Klinisch-pharmazeutische Diplomprojekte am Bundeswehrkrankenhaus Hamburg

T. Bertsche, O. Zube

Ausgangslage für Klinisch-pharmazeutische Projekte

Arzneimittel stellen wichtige Therapieoptionen dar. In klinischen Studien haben diese vor der Marktzulassung in den betreffenden Indikationen und Patientengruppen ihre Wirksamkeit unter Beweis gestellt. Die Effektivität unter Routinebedingungen kann jedoch von der in Studien gezeigten Wirksamkeit abweichen. Dies gilt insbesondere dann, wenn die individuellen Patientencharakteristika bei der Verordnung von Arzneimitteln nicht angemessen berücksichtigt werden. Allerdings birgt auch die eigentliche Anwendung der verordneten Arzneimitteln Gefahren. Wenn der Patient das Arzneimittel falsch anwendet oder aus Sorge vor Risiken im Sinne einer non-Adhärenz gar nicht einnimmt, ist der Therapieerfolg nicht mehr gesichert. Klinisch-pharmazeutische Dienstleistungen tragen laut Studien in der internationalen Literatur dazu bei, die Arzneimitteltherapiesicherheit zu erhöhen. Im Fokus entsprechender Interventionen stehen die Optimierung der Effektivität unter Routinebedingungen und die Prävention vermeidbarer Risiken. Von diesem Benefit im zivilen Bereich sollen auch Soldatinnen und Soldaten in der sanitätsdienstlichen Versorgung der Bundeswehr profitieren. Es stellt sich allerdings die Frage, inwieweit Ergebnisse internationaler Studien direkt auf das Setting des Sanitätsdienstes und eines Bundeswehrkrankenhauses übertragbar sind. Dabei müssen auch spezielle wehrmedizinische und wehrpharmazeutische Aspekte beachtet werden.  

Hintergrund am Bundeswehrkrankenhaus Hamburg

In der zivil-militärischen Zusammenarbeit zwischen dem Bundeswehrkrankenhaus Hamburg und dem ZAMS - Zentrum für Arzneimittelsicherheit der Universität Leipzig wurden in den letzten Jahren gemeinsame Projekte realisiert. Im Rahmen des vorliegenden Übersichtsartikels sollen einige Projekte dieser Zusammenarbeit exemplarisch vorgestellt werden. Thematisch widmen sich diese Projekte vielfältigen Aspekten der interprofessionellen Zusammenarbeit von Apothekern mit Ärzten und Pflegedienstmitarbeitern. Diese sind daher sowohl pharmazeutisch als auch medizinisch und pflegerisch von großer Relevanz. Untersuchungen und Lösungsstrategien für identifizierte Arzneimittel-bezogene Probleme sollen in diesem Beitrag zu den Themen Sturzprophylaxe, Inkompatibilitäten im Katheter und Unit-Dose-Dispensierung näher vorgestellt werden. Alle drei Themen wurden im Rahmen von Diplomarbeiten am Bundeswehrkrankenhaus Hamburg von der Apotheke und an der Universität Leipzig von der Klinischen Pharmazie betreut. Die Kooperation zwischen aktiven Soldatinnen und Soldaten sowie Reservisten spielte dabei eine entscheidende Rolle. Alle drei Arbeiten wurden als Originalarbeiten in internationalen Journalen publiziert [1-3].

Sturzprophylaxe

Hintergrund der Sturzprophylaxe 

Einer von 13 Patienten stürzt während des Krankenhausaufenthalts [4]. Langfristige Folgen resultieren durch eingeschränkte Mobilität und Tod [5-7]. Daher sind präventive Maßnahmen im Sinne der Sturzprophylaxe von großer Bedeutung. Relevante und beeinflussbare Risikofaktoren müssen dabei erkannt und verhindert werden [8]. Dies gilt auch für Arzneimittel, die Sturzereignisse begünstigen. Bisherige Lösungsansätze wie die Beer's Liste, die PRISCUS-Liste und die EU(7)-PIM-Liste [9-11] liefern gute Ansätze, um entsprechende Arzneimittel zu identifizieren. Sie weisen allerdings auch Limitationen auf: beispielsweise werden insbesondere neue Arzneistoffe nicht berücksichtigt oder Angaben sind nicht immer aktuell. Zudem berücksichtigen diese Listen individuelle Risikokonstellationen einzelner Patienten nur bedingt. Dabei treten Sturzereignisse auch bei jüngeren Menschen wie Soldatinnen und Soldaten auf.

Zielsetzungen der Sturzprophylaxe 

Das Ziel des von der Apotheke des Bundeswehrkrankhauses Hamburg gemeinsam mit der Pflegedienstleitung initiierten Projektes war es [1], dass Sturzrisiko aufgrund definierter unerwünschter Wirkungen [13,14] einzuschätzen. Sedierung, Schwindelgefühl oder anticholinerge Wirkungen sind Beispiele für solche unerwünschten Wirkungen [15-17], die als Prädiktoren für tatsächliche Sturzereignisse vermutet wurden. Zudem ist bekannt, dass bestimmte Hochrisikomedikamente erheblich zum Sturzrisiko beitragen [18-20]. Es wurde vermutetet, dass eine besondere Risikokonstellation bei entsprechenden Kombinationstherapien besteht.

Methoden der Sturzprophylaxe 

Ein Expertengremium identifizierte auf der Grundlage der Fachinformationen Arzneimittel mit sturzrisikoerhöhenden Nebenwirkungen (FRIAR-Arzneimittel). Diese FRIAR-Arzneimittel und andere Parameter wurden anschließend in einer Fall-Kontroll-Studie mittels logistischer Regression auf ihre Auswirkungen auf Stürze untersucht. Beispiele für solche Parameter sind die Gesamtzahl der Medikamente, Dosierung, Dosisanpassungen und Medikamentenwechsel.

Ergebnisse der Sturzprophylaxe 

Während eines Zeitraums von einem Jahr kam es bei 112 (1 %) von 11.481 Patientinnen und Patienten des Bundeswehrkrankenhauses Hamburg zu mindestens einem Sturz-ereignis während des stationären Aufenthaltes. Von 87 dieser Patienten in der Fallgruppe mit Sturzereignis lagen vollständige Daten zur Auswertung vor. Diese wurden mit weiteren 87 Datensätzen von Patienten einer Kontrollgruppe ohne Sturzereignis verglichen. FRIAR-Arzneimittel wurden in der Fallgruppe pro Patient häufiger verschrieben (4,26 (Q25-Q75: 3,75-4,78); p=0,033) als in der Kontrollgruppe (3,48 [2,97-3,99]). Die Verschreibung einzelner FRIAR-Arzneimitteln (Beta=0,137; p=0,035) und die Gesamtzahl der FRIAR- Arzneimitteln (Beta=0,033; p=0,031) erhöhten das Sturzrisiko. Die Gesamtzahl der Medikamente, die Dosierung, Dosisanpassungen und Medikamentenwechsel zeigten hingegen keinen Einfluss auf die Anzahl der Sturzereignisse. 

Fazit der Sturzprophylaxe

Die Verschreibung von FRIAR-Arzneimitteln war mit einer höheren Anzahl von Stürzen verbunden. Die Berücksichtigung von FRIAR-Arzneimitteln bietet die Möglichkeit, die Komplexität der individuellen Medikation besser zu berücksichtigen. Diese Daten können zukünftige computergestützte Verordnungssysteme mit klinischen Entscheidungshilfen unterstützen. 

Unit-Dose-Dispensierung

Hintergrund der Unit-Dose-Dispensierung 

Unit-Dose-Dispensierung bietet prinzipiell das Potential, Abläufe beim Richten von Arzneimitteln für die einzelnen Patienten zu optimieren und auf diese Weise auch Medikationsfehlern vorzubeugen. Foto 1 zeigt den Dispensierautomaten in der Apotheke des Bundeswehrkrankenhauses Hamburg. Der Aufwand für die Implementierung und das Betreiben von Unit-Dose-Dispensiersystemen ist allerdings wegen der aufwändigen Automatisierung (Foto 1) und der Änderung von Prozessabläufen auf Station erheblich [6, 21]. Vor der Einführung einer Unit-Dose- Dispensierung sollte daher der Nutzen für die Vermeidung von tatsächlich auftretenden Verabreichungsfehlern analysiert werden.  

Zielsetzungen der Unit-Dose-Dispensierung 

Es war das Ziel, eine Analyse unter den Routinebedingungen am Bundeswehrkrankenhaus Hamburg zu Verabreichungsfehlern durchzuführen [2]. Identifizierte Arzneimittel-bezogene Probleme sollten in 3 Stufen klassifiziert werden: 

  • Stufe 1: Problematische Routinerichtprozesse, die noch nicht zu Medikationsfehlern geführt haben. 
  • Stufe 2: Problematische Routinerichtprozesse, bei denen Medikationsfehler aufgetreten sind, die aber den Patienten noch nicht erreicht haben. 
  • Stufe 3: Problematische Routinerichtprozesse, bei denen Medikationsfehler aufgetreten sind und den Patienten erreicht haben.  

Methoden der Unit-Dose-Dispensierung

Echtzeitbeobachtungen durch ein geschulter Monitor (Pharmazeutin im Praktikum) wurden in medizinischen Abteilungen der Chirurgie und Innere Medizin durchgeführt. Dabei wurden Arzneimittel-bezogene Probleme bei der Medikamentenverabreichung dokumentiert und anschließend durch ein Expertenpanel aus Klinischen Pharmazeutinnen und Pharmazeuten in die 3 Stufen eingeteilt. Die Arzneimittel-bezogene Probleme bei der Verabreichung von Medikamenten wurden unter Berücksichtigung ihres potenziellen klinischen Risikos in 3 Stufen und 18 Kategorien eingeteilt.  

Ergebnisse der Unit-Dose-Dispensierung

Bei 77 chirurgischen Patienten wurden 1.849 perorale Arzneimittelrichtprozesse und bei 149 internistischen Patienten 1.405 Prozesse beurteilt. Arzneimittel-bezogene Probleme wurden mit einer Häufigkeit von 0,6 % bis 26,7 % in Stufe 1, 0,1 % bis 21,5 % in Stufe 2 und 0,0 % bis 1,0 % in Stufe 3 festgestellt. Davon wurden 4 als ein hohes klinisches Risiko eingestuft: „Name des Medikaments ist nicht lesbar“, „Verschriebenes Medikament ist nicht für die Verabreichung vorbereitet“, „Ein falsches oder nicht verschriebenes Medikament ist vorbereitet“ und „Ein Medikament ist für die Verabreichung vorbereitet.“ der falsche Patient (Verwechslung)“. 12 wurden als durch Unit-Dose-Dispensierung als hoch vermeidbar durch das Expertenpanel eingestuft.   

Fazit der Unit-Dose-Dispensierung

Es wurden zahlreiche Fehler bei der Verabreichung von Arzneimitteln unter Routinebedingungen ohne Unit-Dose-Dosiersystem beobachtet. Viele Verabreichungsfehler, die durch Unit-Dose-Dosiersysteme als hochgradig vermeidbar eingestuft werden, können hohe klinische Auswirkungen auf die Patienten haben. Nach den vorliegenden Ergebnissen ist die Einführung eines Unit-Dose-Dosiersystems unter den Bedingungen am Bundeswehrkrankenhaus Hamburg prinzipiell sinnvoll, um Arzneimittel-bezogenen Problemen vorzubeugen. 

 

Unit-Dose-Automat im BwKrhs Hamburg
Unit-Dose-Automat im BwKrhs Hamburg
Quelle: Bundeswehr/BwKrhs Hamburg

Inkompatibilitäten

Hintergrund der Inkompatibilitäten 

Bei gleichzeitiger Verwendung von Arzneimitteln im selben intravenösen Lumen können physikalisch-chemische Inkompatibilitäten auftreten [22-26]. Foto 2 zeigt eine Inkompatibilität von Fungizone im Katheter (Foto: Apotheke des Universitätsklinikums Leipzig). Dies kann die Patientensicherheit gefährden, wenn es zu gefäßreizenden Ausfällungen oder zur Wirkungsverminderung des Wirkstoffs kommt (Foto 2). Inkompatibilitäten sind in der Intensivmedizin von besonderer Bedeutung [27], da dort zahlreiche Arzneistoffe intravenös verabreicht werden und der kritische Gesundheitszustand rasch klinische Konsequenzen befürchten lässt Die Informationen zur Komptabilität einzelner Arzneimittel sind in der Literatur und in Datenbanken jedoch häufig widersprüchlich. Daher gestaltet es sich teilweise schwierig, eine klare Entscheidung darüber zu treffen, ob eine Arzneimittelkombination kompatibel ist oder nicht.  

Zielsetzungen der Inkompatibilitäten 

Im Setting einer Intensivstation sollten physiko-chemische Arzneimittelinkompatibilitäten in Zentralvenenkathetern identifiziert werden [3]. Dazu wurde ein Algorithmus zur Entscheidungsfindung neu entwickelt und genutzt. Zusätzlich sollte das Wissen und die Selbsteinschätzung des Pflegepersonals über Inkompatibilitäten mittels Fragebogen erfragt werden. Abschließend wurden konkrete standardisierte Empfehlungen zur Vermeidung von Inkompatibilitäten an die Pflegenden gegeben und deren Akzeptanz dokumentiert.  

Methoden der Inkompatibilitäten 

In einer interdisziplinären Intensivstation haben wir die Medikation konsekutiver Patienten auf Inkompatibilitäten untersucht. Wir führten eine zuvor definierte auf einem Algorithmus basierende Analyse durch. Die Beobachtungsergebnisse wurden mit dem Wissen und der Selbsteinschätzung des Pflegepersonals dieser Intensivstation im Bereich der Unverträglichkeiten verglichen. Unsere Bearbeitung schloss auch standardisierte Empfehlungen zur Prävention an die Pflegenden mit ein.

Ergebnisse der Inkompatibilitäten 

Bei 64 (61,4 %) der 104 eingeschlossenen Patienten wurde mindestens eine Inkompatibilität festgestellt. 81 (62,3 %) der 130 inkompatiblen Kombinationen betrafen Piperacillin/Tazobactam und in 18 (13,8 %) jeweils Furosemid und Pantoprazol. 37,8 % (n=14) der Mitarbeiter nahmen an der Fragebogenbefragung teil (Durchschnittsalter: 31, IQR: 4,75 Jahre). Die Kombination aus Piperacillin/Tazobactam und Pantoprazol wurde von 85,7 % fälschlicherweise als kompatibel beurteilt. Die Mehrheit der Befragten gab an, sich bei der Verabreichung von Arzneimitteln nur selten unsicher zu fühlen (Medianwert: 1; 0 – nie bis 5 – immer). Bei den 64 Patienten mit mindestens einer Inkompatibilität wurden 68 Vermeidungsempfehlungen gegeben und alle wurden vollständig akzeptiert. In 44 (64,7%) von 68 Empfehlungen wurde „Schritt 1: Nacheinander verabreichen“ vorgeschlagen, in 9/68 (13,2 %) „Schritt 2: Anderes Lumen verwenden“, in 7/68 (10,3 %) „Schritt 3: Dauergabe eines anderen Arzneimittels pausieren“ und bei 8/68 (11,8 %) wurde „Schritt 4: Katheter mit mehr Lumen verwenden“ empfohlen.

Fazit der Inkompatibilitäten

Inkompatibilitäten erwiesen sich als häufig in der Echtzeitbeobachtung auf Station. Dies betraf beide untersuchten Station – und damit eine chirurgische und eine internistische Abteilung – gleichermaßen. Das Pflegepersonal fühlte sich interessanterweise anhand der Ermittlung in einem Selbstauskunftsfragebogen jedoch häufig selbst sicher bei der Verabreichung von Arzneimitteln. Dabei korrelierten die gefundenen Wissensdefizite gut mit den im Monitoring tatsächlich gefundenen Inkompatibilitäten. 

Gesamtfazit

Die vorgestellten Arbeiten zeigen, dass es am Bundeswehrkrankenhaus Hamburg unter Federführung der Klinischen Apotheker gelungen ist, Arzneimittel-bezogene Probleme zu identifizieren und auch bereits Lösungsstrategien zu entwickeln und anzuwenden.  

Die nach den Fachinformationen definierten unerwünschten Wirkungen zeigten eine hohe Korrelation mit den tatsächlichen Sturzereignissen und eignen sich daher als Prädiktor zur Prävention vom Sturzereignissen. Tatsächlich beobachtete Verabreichungsfehler wurden durch ein Expertenpanel als häufig klinisch hoch relevant und durch die Implementierung eines Unit-Dose-Systemen als vermeidbar klassifiziert. Inkompatibilitäten waren häufig und korrelierten gut mit den jeweiligen Wissensdefiziten, wobei die eignen Kenntnisse häufig überschätzt werden. Im nächsten Schritte sollen diese Erkenntnisse beispielweise beim Ausbau des Aufnahmemanagements berücksichtigt und wissenschaftlich untersucht werden. Weiterhin stellt die Evaluation der Unit-Dose-Versorgung im Kontext der Einführung einer elektronischen Verordnungsplattform mit Wissensunterstützung ein zentrales Thema für künftige Projekte dar. 


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