Mit der „Golden Hour“ im Gepäck…
Im Zuge der Veränderung des Mandats von ISAF zu RS hat sich unter vielem anderen die Einhaltung der Golden Hour als außerordentlich herausfordernd gezeigt. Die Golden Hour kann nur in dem einzigen Feldlager im TAAC N, MAZAR-E-SHARIF (MES) sichergestellt werden. Die Ambitionen der übergeordneten Führung sieht die Unterstützung der Afghanischen Sicherheitskräfte (ANDSF) auch außerhalb dieses Feldlagers vor. Insbesondere KUNDUZ und später MAYMANEH sind hier für den Auftrag Train, Advise and Assist (TAA) von besonderem Interesse. Diese befinden sich 150 - 240 km von MES in entgegengesetzten Richtungen entfernt. Diese Entfernungen machen eine suffiziente Versorgung von Verwundeten im Rahmen der Maxime des zentralen Sanitätsdienstes unmöglich.
Die Kombination von resourcenlimited Damage Control Resucitation (rDCR) und resourcenlimited Damage Control Surgery (rDCS) in Verbindung mit entlastenden Verwundetentransport, ist die Fähigkeit, welche eine sanitätsdienstliche Versorgung nach internationalen Richtlinien innerhalb einer Stunde sicherstellt.
rDCR ist der Sammelbegriff für alle notfallmedizinischen Maßnahmen, inklusive der Gabe von Gerinnungs- und Blutprodukten, mit dem Ziel, den Patienten ausreichen zu stabilisieren, damit dieser den Transport zur weiterführenden Behandlungseben überlebt.
rDCS ist der Sammelbegriff für alle notfallchirurgischen Maßnahmen, um massive Blutungen zu stillen, Kontamination einzudämmen sowie Funktion und Gliedmaßen zu erhalten.
Beide Verfahren sind insbesondere im militärischen Umfeld miteinander eng verflochten und die Übergänge fließend. Die Resourcenlimitation und taktische Rahmenlage und deren militärisch-logistischen Zwänge haben hier unmittelbaren Einfluss auf die medizinischen Interventionen und der Entscheidungsfindung. Im militärischen Kontext können bei der Befähigung zur Durchführung von Damage Control Surgery limitierte/eingeschränkte Ressourcen wie Zeit, Personal (Anzahl und Qualifikation), Blut, Blutprodukte, Hygiene, Logistik und in absehbarer Zeit keine Möglichkeit zu erweiterten Organersatzverfahren für das Überleben und die Wiederherstellung der Gesundheit der Verwundeten ausschlaggebend sein. Beispiele die zur Entscheidung einer rDCS führen können:
- Die Operationskapazität ist im Verhältnis zur Anzahl der Verwundeten begrenzt.
- Folgeeingriffe oder definitive Versorgung können nicht vor Ort durchgeführt werden.
- Vorübergehender Zeitgewinn für den bzw. die schwerstverletzten Verwundeten zur intensivmedizinischen Stabilisierung und für das Erlangen der Transportfähigkeit.
- Übergeordnete(r) Weisung/Befehl aufgrund einer Lagebeurteilung.
Die Verortung in die Behandlungsebenen 1 - 4 (Role 1 - 4) fällt nicht leicht, da die Einrichtung weder eine Behandlungsebene 1 noch 2 ist. Zu beiden fehlen wesentliche Fähigkeiten. Zur Role 1 fehlt die Fähigkeit zur truppenärztlichen Versorgung und die Haltekapazität und zur Role 2 fehlt die Fähigkeit zur Durchleuchtung und postoperativen Betreuung sowie Haltekapazität.
2014 wurde die DCS-U ISAF wieder in das Kommando Schnelle Einsatzkräfte Sanitätsdienst (Kdo SES) zurückgeführt ohne zur Wirkung gebracht worden zu sein. 2016 wurde diese reaktiviert, um im Raum Kundus (KDZ) dem afghanisch geführten Camp Pamir in einem Safe Heaven im Rahmen von expeditionary Train, Advise and Assist (eTAA) eingesetzt zu werden. Nach Aufstellen einer containergestützten Aufbauvariante als OpGrp KDZ in 2017 war die DCS-U wieder frei, um 2018 erstmalig nach Maymaneh (MMN) verlegt zu werden. Seit 2018 ist das erste nationale Konzeptdokument gezeichnet, welches die Grundlage für Kleinsteinrichtungen zur notfallchirurgischen Versorgung beschreibt. Im Konzept Forward Surgical Element (FSE) sind hier die Fähigkeiten und Einschränkungen beschrieben unter denen die DCS-U operiert.
Die Fähigkeit der DCS-U ist es:
Zwei Verwundeten zeitgleich versorgen zu können. Dabei wird ein Verwundeter operiert und ein Zweiter parallel notfallmedizinisch stabilisiert. Die DCS-U verfügt über keine Patientenhaltekapazität. Im Anschluss an einen entlastenden qualifizierten Patiententransport können zwei weitere Verwundeten aufgenommen und versorgt werden. Insgesamt hält die DCS-U Material für 10 Verwundete vor und ist somit zwingend auf Folgeversorgung im Feld angewiesen.
Die Zeiträume eines Expeditionary Advisoring Package (EAP) in MMN variieren von wenigen Tagen bis aktuell 60 Tagen. Je nach Einsatzdauer muss das mitgeführte Material insbesondere die Peripherie wie Hülle, Klima und Strom adaptiv an die Gegebenheiten angepasst werden.
Eine Fähigkeit setzt sich aus qualifiziertem Personal und spezialisiertem Material zusammen, an welche in diesem Umfeld höchste Anforderungen gestellt werden. Bei dem Material sind die Anforderungen im Besonderen: Durchhaltefähige Funktionalität unter schwersten Bedingungen, Temperaturunempfindlichkeit, Staubunempfindlichkeit, Geringes Gewicht und Packmaß, einfache Handhabung und geringer Wartungsaufwand.
Eine wesentliche Herausforderung sind besondere Limitationen wie Blut und Sauerstoff, welche nicht kompensiert werden können. In der derzeitigen Konfiguration stehen in der Einrichtung 40 Blutkonserven und 16000L Sauerstoff zu Verfügung. Dies kann bei verzögertem Abtransport der Verwundeten zu lebensgefährdenden Engpässen führen.
Das Personal ist das Herzstück der Einrichtung und besteht aus dem Basisteam, welches sich im Einsatz befindet: Einsatzoffizier, Notfallsanitäter 1, Feldlagerbetriebsfeldwebel 1, Pharmazeutisch-technischer Assistent (PTA)
Das Aktivierungsteam wird mit einer Notus to move (NTM) von 5 Tagen in Deutschland vorgehalten: Chirurg 1, Chirurg 2, Anästhesist, Fachkrankenpfleger A/I, Fachkrankenpfleger Op/Endo oder OpTA, Notfallsanitäter 2, Feldlagerbetriebsfeldwebel 2. An dieses Personal werden besondere Anforderungen gestellt. Zusätzlich zu der hohen fachlichen Performance muss das Personal im Crosstraining befähigt werden, einen potentiellen Ausfall zu kompensieren. Dementsprechend ist eine suffiziente Vorausbildung und Praktika in konträren Fachgebieten zweckmäßig, um ein hohes Maß an Flexibilität zu halten.
Neben der unabdingbaren Fachlichkeit sind für dieses Personal die soldatischen Fähigkeiten von besonderer Bedeutung. Grundsätzlich findet die Verlegung und Aufbau aus taktischen Gesichtspunkten nachts in einem erheblichen Bedrohungsumfeld statt. Zudem ist das Leben und Arbeiten auf engstem Raum und unter beständiger Bedrohung herausfordernd und verlangt von dem eingesetztem Personal die Verinnerlichung der soldatischen Grundtugenden gepaart mit hohem Teamgeist und Rücknahme der eigenen Person. Ein solch heterogenes Team mit all seinen Facetten ist eines der interessantesten Arbeitsbereiche im zentralem Sanitätsdienst.
Für mich als Einsatzoffizier und Führer dieser Einrichtung ist dieser Auftrag im Einsatz einzigartig und begeistert mich auch nach drei Runden nachhaltig.
Oberleutnant Sebastian Gohra
SanDstOffz ZgFhr KrTrsp/Rett 2. / Kdo SES Leer
E-Mail: SebastianGohra@Bundeswehr.org
Datum: 29.06.2020
Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 1/2020