DIE REITTHERAPIE – EINE UNTERSTÜTZENDE HEILUNGSMETHODE MIT ZUKUNFT
Die Reittherapie ist nichts neu Erfundenes, doch vielen Menschen ist diese unterstützend wirkende Therapiemaßnahme bei vielerlei Erkrankungen nicht wirklich bekannt. Gerade Erwachsene denken dabei oft an Ponyreiten, Kinderkram, unbequeme Kleidung und das ständige Gerede über die Tiere. Dabei kann die Reittherapie, wenn man ihr als Klient eine Chance gibt, so vielschichtig sein und somit auch in verschiedenen Bereichen ihre Wirkung oder gar eine deutliche Verbesserung des Krankheitsbildes hervorrufen.
Angst vor dem Reiten oder dem Tier an sich stellt keinen Hinderungsgrund dar, denn das Ziel ist nicht, die Perfektion beim Reiten zu erlangen, sondern die Freude am Umgang mit dem Pferd zu erlernen und zu genießen. Denn allein der Körperkontakt zu diesen Tieren ist für viele schon wie Balsam für die Seele. Ein weiterer wichtiger Aspekt für Körper und Geist ist das direkte und beruhigende Erleben der Natur, z.B. bei gemütlichen Waldausritten. Außerdem können vorhandene körperliche Gebrechen oder seelische Leiden durch die Arbeit mit dAem Pferd verbessert bzw. gelindert werden. Der Klient soll hierbei zu seinem körpereigenen wie auch seelischen Gleichgewicht zurückfinden und kann daraus Kraft für das alltägliche Leben schöpfen. Man muss sich zunächst darauf einlassen und es ausprobieren, um schließlich entscheiden zu können, ob dies eine dauerhaft unterstützende Therapieform für einen selbst sein könnte.
Nicht erst seit gestern
Schon im 17./18. Jahrhundert wurde über Schriften des Arztes Hippokrates berichtet, in denen er über den „heilsamen Rhythmus“ des Reitens und das Wachsen des Selbstwertgefühles beim Umgang mit diesen Tieren geschrieben hat. Therapeutisches Reiten wirkt demnach auf vielen verschiedenen Ebenen: der körperlichen, sozialen, psychischen und seelischen Ebene.
Im Mittelpunkt des therapeutischen Reitens steht der Kontakt zwischen Mensch und Pferd. Pferde gehen ohne Vorurteile auf den Menschen zu, spiegeln diesem aber zugleich das eigene Verhalten wieder, positives wie negatives Verhalten. Es entsteht eine Kommunikation, die ohne Worte verläuft, was gerade für Menschen mit traumatischen Erlebnissen oft überaus wichtig ist. Das Alter spielt dabei keine Rolle.
Warum diese Ausbildung?
Meine reittherapeutische Ausbildung habe ich als berufsbegleitende Maßnahme neben meinem eigentlichen Beruf als Soldat im Mai 2011 nach erfolgreich bestandener Abschlussprüfung abgeschlossen.
Das Faszinierende an der Tätigkeit als Reittherapeut ist die Vielschichtigkeit. Reittherapie ist nicht nur bei äußerlichen Gebrechen einsetzbar ist, sondern findet auch Anwendung bei psychischen Erkrankungen und kann eine Verbesserung derselben hervorrufen.
Die Ausbildung zur medizinischen Fachangestellten in den Fachbereichen Allgemeinmedizin/ Psychiatrie und Psychotherapie und die Arbeit als Pflegeassistenz mit körperlich, geistig behinderten Menschen vor der Bundeswehr kamen mir bei dieser sehr anspruchsvollen Ausbildung sehr zu Gute.
Die Bundeswehr hat mir anschließend die Ausbildung zur Rettungsassistentin im Jahr 2005/2006 ermöglicht, welche mein medizinisches Hintergrundwissen noch erweitert hat und mir dadurch mehr Sicherheit im Umgang mit komplexeren Erkrankungen des Klienten gibt. Ich halte jedoch auch in komplexeren Fällen immer wieder Rücksprachen mit Ärzten, um Missverständnissen vorzubeugen.
An den Wochenenden widme ich meine Freizeit voll und ganz der Reittherapie. In dieser Beschäftigung finde ich meinen eigenen Ausgleich zu meiner normalen Beschäftigung als Soldat.
Was ist das Besondere an dieser Therapieform?
Schon in meiner Ausbildung zur Reittherapeutin habe ich an Klienten selbst erleben dürfen, dass gerade junge Erwachsene mit psychischen Problematiken keine Lust auf Pferde haben. Gerade in der Gruppenarbeit ist es ‚cooler‘, die Vierbeiner erst einmal total uncool zu finden, um dann nach einer Probestunde festzustellen, dass es doch gar nicht so übel ist, auf einem Pferd zu sitzen oder es zu putzen. Warum ist das so?
Die Antwort ist einfach: Weil das Pferd von einem Menschen nichts erwartet, keine Vorurteile hat und wahrnimmt, wie wir wirklich sind, egal welche Fassade wir anderen Menschen gegenüber aufgebaut haben. Die schlauen Vierbeiner durchschauen uns sofort. Sie nehmen Angst, Unsicherheit, Zweifel und Wut sofort wahr und reagieren mit ihrem authentischen, wertungsfreien Sozialverhalten ohne Verzögerung. Die Rückmeldung der Tiere können Klienten erfahrungsgemäß leichter annehmen als die Kritik von einem Menschen.
Durch den Kontakt mit Pferden lernen wir, mehr Gefühle zuzulassen, unseren eigenen Körper und eigene Gedanken besser wahrzunehmen. Die Vierbeiner lehren uns, ehrlich und geduldig wahrzunehmen, wer wir sind, wo sich unsere Stärken und Schwächen befinden. Pferde können dadurch sehr oft den psychischen Genesungsprozess beim Menschen positiv beeinflussen.
Das Pferd als Co-Therapeut!
Unsere Co-Therapeuten, ohne die die Reittherapie nicht funktionieren würde, sind in verschiedenen Bereichen der Reittherapie einsetzbar, da auch bei den Vierbeinern jeder seinen individuellen Charakter hat und diesen mit in die Reittherapie einbringt. So kann auch ich als Reittherapeutin unsere Pferde in bestimmten Situationen gezielt einsetzen. Voraussetzung ist, dass ich meine Vierbeiner zu 100% kenne und einzuschätzen weiß. Ich arbeite in der Reittherapie mit verschiedenen Pferderassen, da bei richtiger Ausbildung und dem dazu passenden Klientel jede Pferderasse für diese Arbeit einsetzbar sein kann.
Deshalb ist es für meine vierbeinigen Co-Therapeuten äußerst wichtig, zu dieser doch sehr anspruchsvollen Arbeit immer wieder einen Ausgleich herzustellen. Diesen finden sie auf flotten Geländeausritten oder bei anspruchsvoller Dressurarbeit, wobei es noch viele weitere Möglichkeiten gibt, um die Vierbeiner motiviert bei der Arbeit zu halten. Ein Grund für die Motivation des Pferdes ist, dass sie dem Menschen immer freundlich zugewandt sein sollen und feinfühlig auf die Stimmung des Gegenübers reagieren können. Dies funktioniert dann, wenn auch die Tiere Freude an dieser Arbeit haben und nicht abgestumpft sind.
Von meinen 5 Co-Therapeuten hat jeder sein Spezialgebiet in der Reittherapie. Dazu gehören das Führen lassen aus dem Rollstuhl, das Tragen von Klienten, die aufgrund fehlender Extremitäten nicht im Gleichgewicht sitzen können sowie das Ausblenden der Nervosität des Klienten. Ein weiteres Spezialgebiet kann sein, dass bei jüngeren Klienten, die aufgrund ihrer Erkrankung nicht alleine auf dem Pferd sitzen können, der Reittherapeut mit dem Klienten zusammen auf das Pferd steigt. Außerdem gibt es das Frühwarnsystem des Co-Therapeuten, wenn sich ein epileptischer Anfall anbahnt. Hierbei ist wichtig, dass der Vierbeiner bei starker Muskelkontraktion des Klienten trotzdem auf den Reittherapeuten reagiert und somit das Tempo nicht erhöht. Es gilt, im richtigen Moment auf den Klienten zuzugehen, um eine Vertrauensbasis herzustellen und auch bei ängstlichen Klienten auch einmal abwarten zu können, bis diese auf die Tiere zugehen.
Somit ist für jeden immer das richtige Pferd mit dem passenden Charakter dabei. Denn nachdem vorab geschilderten Krankheitsbild des Klienten, mache ich mir Gedanken darüber, welches Pferd dazu passen könnte. Es kommt aber nicht selten vor, dass der Klient sich selbst seinen Co-Therapeuten auf vier Beinen aussucht. An Hand von bestimmten Merkmalen, die jeder Klient individuell für sich entscheidet wie Farbe, Aussehen, Auftreten des Pferdes, Stockmaß und dem Charakter.
Besondere Erlebnisse aus der Reittherapie
In meiner noch recht jungen Arbeit als Reittherapeutin habe ich schon sehr viele schöne Momente mit den Klienten und den Tieren erleben können.
Erwachsene nehmen das Reiten teilweise auch als Ausgleich zum Alltagsstress als Anlass, einfach mal abzuschalten und nicht ständig grübeln zu müssen. Selbst diese 60-90 Minuten, die eine Reittherapieeinheit dauert, geben einem wieder ein positives Lebensgefühl. Wobei auch das Sitzen und Getragen werden auf dem Pferderücken zu den verschiedensten emotionalen Zuständen führen kann.
Es ist schon lange bekannt, dass die dreidimensionale Rotation auf das Becken sowie die Wärme und Rhythmik auf den Reitenden übertragen werden. Allein schon das Reiten im Schritt fordert das Gleichgewicht, die Koordination, es wirkt muskelaufbauend und schult dabei auch noch die Reaktion des Klienten. So wirken die schwingenden Impulse im Schritt beruhigend und entspannend, wobei der Trab und der Galopp sehr belebend wirken und positive Lebensenergie aktivieren.
In meinen Reittherapiestunden konnte ich schon viele beeindruckende Momente erleben. Zum Beispiel eine Klientin mit Depressionen, die das Reiten durch die Idee ihres behandelnden Arztes als Chance genutzt hat, sich neue Ziele zu setzen und diese durchzusetzen, die mit einer Angst vor Pferden angefangen hat und nun nicht genug vom belebenden Galopp bekommen kann. Der Klient, der nach einem schweren Verkehrsunfall ab der Lendenwirbelsäule abwärts gelähmt ist und dem unsere Pferde regelmäßig ihre vier Beine leihen, um ihm somit ein Gefühl der kurzzeitigen Bewegungsfreiheit zu vermitteln.
Die junge Klientin mit dem Apert-Syndrom und den daraus resultierenden kraniofazialen Fehlbildungen, die immer wieder wegen ihres anderen Aussehens ausgegrenzt wird. Die Pferde nehmen sie jedes Mal so an, wie sie ist. Das Pferd schenkt ihr diese Momente, in denen sie sich nicht verstecken muss und die sie so sehr genießt und sich aus vollem Herzen freut. Diese Eindrücke spiegeln nur einen kleinen Teil meiner Erfahrungen wieder, aber man kann auch hier schon sehen, welche Bandbreite an Erkrankungen man damit abdecken kann, wie seelische und auch körperliche Leiden gelindert oder sogar verbessert werden können. „Jedes Individuum ist einzigartig und trägt alle Ressourcen zu seiner Veränderung in sich selbst“. M. Erikson
Dieses ist meiner Ansicht nach eine nur allzu wahre Aussage, denn ich bin der Meinung, dass die Reittherapie den Klienten bei seinem Vorhaben, etwas zu verändern oder zu verbessern, sehr stark unterstützen kann.
Eine Chance für die Reittherapie
Ziel dieses kurzen Einblicks in die Reittherapie ist, Sie auf diese mögliche andere Form der Therapie aufmerksam zu machen. Ich denke, dass man der Reittherapie im Hinblick auf PTBS-Erkrankte eine Zukunft geben sollte und somit die daran Erkrankten auch über diese unterstützende Heilungsform informieren sollte.
Auch ich weiß, dass die Behandlung von PTBSErkrankten von allen Seiten große Geduld und sehr viel Verständnis erfordert, denn ein Trauma hinterlässt Narben auf der Seele. Mit den zur Verfügung stehenden Mitteln moderner Psychotherapie und dem gezielten Einsatz angstlösender Medikamente und Antidepressiva lassen sich die Konsequenzen traumatischer Ereignisse in den Griff bekommen, aber vielleicht wird in der Zukunft der ein oder andere Arzt diese unterstützende Form der Therapie seinem Patienten vorschlagen.
Wünschenswert für den behandelnden Reittherapeuten vor Ort ist, dass die behandelnden Ärzte auch in Zukunft mehr Interesse an dieser Therapieform zeigen. Somit könnte man auch in enger Absprache noch bessere Therapieziele für den Klienten festlegen, um dann Erfolge für diesen zu verbuchen.
Im Internet findet man mittlerweile viele gute Adressen rund um die Reittherapie/Hippotherapie oder auch dem heilpädagogischen Reiten, wobei meist noch einmal die Unterschiede zwischen diesen Therapieformen genau erklärt sind. Somit kann man die passende Therapieform für den Patienten auswählen und nicht nur PTBS-Erkrankte auf diese unterstützende Therapieform hinweisen.
Datum: 01.10.2012
Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2012/3