugenfahrt die Kabine der HZF nicht verlassen und sich auch nicht nennenswert bewegen musste. Außerdem war damit der zeitliche Rahmen so vorgegeben, dass nicht befürchtet werden musste, dass sich die Lungenfunktion schon maßgeblich geändert hat.
2.3.2 Flexibilität des Messkopfes
Eine der Vorgaben war es, die für die Messwerterfassung relevanten Baugruppen nicht zu verändern. Das hatte zur Folge, dass der Messkopf zur Messung an den in der Zentrifugenkammer sitzenden Probanden gebracht werden musste. Um dem nachzukommen, wurde der Messarm mit Messkopf absetzbar gestaltet und mit einer entsprechend verlängerten Verbindung für Messgase sowie für elektrische Leitungen zur Systembox versehen [Abb 2].
Abb 2: Umgebaute Gerätekonfiguration (Foto: Abteilung Forschung, Wissenschaft und Lehre Luft- und Raumfahrtmedizin
2.3.3 Robustheit des Aufbaus
Um den Randbedingungen der Zentrifugenhalle gerecht zu werden, wurden unter anderem Räder mit Luftreifen großen Durchmessers verwendet. Im Originalzustand „lose“ Teile, zum Beispiel der Bildschirm, wurden am Messwagen mechanisch fixiert. Für die angestrebten Messungen nicht notwendige Baugruppen, wie zum Beispiel ein zweiter Bildschirm, der CO2-Absorber oder der EKG-Arm, wurden entfernt.
Abb 3: Gerät in Aktion in der Humanzentrifuge (HMZ) (Fotos: Abteilung Forschung, Wissenschaft und Lehre Luft- und Raumfahrtmedizin)
3. Ergebnisse
Testung des Messaufbaus
Mithilfe des oben beschriebenen Messaufbaus und unter Beachtung der oben erörterten Einschränkungen an die zeitliche Messauflösung eines ERS/ATSkonformen Messverfahrens wurden Messungen in der Humanzentrifuge der Abteilung „Flugphysiologie“ des Flugmedizinischen Institutes der Luftwaffe in Königsbrück durchgeführt. Die Messungen waren Teil eines wesentlich umfassenderen Versuchsprogramms, dessen Ergebnisse derzeit zur Publikation vorbereitet werden.
An dieser Stelle soll daher nur exemplarisch anhand der Reaktionen ausgewählter Größen (Alveoläre Ventilation (VA), Verhältnis von Residualvolumen zu totaler Lungenkapazität (RV/TLC), Membranfaktor (Dm), kapilläres Blutvolumen (Vc)), nach einem simulierten Luftkampfmanöver, die jeweils auf einen Ruhewert ohne vorangegangene Gz-Belastung normiert wurden, demonstriert werden, dass der gewählte Versuchsaufbau in der Lage war, in einem Messdurchgang zuverlässig und reproduzierbar sowohl Parameter der Ventilation und Diffusion als auch der Perfusion zu erfassen.
Wie die Abbildung 4 zeigt, führte das insgesamt eine Minute lang andauernde simulierte Luftkampfmanöver bei den Testpersonen in Abhängigkeit vom benutzten Anti-Gz-Schutzanzug zu unterschiedlichen Änderungen der genannten Größen. Beim Einsatz einer optimierten Variante des im Eurofighter benutzten hydrostatischen Anti-Gz-Schutzanzuges (Anzug 2 in Abb 4) konnten die üblicherweise zu erwartenden Gz-induzierten Änderungen der Lungenfunktion wie Abfall von Vitalkapazität, alveolärer Ventilation und Diffusion sowie Zunahme von Residualvolumen und Perfusion verhindert werden.
Abb 4: Änderungen von alveolärer Ventilation, RV/TLC-Quotienten, Membranfaktor (Dm) und kapillärer Durchblutung (Vc) bei LFF nach einem simulierten Luftkampfmanöver und bei Benutzung verschiedener Anti-Gz-SchutzanzügeDagegen war dies mit einer variierten Variante des im Eurofighter benutzten pneumatischen Systems (Anzug 1 in Abb 4), das in den vorliegenden Experimenten mit Bauchblase jedoch ohne positive Druckbeatmung eingesetzt wurde, eher nicht der Fall. Inwieweit eine Gz-abhängige positive Überdruckbeatmung die Situation verbessert oder verschlechtert hätte, lässt sich an dieser Stelle nicht mit Sicherheit einschätzen.
4. Schlussfolgerungen
Die Lunge, als zentrales Organ für den Gasaustausch und die Bereitstellung von Sauerstoff für den Organismus, unterliegt unter Beschleunigungsbedingungen Veränderungen, die die Leistungsfähigkeit der LFF maßgeblich einschränken können. Daher ist es wichtig, diese Veränderungen methodisch und auch messtechnisch zu erfassen. Das ist für viele Parameter der Lungenfunktion zwar grundsätzlich, aber aus elementaren Gründen nicht in situ möglich. Bislang verfügbare Verfahren, insbesondere die klinisch validierte und etablierte CO/NO-Diffusion, erlauben jedoch stabile und reproduzierbare „Vorher- Nachher-Messungen“ relevanter Parameter. Allerdings müssen die bisher kommerziell erhältlichen Geräte den Randbedingungen der Messumgebung angepasst und für den Einsatz in der Humanzentrifuge umgebaut werden.
In ersten orientierenden Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass mit dem validierten, nach dem von Ogilvie et al. modifizierten, Single-breath-Verfahren von Marie und August Krogh relevante Parameter des Gasaustausches und der Spirometrie nicht zugängliche Lungenvolumina quantitativ erfassbar sind. Sie können nun herangezogen werden, um den Einfluss von hohen Gz- Belastungen auf das Atmungssystem von Luftfahrzeugführern zu beschreiben.
Nach Wissen der Autoren sind die Möglichkeiten derartiger Messsysteme und Aufbauten bei der Untersuchung von Effekten hoher Beschleunigungen auf die Lungenfunktion von LFF erstmals eingesetzt worden. Es ist zu erwarten, dass die zu gewinnenden Erkenntnisse nachhaltig zum Verständnis der Wirkungen hoher Gz-Kräfte auf das kardiopulmonale System beitragen und ihren Niederschlag im Design der Arbeitsumgebung des LFF sowie seiner Schutzausrüstung finden werden.
* In der Flugmedizin wird zur einfacheren Beschreibung der auf den Körper einwirkenden Beschleunigungskräfte ein Koordinatensystem verwendet, bei dem die z- Richtung in Richtung der Körperlängsachse zeigt.
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Datum: 15.09.2011
Quelle: Wehrmedizinische Monatsschrift 2011/5-6