„Zivil – militärische Zusammenarbeit beim Terror – was hat sich in den letzten Jahren verändert?“
Aus den Bundeswehrkrankenhäusern Ulm (Kommandeur: Generalarzt
Dr. R. Hoffmann) und Hamburg (Kommandeur: Generalarzt Dr. J. Hoitz) und dem Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz (Kommandeurin: Generalarzt A. Nolte)
Im Jahre 2016 hat die Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) zusammen mit dem Sanitätsdienst der Bundeswehr einen 5-Punkte-Plan entwickelt und bei einer Notfallkonferenz im September 2016 der Öffentlichkeit vorgestellt. Der gesamte 5-Punkte Plan hatte das Ziel, Kliniken und die dort arbeitenden Ärzte auf die Situation vorzubereiten, Patienten im Rahmen eines Terroranschlags zu behandeln.
Im Rahmen dieser Kooperation zwischen Bundeswehr und der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie wurden verschiedene Informationsveranstaltungen durchgeführt um die Sprecher der TraumaNetzwerke DGU®, die Leiter des Ärztlichen Rettungsdienstes, Feuerwehr und Hilfsorganisationen, aber auch die Polizei über die veränderte Situation zu informieren. Da alle Bundeswehrkrankenhäuser von Anfang an in die zivile Struktur der TraumaNetzwerke DGU® fest eingebunden sind und der Sanitätsdienst der Bundeswehr aufgrund der erworbenen Expertise in den Auslandseinsätzen über besondere Fähigkeiten verfügt, wurden auch 2 dieser 4 Informationsveranstaltungen in Bundeswehrkrankenhäusern (BwZK Koblenz und BwK Hamburg) durchgeführt. Ein weiterer Teil dieses 5-Punkte-Planes war die Unterzeichnung eines Letter of Intent zwischen der DGU und dem Sanitätsdienst der Bundeswehr (SanDstBw) und im Folgenden die Verabschiedung eines Kooperationsvertrages zwischen der Deutschen Gesellschaft für Wehrmedizin und Wehrpharmazie (DGWMP) und der DGU.Diese beispielhafte sehr enge kooperative fachliche Zusammenarbeit fußt auf einer längeren Kooperation und Gremienarbeit als solidem Fundament und ist das Ergebnis einer kontinuierlichen, über Jahre bis Jahrzehnte hinweggehenden Entwicklung.
Schon seit sehr vielen Jahren, eher seit Jahrzehnten, beteiligen sich Sanitätsoffiziere der Bundeswehr aller Fachbereiche und klinischen Fachgebiete an Kongressen der Fachgesellschaften wie z. B. dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie, der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie, der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie, der Deutschen Gesellschaft für Anästhesie und Intensivmedizin und vielen mehr.
Dies wurde durch die kontinuierliche wissenschaftliche Arbeit in den Bundeswehrkrankenhäusern ermöglicht, die dann auf diesen Kongressen vorgestellt werden konnten. Gleiches gilt auch für die schriftlichen Publikationen in nationalen wie internationalen Fachzeitschriften.
Über diese Arbeit hat sich sukzessive ein intensives Kennenlernen und ein profunder Austausch der Sanitätsoffiziere mit den zivilen Kollegen aller Fachgebiete ergeben, so dass hier ein kontinuierliches Zusammenwachsen zu verzeichnen war.In verschiedenen Fachgesellschaften wurden daraus folgend im Verlauf Sektionen und Arbeitsgruppen gegründet, die dieses Engagement der Sanitätsoffiziere auf wissenschaftlicher Ebene und auf Ebene der Mitarbeit in den Gremien der Fachgesellschaften sichtbar machten. So hat z. B. die Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie (DGAV), die CAMIN (Chirurgische Arbeitsgemeinschaft Militär- und Notfallchirurgie) und die Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) die AG Einsatz-, Katastrophen- und taktische Chirurgie (EKTC) gegründet. Weiterhin wurde der Arbeitskreis Taktische Medizin in der Deutschen Gesellschaft für Anästhesie und Intensivmedizin etabliert. In der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin (DGG) wurde die Kommission Katastrophenmedizin und Gefäßtraumatologie ins Leben gerufen. Auch über diese Arbeit in den Fachgesellschaften ergab sich, dass Sanitätsoffiziere in vielen weiteren Gremien, z. B. Weiterbildungskommissionen der Ärztekammern oder der einzelnen Fachgesellschaften mitgearbeitet haben und weiterhin gestaltend mitarbeiten. Im Jahre 2015 wurden die für uns alle einschneidenden Terrorakte in Paris verübt. Im Frühjahr das Attentat auf die Redaktion von Charlie Hebdo und im Herbst dann der Groß-Anschlag (Station, Konzerthalle, Kaffees). Es folgten das Attentat am Flughafen in Brüssel und spätestens hier war jedem klar, dass die Zivilgesellschaft in Westeuropa, aber auch in Deutschland, in den Fokus des internationalen Terrorismus gerückt war. Damit war zudem auch deutlich geworden, dass bei terroristischen Attentaten, die klassischerweise mit Schusswaffen und Explosivstoffen durchgeführt werden, eine andere Behandlung der Patienten, präklinisch wie klinisch, erforderlich sein wird, als es sonst üblicherweise notwendig war und etabliert ist.
Entsprechend der Daten aus dem TraumaRegister DGU® werden in Deutschland mehr als 95 % stumpfe Verletzungen nach Unfällen behandelt. Bei den Verletzungsmustern der Terrorattentate handelt es sich demgegenüber um penetrierende Verletzungen, die häufig eine gänzlich andere hämodynamische Situation hervorrufen (zentrale Problematik ist die Hämorrhagie), die dann vom Rettungsdienst, aber auch den Kliniken ein völlig anderes Handeln erfordert.
Des Weiteren wurde insbesondere durch das Attentat im November 2015 in Paris deutlich, dass wir es mit einem ganz anderen zeitlichen und quantitativen Aufkommen an Patienten zu tun haben, welches die Kliniken in der zeitlichen Dynamik ganz anders belasten kann, als bei einem normalen Massenanfall von Verletzten (MANV).
Insgesamt wurde durch verschiedene Publikationen und Analysen sehr deutlich, dass ein Terror-MANV für die beteiligte Stadt und die beteiligten Kliniken sowie den Rettungsdienst eine ganz besondere Herausforderung darstellt.Klar wurde auch, dass der zivilen klinischen Medizin zur Behandlung dieser Patienten, wie auch die Frage der taktisch-strategischen Entscheidungen, das Wissen und die Erfahrungen fehlen, diese Aufgabe aktuell adäquat zu bewältigen. Ursache dafür ist, dass glücklicherweise in Deutschland seit mehr als 70 Jahren Frieden herrscht und die entsprechenden Verletzungsmuster nur äußerst selten aufgetreten sind.
Durch die zuvor dargestellte, schon zuvor existierende enge Zusammenarbeit zwischen Sanitätsoffizieren und zivilen Kollegen, wurde dieses Thema selbstverständlich in den entsprechenden Kreisen der Fachgesellschaften intensiv diskutiert.
Gemeinsam kam man zu dem Ergebnis, dass für die Bewältigung dieser Herausforderung eine noch intensivere Zusammenarbeit des Sanitätsdienstes der Bundeswehr mit den Fachgesellschaften erforderlich war und ist, um die zivilen Kliniken und die dort arbeitenden Ärzte auf die besondere Situation hinzuweisen bzw. hierzu eine Fortbildungsmaßnahme durchzuführen. In geradezu idealer Weise konnten hier die Kompetenz und Fähigkeiten der Fachgesellschaften und der zivilen Strukturen, wie z. B. des TraumaNetzwerkes DGU® als langerprobte Basis zur Versorgung schwerverletzter Patienten genutzt werden. Über die Kompetenz des Sanitätsdienstes der Bundeswehr erfolgte hier dann die Einbindung der Inhalte und Fertigkeiten für die besondere Situation des Terror-MANV über einen Wissenstransfer aus der Einsatzmedizin.Folgendes muss an dieser Stelle auch festgestellt werden:
Als die Bundeswehr ihre ersten Einsätze z. B. in Kambodscha und Somalia durchführte, wurde dem Sanitätsdienst relativ schnell klar, dass im Hinblick auf die medizinische Versorgung die Grundsätze der Kriegsmedizin nicht mehr herangezogen werden können.
Aus diesem Grunde hat damals der Inspekteur des Sanitätsdienstes, Herr Generaloberstabsarzt Dr. Desch, die Maxime aufgestellt und durchgesetzt, dass ein deutscher Soldat im Auslandseinsatz einen Anspruch auf eine medizinische Versorgung in der Form hat, dass das Ergebnis der Behandlung dem entsprechen müsse, als wenn der Unfall in Deutschland passiert wäre.
Dieses bedeutete letztlich nichts anderes, als die Abkehr von der Kriegschirurgie hin zur – aus Deutschland in den Einsatz transferierten – Individualchirurgie.
Sämtliche medizinischen Standards in den einzelnen Fachgebieten wurden durch die Fachgesellschaften etabliert. Wir als Sanitätsdienst konnten hier auf die Erfahrungen und Entwicklungen der zivilen Kollegen zurückgreifen und diese mit in den Einsatz transferieren, um der Maxime und dem dadurch implizierten fachlichen Anspruch gerecht zu werden.
Durch die vermehrten terroristischen Attentate und die aktuell hohe Bedrohungslage durch den internationalen Terrorismus in Deutschland und Europa, sind die Kriegsverletzungen, die wir im Einsatz kennengelernt haben und die aus den weiteren aktuellen kriegerischen Auseinandersetzungen bekannt sind, leider nach Deutschland zurückgekehrt.
Daher empfinden es die Sanitätsoffiziere und der Sanitätsdienst der Bundeswehr insgesamt als eine Pflicht, unsere Erfahrungen aus den Einsätzen im Hinblick auf die Behandlung dieser besonderen Verletzungsmuster sowie die taktisch – strategischen Herausforderungen und Prinzipien hier nach Deutschland zurück zu transferieren und man könnte die Maxime formulieren, dass ein Bundesbürger im Hinblick auf die Versorgung von Schuss- und Explosionsverletzungen im Rahmen eines Terrorattentates nicht schlechter versorgt werden darf als ein Soldat im Einsatz!Diese Darstellungen zeigen, dass es mittlerweile eine sehr enge Verzahnung zwischen der zivilen Chirurgie und Medizin einerseits und der Einsatzchirurgie und Einsatzmedizin andererseits gibt. Besonders deutlich wurde dieses durch die gemeinsame Entwicklung des Kursformates „Terror and Disaster Surgical Care“ (TDSC®) der DGU in Kooperation mit dem Sanitätsdienst der Bundeswehr.
Bei diesem Kurs geht es um ein innerklinisches Entscheidungstraining bei dem es darauf ankommt, die besonderen Verletzungsmuster und die damit zusammenhängenden Schwierigkeiten der Versorgung in Quantität und Qualität sowie das taktisch-strategische Denken im Hinblick auf den Ressourcenbedarf unseren zivilen Kollegen näher zu bringen und dieses mit ihnen zu trainieren.
An der Entwicklung dieses Kurses haben neben der DGU (AG EKTC) viele andere Fachgesellschaften mitgewirkt, in denen Sanitätsoffiziere, wie oben dargestellt, engagiert sind. Im Besonderen sind hier die Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie (DGAV) mit ihrer CAMIN, die Deutsche Gesellschaft für Anästhesie- und Intensivmedizin (DGAI) mit dem Arbeitskreis Taktische Medizin sowie die Deutsche Gesellschaft für Gefäßchirurgie (DGG), aber auch die Deutsche Gesellschaft für Verbrennungsmedizin (DGV) beteiligt gewesen. Somit ist klar, dass dieses ein interdisziplinäreres Kurskonzept ist, welches als hervorragendes Beispiel einer zivil-militärischen Zusammenarbeit zur Bewältigung eines sehr spezifischen Problems und einer sehr spezifischen gesundheitspolitischen Herausforderung in unserem Land angesehen werden kann.
Ein weiteres Beispiel für eine intensive zivil-militärische Zusammenarbeit können die Konsensusgespräche zur Koordination und Konsensbildung der DGAI angesehen werden, bei denen es um die Organisation und die Prioritätenänderungen im Rahmen der präklinischen Versorgung von Terroropfern geht. An diesen Konsensusgesprächen haben verschiedenste Fachgesellschaften teilgenommen, dazu noch Sicherheitsorgane, Rettungsdienste sowie Vertreter der Politik. Dieses Projekt wurde federführend wiederum von in den Fachgesellschaften organisierten Sanitätsoffizieren initiiert, durchgeführt und auch anschließend entsprechend publiziert. Darüberhinaus findet alle 2 Jahre die Combat Medical Care (CMC) Conference statt. Eine zivil-militärische Veranstaltung mit mehr als 900 Teilnehmern und der Idee, gemeinsame Lösungen für die Bewältigung der besonderen Situationen beim einem terroristischen Ereignis oder aber auch anderer Gefahrenlagen zu suchen.
Des Weiteren hat die CAMIN (DGAV) einen Kurs für Allgemein- und Visceralchirurgen etabliert, um die durch die neue Weiterbildungsordnung und Facharztkatalogvorgaben, z. B. in den vital hochbedrohlichen Höhlenverletzungen mögliche Kompetenzdefizite zu kompensieren. Hierbei handelt es sich um einen OP-Workshop „Viszeralchirurgische, thorakoabdominelle Notfallversorgung“. Dieser Kurs wird seit 2014 jährlich zweimal an der Würzburger Universitätsklinik von Militär- und Zivilchirurgen ausgerichtet. Das Kursformat zählt seit 4 Jahren zu den am besten evaluierten Veranstaltungen der Fachgesellschaft (DGAV). 2017 wurde das Kursformat erfolgreich um den „Advanced Surgical Skills for Exposure in Trauma Kurs (ASSET)“ des renomierten American College of Surgeons ergänzt. Der ASSET-Kurs vermittelt standardisiert die theoretischen Hintergründe und chirurgischen Techniken, um an Körperspendern die Zugänge zur Blutstillung bei lebensgefährlichen Blutungen zu erlernen.
2010 wurde im Zentrum für Gefäßmedizin in Zusammenarbeit mit der Vascular International School ein Kurs „Gefäßmedizinische Notfallkompetenz für Nicht-Gefäßchirurgen“ entwickelt. An lebensnahen Modellen werden einfache Techniken der Gefäßtraumatologie intensiv gelernt und trainiert. Während sich der Kurs anfangs nur an Sanitätsoffiziere unterschiedlicher operativer Fachrichtungen gewendet hat, nehmen inzwischen militärische wie zivile Chirurgen unterschiedlicher Spezialisierung aus aller Welt teil.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass in den letzten 5 Jahren die zivil-militärische Zusammenarbeit zwischen den Fachgesellschaften und dem Sanitätsdienst der Bundeswehr zu einer ausgesprochen fruchtbaren und konstruktiven Kooperation geführt hat. Aktiv konnte der Zentrale Sanitätsdienst dazu beitragen gemeinsam eine Herausforderung zu bewältigen, die die gesamte Zivilgesellschaft in Deutschland betrifft. Es zeigt sich an diesen Beispielen und dem Verlauf eindrucksvoll, dass alle beteiligten Institutionen des medizinischen Systems die Verantwortung übernommen haben, sich der Herausforderung der Behandlung von Terroropfern gemeinsam zu widmen, gemeinsame Lösungen zu finden und an der Verbesserung der Vorbereitung mitzuwirken.
Ganz wesentlich haben die Aktivitäten der Fachgesellschaften, insbesondere der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie, in der Diskussion mit dem Sanitätsdienst der Bundeswehr dazu geführt, dass sich mittlerweile ein geändertes „mindset“ durchgesetzt hat, wie dieses der Inspekteur des Sanitätsdienstes, Herr Generaloberstabsarzt Dr. Tempel, aus Anlass der ersten Notfallkonferenz im September 2016 treffend formuliert hat: Flexibel denken, das Unmögliche erwarten und flexibel reagieren! Diese Änderung des „mindset“ ist im Hinblick auf die Behandlung von Terroropfern und zur Bewältigung eines Terror-MANV ist von entscheidender Bedeutung und das Ergebnis einer hervorragenden zivil-militärischen Zusammenarbeit.
Abbildungen beim Verfasser
Korrespondenzadresse für die Verf.:
Oberstarzt Prof. Dr. Benedikt Friemert
Ärztlicher Direktor
Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie, Rekonstruktive und Septische Chirurgie, Sporttraumatologie, Bundeswehrkrankenhaus Ulm
Oberer Eselsberg 40
89081 Ulm
E-Mail: benediktfriemert@t-online.de
- Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie, Rekonstruktive und Septische Chirurgie, Sporttraumatologie, Bundeswehrkrankenhaus Ulm, Oberer Eselberg 40, 89081 Ulm
- Klinik für Unfallchirurgie, Orthopädie, Rekonstruktive und Handchirurgie, Verbrennungsmedizin, Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz, Rübenackerstr. 170, 56072 Koblenz
- Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie Bundeswehrkrankenhaus Ulm, Oberer Eselberg 40, 89081 Ulm
- Klinik Allgemein- und Visceralchirurgie, Gefäßchirurgie, Bundeswehrkrankenhaus Hamburg, Lesserstr. 180, 22049 Hamburg
- Klinik für Allgemein- Visceral- und Thoraxchirurgie, Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz, Rübenackerstr. 170, 56072 Koblenz
- Klinik für Gefäßchirurgie und Endovasculäre Chirurgie, Bundeswehrkrankenhaus Ulm, Oberer Eselberg 40, 89081 Ulm
Datum: 01.01.2019
Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 4/2018