Zwischen Patientenversorgung, Personalnot und einem ungeahnten Kickstart in translationaler Forschung – ein Spannungsfeld

U. Baumgarten

Bundeswehr/BwKrhs Berlin

Seit nunmehr 30 Jahren ist die Klinik für Innere Medizin ein integraler Bestandteil der ambulanten und stationären Versorgung von SoldatInnen, den BerlinerInnen und internationalen PatientInnen am Bundeswehrkrankenhaus (BwKrhs) Berlin.

Seitdem im vergangenen Jahr neben einer 24 Stunden Endoskopie- auch eine Koronarangiographie-Bereitschaft fest etabliert werden konnte, deckt die Klinik im Herzen Berlins von der Notfallversorgung bis hin zur Behandlung komplexer akuter und chronischer Erkrankung ein weites Spektrum der Inneren Medizin ab.

Die Gastroenterologie bedient das gesamte interventionelle Spektrum für ambulante und stationäre PatientInnen. Ferner zeichnet sie sich durch Spezialsprechstunden für Diabetes, Darm- und Lebererkrankungen sowie eine Adipostias- und Ernährungssprechstunde aus, aktuell auch eine Post-COVID-Sprechstunde in Zusammenarbeit mit anderen Fachabteilungen.

Mit dem Sektionsleiter Kardiologie Flottenarzt Dr. Richter, seinem Team und dem zeitnah fertiggestellten zweiten Herzkatheterlabor wird eine hoch leistungsfähige interventionelle Kardiologie angeboten.

Zukünftige Entwicklungspotenziale gibt es im Bereich der Hämatologie und Onkologie. Neben der erfolgten Einstellung eines Hämatologen und Onkologen befinden sich aktuell noch zwei KollegInnen der Bundeswehr kurz vor ihrer Facharztprüfung in diesem Bereich, sodass hier zukünftig beste Voraussetzungen zur Verfügung stehen, um das onkologische Profil der Klinik zu schärfen und weiter zu entwickeln.

Nicht nur im Hinblick auf die Folgen zahlreicher COVID-19-Erkrankungen in der Bundeswehr, sondern auch auf die Versorgung vieler pulmonal erkrankter SoldatInnen und der hohen Anzahl an chronisch pulmonal Erkrankten spielt die ambulante und stationäre Pulmologie in unserer Klinik eine essentielle Rolle, insbesondere auch durch den Anstieg der neu diagnostizierten Bronchialkarzinome.

Bereits vor der COVID-19-Pandemie war die Bedeutung einer leistungsstarken Infektiologie unstrittig. Neben einer etablierten infektiologischen Sprechstunde mit dem Schwerpunkt Tropenmedizin, HIV sowie der Präexpositionsprophylaxe soll nun im kommenden Jahr die Sonderisolierstation neben der bereits bestehenden Isolationsstation eröffnen.

Wie fast jedes Krankenhaus in Deutschland haben auch wir mit einem extremen Personalmangel im Bereich Pflege und medizinischer Assistenzberufe zu kämpfen. Die potenziell vorhandene Bettenkapazität der Klinik I konnte daher in den letzten Jahren nie ausgereizt werden. Dies stellt das derzeit größte Hindernis auf dem Weg der Weiterentwicklung der Klinik dar.

Die COVID-19-Pandemie bildete die Initialzündung für eine schon länger geplante Intensivierung der Forschungstätigkeit in der Klinik I. Eine multizentrische klinische Beobachtungsstudie an COVID-19-Patienten in den BwKrhs wurde durch Oberfeldarzt Dr. Schreiner und Oberstabsarzt Dr. Zobel zu Beginn der Coronapandemie im April 2020 in nur wenigen Wochen von der initialen Idee bis zum Einschluss der ersten PatientInnen auf den Weg gebracht. Unter Mithilfe der Abteilung E an der Sanitätsakademie der Bundeswehr und engagierten KollegInnen am Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz sowie den BwKrhs Hamburg und Westerstede konnten so bis Ende 2020 über 120 PatientInnen eingeschlossen werden. Derzeit läuft das 1-Jahres-Follow-Up der Studie und die statistische Auswertung der Daten.

Ferner ergab sich im Rahmen dieser Untersuchung eine Kooperation mit dem Robert-Koch-Institut (RKI), bei der wir uns an der Entwicklung eines Luminex-basierten Testsystems beteiligten. Die gute institutionsübergreifende Zusammenarbeit mit dem RKI führte zu einer weiteren Beteiligung der Klinik I in Zusammenarbeit mit der Abteilung XVI von Flottenarzt Dr. Müller an der nationalen „CORONOA-MONITORING-lokal“ Studie des epidemiologischen Labors des RKI unter der Leitung von Priv.-Doz. Dr. Schlaud.

Im klinischen Alltag stellte sich zunehmend die Frage der Bedeutung des ACE-Rezeptors für das Infektionsgeschehen. Kurzerhand ging das Sonderforschungsvorhaben eine weitere Kooperation mit Prof. Wirtz (Klinik für Pneumologie der Universtiät Leipzig) ein und analysierten nach der Zustimmung der Ärztekammern den Einfluss des ACE-Polymorphismus auf das Infektionsgeschehen.

Die Zusammenarbeit mit allen Studienzentren und Kooperationspartnern gestaltet sich ausgesprochen unkompliziert und produktiv. Die Ergebnisse sämtlicher Studien werden in den kommenden Monaten publiziert.

Die besondere Stellung und Ausstattung der BwKrhs, die zudem durch einen anderen Anspruch an das ärztliche und nichtärztliche Personal geprägt ist, führt zu einer besonderen Verantwortung. Mit der eigenen Sonderisolierstation wird die Klinik I neben einer grundlegenden und breiten internistischen Versorgung einen besonderen infektiologischen Schwerpunkt haben.

Nunmehr hat die derzeitige Pandemie eindrucksvoll das Potenzial dynamischer Verbundforschung für ein rasches Krankheitsverständnis demonstriert. Allerdings hat sie auch einen Mangel an klinisch orientierter infektiologischer Grundlagenforschung aufgezeigt, die für ein tieferes pathophysiologisches Grundverständnis erforderlich ist. Daher ist die Entwicklung neuer Therapie- und Teststrategien notwendig, die zum Ziel haben, schnell von einer Laborarbeitsbank an den Patienten zu kommen („bench to bedside“).

Die rasante Zunahme multiresistenter Erreger weltweit und vornehmlich in den bestehenden und potentiellen Einsatzgebieten der Bundeswehr sind wir als deutscher Sanitätsdienst dem gesamtgesellschaftlichen Problem – die imminente Pandemie der multiresistenten Bakterien – von morgen schon heute voll ausgesetzt. Oberstabsarzt Dr. Zobel gelang es zusammen mit Oberstarzt Dr. Wenzel einen Forschungsverbund zu initiieren, der sich dem wehrmedizinisch hoch relevanten Thema der nosokomialen Pneumonie durch multiresistente Bakterien widmet. 

Primärer Kooperationspartner für das Forschungsvorhaben „Die infizierte Lunge (NoVaP)“ ist Prof. Witzenrath (designierter Direktor der Klinik für Pneumologie der Charité) mit der Arbeitsgruppe um Dr. Nouailles-Kursar. Ziele der Verbundforschung sind die Aufklärung von Pathomechanismen der nosokomialen Pneumonie sowie die Untersuchung von Risiken und Nutzen neu­artiger und innovativer prophylaktischer und therapeutischer ­Maßnahmen. Zugleich werden Voraussetzungen zur unmittelbaren Erforschung zukünftig neu auftretender Lungenpathogene ge­schaffen. Dafür werden unter Verzicht auf Tierexperimente innovative komplementäre humane Lungenmodelle auf Zellkulturbasis mit unterschiedlicher Komplexität am BwKrhs Berlin etabliert. Technisches Ziel ist es, für die Bundeswehr die genannten Lungenmodelle so weiterzuentwicklen, dass sie in Ausschnitten eine adäquate in vitro Simulation der infizierten Lunge eines Patienten unter intensivmedizinischen Bedingungen abbilden. Dieses Vorhaben erfolgt in enger Zusammenarbeit mit dem am BwKrhs Berlin bereits realisierten Projektes zur magistralen Herstellung von Bakteriophagen und Etablierung eines automatisierten Phagogramms von Oberstarzt Prof. Dr. Willy.

Der Erfolg der Kliniken sowie die zuvor umrissenen bzw. zukünftigen Forschungsvorhaben stehen und fallen mit der Freistellung von ärztlichem und Assistenzpersonal. Hierfür sollte das Personalmanagement deutlich flexibler und reaktionsschneller gestaltet werden. 


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