BRAND AUF DER FÄHRE MS LISCO GLORIA
ZIVIL-MILITÄRISCHE ZUSAMMENARBEIT BEI EINEM SCHWEREN SEENOTFALL
Einsatzbericht aus Sicht des ersteintreffenden Marinearztes und des Leitenden Notarztes See
Am Samstag, 09. Oktober 2010, brach kurz nach Mitternacht auf der Autofähre MS LISCO GLORIA, während der Reise von Kiel nach Klaidpeda in Litauen rund fünf Seemeilen nordwestlich von Fehmarn, auf dem Fahrzeugdeck des Schiffes ein Feuer aus.
Als Ursache wurde ein Kurzschluss im Kühlaggregat eines LKW Trailers vermutet, der zum Ausbruch eines Feuers führte, das sich in sehr kurzer Zeit über das gesamte Fahrzeugdeck der Fähre ausbreitete.
Bei diesem Schiff handelt es sich um eine Roll-on-Roll-off-Fähre (200 m Länge, 25 m Breite, 6,3 m Tiefgang) mit Kabinen für maximal 600 Passagiere. Zum Zeitpunkt des Unglücks befanden sich auf der Fähre 32 Besatzungsmitglieder und 204 Passagiere.
Der Notruf des Kapitäns lief gegen 00:16 Uhr beim Maritime Rescue Coordination Center (MRCC) der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) in Bremen auf. Nachdem Löschversuche der Besatzung keinen Erfolg zeigten, mussten die Passagiere in die Rettungsboote und Rettungsinseln evakuiert werden, das Schiff wurde von der Besatzung aufgegeben.
Wetterbedingungen in dieser Nacht: Luftund Wassertemperatur ca. 12 °C, Dünung ca. 1 Meter, Windgeschwindigkeit 15-20 Knoten.
Kurz nach Eingehen des Notrufes beim MRCC übernahm das Havariekommando in Cuxhaven die Gesamtleitung des Einsatzes.
Das Havariekommando
ist eine, seit 2003 bestehende, gemeinsame Einrichtung des Bundes und der Länder zur Planung, Vorbereitung, Übung und Durchführung von Maßnahmen zur Schadstoffunfallbekämpfung, Brandbekämpfung und Verletztenversorgung bei komplexen Schadenslagen auf See.
Zur Bewältigung solcher Schadenslagen auf See hält das Havariekommando (HK) ständig, neben einem maritimen Lagezentrum(MLZ), Brandbekämpfungseinheiten (BBE) und Teams zur Verletztenversorgung See (VVT) in Bereitschaft.
Bei komplexen Schadenslagen wird ein Havariestab einberufen, der die Gesamteinsatzleitung übernimmt und das einheitliche und koordinierte Vorgehen aller Einsatzkräfte des Bundes und der Küstenländer ermöglicht.
Eine BBE besteht aus 10 Einsatzkräften (1-1- 8) , ein Team der Verletztenversorgung aus 6 Mitgliedern, 2 Ärzten und 4 Rettungssanitätern / Rettungsassistenten. Das ersteintreffende Team stellt den Leitenden Notarzt See (LNA See).
Weiterhin kann das Havariekommando zur Bekämpfung der Schadenslage auf alle auf See und im Küstenbereich zuständigen Behörden und sonstiger Einrichtungen des Bundes und der Länder zurückgreifen. Bei zu diesem Zeitpunkt noch unklarer Entwicklung der Lage am Schadensort wurden vom Havariekommando zahlreiche Einsatzkräfte alarmiert, darunter Brandbekämpfungseinheiten aus Lübeck, Flensburg, Kiel, Hamburg, Cuxhaven, Brunsbüttel und Ros - tock, Verletztenversorgungseinheiten aus Bremen, Hamburg und Kiel.
Da es sich in dem Seegebiet der Havarie um eine viel befahrene Wasserstraße handelt, nahmen nach Eingehen des Notrufes zahlreiche Schiffe aus der Nähe Kurs auf den Havaristen.
Das militärisch besetzte Rescue Coordination Center (RCC) in Glücksburg wurde ebenfalls informiert. Ein Hubschrauber vom Typ Sea King wurde zum Ort des Unglücks beordert. Als der primär alarmierte Sea King Hubschrauber an der Einsatzstelle ankam, konnte das Feuer an Bord der LISCO GLORIA nicht mehr mit Bordmitteln bekämpft werden (Abb.1). Zu diesem Zeitpunkt, gegen 01:20 Uhr, waren alle Passagiere und Besatzungsangehörige von Bord in die Rettungsboote und Rettungsinseln evakuiert worden.
Kurze Zeit später wurden die Schiffbrüchigen aus den Rettungsmitteln von einem Schiff der Bundespolizei, der NEUSTRELITZ aufgenommen. Dieses Schiff war jedoch für die Versorgung und den Transport aller Personen zum Land zu klein.
Die Fähre MS DEUTSCHLAND, die in dieser Nacht regelmäßig zwischen Puttgarden auf der Insel Fehmarn und dem Hafen Rödby in Dänemark verkehrte, hatte kurz nach Ausbruch des Feuers den Hilferuf der Lisco Gloria aufgenommen und sofort Kurs auf den Havaristen genommen. So konnten die Schiffbrüchigen schon kurz nach der Aufnahme durch die NEUSTRELITZ von der DEUTSCHLAND übernommen werden.
Zum Unglückszeitpunkt lag die Fregatte RHEINLAND-PFALZ über das Wochenende im Marinestützpunkt in Kiel. Durch das RCC Glücksburg wurde um kurz vor 1:00 Uhr der Einsatz des (zufällig an Bord befindlichen) Schiffsarztes, Oberstabsarzt Dr. Brunn, angeordnet. Weiteres Personal oder Material wurde zu diesem Zeitpunkt nicht angefordert.
Die Ärztin wurde zum Marinefliegergeschwader 5 (MFG 5) in Kiel-Holtenau gebracht und dort mit Kälteschutzanzug und Rettungsweste ausgestattet, über den aktuellen Sachstand informiert und stand für den weiteren Einsatz zur Verfügung.
Durch den im Einsatz befindlichen Hubschrauber wurden drei Verletzte direkt zum Marinefliegerhorst in Kiel Holtenau geflogen. Einer der Passagiere hatte den Alarm an Bord der Fähre offensichtlich überhört und hatte den Weg in eines der Rettungsmittel nicht mehr gefunden. Die Rettung erfolgte durch die Besatzung des Hubschraubers aus der Luft mit dem Rettungsnetz aus einem eingeschlagenen Bulleye der brennenden Fähre.
Die Verletzten wurden auf dem Fliegerhorst durch den Schiffsarzt gesichtet und anschließend an den zivilen Rettungsdienst übergeben. Im Anschluss an die Sichtung der Verletzten wurde Dr. Brunn nach Anweisung des RCC mit dem Sea King direkt zur Einsatzstelle geflogen. Weiteres Personal oder Sanitätsmaterial wurde nicht gestellt.
Es wurde angewiesen, den Schiffsarzt der RHEINLAND-PFALZ auf die Fähre DEUTSCHLAND zu bringen, um dort eine erste Sichtung vorzunehmen. Gegen 03:20 Uhr wurde die Ärztin abgewinscht und nahm ihre Arbeit auf dem Fährschiff auf.
Bei der Bewältigung der anstehenden Aufgaben halfen die umfangreiche und praxisnahe Ausbildung und das kontinuierliche Üben bei der Marine. Hierbei erwies es sich als großer Vorteil, dass sich die Fregatte RHEINLANDPFALZ gerade im Einsatzausbildungsprogramm befand und im Rahmen dessen verschiedene Gefechts- und Notfallsituationen beständig über Monate hinweg trainiert wurden. Sei es das Abwinschen aus einem Hubschrauber (in diesem Fall erstmals mitten in der Nacht auf ein fremdes Schiff) oder die Vorgehensweise beim Absetzen auf eine unbekannte Plattform in einem Seenotfall. Auch auf der DEUTSCHLAND bestätigte sich, dass es unerlässlich ist, sich zuerst bei der Schiffsführung an Bord zu melden und sich im Schiff nur in Begleitung eines ortskundigen Besatzungsmitgliedes zu bewegen. Hilfreich war auch das in den letzten Wochen trainierte Vorgehen bei einem Massenanfall von Verletzten (MANV), denn zu diesem Zeitpunkt war nicht bekannt, welche Verletztensituation sich darbieten würde.
Die Schiffbrüchigen waren, von den eigentlichen Passagieren der Fähre DEUTSCHLAND getrennt, auf Deck 7 in einem Aufenthaltsbereich untergebracht (Abb.2). Von der Besatzung der DEUTSCHLAND wurden sie bereits mit Decken und Getränken versorgt. Zwei weibliche Schiffbrüchige waren schon beim Eintreffen auf dem Schiff von der Besatzung als behandlungsbedürftig eingeschätzt worden und befanden sich auf Deck 6 im Bordhospital. Dorthin wurde der Schiffsarzt als erstes gebracht.
Nachdem eine kurze Sichtung ergeben hatte, dass keine akut lebensbedrohlichen Verletzungen vorlagen, begab sich der Schiffsarzt wieder zurück auf Deck 7 zu den restlichen Passagieren. Durch den ständigen Kontakt zu einem Besatzungsmitglied war es möglich, jederzeit mit der Schiffsführung und ggf. über diesen Weg mit der Einsatzleitung zu kommunizieren. Weiterhin konnte das Besatzungsmitglied den Arzt bei der Dokumentation unterstützen.
Um die Sichtung aller Schiffbrüchigen zu erleichtern, wurde das Deck in Aufenthaltsbereiche separiert, um danach die Passagiere in allen Bereichen systematisch zu erfassen. Als besonders effektiv erwies es sich, von einem Schiffbrüchigen zum nächsten zu gehen und jeden einzelnen kurz zu sichten. Und auch hier zeigte sich, wie hilfreich die ausgebildete und in unzähligen Gefechtsdiensten geübte Schnellsichtung („Kannst Du reden, kannst Du gehen, kannst Du mir die Zunge rausstrecken“) sein kann. Auf Grund der hohen Anzahl der zu sichtenden Schiffbrüchigen beschränkte sich die erste Sichtung auf eine mündliche Abfrage, ob Beschwerden bestehen. Die Kommunikation erfolgte auf Englisch, Deutsch, Russisch und in Zeichensprache, was sich für diesen Zweck als ausreichend herausstellte.
Die als behandlungsbedürftig identifizierten Verletzten wurden in den Bereich vor das Bordhospital gebracht, wo sich auch ein Wartebereich mit ausreichend Sitzmöglichkeiten befand (Abb. 3).
Auf diese Art und Weise konnten alle 236 Schiffbrüchigen innerhalb von 35 Minuten erfasst und gesichtet werden. Die Dokumentation der Sichtung beschränkte sich, in Ermangelung vorbereiteter formatierter Listen an Bord, auf eine Strichliste mit der Anzahl der Verletzten in den entsprechenden Kategorien. Nach Abschluss dieser ersten Sichtung erfolgte die unverzügliche Meldung an die Brücke über die Anzahl an behandlungsbzw. kontrollbedürftigen Verletzten sowie die Information, dass sich keine Schwerverletzten unter den Schiffbrüchigen befanden, die sofort hätten ausgeflogen werden müssen.
Von den 236 an Bord befindlichen Schiffbrüchigen waren zu diesem Zeitpunkt 20 verletzt, diese Passagiere wurden zur weiteren Untersuchung und Therapie separiert. Von diesen Personen wurde eine Dokumentation mit den Basisdaten wie Name, Kategorie und Diagnose angelegt.
Die Behandlung der Verletzten erfolgte mit Sanitätsmaterial aus der Bordapotheke der DEUTSCHLAND. Hierbei handelt es sich um eine nach internationalen Standards festgelegte Ausstattung für eine allgemeinmedizinische Grundversorgung. Außer Sauerstoff stand keine große Auswahl relevanter Notfallmedikamente zur Verfügung. Für die Behandlung der vorliegenden Verletzungs-/Erkrankungsmuster und in Anbetracht des baldigen Einlaufens mit erweiterten Behandlungsmöglichkeiten war die Ausstattung jedoch ausreichend.
Auf zivilen Schiffen ist üblicherweise der zweite Wachoffizier für die medizinische Betreuung der Besatzung zuständig - qualifiziert durch ein Semester „Medizin an Bord“ während des Nautikstudiums und ein zweiwöchiges Krankenhauspraktikum. Dieser Offizier stand, nach Anforderung durch den Schiffsarzt der RHEINLAND-PFALZ, unterstützend für die Behandlung der Verletzten zur Verfügung und konnte nach kurzer Einweisung zur Blutdruck- und Blutzuckermessung sowie Wundversorgung eingesetzt werden. Daneben half zusätzlich noch ein weibliches Besatzungsmitglied bei der Betreuung der Verletzten.
Auch bei der Behandlung offenbarten sich Fallstricke. Zum einen erschwerten sprachliche Barrieren eine differenzierte Erfassung der Beschwerden. Zum anderen behinderte die Qualität des Bewusstseinszustands einiger Verletzter die Versorgung. So war z.B. einem betrunkenen russischen LKW-Fahrer nur schwer verständlich zu machen, warum er vor dem Hospital sitzen bleiben und regelmäßig der Blutdruck kontrolliert werden sollte, wenn ein Deck höher die LKW-Kollegen ausgelassen weiter Alkohol tranken. So entfernte sich auch der eine oder Patient wieder eigenmächtig aus dem Hospitalbereich, weil die Behandlungseinsicht nicht vorhanden war.
Die Fähre DEUTSCHLAND befand sich unterdessen auf dem Weg nach Kiel.
Zur Verbesserung der medizinischen Versorgungslage auf der Fähre wurde durch das Havariekommando das VVT Kiel in den Einsatz genommen. Nach Sammeln der Kräfte und anschließendem Transport zum MFG 5 in Kiel Holtenau erfolgte der Lufttransport per Sea King Hubschrauber zur Fähre DEUTSCHLAND. Das Winschmanöver des Teams und des Materials auf der DEUTSCHLAND erfolgte um 5:00 Uhr Höhe Leuchtturm Kiel. Sofort nach Eintreffen auf der Fähre ließ sich der Leiter des VVT auf der Brücke durch den Kapitän und die Ärztin der Marine ein Bild der aktuellen Lage geben.
Der LNA des Teams war bei ersteintreffendem VVT auch gleichzeitig Leitender Notarzt See für diesen Einsatzabschnitt. Wie bereits oben erwähnt, befanden sich an Bord der Fähre DEUTSCHLAND zu diesem Zeitpunkt 236 Passagiere der LG, davon ca. 20 Personen mit leichten Verletzungen, keine Patienten mit vitaler Bedrohung.
Deshalb war es möglich, dass nach der Übergabe der Lage der Schiffsarzt der Fregatte RHEINLAND-PFALZ mit dem Sea King zurück zum MFG 5 verbracht werden konnte. Von dort aus erfolgte später die Verlegung in den Marinestützpunkt Kiel zur anschließenden 3. Schleife der Sichtung nach Eintreffen der Fähre, darauf wird später noch eingegangen. Die anschließende Rückmeldung der Lage an das HK, die Leitstelle Kiel und den LNA Land in Kiel konnten bei aktueller Position der Fähre in Landnähe sehr gut per Mobiltelefon erfolgen.
Es waren keine weiteren VVT erforderlich. Anschließend erfolgte die Übernahme der Einsatzstelle mit bereits hervorragend geordneten Räumen auf der Fähre. Die verletzten Passagiere waren, wie schon beschrieben, vor dem kleinen Bordhospital untergebracht, die nicht verletzten Personen befanden sich ein Deck höher, somit lagen optimale und kurze Wege für die weiteren Maßnahmen vor. Es erfolgte die erneute Sichtung, zunächst der verletzten Personen und die Einteilung in das Lübecker Sichtungsdokumentationssystem Großunfall (LüDoG), danach nochmalige Sichtung aller anderen Passagiere, dabei stieg die Zahl der verletzten/erkrankten Personen auf 25 an.
Sichtungsergebnis
23 Personen LüDoG Kategorie grün, leicht verletzt/erkrankt.
2 Personen LüDoG Kategorie gelb, mittelschwer verletzt/erkrankt.
Dabei wurden folgende Verletzungen/ Erkrankungen differenziert:
Alle Personen mit leichter Rauchgasinhalation, (darunter 1 Säugling und 1 Kleinkind) mit unterschiedlichen Symptomen (u.a. Übelkeit, Kopfschmerzen, leichte Luftnot, Schmerzen im Bronchialsystem)
- 2 Patienten mit etwas schwererer Rauch - gas inhalation bei Asthma bronchiale in der Anamnese)
- 1 Patient mit Brandverletzung, Grad IIA
- 1 Patient mit Distorsion des Sprunggelenkes
- 1 Patient mit Platzwunde an der Schläfe
- 2 Patienten mit Art. Hypertonus in der Anamnese und mit akut deutlich erhöhten Blutdruckwerten
- 2 Patienten mit Hyperglykämie bei Diabetes mellitus
- Im Verlauf 1 Patient mit hochakutem Abdomen und klinischem V.a. akute Appendizitis
Nach Sichtung erfolgte die medizinisch therapeutische Versorgung der Patienten. Das VVT, wie auch schon vorher die Ärztin der Marine, wurden jederzeit von der Besatzung der „Deutschland“ hervorragend unterstützt, an der Seite des LNA See befand sich stets ein Verbindungsoffizier.
Vom HK war der Marinehafen Kiel Wik als Zielhafen festgelegt worden. Mit den vom LNA See übergebenden Informationen waren die Landrettungskräfte in der Lage, rechtzeitig medizinische Behandlungsmöglichkeiten für ca. 25 verletzte Personen und Betreuungsmöglichkeiten für ca. 210 Passagiere zu organisieren. Dieser Zielhafen verfügte jedoch nicht über entsprechende Passagierbrücken, die den Passagieren ein Verlassen des Schiffes über die dafür vorgesehenen Ausstiegsluken, wie in den Fährhäfen, ermöglicht hätte. Diese Luken lagen deutlich über dem Niveau des Kais im Marinehafen in Kiel.
Glücklicherweise verfügte die Fähre über eine Lotsenluke, die sich auf einer Höhe mit der Kaimauer befand. Dieser Punkt stellt bei der Evakuierung der Passagiere von Schiffen eine große Herausforderung dar. Es kann äußerst schwierig und zeitaufwendig sein, die Passagiere von Bord zu evakuieren, ggf. muss für diese Maßnahme ein erheblicher Aufwand betrieben werden, wie z.B. den Bau von Brücken, Rampen etc. von der Kaimauer zu den Ausstiegsluken. Gegen 6:00 Uhr machte die Fähre DEUTSCHLAND im Hafen fest.
Einsatzabschnitt Marinehafen Kiel Wik
Nach Anlegen des Schiffes erfolgte die Kontaktaufnahme des LNA See mit dem Einsatzleiter der BF Kiel, dem LNA Land und der Wasserschutzpolizei. Nach Übergabe der aktuellen Lage wurden die nächsten erforderlichen Schritte festgelegt:
- Registrierung aller Passagiere durch die Wasserschutzpolizei.
- Übergabe der Patienten an den Land-Rettungsdienst.
- Dabei nochmalige Sichtung durch einen Sichtungsarzt und die Ärztin der Marine, die sich mittlerweile im Marinehafen befand.
- Transport der Patienten und Passagiere zum Behandlungsplatz (BHP).
- Versorgung der Verletzten im BHP.
- Betreuung aller Passagiere mit Nahrungsmitteln, Kleidung und Decken.
Der Liegeplatz der DEUTSCHLAND lag am Ende einer langen, schmalen Hafenmole (Abb. 4). Ursprünglich war geplant, die Verletzten mit RTW und KTW, die nicht verletzten Passagiere mit Bussen der Kieler Verkehrsgesellschaft zu transportieren. Bei der schmalen Mole war ein Wenden der Busse auf dem Molenkopf nicht möglich, somit blieb nur der Shuttle-Transport aller Passagiere mit RTW / KTW / MTW. Um eine Auskühlung der Passagiere zu verhindern, wurden diese erst dann in Gruppen zusammen vom Schiff geführt, als genug Transportkapazitäten zum sofortigen Transport zur Verfügung standen. Zuerst verließen die verletzten Personen die DEUTSCHLAND, gefolgt von allen anderen Passagieren. Direkt vor Verlassen der Fähre wurden alle Personen von der Wasserschutzpolizei registriert, dieses wurde parallel von 5 Teams durchgeführt.
Ordnung der Räume im Marinehafen Kiel
Zur Einrichtung des Behandlungsplatzes sowie der Betreuungsplätze standen im Marine Stützpunkt eine Turnhalle und das Offizierskasino zur Verfügung (Abb. 5). Die Turnhalle wurde in der Mitte durch Planen geteilt, so entstanden auf der einen Seite abgetrennte Räume für den BHP der verletzten Patienten, auf der anderen Seite ein Raum für die Betreuung der leicht und der nicht verletzten Passagiere (Abb. 6 + 7). Es wurde schnell klar, dass für 236 Personen das Platzangebot nicht ausreichte, deshalb der Entschluss zur Eröffnung eines weiteren BHP im Offizierskasino zur Versorgung einer ganzen Schulklasse.
So war es sehr gut möglich, alle Verletzten entsprechend medizinisch zu behandeln, die restlichen Passagiere mit Nahrungsmitteln, Decken und Bekleidung zu versorgen. Insgesamt waren an der Rettungsaktion und der Versorgung an Land 250 Einsatzkräfte der Berufsfeuerwehr Kiel, vieler freiwilliger Feuerwehren, der Hilfsorganisationen ASB, DRK, JUH und MHD sowie Kräfte der psychosozialen Notfallversorgung beteiligt. Alle Einsatzkräfte wurden von zahlreichen Marinesoldaten unterstützt.
Bei den Passagieren handelte es sich überwiegend um Bürger aus dem Baltikum, die auf dem Weg in ihre Heimat waren. Da das nächste Schiff in Richtung Litauen erst am Abend auslief, organisierte die Reederei in Absprache mit der Wasserschutzpolizei bei laufenden Ermittlungen zur Brandursache die Unterbringung der Passagiere in einem Hotel in Kiel.
Bewertung des Einsatzes Verletztenversorgung See und Land
Die Havarie der LISCO GLORIA führte zum ersten Real-Einsatz eines VVT in der Geschichte des HK. In den vergangenen Jahren hatte es unter der Regie des HK viele Übungen gegeben, häufig unter der Mitwirkung von zahlreichen Einsatzkräften der Marine. Die letzte Großübung hatte unter anderem das Ziel, die Zusammenarbeit zwischen den Einsatzkräften See und Land zu üben und fand erst 2 Wochen vor der Havarie statt. Das vom HK gesetzte Ziel, die Verletztenversorgung und Brandbekämpfung auf See bei einem größeren Schadenszenario erfolgreich durchzuführen, ist erreicht worden. Die Anstrengungen der letzten Jahre im Havariekommando in Cuxhaven sowie in den Stützpunkten der Verletztenversorgung und Brandbekämpfung, wie die Ausbildung, die Weiterbildung, die Durchführung von Übungen und nicht zuletzt die erheblichen Investitionen des Bundes und der Länder zeigen sich als gerechtfertigt und sollten in diesem Sinne weitergeführt und ausgebaut werden.
Bei ähnlichen Fährbränden in den letzten 20 Jahren hatte es, neben einer großen Anzahl von Verletzten, immer Tote im zwei- bis dreistelligen Bereich gegeben. Dass bei diesem Unglück nicht viele Menschen ernsthaften Schaden genommen haben, ist neben der professionellen Arbeit der Einsatzkräfte vielen glücklichen Umständen zu verdanken: Zuerst muss in diesem Zusammenhang der Kapitän und die Mannschaft der LISCO GLORIA genannt werden, durch deren schnelles und umsichtiges Handeln und die sofortige Evakuierung der Fähre weitaus Schlimmeres verhindert werden konnte.
Weiterhin waren die Wetterlage, als auch die Jahreszeit mit noch milden Temperaturen günstig für die Evakuierung der Fähre. Die Gesamtanzahl der Passagiere lag in einem niedrigen Bereich. Die Anzahl der Verletzten, als auch der Schweregrad der Verletzungen waren glücklicherweise gering. Weiterhin befand sich der Ort der Havarie in Landnähe und an einer viel befahrenen Wasserstraße, Hilfsschiffe konnten den Havaristen schnell erreichen. Die Infrastruktur und die Versorgung der Küstenländern östlich Mecklenburg-Vorpommerns ist sicher deutlich schlechter als in Deutschland. Wäre das Feuer Stunden später ausgebrochen, das Einsatzergebnis hätte sich wohl erheblich verändert.
Das hervorragende Gesamtergebnis des Einsatzes bei der Brandbekämpfung und der Verletztenversorgung ist auf die sehr gute Zusammenarbeit vieler Einsatzkräfte, Behörden und Organisationen unter Leitung des Havariekommandos zurückzuführen. Stellvertretend genannt für alle seien an dieser Stelle die Marine mit den Hubschraubern des MFG 5 sowie Einsatzkräfte auf See und an Land, die Marineärztin als ersteintreffendes medizinisches Personal, die Schiffe und Hubschrauber der Bundespolizei, die Schiffe und Besatzungen zahlreicher Bundesbehörden, das MRCC und die Schiffe der DGzRS, die Besatzung des Fährschiffes DEUTSCHLAND, die Wasserschutzpolizei, die Einsatzkräfte der zahlreichen Brandbekämpfungseinheiten und Teams der Verletztenversorgung sowie die Rettungsdienstkräfte, Feuerwehren und Einsatzkräfte an Land.
Es wurde sehr deutlich, das Zivil-Militärische- Zusammenarbeit die Voraussetzung und eine der entscheidenden Komponenten für die Bewältigung solcher Einsätze ist.
Datum: 19.01.2012
Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2011/3