SCHUSSVERLETZUNG AUS NÄCHSTER NÄHE IN DEN HALS

Ein Beispiel für primäre chirurgische Versorgung im Einsatz

Moderne Einsatzmedizin und Einsatz-/ Kriegschirurgie beruht auf den zwei Säulen Damage Control Surgery (DCS) oder primäre Chirurgie in mehrstufigen Versorgungsebenen. Primärchirurgie beschreibt eine chirurgische Vorgehensweise, die auf die Behebung des lokalen Schadens abzielt, der durch die Verwundung eingetreten ist.

Primärchirurgie zielt daher im Gegensatz zur DCS auf Schadensbehebung und nicht auf die Korrektur/ Eindämmung der generalisierten Effekte der Verwundung. Verspätungen im Vorfeld der primären Chirurgie erlauben die fortlaufende Ausbildung weiterer generalisierender Effekte und können daher zu einem Anstieg der Mortalität, Morbidität und Restbehinderung führen. Vereinfacht lässt sich also festhalten, dass DCS eine chirurgische Methode ist, den Verwundeten so zu stabilisieren, dass er überhaupt der primären Chirurgie zugeführt werden kann, wie im vorherigen Casereport gezeigt werden konnte. Definiert wird dieses Prinzip der Verwundetenversorgung in der Allied Joint Medical Support Doctrine AJP-4.10 der NATO aus dem Jahre 2006.

Kasuistik

Nachmittags gegen 16.00 Uhr wurde die Notfallaufnahme des Einsatzlazaretts (ELAZ) des Sanitätseinsatzverbandes (SanEinsVbd) KFOR informiert, dass sich ein Schießzwischenfall mit einem Schwerstverletzten im Lager Camp Casablanca der Multinational Task Force - South (MNTF-S) ereignet habe. Genauere Angaben bestünden nicht, man wisse nur, es handle sich um eine Blutung aus dem Hals, der Patient sei bei Bewusstsein und mit den Vitalparametern stabil, der AirMedEvac-Helikopter sei angefordert. Landung des Rettungshubschraubers um 16.30 Uhr mit anschließender Übergabe auf der Notfallaufnahme (NFA) des ELAZ. Erstversorgung und Stabilisierung des Verletzten erfolgt bis 16.47 Uhr, danach Transfer des Patienten in die Radiologie zur Durchführung einer Polytraumaspirale im CT. Nach der Röntgendiagnostik wird der Patient für eine Akutoperation mit primärem chirurgischem Ansatz bereit gemacht. Hautschnitt um 17.15 Uhr, Operationsende um 18.45 Uhr, danach erfolgt die Verlegung des Verletzten auf die Intensivstation des ELAZ. Aufgrund des überschaubaren Traumas wird die Entscheidung gefällt, den Patienten nach der Operation vorerst nicht zu evakuieren, sondern die sich entwickelnde Situation abzuwarten. Abschirmung des Opfers des Schusszwischenfalles auf der Intensivstation. Die psychiatrische und psychologische Betreuung erfolgt durch den Neurologen/Psychiater des ELAZ und den Kontingentspsychologen des Soldaten. Am zweiten postoperativen Tag erfolgen geplante Revision und Wundverschluss, anschließend Verlegung auf die normale Bettenstation. Der Patient wird am zwölften postoperativen Tag geheilt zur Truppe entlassen. Narbenbehandlung für den Rest des Einsatzes. Der Patient ist voll dienstfähig und wieder im Auslandseinsatz.

Präoperative Versorgung

Am Unfallort wurde das Opfer des Schießzwischenfalles durch seinen Kameraden mit einem mäßig sitzenden Druckverband am linken Hals über dem Musculus trapezius versorgt, die Blutung konnte aber nicht vollständig zum Stehen gebracht werden. Bei Aufnahme durch den Rettungshubschrauber war der Patient stabil, sättigte mit 97% O2 und zeigte normale Blutdruck und Herzfrequenzwerte; war jedoch deutlich agitiert und klagte über Schmerzen. Der Patient erhielt eine großlumige Venenverweilkanüle, über diese erhielt er Flüssigkeitssubstitution und eine Ampulle Morphium. Bei Übergabe im Schockraum der NFA des ELAZ dekompensierte der Patient zusehends, so dass er nach orientierender chirurgischer Untersuchung intubiert wurde. Es zeigte sich eine tiefe, mit Pulverschmauch verschmutzte Wunde - vorne vom Adamsapfel nach hinten durch den Trapezius zur Schulter gehend. Nach Stabilisierung des Patientenzustandes erfolgte die Durchführung der Traumaspirale mit Kontrastmittel. Es wurden folgende Diagnosen gestellt: Verletzung des Muskulus Trapezius in seinem obersten und seinem zentralen Drittel. Fragliche Verletzung des Nervus accessorius. Verletzung der Vena iugularis externa.

Operation

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In Intubationsnarkose und stabiler Rechtsseitenlagerung erfolgte die Exploration des Schusskanals, wie in Abb. 1 sichtbar. Es zeigte sich sofort, dass der Gewebeschaden deutlich größer war, als es auf den ersten Blick wirkte. Der Schusskanal war zum Großteil gedeckelt, und von einem breiten Saum nekrotischen und verbrannten Gewebes umgeben. Zuerst erfolgte die Ligatur der Vena iugularis externa, anschließend die Entfernung der nekrotischen beziehungsweise hitzegeschädigten Haut. Nach Abtragung des Daches des Schusskanals zeigte sich eine beachtlich große Fläche, die zu debridieren war, wie es die herrschende Lehre und Literatur zum Thema Kriegsverletzungen verlangt. Der Nervus accessorius wurde während der ganzen OP geschont, an einer Stelle musste ein Teil des Perineuriums entfernt werden, wie dies auch von Covey und Coupland bei solchen Verletzungen postuliert wird. Wundverschluss erfolgte mit Epigard und Zügelung, um die Wundränder approximieren zu können, bei gleichzeitigem Feuchthalten der Wunde.

Postoperative Phase

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Der Zustand des Patienten postoperativ war auf der Intensivstation durchgehend stabil. Ab dem Aufwachen lassen und der Extubation wurde der Patient psychiatrisch, neurologisch und psychologisch betreut. Neurologisch zeigte sich eine Dysästhesie an der linken Schulter, die sich aber über die Wochen vollständig zurückbildete, ein motorisches Defizit oder Hebeschwäche in der Schulter konnte nicht beobachtet werden. Beginnend mit der Operation erhielt der Patient eine antibiotische Therapie gegen Aerobier und Anaerobier per infusionem. Am zweiten postoperativen Tag erfolgte eine geplante Revision. Eigentlich hätte hier nekrotektomiert und eine neue Epigarddeckung mit verstärkter Zügelung erfolgen sollen, um die Wunde für eine Spalthautdeckung zu konditionieren, aber der Heilungsprozess war derart unproblematisch, dass an einen primären Hautverschluss gedacht werden konnte. Dieser wurde nach Mobilisation der Hautränder auch durchgeführt. Danach wurde der Patient auf die Normalstation verlegt und dort unter normalen Bedingungen gepflegt. Am zwölften postoperativen Tag wurde der Patient mit zu- Wundverschluss nach frühestens 5 Tagen vor und aus der Literatur sind desweiteren sehr unklare Prognosen über die Heilungsdauer abzulesen. Diese Ungenauigkeit ist die Folge dessen, dass nur sehr kleine Fallzahlen oder Case Reports in den letzten Jahrzehnten publiziert wurden. In diesem Fall konnte der Wundverschluss deutlich früher als geplant erfolgen, da durch großflächiges Nekrosektomieren und den Einsatz von Antibiotika die Infektionsgefahr reduziert worden war. Diese Vorgehensweise hatte der Erstautor auch schon an anderer Stelle mit Erfolg propagiert. Die Behandlung mit Amoxycilin und Clavulansäure einerseits als mit Metronidazol andererseits diente erstens zur breitgefächerten friedenstellendem plastischem Ergebnis geheilt zur Truppe entlassen.

Diskussion

Die Entscheidung, den Patienten nach primärer chirurgischer Erstversorgung im Lande zu lassen, bedeutete ein gewisses Risiko einzugehen. Dass aufgrund der geringen Nebenverletzungen eine primäre chirurgische Versorgung stattfinden musste war klar; unklar war nur, ob der Patient innerhalb der entsprechenden nationalen Repatriierungsfrist von 21 Tagen wieder die volle Dienstfähigkeit erlangen würde. Die vorherrschende Literatur und Lehre sieht bei solchen Verletzungsmustern zwingend einen verspäteten primären Wundverschluss nach frühestens 5 Tagen vor und aus der Literatur sind desweiteren sehr unklare Prognosen über die Heilungsdauer abzulesen. Diese Ungenauigkeit ist die Folge dessen, dass nur sehr kleine Fallzahlen oder Case Reports in den letzten Jahrzehnten publiziert wurden. In diesem Fall konnte der Wundverschluss deutlich früher als geplant erfolgen, da durch großflächiges Nekrosektomieren und den Einsatz von Antibiotika die Infektionsgefahr reduziert worden war. Diese Vorgehensweise hatte der Erstautor auch schon an anderer Stelle mit Erfolg propagiert. Die Behandlung mit Amoxycilin und Clavulansäure einerseits als mit Metronidazol andererseits diente erstens zur breitgefächerten Keimbekämpfung und erfasste zweitens durch das Metronidazol auch die Anaerobier. Mit einem Befall durch diese Keime war durch die Mikrokavitationen nach der Schussverletzung aus nächster Nähe zu rechnen, da sich hier im Unterhautfettgewebe die Ölpartikel des Waffenöls und der Pulverschmauch trotz Debridements als luftabschließende Schicht über die kleinen durch Geschoß- und Schalldruck entstandenen 
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Höhlen legen konnten. Die kombinierte psychiatrisch - psychologische Betreuung des Patienten war jedenfalls so erfolgreich, dass bei der psychiatrischen Abschlussuntersuchung im Entsendestaat beim Patienten keine posttraumatische Belastungsstörung festgestellt werden konnte. Ein bestimmender Faktor für den Erfolg der Behandlung im Einsatzraum war auch sicher die relativ lange Frist, die der Entsendestaat dem Patienten einräumt, um wieder dienstfähig zu sein. Sie lag im vorliegenden Fall bei 21 Tagen, für deutsche Kameraden jedoch gilt eine Frist von 7 Tagen, innerhalb derer laut Konsilargruppe Chirurgie eine Dienstfähigkeit wieder erreicht werden muss.

Schlußfolgrungen

Auch in Zeiten der Damage Control Surgery ist die Versorgung von schweren Verletzungen im Einsatzraum erfolgreich möglich. Dies hängt augenscheinlich von dem Ausmaß der physiologischen Mitschädigung und von nationalen Repatriierungsfristen ab. Literatur bei den Verfassern.

Datum: 01.11.2010

Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2010/3

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