29.08.2016 •

    Military Health System

    Aus dem Office of the Assistant Secretary of Defense, USA

    Das amerikanische Military Health System stellt als weltweit größter Sanitätsdienst die sanitätsdienstliche Versorgung der Streitkräfte im gesamten Spektrum des Auftrags sicher und ist darüber hinaus ein umfassendes Gesundheitssystem für alle seine Leistungsempfänger [1].

    Die Anfänge des amerikanischen Sanitätsdienstes reichen über zwei Jahrhunderte zurück. Bereits im Jahr 1799 beschloss der US-amerikanische Kongress die Behandlung aktiver Soldaten (“regimental sick” bzw. “relief of sick and disabled seamen” [2]). Der Erste Weltkrieg und der zweite Weltkrieg stellten aufgrund hoher Verwundetenzahlen und veränderter Verletzungsmuster neue Anforderungen an den amerikanischen Sanitätsdienst. Gesetze und Verordnungen nach 1956 erweiterten den Versorgungsauftrag des Military Health Systems schrittweise über den aktiven Soldaten hinaus auf weitere Gruppen als Leistungsempfänger. Heutzutage werden neben den aktiven Soldaten auch Reservisten, ehemalige Soldaten und ihre Angehörigen im Rahmen freier Kapazitäten, jedoch mit gewissen Einschränkungen und Zuzahlungen versorgt.

    Das Military Health System ist Teil des amerikanischen Verteidigungsministeriums (Department of Defense). Aufgrund der Aufgabenvielfalt und des großen Kreises an Leistungsempfängern (aktuell werden 9,4 Millionen Leistungsempfänger versorgt, davon ca. 1,3 Millionen aktive Soldaten und ca. 800 000 Reservisten) ist der amerikanische Sanitätsdienst das größte militärische Gesundheitssystem weltweit [3]. Das System umfasst alle Bereiche angefangen von den Aufgaben eines Gesundheitsversicherers bis hin zur Behandlung und Leistungserbringung in den Medical Treatment Facilities bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Einsatzbereitschaft des Sanitätsdienstes mit hoher Priorität. Neben dem Herstellen und Halten der Einsatzbereitschaft sanitätsdienstlicher Kräfte und der sanitätsdienstlichen Unterstützung im Einsatz (“Ready Medical Force”) stellen die Sanitätsdienste der Army, Air Force und Navy mit ihren insgesamt 57 Krankenhäusern und ihren über 400 primär auf die ambulante Behandlung spezialisierten Kliniken (“Clinics”) sicher, dass die amerikanischen Soldaten gesund und einsatzbereit (“Medically Ready Forces”) sind, um kurzfristig weltweit in einen Einsatz verlegen zu können. Die Leistungserbringung umfasst dabei u. a. die Gesundheitsversorgung, die sanitätsdienstliche Ausbildung, den Gesundheitsschutz, die Zusammenarbeit mit zivilen Partnern und die wehrmedizinische Forschung und Entwicklung. Mit mehr als 133 000 zivilen und militärischen Ärzten, Zahnärzten, Pharmazeuten, Veterinären, Krankenschwestern, Sanitätern, Spezialisten, Ausbildern und Wissenschaftlern weltweit werden die Patienten stationär und ambulant versorgt, der Gesundheitsschutz sichergestellt bzw. wehrmedizinisch relevante Themen im Auftrag des Department of Defense erforscht [1]. Über 50 000 Geburten und 50 Millionen Verschreibungen unterstreichen den Umfang und die Aufgabenvielfalt dieses Sanitätsdienstes [1].

    Kleiner werdende Streitkräfte, ein immer größer werdender Kreis an Leistungsempfängern und steigende Ausgaben für die Gesundheit, Gesunderhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit der Leistungsempfänger (das Budget des Military Health Systems beträgt über 50 Milliarden Dollar pro Jahr [1]) führten 1994 zur Initiierung des TRICARE Programms zur besseren Kontrolle der Kosten. Das TRICARE Programm stellt die medizinische Versorgung der Leistungsempfänger durch die Behandlung in militärischen Behandlungseinrichtungen (Clinics und Hospitals) aber auch über zivile Vertragspartner sicher. Die durch das Department of Defense finanzierte Leistungserbringung für die Soldiers, Sailors, Airmen, Marines und Coast Guardsmen aber auch für die Angehörigen und Ehemaligen erfolgt heutzutage zu ca. 40 % in den Behandlungseinrichtungen der Teilstreitkräfte Army, Air Force und Navy (die Marines verfügen über keine eigenen festen Behandlungseinrichtungen) und zu 60 % in Kliniken ziviler Vertragspartner [4].

    Trotz bereits erfolgter Reformen in den letzten Jahrzehnten sieht sich der amerikanische Sanitätsdienst auch heutzutage Kritik der Patienten, der

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    Tab. 1: Zahlen, Datben, Fakten
    Öffentlichkeit und insbesondere des Kongresses ausgesetzt. Ineffizienz, hohe Kosten, Intransparenz und lange und komplizierte Wege zu einem Arzttermin werden dem System und dem zuständigen Assistant Secretary of Defense for Health Affairs Dr. Woodson z. B. in Anhörungen des Kongresses vorgeworfen [4]. Um dieser Kritik zu begegnen konzentriert sich das Military Health System in Programmen seit Jahren insbesondere auf die Messung und Verbesserung der Behandlungsqualität, der Behandlungsergebnisse, der Patientenzufriedenheit, dem vereinfachten Zugang zu Behandlungsterminen und einer verstärkten Transparenz, um fachlich dem Stand von Wissenschaft und Technik zu entsprechen und eine zeitlich verfügbare und qualitativ hochwertige medizinische Versorgung sicherzustellen. Die Kooperation mit zivilen Gesundheitseinrichtungen und die Öffnung der eigenen Behandlungseinrichtungen für zivile Patientengruppen zeichnen sich genauso als aktuelle Trends in der Entwicklung des Military Health Systems ab, wie die zunehmende Zentralisierung und Koordinierung der medizinischen Versorgung der festen medizinischen Einrichtungen.

    Ein Beispiel dieser Trends stellt die Gründung der Defense Health Agency (DHA) im Jahr 2013 dar. Die DHA übernimmt zunehmend zentral-steuernde Aufgaben als “Joint and Integrated Combat Support Agency” (1) zur Unterstützung der Teilstreitkräfte, um so den regionalen „Unified Combatant Commands“ (Kommandos mit regionaler oder funktionaler Verantwortung, die den Einsatz der bereitgestellten Truppen in ihrem jeweiligen Verantwortungsbereich weltweit führen) medizinisch, sanitätsdienstlich einsatzbereite Truppen und einsatzbereite sanitätsdienstliche Truppen zur Verfügung stellen zu können. In zehn sogenannten “Integrated Shared Services” werden unter anderem Aufgaben der Pharmazie, des TRICARE Programms, der medizinischen IT, des Betreibens von Behandlungseinrichtungen, der sanitätsdienstlichen Logistik, der Finanzen, der Beschaffung und Vertragsgestaltung, der Forschung und Entwicklung, des Gesundheitsschutzes und der sanitätsdienstlichen Ausbildung zentral koordiniert [1]. Einsparungen von über 3,5 Milliarden Dollar in den letzten fünf Jahren rechtfertigen den Effizienzgewinn dieser Organisation [4].

    Als weiteres Beispiel einer TSK-übergreifenden Zusammenarbeit werden an sechs besonders großen militärischen Stützpunkten, an denen mehr als eine Teilstreitkraft eine Sanitätseinrichtung betreibt, bereits jetzt der Patientenkontakt, der fachliche Austausch und die Zusammenarbeit in der Behandlung der Patienten in sogenannten “Enhanced Multi-Service Markets” TSK-übergreifend zusammengefasst und koordiniert. Bereits 40 % der Behandlungen in militärischen Behandlungseinrichtungen werden aufgrund der Größe und Anzahl der Standorte und der damit verbundenen Anzahl an Soldaten und Angehörigen in diesen Multi-Service Markets durchgeführt [4].

    Kritik aus den Reihen der Patienten wird mit Anpassungen des TRICARE Programms, welches eine hohe Reputation im Vergleich zu zivilen Gesundheitssystemen in den USA genießt, begegnet. Die verstärkte Zusammenarbeit des TRICARE Programms mit zivilen Vertragspartnern, insbesondere in abgelegenen Gegenden, erhöht die Flexibilität des Military Health Systems, schont eigene Ressourcen, führt zu einem schnelleren und leichteren Zugang zu einem Arzttermin und damit zu einer höheren Akzeptanz der Leistungsempfänger. Die Öffnung der Militärkrankenhäuser für zivile Patienten und die Kooperation mit regionalen Partnern (z. B. die verstärkte Zusammenarbeit mit den Krankenhäusern des US Department of Veteran Affairs oder die Öffnung des San Antonio Level 1 Trauma Zentrums und des Verbrennungszentrums für zivile Patienten) verbessern die Auslastung der Einrichtungen und bieten aufgrund erweiterter Patienten- und Krankheitsprofile eine optimierte Aufrechterhaltung der medizinischen Fähigkeiten des sanitätsdienstlichen Personals für die Auslandseinsätze der amerikanischen Streitkräfte.

    Die zunehmende Nutzung moderner Medien und Lösungen aus dem Bereich TeleHealth, zentrale Terminvermittlungen, die Einführung einer neuen elektronischen Gesundheitsakte unter Nutzung eines kommerziellen Produktes in 2016 mit der Möglichkeit der Kontaktaufnahme mit dem Arzt und der Einsicht von Behandlungsdokumenten durch den Patienten, die Implementierung von Smartphone Applikationen in 2016 sowie die bereits in 2014 erfolgte Einführung einer telefonischen “Nurse Advice Line” sind Beispiele der Nutzung moderner Medien und der Fokussierung auf den Patienten. Sie sollen die Kommunikation mit den Patienten verbessern und zu mehr Transparenz und Funktionalität für die betroffenen Patienten führen [4].

    In seiner Qualität unbestritten und mit Stolz akzeptiert ist in den USA der Bereich des “Combat Casualty Care” [4]. Die sanitätsdienstliche Versorgung der Soldaten im Einsatz wurde unter anderem über das “Joint Trauma System” und die konsequente Nutzung der generierten Daten in seiner Behandlungskontinuität so weiterentwickelt, dass die amerikanischen Soldaten derzeit von einer historisch hohen Überlebensrate von 92 % bei Verwundung im Einsatz profitieren [4]. Das Joint Concept for Health Services der Joint Chiefs of Staff [5] beschreibt hier eine über die Teilstreitkräfte hinweg abgestimmte Vision, welche sanitätsdienstliche Unterstützung ein “collective medical enterprise” [5], also ein sanitätsdienstliches Gesamtsystem, zur Unterstützung weltweit eingesetzter streitkräftegemeinsamer Operationen in Zukunft bereitstellen sollte.

    Innerhalb des Department of Defense stellt das amerikanische Military Health System im Vergleich zu anderen Sanitätsdiensten nicht nur die sanitätsdienstliche Versorgung der aktiven Soldaten sicher, sondern betreibt ein umfassendes Gesundheitssystem, das u. a. Angehörige und ehemalige Soldaten einbezieht. Strukturen, Ressourcen, die Quantität und Qualität der Behandlungseinrichtungen sind daran ausgerichtet. Mit großem Ressourcenaufwand wird der größte Sanitätsdienst der Welt betrieben, der sich aber auch der Kritik hoher Kosten und verminderter Effizienz ausgesetzt sieht. Mit Programmen zur Effizienzsteigerung, einem zeitgemäßen Einsatz von patientenorientierten IT-Lösungen, der Öffnung der Behandlungseinrichtungen zur Behandlung Dritter und zunehmender zentraler Koordination begegnet das Military Health System aktuell diesen Herausforderungen.

    Die Mission des Military Health Systems spiegelt sich dabei in seinen vier Zielen wieder:

    Improve Readiness, Better Health, Better Care, Lower Costs.
     


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    Dr. Jonathan Woodson Bild (www.defense.gov)
    Dr. Woodson - Assistant Secretary of Defense for Health Affairs [1]

    Dr. Jonathan Woodson ist seit 2010 der Assistant Secretary of Defense for Health Affairs im Department of Defense (DoD). In seiner Funktion ist er der primäre sanitätsdienstliche Berater des US Verteidigungsministers, er stellt den sanitätsdienstlichen Auftrag innerhalb des DoD sicher und ist verantwortlich für das Gesamtbudget des Military Health Systems. Er ist unter dem Undersecretary for Personnel and Readiness verantwortlich für Grundsatzentscheidungen der sanitätsdienstlichen Versorgung.

    Dr. Woodson ist Vorgesetzter der Defense Health Agency (DHA), der Uniformed Services University of the Health Sciences (USUHS), des Armed Forces Radiobiology Research Institute (AFRRI), des Defense Center of Excellence for Psychological Health and Traumatic Brain Injury (DCoE), des Armed Forces Institute of Pathology und des Armed Services Blood Program Office.

    Dr. Woodson war als Chirurg und Gefäßchirurg vor seiner Ernennung durch Präsident Obama stellvertretender Dekan für Diversity und Multicultural Affairs und Professor für Chirurgie an der Boston University School of Medicine (BUSM). Dr. Woodson ist als Reservist Brigade General der U.S. Army. Anfang Mai 2016 wird Dr. Woodson das Department of Defense verlassen.

    Mehr zu seiner Person unter: http://www.health.mil/
     



     

    Quellen

    [1] http://www.health.mil/

    [2] Burrelli, D., in Military Pay, Benefits and Retirement, Lund J. (Hrsg.), Nova Science Publ., 2004

    [3] Department of Defense, Task Force on the Future of Military Health Care-Final Report, Internet: http://www.dcoe.mil/content/Navigation/Documents/103-06-2-Home-Task_Force_FINAL_REPORT_122007.pdf, 2007

    [4] United State Senate Committee on Armed Services, Hearing on Defense Health Care Reform, 23. Februar 2016, http://www.armed-services.senate.gov/hearings/16-01-12-defense-health-care-reform

    [5] Joint Chiefs of Staff, Joint Concept for Health Services, http://www.dtic.mil/doctrine/concepts/joint_concepts/joint_concept_health_services.pdf , 2015

    Anschrift des Verfassers:

    Oberstarzt Dr. Kai-Siegfried Schlolaut
    Office of the Assistant Secretary of Defense
    Health Affairs
    Verbindungsoffizier
    7700 Arlington Blvd.
    Falls Church, VA 22042

    E-Mail: KaiSiegfriedSchlolaut@bundeswehr.org

     

     

    OBERSTARZT DR. MED. KAI-SIEGFRIED ­SCHLOLAUT

    Dienstlicher Werdegang...  

    • 01.07.1987: Beginn der Laufbahn als Sanitätsoffizieranwärter, Sanitätsakademie München
    • 1988 - 1994: Beurlaubung zum Humanmedizin-Studium,
    • Rheinisch-Westfälisch Technische Hochschule Aachen
    • 10.1994: 3. Staatsexamen
    • 11.1994 - 01.1997: Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz, Abteilung X (Anästhesie, Intensiv­medizin, Notfallmedizin), Weiterbildungsassistent
    • 02.1997 - 10.1998: Heeresfliegerwaffenschule Bückeburg, Truppenarzt
    • 11.1998 - 06.1999: Heeresfliegerwaffenschule Bückeburg,
    • Fliegerarzt und S 3 StOffz bei ­Leitendem Fliegerarzt des Heeres
    • 07.1999 - 10.2001: Luftlandesanitätskompanie 270 Varel, Kompaniechef
    • 11.2001 - 08.2003: Sanitätsführungskommando Bonn,
    • Dezernent Einsatzplanung/Grundlagen bei G 3
    • 09.2003 - 04.2005: Sanitätsführungskommando Bonn/Koblenz,
    • Dezernatsleiter Internationale Zusammenarbeit bei G 3
    • 05.2005 - 03.2006: Sanitätskommando II Diez an der Lahn, Abteilungsleiter G 1
    • 04.2006 - 10.2007: Sanitätsführungskommando Koblenz,
    • Dezernatsleiter G 1.1 Personalgrundlagen
    • 11.2007 - 08.2010: Sanitätsregiment 32 Weißenfels, Regimentskommandeur
    • 09.2010 - 08.2012: Bundesministerium der Verteidigung, Presse-/Informationsstab, Pressesprecher
    • 09.2012 - 06.2013: Kdo SES Kommandobereich Initial Entry Forces, Kommandeur
    • 07.2013 - 02.2016: Kdo SanDst, Referatsleiter IX 3 Trdstl PersMngmt

    Derzeitige Verwendung...

    • seit 03.2016: Sanitätsverbindungsoffizier zum amerikanischen Sanitätsdienst            

    Einsätze...

    • 08.1996 - 01.1997: IFOR Kroatien, BAT Arzt
    • 06.1998 - 08.1998: SFOR Bosnien, Fliegerarzt
    • 04.1999 - 06.1999: SFOR Bosnien, Fliegerarzt
    • 06.2002 - 09.2002: ISAF Afghanistan, G 3 SanFü SanEinsVbd KABUL
    • 11.2004 - 01.2005: SAF Afghanistan, BSO/KpChef SanKp KUNDUZ
    • 01.2010 - 05.2010: KFOR Kosovo, StvKdr SanEinsVbd und GMed MNBG South

    Qualifikationen / Fertigkeiten (SLP etc.)...

    • 2014: MBA Health Care Management, Berlin School of Economics and Law, Institute of Manage­ment, Berlin

     

    Datum: 29.08.2016

    Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2016/2

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