Die Ausbildung in der taktischen Verwundetenversorgung
Aus der Unteroffizierschule des Heeres (Kommandeur: Oberst A. Hermeling)
A. Schröder
Lehrgänge an der Unteroffiziersschule des Heeres (USH)
Die USH befindet sich im sächsischen Delitzsch. Hier besuchen alle Feldwebelanwärter (FA) des Heeres (H), der Streitkräftebasis (SKB) sowie des Organisationsbereichs Cyber- und Informationsraum (OrgB CIR) den Feldwebellehrgang allgemein militärischer Teil (AMT). Zusätzlich wird an der USH der Aufbaulehrgang (AL) für zukünftige Teileinheitsführer sowie für Stabsfeldwebel / Oberstabsfeldwebel der Fortbildungslehrgang (FBL I und II) angeboten.
Auch das Bundessprachenamt bildet hier die Sprachenlehrgänge für die Feldwebel aus. An der USH werden pro Quartal parallel 29 Hörsäle AMT ausgebildet. Die Inhalte der 10wöchigen Ausbildung stammen aus folgenden Themengebieten: Führung im Einsatz (44 %), Methodik (21 %), Innere Führung (16 %), Sport (9 %), allgemeine Themen (8 %) und Schießen (2 %). Im Themengebiet Führung im Einsatz wird die „Taktische Verwundetenversorgung im Rahmen der Rettungskette“ 4h theoretisch und 3h praktisch trainiert.
Der Aufbaulehrgang AL ist ein Verwendungslehrgang für Feldwebel, welche in der Regel das 8.-10. Dienstjahr erreicht haben. Dauer des Lehrgangs sind 6 Wochen und im Anschluss wird dem Lehrgangsteilnehmer die ATB Ausbildungs- und Lehrfeldwebel zuerkannt. Das Ziel des Lehrgangs ist es, unter Anwendung der kompetenzorientierten Ausbildung (KOA) dem Lehrgangsteilnehmer verschiedene Befähigungen auf der Ebene Teileinheit mitzugeben, z. B.:
- der Teileinheitsführer als Vorgesetzter im Tagesdienst, der ihm unterstellte Soldaten nach den Grundsätzen der Inneren Führung führt, ausbildet und erzieht.
- der taktische Führer seiner Teileinheit, welcher auf Basis eines soliden taktischen Grundverständnisses im Sinne der Ebene Einheit mitdenkt und im Rahmen der Auftragstaktik selbstständig handelt.
- der Ausbilder seiner Teileinheit, der verschiedenste Themen unter Anwendung methodisch-didaktischer Grundsätze den ihm unterstellen Soldaten vermitteln kann.
Der Lehrgang wird durch ein Kommunikationstraining abgerundet. Zusätzlich wird im Lehrgang ein regelmäßiger und intensiver Austausch von Informationen und Erfahrungen aus den verschiedenen Truppengattungen erreicht, welcher erheblich zum gegenseitigen Verständnis beiträgt. Auch SanFw des ZSanDstBw können diesen Lehrgang besuchen.
Ein Bestandteil ist auch hier die Ausbildung der taktischen Verwundetenversorgung anhand der Rettungskette auf Kompanieebene. Der Lehrgangsteilnehmer wird in die Lage des Kompanieeinsatzoffiziers versetzt und muss in einer Verzögerungslage die Rettungstrupps und BAT koordinieren. Dieser Ausbildungsabschnitt beträgt 3h Theorie und 2h Ausbildung am Sandkasten.
Die Ausbilder
Die taktische Verwundetenversorgung (TVV) stellt einen wichtigen Bestandteil der Ausbildung des jungen Führernachwuchs dar. Dies veranlasste den Generalarzt des Heeres (GenArztH) in Zusammenarbeit mit dem Ausbildungskommando (AusbKdo) die Schaffung von zwei Dienstposten SanFw RettAss/NotfallSan als Truppenfachlehrer Sanität (TrFachLhrSan) anzuregen. Diese Dienstposten sind mit Wirkung vom 1. Juli 2016 geschaffen worden.Hauptfeldwebel Graf war vor seiner Verwendung als TrFachLhrSan USH, in der allgemeinen Grundausbildung des SanRgt 1, als Ausbildungsfeldwebel und Gruppenführer tätig. Des Weiteren verfügt er über umfangreiche Einsatzerfahrungen. So diente er bereits dreimal in Afghanistan, (2010, 2011/12, 2014) als Rettungsassistent auf dem Rettungshubschrauber (Forward Air MedEvac CH 53), als Kdt BAT und als RettAss CPTCom.
Frau Hauptfeldwebel Schröder diente als SanFw RettAss über 10 Jahre im Heeressanitätsdienst. Ihre militärische Heimat war die Luftlandesanitätskompanie in SEEDORF. Mit ihrer Einheit war sie 2010 als SanFw RettAss und BAT-Kommandant in Kunduz/ Afghanistan eingesetzt. Im Anschluss sammelte sie wertvolle Erfahrungen als Ausbilder am Zentrum für Einsatzausbildung und Übungen im Sanitätsdienst der Bundeswehr (ZEinsAusbÜbSanDstBw) jetzt Lehr- und Ausbildungszentrum Einsatz (Lehr/AusbZ Eins). Am Gefechtsübungszentrum Heer (GefÜbZH) war sie über 3 Jahre als Schiedsrichter und Ausbilder eingesetzt, und bildete dort aus Zug und Kompanieebene die Rettungskette in Stabiliesierungs und Angriffsoperationen auf Bataillonsebene aus. Die gesammelten Erfahrungen im GefÜbZH tragen nun maßgeblich zur Ausbildung der zukünftigen Feldwebel bei.
Die großen Ausbildungs- und Einsatzerfahrungen der beiden TrFachLhr ermöglichen, das gesamte Spektrum der TVV an die jungen Unterführer weiterzugeben.
Die TrFachLhrSan sind dem Ausbildungskommando (AusbKdo) und somit fachlich direkt dem Kommandoarzt (AusbKdo KdoArzt) unterstellt. Um eine hochwertige und stets aktuelle Ausbildung gewährleisten zu können, besuchen sie regelmäßig nationale und internationale, militärische sowohl als auch zivile Lehrgänge mit taktischem und medizinischem Inhalt.
Zusätzlich besteht ein reger Austausch mit der Tactical Rescure & Emergency Medicine Association e. V. (TREMA e. V.), welche als Fachgesellschaft für Taktische Medizin eine Plattform zur Wissens- und Erfahrungssammlung darstellt. Weiterhin werden durch die TrFachLhrSan Tagungen und Veranstaltungen mit entsprechenden Workshops besucht und unterstützt. Hier ist besonders die Ausbildungsunterstützung im Rahmen der Tagung SanOA e. V. und die aktive Teilnahme als Ausbilder an der Combat Medical Care Conference 2018 (CMC 2018) zu nennen. Der Ausbildungsschwerpunkt der TrFachLhrSan ist der AMT.
Die Lehrgangsteilnehmer
Die Lehrgangsteilnehmer haben einen sehr unterschiedlichen Erfahrungshintergrund und somit differierende Abholpunkte. Das Teilnehmerspektrum reicht beginnend vom 17-jährigen Obergefreiten (FA) im siebten Dienstmonat, über sehr einsatzerfahrene Unteroffiziere (FA) im 13. Dienstjahr bis hin zu Quereinsteigern mit verschiedensten zivilen Berufsabschlüssen jedes Alters.
Als medizinische Vorausbildung erwarben die FA´s die ATN Einsatz-Ersthelfer-Alpha (EH-A) in den FA/UA Bataillonen. Dort wurden sie in einem einwöchigen Lehrgang EH-A mit den Grundsätzen der taktische Verwundetenversorgung durch die zuständigen SanStffEins vertraut gemacht. Die einsatzerfahrenen Unteroffiziere konnten in ihrer Vorverwendung oftmals den Lehrgang Einsatz-Ersthelfer-Bravo (EH-B) besuchen und freuen sich, diese Erfahrung im Rahmen des AMT gewinnbringend einsetzen zu können. Auch höher ausgebildete Kameraden mit der ATN Combat First Responder A/B/C (CFR A/B/C), Rettungssanitäter und Rettungsassistenten (RettSan/RettAss) befinden unter den Lehrgangsteilnehmern (LT).
Inhalte der Ausbildung AMT
Die 4h theoretische Ausbildung „Rettungskette“ findet im Lehrsaal des jeweiligen Hörsaals statt. Es handelt sich hierbei nicht um eine medizinische Ausbildung, sondern um eine rein taktische operative Ausbildung mit dem Ziel, den Lehrgangsteilnehmer als Gruppenführer (GrpFhr) zu befähigen, die taktische Verwundetenversorgung in den einzelnen Phasen, sowie die anschließende Rettungskette auf Gruppenebene zu planen und durchzuführen.Zunächst werden Begriffe wie taktische Verwundetenversorgung (TVV), Verwundetennest (VwuN) auf Zug-Ebene, Verwundetensammelstelle (VwSt)[1] auf Kp-Ebene, der improvisierte Verwundetentransport (CasEvac), der qualifizierte bodengebundene Verwundetentransport (GrMedEvac) sowie der luftgebundene Verwundetentransport (AirMedEvac) erläutert. Gearbeitet wird hierbei am Smartbord.
Anschließend werden die Prinzipien der taktische Verwundetenversorgung, der Rettungskette mit den vorher erarbeiteten Begrifflichkeiten in der Planung und Befehlsgebung zusammengefügt. Zusätzlich werden dem Lehrgangsteilnehmer die Materialien des EH-A nochmals vorgestellt und Unterschiede zum erweiterten Fähigkeitsspektrums des EH-B aufgezeigt und ausgebildet. Unterstützt wird die Ausbildung mit dem simulationsgestütztem PC-Lernprogramm „SAN TRAIN“, welches wie in einer Art Videospiel taktische Sanitätslagen in einem realitätsnahen Umfeld in Echtzeit darstellt. Hier wird der LT in die Rolle des EH–B gesetzt und muss mit geringen Materialressourcen (EH-B-Rucksack) die dargebotene Verwundung des Soldaten behandeln.
Ein weiteres Thema ist der Umgang mit Tod und Verwundung. Schwerpunkte liegen hier im Umgang mit Gefallenen und mit der Behandlung der Erkennungsmarke. Als Abschluss und Schwerpunkt der Ausbildung werden alle Lerninhalte am Sandkasten zusammengefasst. Dort erarbeiten die Lehrgangsteilnehmer in Gruppenarbeit unterschiedliche Lösungsansätze. Der Schlüssel zum Erfolg liegt dabei in der effektiven Planung des Vorgehens und der dazugehörigen Befehlsgebung. So ist es zum Beispiel wichtig, das Verwundetennest (VwuN) und die Kopplungspunkte für den CasEvac sinnvoll und korrekt vorzuplanen und zu befehlen. Zusätzlich dürfen in diesem Prozess wichtige Verantwortungsentscheidungen für die Gruppe nicht außer Acht gelassen werden (die 3 Schlüssel zum Erfolg: 1.: wo ist das VwuN?, 2.: Stellv. GrpFhr und EH-B koordinieren VwuVers und VwuAbschub, 3.: Wo ist der Kopplungspunkt). Um die erlernten Inhalte der Rettungskette zu festigen, findet im zeitlichen Versatz von ca. zwei Wochen eine praktische Ausbildung auf dem Standortübungsplatz (StÜbPl) statt.Bei der Befehlsausgabe am Sandkasten weist der Gruppenführer seine Gruppe (12 Soldaten) in die Lage und Aufträge ein. Hier wird auch der Ort des VwuN sowie der Kopplungspunkt für den CasEvac festgelegt. Anschließend weist der GrpFhr in den Stellungen seine Soldaten ein.
Während eines Angriffes der Kräfte Rot kommt es zu mehreren Verwundeten. Diese Phase wird „Care under Fire“ (1. Phase der TVV) genannt. Erst wenn die Feuerüberlegenheit hergestellt ist, kann der Verwundete geborgen und versorgt werden. Hier sind die Entscheidungen des Gruppenführers gefragt, sowie die Fähigkeiten des EH-A. Der Gruppenführer setzt nun schellst möglich die Erstmeldung an seinen Zugführer ab. In dieser Phase „Tactical Field Care“ (2. Phase der TVV) genannt, wird der Verwundete jetzt durch den Trägertrupp ins VerwN auf Zugebene verbracht. Dieses befindet sich, je nach Lage und Gelände, ca, 50 - 100 m hinter den eigenen Stellungen.Hier arbeitet der EH-B am Patienten. Der Stellvertretende Gruppenführer fordert nun den CasEvac an und koordiniert die Verwundetenversorgung und anschließende Evakuierung auch „Tactical evacuation Care“ genannt (3. Phase TVV). Der GrpFhr verbleibt im Schwerpunkt, bei seiner Gruppe, in der Stellung und führt das Gefecht weiter. Der CasEvac wird durch einen Melder aufgenommen, der Verwundete in den CasEvac verladen und zum Sanitätspersonal in die VwSt auf Kompanieebene verbracht. Dieser befindet sich im Rückwärtigen Raum der Kompanie (Einsatz/Verfügungsraum).
Erst hier wird der 9-Liner durch den Kompanieeinsatzoffizier (KEO) abgesetzt, um so für den verwundeten Kameraden möglichst schnell die weiterführende Behandlung sicherzustellen. Die Linien 3/4/5/8 bekommt er dabei vom Sanitäter. Nach der Ausbildung wird die Lage vom TrFachLehrSan ausgewertet.
Fazit
An der USH werden somit die Grundlagen der TVV mit Bezug zur Rettungskette (und auf die zukünftige Aufgabe der Bundeswehr, Landes- und Bündnisverteidigung / LVBV) und der anschließenden Übergabe an weiterführende Einrichtungen des Sanitätsdienstes gelegt. Von der Entscheidung des GrpFhr und der des Zugführers hängt maßgeblich das „Outcome“ und das Überleben des Patienten ab. Verlorene Zeit bei der Evakuierung der Verwundeten kann von den Sanitätskräften der Kompanie in der VwSt/CCP nicht mehr aufgefangen werden. So ist die Planung und Befehlsgebung der Rettungskette der Schlüssel zum Erfolg und somit eine entscheidende Grundlage für das Überleben eines Patienten.Anschrift für die Verfasser:
Hauptfeldwebel
Annika Schröder
Unteroffizierschule des Heeres
Feldwebel Boldt-Str. 1
04509 Delitzsch
E-Mail: AnnikaSchroeder@bundeswehr.org
Alle Abbildungen: Verfasser / USH
[1] Verwundetensammelstelle (VwSt) wird im Rahmen multinationaler Einsätze auch Casualty Collection Point (CCP) genannt
Datum: 22.10.2018
Wehrmedizin und Wehrpharmazie 3/2018