20.08.2015 •

    Sauerstoff 93 – eine neue Option auch für deutsche Krankenhäuser

    Vorwort

    Ob mobil, landgestützt im Feldlazarett oder seegestützt auf Schiffen (MERZ), gilt für den Sanitätsdienst der Bundeswehr die Handlungsmaxime, unabhängig vom Einsatzort allen Soldaten eine medizinische Behandlung zu ermöglichen, die im Ergebnis einer Behandlung in Deutschland entspricht.

    Dies erfordert vom Personal und gleichzeitig vom eingesetzten Material eine hohe Qualität und vor allem Flexibilität. In Bezug auf die Versorgung mit medizinischem Sauerstoff ergeben sich z. B. bei Flaschenversorgung besonders aufgrund von luftfahrttechnischen Bestimmungen (Gefahrguttransport) sowie der benötigten und kalkulierten Mengen erhebliche logistische Probleme.

    Bereits seit Jahrzehnten (erste eigene Erfahrungen bereits 1995 im Feldlazarett in Trogir/Ex-Jugoslawien) setzt die Bundeswehr Sauerstoff-Konzentratoren ein. Damit ist die Ressource Sauerstoff in nahezu unbegrenzter Menge verfügbar. In der bisherigen Praxisanwendung hat sich der Unterschied von einer 93 %- zu einer 100 %-Konzentration nicht bemerkbar gemacht oder einschränkend gewirkt, analog der medizinischen Bewertung im folgenden wissenschaftlichen Artikel.

    Eine Störung von betriebenen Respiratoren durch die Verwendung von Sauerstoff-Konzentratoren bestand bisher ebenso nicht. Die Kombination von neueren, turbinengetriebenen (Transport-)Respiratoren erhöht in Zukunft erheblich die Flexibilität, besonders bei hochmobil geführten Einsatzsenarien.

    Aus wehrmedizinischer Sicht ist der Einsatz von Sauerstoff-Konzentratoren nicht nur bei der Bundeswehr etabliert und nahezu unverzichtbar

    Oberstarzt Dr. Dirk Posselt

    Abteilungsleiter Anästhesie
    Bundeswehrkrankenhaus Westerstede
    (Teilnahme an 9 Auslandseinsätzen und 2 internationalen Großübungen mit Realversorgungsauftrag)

    Sauerstoff (chem. O2) stellt mit einem jährlichen Verbrauch von ca. 80 Millionen Kubikmetern das im Krankenhaus meist verwendete Arzneimittel dar. Die Reinheit von „reinem“ Sauerstoff (O2100) beträgt nach der Monographie No. 417, Oxygenium, mindestens 99,5 % [1]. Die Herstellung erfolgt durch Kryo-Destillation von Luft. Für das Inverkehrbringen als Flüssigsauerstoff benötigt der Hersteller eine Einzelzulassung; erfolgt dies gasförmig in Druckzylindern bei entweder 200 oder 300 bar, kann darauf verzichtet werden und alternativ die Standardzulassung für gasförmigen Sauerstoff des BfArM genutzt werden [2]. Kürzlich wurde die Monographie No. 2455, Oxygenium 93 per centum, in das Europäische Arzneibuch aufgenommen [3]. O2 93 wird kontinuierlich durch Druckwechseladsorption an Molekularsieben gewonnen. Der Sauerstoffanteil des so erzeugten Gasgemisches liegt zwischen 90 und 96 Prozent, der Rest besteht hauptsächlich aus Argon und Stickstoff (Tab. 1).

    Die Verwendung von O2 93 mit einem medizinischen Rohrleitungssystem erfolgt in Verantwortung der zuständigen Krankenhausapotheke. Die zuständigen Aufsichtsbehörden überwachen – analog zur Erzeugung von medizinischer Druckluft im Krankenhaus – die GMP-gemäße Herstellung [4]. Die Verwendung des so definierten O2 93 ist somit als Alternative zu O2 100 möglich.

    Für die Mischung von O2 93 und O2 100 hat sich international die Bezeichnung „Sauerstoff 90 plus“ (O2 90+) durchgesetzt. In Deutschland ist die gleichzeitige Verwendung der beiden Arzneimittel (O2 100 und O2 93) in einem Rohrleitungssystem derzeit nicht zulässig. Es wurde angeregt, auch für das Gasgemisch O2 90+ eine Monografie zu erstellen, was aber noch nicht entschieden ist.

    Für die Entscheidung eines Krankenhauses, O2 93 in die zentrale Gasversorgungsanlage einzuspeisen, kann es sowohl logistische als auch finanzielle Gründe geben. Dieser Artikel behandelt die medizinischen, gerätetechnischen und regulatorischen Aspekte, die bedacht werden müssen, wenn eine Entscheidung über die Verwendung von Sauerstoff 93 ansteht.

    Medizinische Aspekte
     Der Sauerstoffgehalt des Blutes

    Der Sauerstoffgehalt des Blutes (CaO2) setzt sich zusammen aus dem chemisch an das Hämoglobin gebundenen und dem physikalisch im Blut gelösten Sauerstoff. Die chemische Bindung des Sauerstoffs an das Hämoglobin ist für Sauerstoffpartialdrücke >100 mmHg praktisch unabhängig vom Partialdruck. Ursächlich hierfür ist der sigmoide (Sförmige) Verlauf der Sauerstoffbindungskurve des Blutes (Abb. 1).

    Für Hämoglobin verläuft die Bindungskurve im Bereich des in der Lunge herrschenden Sauerstoffpartialdrucks (ca. 90±10 mmHg) flach und im Bereich des im Gewebe herrschenden Sauerstoffpartialdrucks (ca. 30±10 mmHg) steil. Der flache Verlauf der Bindungskurve im Endteil verhindert einen stärkeren Abfall der arteriellen Sauerstoffsättigung im Alter, bei Lungenfunktionsstörungen und in größerer Höhe. Der steilere Verlauf im Mittelteil sorgt dafür, dass bei niedrigem venösem Sauerstoffpartialdruck viel Sauerstoff abgegeben wird. Damit wird die Sauerstoffversorgung des Gewebes auch unter ungünstigen Verhältnissen gewährleistet [6].

    Der physikalisch im Blut gelöste Anteil ist direkt proportional zum O2-Partialdruck, wobei er mit abnehmender Temperatur steigt. Insgesamt gilt:

    CaO2 = SaO2/100 x Hb x 1,34 + paO2 x 0,0031
    (Gleichung 1)

    CaO2 = Sauerstoffgehalt arterielles Blut [ml O2/dl]
    SaO2 = Sauerstoffsättigung arterielles Blut [%]
    Hb = Hämoglobinkonzentration [g/dl]
    1,34 = Hüfner-Zahl [ml O2/g Hb]
    paO2 =  Sauerstoffpartialdruck [mmHg]
    0,0031 = Löslichkeitskoeffizient Sauerstoff in Blutplasma bei 37°C [ml O2/dl x mmHg]

    1 g Hämoglobin bindet 1,34 ml O2 (Hüfner-Zahl), 100 ml Plasma enthalten bei einem pO2 von 100 mmHg 0,31 ml O2 in physikalischer Lösung.

    Rechenbeispiele:
    Bei einem Hb von 15 g/dl, einer SaO2 von 98 % und einem paO2 von 100 mmHg resultiert nach Gleichung 1 ein Gesamt-Sauerstoffgehalt im Blut von ca. 20 ml/dl. Bei einem Herzzeitvolumen von 5 l/min beträgt die resultierende Sauerstofftransportkapazität DO2 ca. 1 000 ml/min, die sich nach Gleichung 1 zusammensetzt aus 985 ml/min über das an Hb gebundene O2 und 15 ml/min aus der physikalischen Löslichkeit. Unter der Voraussetzung, dass die Atmung von 100 %igem Sauerstoff tatsachlich zu einem paO2 von 760 mmHg im Blut führen würde (unter Vernachlässigung von CO2 und Wasserdampf), läge der Gesamtsauerstoffgehalt durch die Erhöhung des physikalisch im Blut gelösten Sauerstoffanteils nunmehr bei ca. 22 ml/dl, wodurch die Sauerstofftransportkapazität auf ca. 1 100 ml/min erhöht wird. Eine weitere Erhöhung des im Blut gelösten Sauerstoffanteils ist dann nur noch durch die Erhöhung des Umgebungsdrucks in einer Überdruckkammer möglich: Bei 3 bar Überdruck resultieren dann mit ca. 7 ml/dl gelöstem Sauerstoff insgesamt 27 ml/dl Gesamtsauerstoffgehalt mit der entsprechende Sauerstofftransportkapazität von 1 350 ml/min bei einem HZV von 5 l/min.

    Bei Atmung von O2 93 unter Atmosphärendruck mit einem „worst-case“-Sauerstoffanteil von nur 90 %, der noch zulässigen Minimalkonzentration, würde sich der Sauerstoffgehalt des physikalisch gelösten Sauerstoffs um 0,2 ml/dl auf 1,8 ml/dl reduzieren, mit einer entsprechenden Abnahme der Sauerstofftransportkapazität auf 1 090 ml/min – was etwa 1 % im Vergleich zu O2 100 % entspräche.

    Ein niedrigerer Anteil an physikalisch gelöstem Sauerstoff im Blut wird auch durch den Druckabfall mit der geographischen Höhe bewirkt: der pO2 der Luft nimmt um durchschnittlich 17 mmHg pro 1 000 Höhenmeter ab. Auf 5 500 m Höhe beträgt er die Hälfte, auf 8 500 m nur mehr ein Drittel des Wertes auf Meereshöhe. So beträgt beispielsweise der normale Luftdruck in Oberstdorf im Allgäu (813 m über dem Meeresspiegel) 690 mmHg – die Reduktion von 100 % Sauerstoff auf 90 % in der Inspirationsluft würde in Hamburg zu einem vergleichbaren Abfall des physikalisch gelösten Sauerstoffgehalts führen. In Denver/Colorado (1 609 m über dem Meeresspiegel) beträgt der mittlere Luftdruck nur 630 mmHg mit einem entsprechend noch geringeren physikalisch gelöstenSauerstoffgehalt. Dennoch ist sicher unstrittig, dass auch in dieser MetropoleHochrisikopatienten genauso sicher operiert werden können wie in tiefer gelegenen Städten. Der Grund dafür ist, dass die Gewebeoxigenierung nicht allein von der Höhe des absoluten Sauerstoffgehalts im Blut abhängig ist, sondern ganz entscheidend auch von der Sauerstofftransportkapazität des Blutes als Funktion des Herzzeitvolumens. Ob und inwieweit es zu einer kritischen Oxigenierung mit Gewebsschädigung kommt, hängt weiterhin vom peripheren Widerstand sowie letztlich auch vom Sauerstoffverbrauch im Gewebe ab.

    Lungenfunktionsstörungen

    Für Lungenerkrankungen sind die Auswirkungen der Unterschiede der FiO2 zwischen minimal 0,9 (bei O2 93) und 1,0 (bei O2 100) im Modell schwer zu fassen, da meist wechselnde Kombinationen von Störungen der Ventilation, Diffusion und Perfusion und deren regionaler Verhältnisse vorliegen. Rein theoretisch kann in Regionen niedriger alveolärer Ventilation, deren alveolärer Sauerstoffpartialdruck im Bereich zwischen 20 bis 50 mmHg der Sauerstoffbindungskurve (Abb. 1) liegt, mehr Sauerstoff an Hämoglobin gebunden werden. Auch bei Diffusionsstörungen kann sich der größere Partialdruckgradient zwischen Alveole und Kapillare positiv auf die Menge des gebundenen Sauerstoffs auswirken. Die Effekte sind wohl gering, schließlich wird ein fast immer vorhandener intrapulmonaler Shunt die durch Erhöhung der FiO2 mögliche Steigerung des arteriellen Sauerstoffgehalts deutlich reduzieren. Bei einem Shunt von 50 % geht eine Erhöhung der alveolären Sauerstoffspannung mit einer äquivalenten Steigerung der alveolo-arteriellen Sauerstoffpartialdruckdifferenz einher [6].

    Klinische Grenzsituationen

    Auch wenn der physikalisch gelöste Sauerstoffgehalt des Blutes in der klinischen Praxis überwiegend zu vernachlässigen ist, gibt es doch einige Grenzsituationen, in denen er zumindest aus theoretischer Sicht von Bedeutung sein könnte (und damit auch der maximal ca. 0,2 ml/dl höhere Sauerstoffgehalt des mit 100 % O2 oxigenierten Blutes). Klinische Daten liegen allerdings für keine dieser Situationen vor.

    Extreme Anämie
    Bei einem akuten Blutverlust von 15 auf z. B. 3 g Hb/dl läge der errechnete Gesamtsauerstoffgehalt unter Atmosphärendruck von 760 mmHg und Beatmung mit 100 % O2 bei nur noch 6,3 ml O2/dl bzw. 6,1 ml O2/dl bei Beatmung mit 90 % O2, was einer Abnahme des Sauerstoffgehalts im Blut um 3,7 % entspricht. Eine Veränderung, die durch eine HZV-Erhöhung in der gleichen Größenordnung oder eine Anhebung des Hb-Gehaltes durch Transfusion um weniger als 0,2 g/dl kompensierbar wäre.

    Dyshämoglobinämie
    Eine vergleichbare Situation besteht, wenn ein Teil der O2-Bindungsfähigkeit des Hämoglobins, z. B. nach Kohlenmonoxidinhalation, reversibel blockiert ist. CO ist ein kompetitiver Sauerstoffantagonist mit einer ca. 200 - 300 mal größeren Affinität zu Hämoglobin. Die Eliminationshalbwertszeit des Kohlenstoffmonoxids aus dem Blut beträgt 2 bis 6,5 Stunden, anhängig von der aufgenommenen Menge an CO und der Ventilationsrate. Da CO durch Sauerstoff in hohen Konzentrationen aus der Hämoglobinbindung verdrängt wird, ist das therapeutische Ziel die maximale Erhöhung des physikalisch gelösten Sauerstoffs durch Beatmung mit 100 % O2. So kann die Eliminationshalbwertszeit von Carboxyhämoglobin bei Einsatz von 100 % Sauerstoff rein rechnerisch von 217 auf 49 Minuten gesenkt werden, mit 90 % Sauerstoff würde sie dagegen auf 54 Minuten abfallen [7]. Noch kürzere Eliminationshalbwertszeiten lassen sich nur durch die hyperbare Oxigenierung erreichen.

    Neuronale Ischämie
    Kurzzeitige neuronale Ischämien infolge Minderperfusion, wie sie z. B. im Rahmen der Carotis- oder Aortenchirurgie auftreten können, könnten theoretisch von einer möglichst hohen Menge physikalisch gelösten Sauerstoffs profitieren. Zumindest in diesen Situationen ist eine Steigerung des in die Mikrozirkulation der schlecht perfundierten Areale gelangenden Sauerstoffs nicht durch eine Erhöhung des Herzminutenvolumens erreichbar.

    Sauerstofftoxizität
    Die Gabe von Sauerstoff galt bei der Behandlung von Patienten mit schweren und lebensbedrohlichen kardiopulmonalen Erkrankungen über Jahrzehnte als einer der Grundsätze der Anästhesie, Intensiv- und Notfallmedizin. Dem lag die Annahme zugrunde, dass eine maximale Sauerstoffkonzentration auch zu maximalem Therapieerfolg führen würde. Diese simple Betrachtung wird seit einigen Jahren stärker differenziert, da auch toxische Aspekte hoher Sauerstoffkonzentrationen bei längerer Exposition kritisch berücksichtigt werden müssen [8].

    Bedeutung des Argonanteils in Sauerstoff 93 %, Argonakkumulation

    Bei der Extraktion von Sauerstoff in Molekularsieben wird in gleichem Maße wie Sauerstoff auch Argon angereichert, dessen Anteil an der Atmosphärenluft 0,93 Vol. % beträgt. Auch bei optimaler Funktion des Sauerstoffkonzentrators kann Sauerstoff 93 daher maximal lediglich 96 Vol. % Sauerstoff enthalten, der Rest besteht aus ca. 4 Vol. % Argon und Reststickstoff [9]. Argon ist physiologisch unwirksam [10,11,12] und besitzt – anders als die Edelgase Xenon und Krypton – auch in Konzentrationen bis 80 % keine Kreislauf- oder anästhetische Wirksamkeit. Es wird daher auch in hohen Konzentrationen (bis ca. 70 %) in der Atemluft für Untersuchungen der Organdurchblutung angewendet [13]. Bei noch höheren Partialdrücken jedoch (wie z. B. beim Tauchen in großen Tiefen) kann Argon – wie auch andere inerte Gase – eine betäubende Wirkung entfalten. Die organprotektive Wirkung von Xenon und Helium ist hinreichend bekannt. Kürzlich wurden auch für Argon tierexperimentell neuroprotektive Effekte nachgewiesen [14,15,16], wobei die zugrunde liegenden Mechanismen bislang nicht geklärt sind.

    Es gibt keine Hinweise, dass eine langfristige Exposition gegenüber maximal 4 %-igen Argonkonzentrationen bei der Sauerstofftherapie sowie unter Intensivbeatmungsbedingungen schädlich sein könnte. Bei der Narkosebeatmung mit Rückatmungssystemen und reduziertem Frischgasflow stellt sich zu jeder gewählten inspiratorischen Sauerstoffkonzentration im Gleichgewicht eine zugehörige Argonkonzentration ein, deren Wert sich aus dem Frischgasflow und dem Sauerstoffverbrauch ergibt. Beispielsweise kann bei einem Frischgasfluss von 0,35 L/min und einer inspiratorischen Sauerstoffkonzentration von 50 % bei Verwendung von Sauerstoff 93 eine Argonkonzentration von 13 % erreicht werden [17,18].

    Medizinische Bewertung

    Sauerstoff 93 ist also bezüglich der Sauerstoffbindungskurve äquivalent dem Sauerstoff 100. Der Anteil an physikalisch gelöstem Sauerstoff im Blut ist dagegen von untergeordneter Bedeutung. Die Gesamtwürdigung der bis hier dargestellten medizinischen Überlegungen ergibt keine gravierenden medizinischen Gründe, die die Verwendung von Sauerstoff 93 % einschränken.

    Gerätetechnische und regulatorische Aspekte

    Zurzeit sind die in Deutschland gängigen Beatmungs- und Narkosegeräte sowie auch andere mit Sauerstoff betriebene Medizingeräte nur für den Betrieb mit O2 100 ausgelegt und zugelassen. Für den Betrieb mit O2 93 sind ggf. entsprechende Anpassungen, in jedem Fall aber eine Änderung der Betriebserlaubnis notwendig. Wird ein Medizinprodukt nicht entsprechend der in der Gebrauchsanweisung festgelegten Zweckbestimmung angewendet, so gehen Verantwortung und Haftung auf den Betreiber des Gerätes über.

    Sauerstoffmischer

    Die Normen für Beatmungs- und Narkosegeräte [19,20] fordern, dass der Gasmischer eine Sauerstoffkonzentration liefert, die innerhalb ±5 % der eingestellten oder angezeigten Volumenfraktion liegt. Bei der Konstruktion der Mischer wurde bisher nicht berücksichtigt, dass die Zusammensetzung eines der Versorgungsgase schwanken kann. Bei Betrieb mit O2 93 sind Sauerstoffkonzentrationen zwischen 90 und 96 % möglich, sodass ein Mischer eine Fehlertoleranz von etwa 8 % aufweisen würde. Eine entsprechende Anpassung der Norm wird diskutiert.

    Flow- und Volumenmessung

    Argon besitzt eine geringfügig höhere Viskosität als Sauerstoff. Dadurch wird der Schwebekörper in einer Messröhre bei Betrieb mit O2 93 um ca. 0,7 % höher gehoben als mit O2 100. Für die Volumenmessung in der klinischen Praxis spielen diese Unterschiede keine Rolle.

    Lachgassperre

    Zur Vermeidung einer unbemerkten Applikation von hypoxischen Gasgemischen wird bei Anästhesiebeatmungsgeräten eine entsprechende gerätetechnische Ausstattung (üblicherweise als „Lachgassperre“ bezeichnet) normativ gefordert. Diese flussgesteuerten Regler sind zurzeit für O2 100 kalibriert. Sie können auch für den Betrieb mit O2 93 kalibriert werden, wobei dabei aus Sicherheitsgründen von einem lediglich 90 %-igem Sauerstoffgehalt ausgegangen werden muss. Dass dies bei systemtypischem Betrieb mit z. B. 95 %-igem Sauerstoff zu einer höheren Ansprechschwelle führt, wird als für die Praxis irrelevant angesehen.

    Sauerstoffmessung

    Normativ wird für die Sauerstoffmessung als Messgenauigkeit ± Volumenanteil von 2,5 % + 2,5 % der Gaskonzentration zwingend festgelegt [19,20]. Die Kalibrierung der Messeinheit wird nicht tangiert, wenn sie mit Raumluft erfolgt, die 20,9 % Sauerstoff enthält. Bei einigen Ventilatoren wird jedoch die Kalibration mit Sauerstoff durchgeführt, der aus der Sauerstoffversorgung des Gerätes entnommen wird. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass es sich hierbei um O2 100 mit der Konzentration >99,5 % handelt. Bei dem Betrieb eines Gerätes mit O2 93 ist daher eine solche Kalibration nicht möglich, da die tatsächliche Konzentration zwischen 90 und 96 % schwanken kann. Stattdessen müsste von einer anderen Quelle O2 100 als Kalibriergas verwendet werden, was technisch sehr aufwändig und bei Bestandsgeräten kaum realisierbar ist.

    Gerätetechnische Bewertung

    Allein die patientennahe Messung der inspiratorischen Sauerstoffkonzentration ist medizinisch und technisch sinnvoll. Nach diesem Messwert bzw. nach den gemessenen Blutgasen wird die FiO2 durch Anwender-Feedback oder closed­loop-Regelungen dosiert. In der Praxis ist daher die sicherere Kenntnis dieses Wertes essentiell. Wie der sichere Zustand im Fehlerfall dieser Messung gewährleistet wird, z. B. welche Toleranzen der Sauerstoffdosierung zulässig sein sollen, ist noch nicht entschieden.

    Betrieb von medizinischen Rohrleitungssystemen

    Wenn sich ein Anbieter von Gesundheitsleistungen dazu entschließt, das Arzneimittel O2 93 einzusetzen, wird praktisch nur eine Umwidmung des bestehenden Rohrleitungssystems für O2 100 in Frage kommen [21]. Die Installation eines zweiten, separaten Systems dürfte aus Kostengründen nicht in Frage kommen. Die wechselseitige Einspeisung von O2 93 und O2 100 (z. B. Flaschensauerstoff als Notfallreserve) ist in Deutschland rechtlich nicht eindeutig geklärt. Das dabei entstehende Gasgemisch „Sauerstoff 90+“ ist im Europäischen Arzneibuch derzeit nicht vorgesehen. Die jeweils zuständigen Landesgesundheitsbehörden müssten klären, ob Mischungen der beiden unterschiedlichen Sauerstofftypen verwendet werden dürfen. Zu berücksichtigen ist ferner, dass es weder einen speziellen Farbcode noch Normstecker für O2 93 gibt, so dass wohl die für O2 100 normierten Steckverbindungen verwendet werden müssen und die Anwender durch entsprechende Beschriftung und Schulung auf den Austritt von O2 93 hingewiesen werden müssen.

    Zusammenfassung

    Der Verwendung von Sauerstoff 93 in deutschen Krankenhäusern stehen keine medizinischen Einwände entgegen. Die dargestellten gerätetechnischen Probleme können mit heutiger Technologie fraglos gelöst werden, sobald am Markt etablierte oder neue Hersteller die Nachfrage als wichtig genug einschätzen. Das gleiche gilt für die regulatorischen Voraussetzungen, die sicherlich auch an sich ändernde Versorgungsmöglichkeiten angepasst werden können, wenn entsprechend breites öffentliches Interesse erkennbar ist.

    Danksagungen

    Die Autoren danken Prof. CP Criée, Göttingen, Prof. E. Herting, Lübeck, und Prof. M. Quintel, Göttingen, für anregende Hinweise und Diskussionsbeiträge. Der Firma F. Stephan Medizintechnik GmbH (Gackenbach) danken die Autoren IM, KZ und JR für finanzielle Unterstützung. z

    Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Herausgeber der Zeitschrift „Anästhesiologie&Intensivmedizin“
    Erstabdruck in: Anästh Intensivmed 2013;54: 466-472 Aktiv Druck & Verlag GmbH

    Datum: 20.08.2015

    Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2015/2

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