SAUERSTOFFVERSORGUNG IN OPERATIONELLEN HÖHLEN BEI FALLSCHIRMSPRINGERN – STUDIE ZUM MONITORING PSYHIOLOGISCHER PARAMETER IN DER REALEN UMWELT
Oxygen supply in parachute jumpers in operational high altitude – Investigation of monitoring physiological parameters in the real environment
Aus der Abteilung Flugphysiologie des Flugmedizinischen Institutes der Luftwaffe¹ (Leiter: Oberstarzt Dr. B. Brix) und dem Institut für Physiologie und Zentrum für Weltraummedizin Berlin, Universitätsmedizin Berlin, Campus Berlin Mitte² (CCM/CCO) (Leiter: Prof. Dr. H.-C. Gunga)
Andreas Werner¹,², Ulrich Naschold¹, Tino Wilke² und Hanns-Christian Gunga²
WMM, 57. Jahrgang (Ausgabe 10/2013: S. 247-253)
Zusammenfassung
Hintergrund: Im Labor ermittelte Daten sind in die reale Umwelt nur schwer übertragbar, weil häufig differente Ergebnisse gefunden werden. Insbesondere sind die Umwelteinflüsse in die physiologische Gesamtbetrachtung einzubeziehen.
Messungen im Feld sind sehr schwierig, weil bisherige Systeme invasiv und zu schwer sind oder singuläre Parameter erfassen, ohne vor allem Umweltbedingungen zu betrachten.
Methoden: Bei Fallschirmspringern wurde ein Instrumentarium verwendet, welches physiologische und Umweltparameter gleichzeitig aufzeichnet. Nicht-invasive Sensoren und Messorte wurden eingesetzt, um ein Gesamtverständnis zu bekommen. Insbesondere wurden zukünftige Datenerhebungen in das Setup einbezogen, um in widrigen Umständen bei Höhenfallschirmspringern valide Daten zu erheben.
Ergebnisse: In einer Voruntersuchung wurden 39 Teilnehmer während realer Sprünge untersucht. Bei der Sauerstoffsättigung konnte gezeigt werden, dass schon während des Anfluges deutliche Entsättigungen vorhanden waren. Bei den Körperkern- und Hauttemperaturen wurden ebenfalls auffällige Werte gemessen. Die Extremitäten-Hauttemperaturen zeigten signifikante Reduktionen, wohingegen die Körperkerntemperatur anstieg. In der Komplexität müssen diese Daten im Zusammenhang mit den meteorologischen Gegebenheiten und Auswirkungen interpretiert werden.
Schlussfolgerungen: Offensichtlich scheinen Messungen von physiologischen Daten in der Umwelt andere Ergebnisse zu liefern als im Labor. Besonders die Auswahl der Sensoren und die Einbeziehung von Umweltparametern zeigen die komplexen Vorgänge, welche die Leistungsfähigkeit des Menschen beeinflussen. Es konnte die Machbarkeit von Datenerhebungen in der realen Umwelt gezeigt werden.
Schlagworte: Physiologie, Leistungsfähigkeit, Sauerstoff, Labor, Umwelt.
Summary
Background: Data obtained in laboratories are very severe transferable in the real environment. Often opposed results were found thereby the efficiency of human performance is estimated wrong. In particular influence of meteorology has to be implemented in the interpretation. However, measurements are very difficult in the field because systems are too invasive and heavy, or wrong parameters were measured.
Methods: 39 parachutists became instrumented with a system which included the environmental parameters. New developed non-invasive sensors were used. Getting a “whole understanding” of the complexity between environment and physiological reactions a full setup with its combination was used. Foresightful, regarding further investigations under different environmental conditions the system was prepared for those situations.
Results: Preliminary data of real parachute jumps showed oxygen saturation decreased already during approach. Body core temperature increased during the whole time while skin temperature decreased significant. In the complexity these data has to be interpreted with meteorological conditions.
Conclusions: Obviously diverse results will be found in reality compared to laboratories. Particularly, the selection of sensors and the inclusion of environmental parameters point the complex process. But there is a need to combine all these conditions to get the whole understanding of the performance in humans.
Keywords: Physiology, human performance, oxygen, laboratory, environment.
Einführung
Bei allen im Labor durchgeführten Untersuchungen hat man sich die Frage zu stellen, ob die Ergebnisse Gültigkeit für die Umstände in der realen Umwelt haben. Viele physiologische Studien fanden keine signifikanten Zusammenhänge zwischen zum Beispiel der Herzfrequenz im Labor verglichen mit denen im Feld (15, 19, 20, 31). Andere fanden unterschiedliche (18, 22) oder nur gering signifikante Zusammenhänge (5, 19). Eine Arbeitsgruppe ermittelte sogar in einem multimodal angelegten Labor-Feld-Vergleich keine signifikante Vorhersagbarkeit von Reaktionen im Feld im Gegensatz zu den Laborergebnissen. Sie kamen zu dem weitreichenden Schluss: „Die Untersuchungsergebnisse sprechen für die relative Eigenständigkeit dieser Felddaten...“ (7). Daher darf man annehmen, dass im Labor erhobene Daten wahrscheinlich nur für einige, nicht aber für alle Situationen im täglichen Leben Gültigkeit haben, also kaum generalisierbar sind. Weiterhin wird ausgeführt, dass aus den oben genannten Gründen die Vorzüge der Feldforschung einerseits sowie die fragwürdige externe beziehungsweise ökologische Validität von Test- und Laborbefunden andererseits in der Literatur zwar seit langem diskutiert werden, empirische Feldstudien sich aber nur selten darunter finden lassen (5, 6, 7, 12). Dies liegt im Wesentlichen auch an der geringen methodischen Erfahrung. Die Beeinflussung durch unkontrollierbare physische Aktivitäten im Feld stellt eine besondere Herausforderung für Untersuchungen dar. Weiterhin werden physiologische Parameter zumeist ohne die Einbeziehung von meteorologischen Daten beurteilt. Im Labor werden diese „Störgrößen“ ausgeblendet, um grundlegende Erkenntnisse zu erlangen. Gerade in Feldstudien sind aber diese Umweltfaktoren und deren Einflüsse auf den Organismus nicht zu vernachlässigen (zum Beispiel Wetterfühligkeit) (1, 2, 3, 18).
Mit systematischen Untersuchungen im Feld hat im Grunde erstmalig der Berliner Physiologe Nathan Zuntz (*1847 bis †1920) begonnen, hier vor allem im Bereich der Höhenmedizin mit Ballonfahrten und Bergwandern. Von ihm stammt das Zitat: „Die Kenntnis der Beziehung zwischen Klima und Mensch … gibt uns die Basis für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Menschen … (und) auch die Grundlagen für die Betätigung des Menschen unter extremen klimatischen Bedingungen.“ (9, 20). Eine der ersten weiterführenden Arbeiten mit einem etwas anderen Ansatz auf dem Gebiet der Feldforschung war die Studie von Sokolow et al. (27). Hierbei ging es nicht nur um die Messung von physiologischen Parametern, sondern zudem um die psychischen Reaktionen. Infolge der Verfügbarkeit neuer ambulanter automatischer Blutdruck- und Herzfrequenzmessungen sind seitdem schon einige Untersuchungen unter Feldbedingungen veröffentlicht worden (10, 13, 22, 23, 24, 28, 29, 31). Insgesamt zeigt sich, dass in Symptom-Kontext-Analysen neben den Setting-Merkmalen (Bewegung, Körperposition etc.) insbesondere auch die subjektive Situationsbewertung und das aktuelle Befinden erhebliche Bedeutung für die physiologischen Messgrößen aufweist (5, 11). Für zukünftige Untersuchungen folgt hieraus, dass eine psychophysiologische Messung möglichst realitätsnah, das heißt im Feld erfolgen und neben der Erfassung und Standardisierung der untersuchten Situationen auch die individuelle Disposition mit einbezogen werden muss.
Diese Gesamtheit in der Fragestellung des Monitorings wird seit mindestens 15 Jahren durch eine Arbeitsgruppe an der Charité in Berlin, Institut für Physiologie, AG extreme Umwelten, behandelt. Es wurde ein Messinstrumentarium (HealthLab) gemeinsam mit der Firma Koralewski (Hambühren) entwickelt und durch das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) gefördert. Dieses System ist in der Lage, flexibel auf die jeweilige Situation durch ein Angebot von verschiedenen austauschbaren Möglichkeiten konfiguriert zu werden.
Mit diesem System wurde beim Sanitätsamt der Bundeswehr eine Studie eingereicht und genehmigt (Kennziffer: 03L2-S-541214). Diese Studie hat zum Ziel, die „Gesundheitsfürsorge und Optimierung der Leistungsfähigkeit von Höhenfallschirmspringern der Bundeswehr beim Einsatzverfahren High-Altitude-Low-Opening (HALO)“ zu untersuchen. Fallschirmspringen in großen Höhen ist in dieser extremen Umwelt per se mit einem hohen Risiko verbunden (16). Für die internationalen Special Forces stellt diese Art jedoch ein besonderes militärtaktisches Merkmal dar, mit einer stark steigenden Relevanz. Aus physiologischer Sicht sind diese Höhen (bei einer maximalen Ausstiegshöhe von 10 668 m) in zweierlei Hinsicht von Bedeutung:
- Sauerstoffmangel durch Reduktion des Sauerstoffpartialdrucks und
- extreme Kälte, die bei -50°C und darunter liegt.
Zudem wird durch den Windchill-Effekt die Auskühlung des Organismus noch verstärkt, hiervon sind besonders die Extremitäten, aber auch der gesamte Körper betroffen. Der Windchill-Effekt ist jedoch nicht nur nach dem Sprung und im freien Fall bedeutend, sondern beginnt schon bei der Öffnung des Luftfahrzeuges und kann je nach Länge des Absprungs schon einen erheblichen Einfluss auf den Organismus haben. Neben dem Sprungverfahren „high altitude low opening (HALO)“, wo der Fallschirm recht spät geöffnet wird, gibt es auch das Verfahren „high altitude high opening (HAHO)“, wo der Fallschirm schon sehr frühzeitig geöffnet wird. Im HALO Verfahren ist der Springer also nur eine relativ kurze Zeit den Bedingungen Kälte und Sauerstoffmangel, aber einem hohen Windchill-Effekt ausgesetzt. Im anderen Verfahren ist dieser Effekt recht kurz, jedoch fahren die Springer am Fallschirm eine lange Zeit in entsprechenden Höhen und sind daher der Kälte und dem Sauerstoffmangel über einen längeren Zeitraum ausgesetzt, der durchaus auch bis zu 90 Minuten anhalten kann. Wenn in solchen Höhen abgesetzt wird, werden die Springer mit einem Sauerstoffatemsystem vor und während des Springens versorgt. Hierbei sollen zum einen mögliche Dekompressionserkrankungen (DCS) vermieden und zudem durch diese Applikation natürlich der Sauerstoffmangel gemildert werden. Hierzu gibt es je nach Ausstiegshöhe entsprechende Voratemzeiten, die in den militärischen Vorschriften aufgeführt sind. Andere Nationen verfahren nach dem gleichen Muster mit ihren Höhenfallschirmspringern. Gegen die Kälte haben die Springer entsprechende Schutzkleidung. Die oben genannte Fragestellung hat nunmehr zum Ziel, diese beiden beeinflussenden Umweltbedingungen bei den Fallschirmspringern zu messen um gegebenenfalls Optimierungen beim Sauerstoffmangel und/oder beim Kälteschutz zu erreichen. Ziel der Studie ist vor allem, im Rahmen der Gesundheitsfürsorge und Auftragserfüllung den Soldaten zu unterstützen.
Methoden
Nach der Genehmigung der Studie durch den Generalarzt der Luftwaffe und das Flugmedizinische Institut der Luftwaffe und der Beauftragung durch das Sanitätsamt der Bundeswehr wurde eine Voruntersuchung durchgeführt. In einer ersten Testreihe wurden Probanden gesucht, die freiwillig an der Untersuchung teilnehmen. Diese wurden in der Luftlande- und Lufttransportschule (LL/LTS) in Altenstadt rekrutiert. Sie wurden während ihrer Sprungausbildung auch in die USA verlegt. Diese erste Messreihe fand dort im September 2012 in Eloy/AZ statt. Die klimatischen Verhältnisse in dieser Region sind sehr stabil und nahezu das gesamte Jahr über relativ stabil (Tab. 1).
Zur Messung der physiologischen Parameter kam das HealthLab-System zum Einsatz, das Datenaufnahmen besonders im Gelände zulässt. Durch die Nutzung nicht-invasiver Sensoren wurde dem Träger keinerlei die Physiologie beeinflussende Belastung zugemutet. Da es bei der Fragestellung um die Temperaturveränderung an den Extremitäten und des Körperkerns sowie um die Sauerstoffsättigung ging, wurden für diese Parameter entsprechende Sensorik und die dazugehörigen Komponenten ausgewählt. Um sich auch ein Bild über die Belastung zu machen, wurde das in das System integrierte Polar-Messverfahren zur Bestimmung der Herzfrequenz mit aufgenommen. Die sich verändernden Umweltparameter während der Höhenveränderung wurden durch die entsprechende Komponente in das System aufgenommen, sodass die Außentemperatur, Luftfeuchtigkeit und der Luftdruck synchron gemessen werden konnten. Über den Luftdruck kann die jeweilig korrespondierende Höhe rechnerisch ermittelt werden (Abb. 1).
Als Sensoren dienten ein DoppelSensor für Körperkerntemperatur (KKT), Hautsensoren für die Hauttemperatur, ein Polargurt für die Herzfrequenz und ein Sauerstoffsensor am Kopf. Der DoppelSensor ist eine Neuentwicklung zur Messung der KKT, der gemeinsam mit der Charité, dem Institut für Physiologie und den Draeger Werken (Lübeck) „designed“ wurde. Dieser Sensor ermöglicht es, die KKT am Kopf zu messen. Im Gegensatz zu den bisherigen invasiven Möglichkeiten wie Rektaltemperatursonde, Ösophagealsonde bis hin zur Aortenpunktion kann dieser Sensor die KKT nicht-invasiv messen (8). Für die Hauttemperatur wurde an den vier Extremitäten jeweils eine Messsonde geklebt. Hierbei handelte es sich um NTC-Temperatursensoren, die ebenfalls eine schnelle Ansprechrate haben. Die Sauerstoffsättigung wurde mittels eines NONIN SpO2-Sensors durch Reflexionsmessung (Purelight 8000R) und die Herzfrequenz durch einen POLAR-Gurt gemessen, der über WLAN die Daten an das System sendet. Eine Herzvariabilitätsanalyse kann allerdings mit diesem System nicht durchgeführt werden, weil die Herzfrequenz-Daten über die Zeit gemittelt werden, sodass keine beat-to-beat-Analyse möglich ist (Abb. 2).
Ergebnisse
Insgesamt wurden an 39 Probanden erfolgreich Messungen erhoben, und zwar bei 57 Sprüngen. Die Probanden waren Erst- bis hin zu professionellen Springern. Es wurden Männer (n = 34) und Frauen (n = 5) in die Studie einbezogen, wobei die Frauen deutlich unterrepräsentiert waren. Die Altersverteilung war vergleichbar, die Größe und das Gewicht waren in beiden Gruppen normal verteilt, ebenso der daraus berechnete Body Mass Index (BMI). Die Anzahl der Sprünge war bei den weiblichen Teilnehmern insgesamt etwas höher, jedoch nicht signifikant (Tab. 2).
Die Verkabelung der Probanden konnte innerhalb von 10 min realisiert werden, sodass dies vom Zeitansatz als sehr gering zu bewerten ist. Sämtliche Geräte und Kabel wurden so verlegt, dass es keinerlei sicherheitsrelevante Probleme gab. Das Equipment wurde von den Probanden sehr gut akzeptiert. Nach einer kurzen Adaptationszeit berichteten die Probanden, die Gerätschaften nicht mehr wahrgenommen zu haben (Abb. 3).
Ausgehend von einer Baseline (10 min Messung in Ruhe, sitzend) wurden Daten während des gesamten Fluges, des Sprungs sowie eine kurze Zeit nach der Landung aufgezeichnet. Die Datenqualität war mit über 95 % sehr hoch, sodass eine gute Datenauswertung gewährleistet war. In Bezug auf die Sauerstoffsättigung konnten Deoxygenierungen bis 88,3 % (SD ± 3 %) gemessen werden. Interessanterweise waren diese Entsättigungen schon in der Flugphase nachzuweisen, die sich zudem erst relativ spät nach dem Landen wieder erholten (Sauerstoffdefizit, Abb. 4).
Bei den Temperaturen des Kopfes (Körperkerntemperatur: KKT) konnten Anstiege bis zu 1,3°C als Peak nach dem Exit gefunden werden (Abb. 5) im Vergleich zur Basislinie. Ausgehend von einer physiologisch normalen KKT (36,7°C) stieg diese schon während des Fluges um 0,8°C an, möglicherweise als Ausdruck der Hypoxie (Fluid shift). Nach der Landung reduzierte sich zwar die Temperatur wieder, erreichte jedoch nicht die Ausgangswerte nach 20 min. Durch die relativ starke körperliche Anstrengung wurde ein zweiter Peak beobachtet beim Zusammenräumen und Abtransportieren des Fallschirmes. Die maximalen Temperaturen erreichten fast febrile Werte von 38,2°C. Das Gesamtniveau der Temperatur stieg im Mittel um 0,9°C und stellte somit eine Temperaturbelastung des Organismus dar.
Hingegen ergaben sich bei den Hauttemperaturen sowohl an den Unterarmen als auch an den Unterschenkeln signifikante Reduktionen, die bis zu 4,5°C unter dem Basalwert lagen (Auskühlung durch Windchill-Effekt, Abb. 6 und 7). Die Auskühlung konnte sowohl an den Armen als auch an den Beinen erst nach circa 15 min wieder ausgeglichen werden und Normalwerte erreichen. Dies steht im Gegensatz zu den gefundenen Werten bei der KKT, wo Anstiege gemessen werden konnten.
Die Veränderungen bei der Herzfrequenz (Hf) wiesen keine besonderen Auffälligkeiten auf. Während der Anflugphase wurde ein stetiger Anstieg von einer etwas erhöhten Basalherzfrequenz von 90 Schläge/min gefunden werden, die kurz vor dem Öffnen des Luftfahrzeuges auf im Mittel 127 Schläge/min anstieg. Dies zeigt bei sitzender Position und Aufsteigen auf 4 500 Meter die einsetzende Hypoxie an. Zudem kann in Korrelation mit der Sauerstoffmangelsituation (SpO2) dieser Anstieg erklärt werden und der aufkommende Stress auf den Absprung. Nach dem Exit ergab sich im Verlauf bis zur Landung eine Reduktion der Hf, nach etwa 15 min konnten die Basalwerte wieder erreicht werden. Bei den drei besonderen Ereignissen: 1. Exit, 2. Deployment und 3. Landung konnten nicht signifikante Peaks gefunden werden (Abb. 8). Diese Ergebnisse stellen die besondere Belastung der Fallschirmspringer dar, wobei insgesamt ein relativ hohes Niveau der Hf vorhanden ist. Man kann also von einer Dreigipfligkeit sprechen: 1. höchster Peak beim Exit, 2. ein weiterer Peak beim Deployment und 3. ein dritter Peak kurz vor der Landung. Der Anstieg der Hf am Ende der Messung zeigt korrelierend zur KKT das Einpacken und Wegtragen des Fallschirms.
Obwohl in Eloy/USA relativ stabile Wetterverhältnisse mit hohen Temperaturen herrschen (Tab. 1), wurden nur physiologische Veränderungen gefunden.
Diskussion
Die nicht-invasiven Messmöglichkeiten mit dem mobilen HealthLab können gute Ergebnisse bei Feld-Studien liefern. Die Probanden werden durch das Messsystem im Grunde gar nicht beeinflusst, sodass die Daten eine realistische physiologische Aussage und Interpretation zulassen. Dies betrifft vor allem die Herzfrequenz. Es darf nämlich angenommen werden, dass ein Mehr an Sensoren und Geräten (Gewicht) und die Invasivität eines Sensors den Träger und damit den zu vermessenden deutlich beeinflussen würde. Dies würde sich dann auf die physiologischen Parameter auswirken und damit verfälschte Werte ergeben. Vor allem kann man sich das beispielsweise bei der Messung des kontinuierlichen Blutdrucks vorstellen. Durch die „Cuffs“, die an zwei Fingern permanent aufgepumpt sein müssen, entstehen durch Druck entsprechende Schmerzreize, die im Verlauf durchaus sowohl den Blutdruck erhöhen als auch die Herzfrequenz steigern können. Damit würden sich dann höhere Parameter ergeben als in der Realität ohne diese Sensoren. Auch der Ort der Messungen am Körper des Menschen muss genau vorher eruiert werden, um tatsächlich die richtigen Daten zu erheben und auch dem Environment gerecht zu werden. Daher wurden in dieser Untersuchung die Hauttemperatur und die Körperkerntemperatur gleichzeitig gemessen. Wie die Messungen zeigten, waren die Temperaturen an den Extremitäten deutlich signifikant verringert, während die Körperkerntemperatur zumindest während der Flugphase anstieg. Hätte man nur einen der beiden Parameter gemessen, wäre entweder fälschlicherweise eine „Auskühlung“ angenommen und dies gegebenenfalls auf die Körperkerntemperatur übertragen worden. Im umgekehrten Fall, also wenn nur die Kopftemperatur gemessen worden wäre, wäre man von keiner Auskühlung, sondern im Gegenteil von einem ausreichenden Schutz vor Kälte ausgegangen. Daher müssen zwingend der Umwelt entsprechende Parameter ausgesucht und gegenübergestellt werden. Im Fall der Sauerstoffsättigung war es von entscheidender Bedeutung, dass man einen Messort findet, der die richtigen Daten liefert, aber vor allem den Probanden nicht in seiner Arbeit behindert (Arbeitssicherheit!). Das übliche Verfahren, den Sensor peripher an den Finger zu platzieren, war deshalb nicht anwendbar. Daher wurde ein Sensor gesucht, der am Kopf angebracht werden konnte. Dies erfüllte der NONIN-Sensor in hervorragender Weise. Zusammen mit dem DoppelSensor wurde dieser Sensor unter der jeweilig benutzten Kopfbedeckung ohne Druck und störende Umstände untergebracht. Daraus resultierten sehr gute Daten. Für die Messung der Herzfrequenz wurde der POLAR-Gurt verwendet, der sich in vielerlei Hinsicht (Marathon) bewährt hat und über eine WLAN-Anbindung die Daten an das HealthLab senden konnte. Auch in diesem Fall wurde die Person nicht in ihrer hauptsächlichen Tätigkeit beeinflusst. Die Geräte wurden in einer Tragetasche vor der/dem Brust/Bauch untergebracht und um den Hals getragen. Dies war erforderlich, weil es bei einem Sprunganzug nur sehr begrenzte Unterbringungsmöglichkeiten gibt. Zudem hätte die Verkabelung auch sehr lange gedauert. Unter Umständen hätte man die Kleidung sogar verändern müssen. Durch diese Art der Unterbringung wurde jedoch gewährleistet, dass auch das Anbringen sehr schnell vonstatten ging. Zusammenfassend ist also davon auszugehen, dass das richtige Setup an der Person gefunden wurde und die richtigen Parameter ausgesucht und an den richtigen Stellen gemessen wurde. Im Gegensatz dazu konnten die Umweltparameter bis auf die Luftdruckdaten nicht richtig gemessen werden. Dies lag daran, dass die Sensorik aus Sicherheitsgründen unter der Kleidung getragen werden musste. Daher konnte nur für den Luftdruck tatsächlich die richtige Messung durchgeführt werden. Sowohl für die Außentemperatur als auch für die Luftfeuchtigkeit (Schwitzen) ergaben sich aufgrund der Wärmestrahlung vom Probanden falsche Werte. Somit ist der Vergleich mit den Umweltdaten aus der Meteorologie nur sehr schwer möglich und ergibt wahrscheinlich falsche Werte. Dennoch konnte man aus der Befragung der Probanden entnehmen, dass gerade bei denen, die schon mehrere Sprünge (> 1 000) Erfahrung absolviert haben und an vielen Orten gesprungen sind, in Eloy/USA eine sehr warme Umwelt vorhanden ist im Gegensatz zu anderen Orten mit sehr kalten Umgebungen (Kältespringen). Da es sich bei dieser Untersuchung zunächst um eine Voruntersuchung handelte und diese in Eloy/USA mit seiner sehr warmen Umwelt durchgeführt wurde, sind im Weiteren kalte Regionen von Interesse. Dort werden wahrscheinlich zusätzliche aufschlussreiche Untersuchungsergebnisse erzielt werden.
Interessanterweise konnte trotz dieser warmen Verhältnisse gezeigt werden, dass die Temperatur der Extremitäten trotz vermeintlich ausreichender Kleidung signifikant abfiel. Dies ist bei Fallgeschwindigkeiten von circa 220 km/h vornehmlich dem Windchill-Effekt zuzuordnen und könnte gerade in kalten Regionen erwartungsgemäß noch stärker ausfallen (Auskühlung), sodass es einen regionalen aber gesamtphysiologischen Ausschlag geben könnte, weil die Sauerstoffbindungskurve nach links verschoben wird. Insbesondere bei größeren Absprunghöhen (bis 10 668 m, -55°C) und einer entsprechend längeren Falldauer (HALO), aber auch bei dem HAHO-Sprungverfahren dürfte sich dies noch deutlicher abbilden und die Extremitätentemperatur noch weiter sinken. Das könnte bis hin zum Abkühlen zentraler Bereiche des Organismus führen. Die Körperkerntemperatur bei den Probanden dieser Studie war nicht negativ beeinflusst, sondern sogar nach dem Exit mit bis zu 1,5°C höher gemessen worden. Dies erklärt sich möglicherweise durch die Zentralisation, die einerseits durch den Stress kurz vor dem Absprung und andererseits möglicherweise durch die Hypoxie ausgelöst wird. Dass es zu einer Hypoxie gekommen ist, deuten die Daten zur Sauerstoffsättigung an, die am Kopf gemessen wurde. An sich ist davon ausgegangen worden, dass es erst nach dem Exit zu einem Absinken des O2-Gehaltes kommt. Die Daten zeigen aber eindrucksvoll, dass unmittelbar nach dem Start des Flugzeuges schon die Entsättigung beginnt und bis unter 90 % fällt. Eine Erklärung hierfür könnte sein, dass in dem mit relativ vielen Menschen besetzten, geschlossenen Luftfahrzeug zusätzlich durch den sinkenden Sauerstoffpartialdruck die Konzentration an Sauerstoff abgeatmet (verringert) wird, obwohl es nicht hermetisch abgeriegelt ist. Das zeigt sich vor allem auch deswegen, weil bei Öffnung des Flugzeuges kurz vor dem Sprung die Sättigungsparameter eher wieder zu steigen begonnen haben. Während des Exits und freien Falls kam es wieder zur Aufsättigung mit Sauerstoff, die allerdings nicht den Ausgangswerten bei Erreichen des Bodens entsprachen. Hier muss von einer gewissen Sauerstoffschuld weiter ausgegangen werden, die sich auch noch relativ lange nach der Landung zeigen ließ. Dies könnte am ehesten mit der peripheren Kältebelastung begründet werden, sodass die Sauerstoffschuld nicht vollständig ausgeglichen werden kann (29, 30). Als Folge, vor allem bei mehreren Sprüngen am Tag, könnte dies zu einer Leistungsminderung in Form von Müdigkeit, Konzentrations- und Koordinationsschwierigkeiten kumulieren. Diese Folgen könnten beim Springen, wo mindestens in den drei Phasen: Exit, Deployment und Landung höchste Leistung gefordert wird, zu einem sicherheitsrelevanten Problem führen. Eine solche Leistungsminderung schon unter sehr guten klimatischen Bedingungen könnte sich besonders bei Kältesprüngen gravierend auf die Performance der Springer auswirken.
In Bezug auf die Herzfrequenzen wurde bei den Messungen eine relativ normale Reaktion bei allen Teilnehmern gefunden. Korrespondierend zu den Sauerstoffsättigungsabfällen während der Anflugphase konnte eine Herzfrequenzsteigerung gezeigt werden. Besonders vor den oben genannten drei Phasen wurden nicht signifikante Anstiege der Herzfrequenz gemessen, was jeweils der besonderen Situation und dem Erwartungsverhalten „funktioniert alles“ zuzuschreiben ist. Diese Daten zeigen, dass bei für alle Probanden gleicher Belastung die Anzahl von Sprüngen nicht zu einer Beruhigung während des Sprunges führt.
Das angestrebte Ziel des „online-Monitorings“ konnte in dieser Studie noch nicht realisiert werden. Da die nötigen Übertragungswege noch nicht so ausgereift sind, kann man die Daten bisher nicht über eine große Entfernung übermitteln. Es stellt sich jedoch hier die Frage, ob es bei den Fallschirmspringern in der Phase des Sprungs überhaupt Sinn macht, denn man kann dort nicht mehr eingreifen. Es sei denn, man hat entsprechende Sauerstoffgeräte bei sich, die bei Unterschreiten eines Schwellenwertes (90 %) eine Warnung und entsprechendes Handeln auslösen. In der kumulativen Beurteilung des Leistungsvermögens (human performance) sollten diese Daten aber zur Verfügung stehen, um die Gesamtbelastung beurteilen zu können.
Zusammenfassend ergeben sich aus den im Feld gemessenen Daten interessante Ergebnisse, die sich durchaus von denen im Labor unterscheiden – vor allem aufgrund der Feldmessung unter realen Umwelteinflüssen. Es ist geplant, in Zukunft Messungen bei Probanden in Kälte durchzuführen. Dort könnten sich weitere wichtige Erkenntnisse aufzeigen lassen, die vermutlich die Auskühlung der Probanden deutlicher zeigen werden.
Schlussfolgerungen
Messungen im Feld können durch entsprechend gestaltete Geräte durchgeführt werden und machen Sinn. Für die Messungen ist es erforderlich, die Umweltparameter in die Auswahl der Sensoren einzubeziehen, damit man nicht physiologische Parameter misst, die mit den eigentlichen Umweltgegebenheiten nicht in Zusammenhang gebracht werden können. Diese Voruntersuchung hat gezeigt, dass die Extremitäten auskühlen, wobei der Körperkern jedoch unbeeinflusst blieb. Allerdings waren die Ergebnisse der Hypoxie beeindruckend und haben die zusätzliche Belastung schon vor dem eigentlichen Sprung aufzeigen können. Eine Maßnahme wäre, vor dem Sprung den Springern Sauerstoff zu applizieren, entweder über eine Sauerstoffversorgung im Flugzeug selber oder über eine individuelle Gabe. Somit ergeben sich aus den in der realen Umwelt gefundenen Werten anders zu beurteilende Ableitungen als die, die man im Labor üblicherweise erhält. Daher sind weitere Messungen in diesem Bereich sinnvoll, um nicht falsche Rückschlüsse in der Beurteilung der physiologischen Parameter zu ziehen.
Interessenkonflikt: Die Autoren haben keine Interessenkonflikte.
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Bildquelle: Dr. Andreas Werner, Flugmedizinisches Institut der Luftwaffe
Datum: 05.11.2013
Quelle: Wehrmedizinische Monatsschrift 2013/10