Zusammenfassung
Wehrmedizinische Forschung ist anwendungsbezogen und zielgerichtet. Sie integriert grundlagennahe Forschung, verschiedene Disziplinen und Approbationen, um möglichst rasch Erkenntnisse, Produkte und Handlungsleitlinien für den Einsatz zu entwickeln. Wehrmedizinische Forschung kann daher auch als translationale Forschung charakterisiert werden.
Anhand der Entwicklung eines Detektors zum Nachweis von S-Lost-Vergiftungen am Menschen sowie der Entwicklung von Drohnensystemen für sanitätsdienstliche Anwendungen wird an praktischen Beispielen aufgezeigt, wie der Übergang von grundlagennaher Forschung in Anwendungen gelingen kann.
Translationale Forschung
Die wehrmedizinische Forschung dient dem übergeordneten Ziel, einsatzfähige Streitkräfte bereitzustellen. Die Kampfkraft der Streitkräfte ist unmittelbar verknüpft mit der Gesundheit und Fitness der Soldatinnen und Soldaten. Dem Gesundheitsschutz und der Förderung gesundheitsbewussten Verhaltens der Streitkräfte ist somit eine hohe Bedeutung zuzumessen. Ebenso ist eine hocheffektive Rettungskette essenziell, um in kinetischen Operationen Menschenleben bestmöglich zu retten. Neben dem Dreiklang aus Prävention, Kuration (einschließlich der Rettungskette im Einsatz) und Rehabilitation gehört zur Wehrmedizin auch die Optimierung der Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine. Dieses Aufgabenfeld gewinnt angesichts der immer komplexer werdenden Waffensysteme zunehmend an Bedeutung und schlägt sich auch in dem Feld „Human Performance Optimization (HPO)“ nieder, die zum Ziel hat, auf den militärischen Einsatz ausgerichtet eine optimale Performance des Systems aus Mensch (Besatzung) und Maschine zu erreichen.
Die unterschiedlichen Bereiche der wehrmedizinischen Versorgung sollen gemäß dem sanitätsdienstlichen Primat auf Höhe des zivilen Standards sichergestellt werden. Die dafür notwendigen Fähigkeiten sind jedoch nicht immer mit zivilen Vorgehensweisen und Routinen erreichbar. Es ist daher notwendig, dass der Sanitätsdienst der Bundeswehr eigene Forschung betreibt, um diese Lücke schließen zu können. Ziel des Artikels ist es darzustellen, wie die Forschung des Sanitätsdienstes der Bundeswehr zur Entwicklung neuer Fähigkeiten und Produkte beiträgt und welchen Stellenwert translationale Forschung in diesem Kontext hat.
Die sicherheitspolitische Lage hat sich in den letzten Dekaden zunehmend verschärft und den Sanitätsdienst der Bundeswehr vor immer neue Herausforderungen gestellt, die ohne eigene Forschungs- und Entwicklungsprogramme nicht zu bewältigen wären. Die wehrmedizinische Forschung deckt daher Forschungsfelder ab und generiert Erkenntnisse, die an zivilen Forschungsinstitutionen so nicht gewonnen werden, gewonnen werden können oder sogar nicht gewollt sind (Zivilklausel).
So wird in der zivilen Gesundheitsversorgung sehr wohl wahrgenommen, dass Terrorlagen, Anschläge mit ABC-Waffen oder gar kriegerische Auseinandersetzungen ohne die militärmedizinische Expertise nicht zu bewältigen wären. Dies führt zu einer engeren Verzahnung der zivilen und wehrmedizinischen Forschung. In den USA ist diese Verzahnung schon länger und intensiver zu beobachten. So hat das US-amerikanische Gesundheitssystem wesentliche Lehren aus den Einsätzen des US-Militärs z. B. für die traumatologische Versorgung übernommen und misst diesem Wissenstransfer eine sehr hohe Bedeutung bei [21]. Insgesamt 27 Innovationen in der militärischen Traumaversorgung wurden in den USA binnen einer Dekade in zivile Standards übernommen. Insbesondere die Einsätze im Irak und Afghanistan haben sich als große Treiber der Forschung erwiesen [15]. Analog dazu haben Sanitätsoffiziere der Bundeswehr an der Erarbeitung von Leitlinien mitgewirkt, um die spezifisch wehrmedizinische Expertise dem zivilen Sektor verfügbar zu machen.
„Er, der Chirurg werden möchte, sollte in den Krieg ziehen.“
(Hippokrates 460–370 v.Chr.) (zitiert nach Roberts 2005).
Parallel zu den genannten Entwicklungen in den USA haben die Einsätze der Bundeswehr zu einer Intensivierung der traumatologischen Forschung in der Wehrmedizin geführt, die deutliche translationale Aspekte aufweist. Es ist daher folgerichtig, dass im Zuge dieser Entwicklung mit Oberstarzt Prof. Dr. Friemert 2022 in der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) sowie in der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) ein Repräsentant des Sanitätsdienstes Präsident war.
Transferleistungen sind das Charakteristikum wehrmedizinischer Forschung, die nicht in der Grundlagenwissenschaft verharrt, sondern insbesondere darauf ausgerichtet ist, grundlagennahe Forschung in Leitlinien bzw. Produkte zu überführen. Insofern ist es gerechtfertigt, die wehrmedizinische Forschung als translationale Forschung zu verstehen.
Translationale Forschung in der Wehrmedizinintegriert Grundlagenforschung sowie patientenzentrierte, populationsbezogene und One Health-Forschung mit dem Ziel, die Gesundheit der Soldatinnen und Soldaten sowie von Diensttieren zu verbessern. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) sieht in der translationalen Forschung eine wesentliche Aufgabe der universitären Medizin und definiert sie als interdisziplinär bzw. disziplin-verbindend [5]. Ergebnisse der Grundlagenforschung sollen möglichst rasch in präventive, diagnostische und therapeutische Verfahren überführt werden, welche der Gesundheit des Menschen dienen. Die DFG betont zudem den arbeitsteiligen Charakter zwischen universitärer und industrieller Forschung [5].
Die Translationskette wehrmedizinischer Forschung lässt sich am folgenden Beispiel adaptiert nach Volk et al. in vier Schritte untergliedern [37]:
- Schritt 1: Auswahl translationaler Projekte
- Schritt 2: Relevante in vitro- und in vivo-Modelle
- Schritt 3: (Klinische) Studien, Proof of concept (PoC)
- Schritt 4: (Klinische) Studienphase
Das Durchlaufen der Schritte führt ebenfalls zu neuen Erkenntnissen, welche auf die vorherigen Schritte zurückwirken können. Detaillierter lassen sich Entwicklungsschritte mit Hilfe des von der NASA ursprünglich entwickelten Systems zur Bewertung von Technologie-Reifegraden (Technology Readiness Level, TRL) bewerten. TRL werden mittlerweile auch in der biomedizinischen Forschung genutzt [1]. Dabei beschreibt TRL 1 grundlagennahe Forschung und TRL 9 ein qualifiziertes, einsatzbereites System.
Die Voraussetzungen zur Durchführung translationaler Forschung in der Wehrmedizin sind leistungsfähige Forschungseinrichtungen. Der Wissenschaftsrat der Bundesregierung hat in den letzten Evaluationen den sanitätsdienstlichen Ressortforschungseinrichtungen der Bundeswehr ein gutes bis sehr gutes Zeugnis ausgestellt.
Dem Sanitätsdienst sind sechs Ressortforschungseinrichtungen zugeordnet:
- Institut für Radiobiologie der Bundeswehr in München
- Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr in München
- Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Bundeswehr in München
- Institut für Präventivmedizin der Bundeswehr in Koblenz
- Zentrum für Luft- und Raumfahrtmedizin der Luftwaffe in Köln
- Schifffahrtmedizinisches Institut der Marine in Kiel
Weiterhin leisten die Zentralinstitute des Sanitätsdienstes in München und Kiel, die Schule für Diensthundewesen der Bundeswehr in Ulmen sowie auch forschungsaktive Unterabteilungen des Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr (Medical Intelligence) wichtige Forschungsarbeiten, wie z. B. Etablierung des Abwassermonitorings in Einsatzliegenschaften oder auch Training von Diensthunden zur Detektion von COVID-19-Infektionen. Hervorzuheben sind langjährige Forschungs- und Entwicklungsarbeiten zur Herstellung von Autoinjektoren, die ein Hauptschwerpunkt wehrpharmazeutischer Forschung sind.
Neben den genannten Ressortforschungseinrichtungen haben die Bundeswehrkrankenhäuser (BwKrhs) gemäß ihrer Sollorganisation mittlerweile gute bis sehr gute Forschungsstrukturen etabliert und sind in der klinischen universitären Medizin gern gesehene Kooperationspartner. Mit dem Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz steht zudem erstmals ein BwKrhs unmittelbar davor, den Status vergleichbar dem eines Universitätsklinikums zu erlangen und bildet in naher Zukunft Medizinstudentinnen und- studenten im Medizincampus Koblenz aus [27].
Neben geeigneter Forschungsinfrastruktur sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler notwendig, die möglichst translational orientiert ausgebildet sind. Dies gilt es künftig bei Werdegangsmodellen von Beamten, Offizieren und Sanitätsoffizieren zu beachten, die in der Wehrmedizinischen Forschung eingesetzt werden. Die Sanitätsakademie der Bundeswehr ist mit ihrer Bündelung von Forschungsinstitutionen grundsätzlich geeignet, als Translations-Hub im Sinne der DFG weiterentwickelt zu werden [5].
Nur mit guten, international renommierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ist die für translationale Forschung notwendige Netzwerkbildung zu bewältigen. Internationale Fachgesellschaften haben z. B. Sektionen, die sich mit translationaler Forschung befassen. Beispielhaft sei die Society of Toxicology, USA, erwähnt. Unter dem Dach der größten Fachgesellschaft für Toxikologie hat sich die „Clinical and Translational Toxicology Specialty Section“ (CTTSS) etablieren können. Ziel dieser Gruppe internationaler Experten ist es, die translationale Forschung in der Toxikologie zu fördern. Sowohl Oberstarzt Prof. Dr. Horst Thiermann als auch Oberstarzt Prof. Dr. Kai Kehe waren Präsidenten dieser Gruppe und haben wesentlich zur Vernetzung im translationalen Bereich der Toxikologie beigetragen.
Im Folgenden wird an zwei Beispielen illustriert, wie Forschungsergebnisse weiterentwickelt werden, um am Ende ein Produkt zu haben, welches in den Rüstungsprozess eingesteuert werden kann.
Die Schwefel-Lost-induzierte Alkylierung der Kreatinkinase:
Von der Grundlagenforschung über den forensischen Biomarker bis zum Schwefel-Lost- Detektor für den Soldaten
Schwefel-Lost (S-Lost oder SM, Bis-(2-chlorethyl)-sulfid, CAS 505–60–2) ist ein international verbotener und geächteter chemischer Kampfstoff, der jedoch in den letzten 100 Jahren in verschiedenen Konflikten eingesetzt wurde [12][31][32]. S-Lost ist ein hochreaktiver Hautkampfstoff, der eine chemische Modifikation von Biomakromolekülen, u. a. Proteine und DNA, verursachen kann [14]. Diese chemischen Veränderungen können zu einer Beeinträchtigung der physiologischen Funktion führen und gezielt im Sinne eines Biomarkers für den Beweis einer S-Lost-Exposition genutzt werden. Auf der Suche nach neuen, bisher unbekannten intrazellulären Reaktionspartnern wurde eine Proteomics-Methode (two dimensional-thiol-differences in gel electrophoresis, „2D-thiol-DIGE“) angewandt, um reaktive Cystein-Aminosäuren in Proteinen, mit denen S-Lost reagieren kann, zu identifizieren [19][30][34]. Die Methode basiert auf der kovalenten Bindung von Maleimid-gekoppelten Fluoreszenzfarbstoffen an freie Thiolgruppen (z. B. in der Aminosäure Cystein) (Abbildung 1). Für die Reaktion mit den Maleimid-Farbstoffen müssen die Thiolgruppen in freier Form vorliegen. S-Lost reagiert ebenfalls mit Thiolgruppen des Cysteins [12][13][22]. Sind die Thiolgruppen durch S-Lost alkyliert, stehen diese für eine Reaktion mit den Maleimid-Farbstoffen nicht mehr zur Verfügung. Der Versuchsablauf ist in Abbildung 1B skizziert.
Unter Anwendung dieser Methode und anschließender massenspektrometrischer Identifizierung (MALDI-TOF MS(/MS)) konnte die Kreatinkinase (creatine kinase, CK) als Reaktionspartner von S-Lost bestimmt werden (Abbildung 2).
Die CK ist ein ubiquitär vorkommendes Enzym, das für den zellulären Stoffwechsel (Übertragung einer N-Phosphoryl-Gruppe von Phospho-Kreatin auf Adenosindiphosphat unter Bildung von Adenosintriphosphat) von essenzieller Bedeutung ist [38]. Bei ischämischen Zellschäden, z. B. beim Myokardinfarkt, sind erhöhte CK-Werte im Plasma als labormedizinischer Marker etabliert [9]. Für die Diagnostik wird dabei nicht die absolute CK-Menge, sondern die CK-Enzymaktivität bestimmt. Es ist bereits bekannt, dass das alkylierende Iodoacetamid (IAA) zu einer Inhibition der CK-Enzymaktivität führt [11]. Als wahrscheinliche Ursache wird die Alkylierung eines Cysteins im aktiven Zentrum des Enzyms angenommen [22]. Nach Exposition der CK mit S-Lost in vitro konnten wir konzentrationsabhängig ebenfalls eine Inhibition der CK-Aktivität nachweisen [21]. Unsere massenspektrometrischen Analysen zeigten jedoch, dass der Alkylierungsgrad der CK am Cys283 durch S-Lost nicht mit dem Verlust der Enzymfunktion korreliert. In nachfolgenden Untersuchungen, auch unter Nutzung genetischer Mutanten der CK, konnten hingegen erstmals S-Lost verursachte Alkylierungen an Methioninen (Met70 und Met179) der CK als Ursache für den Verlust der Enzymaktivität identifiziert werden.
CK wird in der Epidermis der Haut exprimiert [29]. Da S-Lost charakteristische dermale Schäden verursacht (daher auch die Klassifizierung als „blasenbildender Hautkampfstoff“) und wie oben dargestellt zu Alkylierungen der CK führt, wurde untersucht, ob sich die CK nach S-Lost-Exposition als lokaler dermaler Biomarker in vivo eignen könnte [34]. Dazu wurden narkotisierte Ratten mit geringen Mengen S-Lost belegt, die exponierten Hautareale mittels Hautstanzen exzidiert und die CK extrahiert. Nach Aufarbeitung der Proben erfolgte der massenspektrometrische Nachweis des modifizierten Cys283 der CK als Marker einer S-Lost-Exposition. Es konnte das Tetrapeptidfragment TC283(-HETE)PS mit dem für S-Lost charakteristischen Hydroxyethyl-thioethyl (HETE)-Rest am Cys283 der CK identifiziert werden (Abbildung 3).
Damit konnte ein neuer Biomarker für S-Lost gefunden werden, der vor allem bei Vergiftungen mit sehr geringen S-Lost-Dosen, bei denen die Bildung von systemischen Biomarkern unwahrscheinlich ist, von großer Relevanz sein könnte.
S-Lost ist ein sesshafter Kampfstoff mit geringem Dampfdruck, sodass eine Detektion mit Kampfstoffspürgeräten, die vor allem Kampfstoffe in der Gasphase erfassen, nur bei hohen S-Lost-Konzentrationen in der Gasphase sicher möglich ist. Weiterhin verursacht eine Exposition mit S-Lost erst mit deutlicher Latenz klinische Symptome. Beide Aspekte erschweren eine frühe Detektion. Bisher verfügbare S-Lost-Schnelldetektoren [16] sind nicht mehr marktverfügbar. Basierend auf unseren Ergebnissen zur S-Lost vermittelten Hemmung der CK-Aktivität wurde ein Prototyp für einen enzymatischen Schnelltest zum Nachweis von reaktiven S-Lost entwickelt, der die momentane Fähigkeitslücke schließen könnte. Der Detektor besteht aus einem Probennehmer (Wattestäbchen), mit der die Substanz des betroffenen Hautareals aufgenommen wird und anschließend zu einer CK-Lösung gegeben wird (Abbildung 4). Nach 10-minütiger Inkubationszeit wird eine hellgelbe Farbstofflösung über einen eigens entwickelten Transfer-Spike zur inkubierten Probe transferiert und die Farbentwicklung beobachtet. Ungehemmte CK setzt ein gelbes Substrat zu einem dunkel-roten Produkt um. Ist die CK in ihrer Aktivität durch S-Lost gehemmt, findet diese Umsetzung nicht statt und der Farbumschlag bleibt aus (Abbildung 5). Anhand einer beigefügten Farbtafel kann das Ergebnis dann visuell beurteilt werden. Der Detektor ist einfach anzuwenden, günstig in der Herstellung und zeigt keine Kreuzreaktivität zu Nervenkampfstoffen.
Zusammenfassend konnten bisher unbeantwortete Fragen der Grundlagenforschung zur Funktion der Kreatinkinase beantwortet, ein neuer lokaler S-Lost-Biomarker für die forensische Verifikationsanalytik etabliert und einen Schnelltest zur Detektion von S-Lost entwickelt werden.
Medizinische Nutzbarkeit der Drohnentechnologie
Die Nutzung von fliegenden Klein- und Kleinstdrohnen bis hin zu Drohnen in der Größe von bemannten Luftfahrzeugen hat sich mit fortschreitender Entwicklung und Nutzung der Informationstechnologie immer weiter durchgesetzt und umfasst heute bereits eine große Anzahl von Anwendungsgebieten. Neben der Kartierung und Vermessung von Geländeabschnitten, der Inspektion sowie der Durchführung von Film- und Fotoaufnahmen werden Drohnenlösungen im Bereich der Liefer- und Logistikketten sowie im Transportsektor immer wahrscheinlicher. Der sehr massive militärische Einsatz von Drohnen zu Aufklärungszwecken und als Waffenplattform zeigt sich nicht zuletzt in aktuellen Konflikten wie im Russland-Ukraine-Krieg [3] sowie in Bergkarabach [4]. Der Markt für Drohnen, auch oder im Besonderen im zivilen Umfeld, wächst seit Jahren und es wird von einer weiteren Steigerung in den nächsten Jahren ausgegangen [6]. Damit einhergehend stellen sich zunehmend auch Fragen einer Nutzung unterschiedlichster Drohnentechnologien für sanitätsdienstliche Zwecke. Gerade weil hier intensiv Neuland betreten wird, kann anwendungsorientierte wehrmedizinische Forschung auch in diesem Bereich wesentliche Beiträge leisten.
Im Grundsatz werden unbemannte Luftfahrzeuge („Drohnen“) in zwei Typen unterschieden: Auf der einen Seite sog. „(Multi-)Copter“, welche über mehrere Rotoren und die Flug-, Start- und Landeeigenschaften von Helikoptern besitzen, sowie Flugzeugdrohnen, welche über Flügel verfügen und die aerodynamischen Eigenschaften von Flächenflugzeugen aufweisen [33]. Dazwischen existieren auch hybride Formen, die Eigenschaften beider Typen miteinander kombinieren. Gerade für das urbane Einsatzgebiet eignen sich „(Multi-)Copter“-Drohnen aufgrund ihrer Eigenschaften besser. Für den medizinischen Einsatz lassen sich Drohnen für unterschiedliche Anwendungsfelder nutzen: Den Transport von Arzneimitteln bzw. medizinischer (Notfall)-Ausrüstung, die Detektion von Personen in Notfall- und Katastropheneinsätzen bis hin zur Vitalwertbestimmung aus der Luft sowie als Transportmittel für den Transport von Verletzten und Verwundeten, insbesondere in einem militärisch geprägten Einsatzumfeld.
Drohnen zum Transport von Arzneimitteln und medizinischer Notfallausrüstung
Die von einer Drohne nutzbare Transportkapazität (Payload) ist grundsätzlich bei entsprechender Vorbereitung und Einsatzprogrammierung auch für den Transport von Arzneimitteln oder medizinischer Notfallausrüstung nutzbar [33]. Der relativ einfache Transport einer medizinischen Lieferung, sei es eines Medizingerätes oder von Arzneimitteln, ist hierbei ein Anwendungsgebiet im Rahmen der Nutzung einer Transportdrohne und bietet eine Möglichkeit zur Erhöhung der Versorgungsqualität in der Gesundheitsversorgung. Hierbei gilt es, die zusätzlichen Aspekte medizinischer Qualitätskontrollen und -vorgaben (wie Kühlmöglichkeiten, Vibration etc.) beim Transport zu berücksichtigen und deren Einhaltung mit wissenschaftlichen Methoden zu überprüfen.
Konkret werden Drohnen u. a. bereits für den Transport von (kurzfristig) benötigten Blutprodukten und Arzneimitteln in Ruanda erfolgreich eingesetzt. Durch eine zentrale Verteilstation mit Drohnenlieferkapazität konnten die Lieferzeiten gegenüber einem bodengebundenen Transport um 79 min bei einer mittleren Drohnenflugzeit von 49,6 min reduziert werden [20]. Gleichermaßen wurde die Verteilung von Impfstoffen in nur spärlich versorgten Inselbereichen des Südpazifiks mittels Drohnen bereits erfolgreich etabliert [8]. Auch die Zuführung von automatischen Defibrillatoren mittels Drohnen im Rahmen von außerklinischen Herzstillständen ist ein mögliches Anwendungsgebiet, das sich bei Erprobungen in Skandinavien gegenüber dem jeweiligen bodengebundenen Rettungssystem als überlegen und deutlich schneller erwiesen hat [18]. Insgesamt sind mögliche Szenarien häufig verknüpft mit Einsätzen in unwegsamen Gebieten, wo entsprechende Drohnen über Vorteile bei Flugzeiten und Erreichbarkeit des Einsatzgebietes verfügen [10, 26].
Drohnen zum Auffinden von Personen
Der Einsatz von Drohnen im Rahmen von Such- und Rettungsaktionen kann gerade unter Katastrophenbedingungen die Zeit bis zum Auffinden und damit auch bis zur ersten medizinischen Versorgung deutlich verkürzen. So konnten im Rahmen einer randomisiert-kontrollierten Studie sowohl die Auffindezeit von 20,6 min auf 14,6 min als auch die Zeit bis zur ersten medizinischen Versorgung von 22,4 min auf 15,7 min durch den Drohneneinsatz signifikant verkürzt werden [10]. Weitere Anwendungsfelder sind die kontaktlose Vitalwertbestimmung mittels Radartechnologie [17], welche in Drohnen verbaut auch eine Abschätzung des aktuellen Gesundheitszustands einer Person im Katastrophengebiet oder im Falle eines militärischen Szenarios im Kampfgebiet erlaubt/ermöglicht. [12]. Diese Verfahren werden aktuell in Zusammenarbeit der Fraunhofergesellschaft mit dem Zentrum für Luft- und Raumfahrtmedizin der Luftwaffe entwickelt und evaluiert. In der zivilen Notfallmedizin wären die Vorteile dieser Technologie bei Großschadensereignissen mit einer großen Anzahl von Verletzten und/oder in unübersichtlichem Gelände in analoger Weise nutzbar. Im Falle einer Kontamination des Kampf- oder Schadensgebietes durch atomare, biologische oder chemische Noxen kann durch eine entsprechende Aufklärungsdrohne inklusive Vitalwertbestimmung die Gefährdung der eigenen Rettungskräfte reduziert, die Aufenthaltszeit im Gefahrengebiet minimiert und eine gezielte Steuerung dieser Rettungskräfte sichergestellt werden. In der Veterinärmedizin wurden Drohnen im Rahmen der Bekämpfung der Afrikanischen Schweinepest zur Kadaversuche eingesetzt.
Drohnen im Verwundetentransport
Die Entwicklung der Fähigkeit zur Drohnennutzung im (militärischen) Verwundetentransport [2] und deren spätere Anwendung erfordert die Kombination und Abstimmung zahlreicher Grundlagenforschungsaktivitäten. Während der reine Transport ohne medizinische Überwachung und Versorgung (CASEVAC) sich überwiegend auf die Frage der reinen Transportkapazität einer entsprechend dimensionierten Drohne reduziert, wird bei Hinzunahme von medizinischer Überwachung und Versorgung ein hohes Maß an Telemedizin und (Teil-) Automatisierung innerhalb der Drohne benötigt (MEDEVAC). Wenn die Drohne zusätzlich noch automatisiert den Verwundeten aufnehmen soll, sind weitere Aspekte von autonomen Steuerungssystemen zu berücksichtigen. Eine entsprechende Drohne müsste vorrangig mit einer entsprechenden Payloadkapazität ausgestattet sein, welche sowohl den Patienten wie auch das Trage-/Rettungssystem, die medizinischen Überwachungs- und Interventionsgeräte, notwendige Kommunikations- und Steuerungselemente als auch eine ggf. geschützte Transportbox berücksichtigt. Notwendige medizinische Überwachungssysteme bedürfen einer telemedizinischen und elektro-magnetisch gehärteten Anbindung, welche zentral von medizinischem Personal überwacht werden muss. Weiterhin sollen durch Anwendung Künstlicher Intelligenz Vitalwertverschlechterungen beim Patienten sicher erkannt werden, medizinisches Personal telemedizinisch informiert und geeignete Therapiemaßnahmen (bei vitaler Bedrohung ggf. autonom) durchgeführt werden. Mittels telemedizinisch steuerbarer Spritzenpumpen oder in Form von standardisierten intramuskulären Gaben wäre die Verabreichung von Medikamenten über die reine Infusionsgabe hinaus denkbar. Dies schließt auch neuartige Methoden von computergestützten Interventionsarmen ein. Der Patient bedarf neben einer Kommunikationsmöglichkeit ggf. auch einer virtuellen Umgebung, um auftretende Luftkrankheit (Motion Sickness) zu reduzieren. Hier können bisher durchgeführte Studien aus landgebundenen Transportstudien helfen, über die aufgezeigt werden konnte, dass mit interaktiven Bildschirmen und einer entsprechenden Umgebungsbeleuchtung auftretende Übelkeit und Erbrechen reduziert werden konnte [7].
Im Rahmen eines laufenden EDA-Projektes („iMEDCAP“) ist der Sanitätsdienst der Bundeswehr Teil eines Konsortiums, in welchem sowohl an einer landgebundenen als auch an einer Multi-Copter-Drohne geforscht wird. Diese Forschungsarbeiten münden sowohl technisch als auch konzeptionell in ein entsprechendes System für die Verwundetenversorgung insbesondere unter ABC-Bedingungen (Abbildungen 6 und 7).
Fazit
Translationale Forschung ist ein Charakteristikum wehrmedizinischer Forschung. Die genannten Beispiele zeigen den unmittelbaren Nutzen erfolgreicher, anwendungsorientierter wehrmedizinischer Forschungsprojekte und deren Mehrwert für den Einsatz.
Diese Erfolge sind nicht selbstverständlich und erfordern personelle und materielle Ressourcen, in die der Sanitätsdienst der Bundeswehr gezielt und erfolgreich investiert. Die jährlich diskutierten Anträge auf Projektförderung zeigen dabei, dass bei besserer Mittelausstattung des Forschungstitels ausreichend Potential für relevante Forschungsprojekte besteht. Die Weiterentwicklung der SanAkBw in Richtung eines Translations-Hubs sollte in Erwägung gezogen werden.
Literaturangaben im Originalartikel
Wehrmedizinische Monatsschrift 9/2024
Für die Verfasser
Oberstarzt Prof. Dr. med. Kai Kehe
Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr
Unterabteilung VI – Präventivmedizin
Von-Kuhl-Str. 50, D 56070 Koblenz
E-Mail: kaikehe@bundeswehr.org