21.02.2022 •

„Operationen für die Menschlichkeit – Opérer pour l’Humanité“

Das 4. militärmedizinhistorische Seminar deutscher und französischer Sanitätsoffizieranwärter*innen an der Sanitätsakademie der Bundeswehr

V. Hartmann

Seit langem ist es Anliegen der Führungen des deutschen und französischen Sanitätsdienstes, die praktische Zusammenarbeit zwischen den Angehörigen beider Sanitätsdienste zu stärken. Leider ist dies aus verschiedenen Gründen kein einfaches Unterfangen. Ein schon über Jahre höchst erfolgreiches Projekt ist die Durchführung regelmäßiger militärmedizinhistorischer Seminare. Diesem Ziel der Förderung unseres Nachwuchses, der Kooperation zwischen Sanitätsoffizieranwärter*innen (SanOA) beider Streitkräfte widmet sich die Sanitätsakademie der Bundeswehr (SanAkBw). Auch in diesem Jahr fand vom 05.–10.09.2021 unter den strengen Kautelen der Covid-19-Prävention und im zeitweiligen Beisein beider Verbindungsoffiziere das 4. deutsch-französische militärmedizinhistorische Seminar statt. Wie in den Vorjahren hatten vier angehende Militärärzte der Ecole de Santé des Armées aus Lyon gemeinsam mit drei deutschen SanOA wieder ein Thema aus der gemeinsamen Geschichte zu erschließen und ein zweisprachiges wissenschaftliches Poster zu erarbeiten.

Abschlusspräsentation mit der Kommandeurin SanAk
Abschlusspräsentation mit der Kommandeurin SanAkBw
Quelle: SanAkBw/J. Langer

In diesem Jahr stand erstmals ein Thema aus dem Zweiten Weltkrieg mit dem Arbeitstitel „La Charité: Alphonse Jung und Ferdinand Sauerbruch – Medizin zwischen Pflicht und Widerstand“ im Mittelpunkt der Arbeit. Es galt für die Studenten, die Beziehungen zwischen zwei bedeutenden Chirurgen aus Deutschland und Frankreich zu untersuchen, die an der Chirurgischen Klinik der Charité in Berlin gearbeitet und dort die Geschehnisse am Ende des Krieges miterlebt haben: Ferdinand Sauerbruch und Alphonse Jung. Der Franzose Jung, Chirurgie-Professor und französischer Sanitätsoffizier aus Straßburg hatte – um dem NS-Regime in seiner inzwischen dem Reich angegliederten elsässischen Heimat zu entfliehen – sich bei dem hochberühmten Ordinarius Sauerbruch beworben und wurde dort als sein Privatassistent mit einem besonderen Vertrauensverhältnis eingestellt. Wie Jung in seinem erst posthum entdeckten und ausgewerteten Tagebuch minutiös aufführt, haben beide dabei vieles gemeinsam erlebt, den Terror des Regimes, das Leid der Verwundeten, den Widerstand vieler Menschen bis hin zur Spionagetätigkeit, die Bombenangriffe, die Zerstörung der Klinik und die Eroberung der Stadt durch die Rote Armee im April 1945.

Die Beziehung zwischen Sauerbruch und Jung beruhte auf der Übereinstimmung hoher ethischer Werte  und der Liebe zu ihrem Beruf mit seinen vielfältigen Herausforderungen. Zusätzlich verband sie trotz jeweiligem Patriotismus die Ablehnung des verbrecherischen NS-Regimes. Somit stehen ihre Berufsauffassung, ihre Pflichterfüllung auch in schwerer Zeit sowie ihr Widerstand gegen Gewalt und Unrecht sinnbildlich für Menschlichkeit, Moral und ethische Gesinnung. Wie die jungen Studenten herausarbeiteten, sind sie damit Vorbild für die deutsch-französische Zusammenarbeit im Sanitätsdienst. In ihrem Poster wiesen die Deutschen und Franzosen mit dem Titel „Operationen für die Menschlichkeit – Opérer pour l’Humanité“ auf beide ­Charaktere, ihre jeweilige wissenschaftliche Laufbahn und die vielen Elemente ihres gemeinsamen Wirkens hin.

Auch mit diesem für Betreuende (unter anderem Stabsarzt Ingo Höhling und Oberstleutnant d. R. Peter Rechenberg) wie Studierende wieder sehr aufwändigen Seminar konnten an dem bisher wenig bekannten Beispiel eines konkreten historischen Ereignisses der jüngeren Vergangenheit nicht nur tiefere medizinhistorische Kenntnisse in einer für Europa wichtigen Epoche getätigt werden. Auch ließen sich entsprechende Arbeitsweisen und -techniken erlernen beziehungsweise anwenden und über die Sprach­barriere hinweg die praktische Zusammenarbeit zwischen jungen Deutschen und Franzosen höchst erfolgreich üben. Wie die Kommandeurin der SanAkBw, Frau Generalstabsarzt Dr. Gesine Krüger, in ihrer Würdigung nach der Postervorstellung betonte, zeige das strikt kompetenzorientiert aufgebaute militärmedizinhistorische Seminar eindrucksvoll, wie man junge SanOA beider Nationen für die wissenschaftliche Arbeit an der gemeinsamen Geschichte begeistern, ein tieferes Verständnis für historische Prozesse erzeugen und auch Wurzeln für ein gemeinsames berufliches Selbstverständnis setzen kann. 


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