01.08.2018 •

    Nudging in der Speisenausgabestelle des Zentralen Instituts des -Sanitätsdienstes der Bundeswehr München: Lässt sich eine „Healthy Choice“ fördern?

    Aus der Fakultät Life Sciences der Hochschule Albstadt-Sigmaringenª (Dekan: Prof. Dr. A. Schmidt) und dem Zentralen Institut des Sanitätsdienstes der Bundeswehr Münchenᵇ (Leiter: Oberstapotheker Dr. T. Zimmermann)

    Small changes in choice architecture in the military lunchroom of the Central Institute of the Bundeswehr Medical Service Munich: Do they nudge towards a healthier food choice?

    Selina Spitznagelª, Yvonne Lindnerᵇ, Thomas Zimmermannᵇ, Birgit Filipiak, Gertrud Winklerª

    Zusammenfassung

    Nudging ist ein Oberbegriff für ein unscharfes Bündel von Maßnahmen, die einfache Änderungen in der Gestaltung der psychischen, sozialen und physischen Umwelt einsetzen, um Menschen ohne Zwang dazu zu bewegen, für sich selbst oder gesellschaftlich vorteilhaftere Entscheidungen zu treffen bzw. ihr Verhalten dahingehend zu modifizieren. In der Speisenausgabestelle des Zentralen Instituts des Sanitätsdienstes der Bundeswehr München am Standort Garching wurde untersucht, ob einfache Nudging-Maßnahmen die Auswahl gesunder Speisen und Getränke durch die Verpflegungsteilnehmer erhöhen. In einem Pretest-Posttest-Design wurde u. a. erhoben, ob sich der Anteil der Verpflegungsteilnehmer, die die vegetarische Hauptkomponente, Salat als Beilage, Obst als Dessert sowie Wasser als Getränk zum Mittagessen nach der Einführung von Nudging-Maßnahmen erhöht. Einfache Veränderungen (z. B. Auslobung der vegetarischen Tagesempfehlung, grüne Kennzeichnung von Wasser am Getränkeautomat, attraktivere und gästefreundlichere Gestaltung der Salattheke) führten dazu, dass in beiden Posttest-Phasen u. a. signifikant mehr Essensgäste das vegetarische Gericht sowie Salat als Beilage und Obst als Dessert wählten und dass der Anteil von Wasser an den Getränken signifikant stieg. Es zeigt sich, dass Nudging ein aussichtsreicher Interventionsansatz ist, der traditionelle Maßnahmen zur Modifikation des Ernährungsverhaltens ergänzt, und daher weiterverfolgt werden sollte. Ein großes Potenzial ist möglicherweise dort zu sehen, wo es um „kleine“ Änderungen bei einer großen Anzahl von Personen geht, die dazu nicht einmal besonders motiviert sein müssen.

    Schlüsselwörter: Nudging, Choice Architecture, Gemeinschaftsverpflegung, Healthy Choice, Ernährungsverhalten, Betriebliches Gesundheitsmanagement a

    Summary

    Nudging is a term that refers to a set of interventions which introduce simple changes to the design of the psychological, social and physical environment, to encourage people to make better decisions and change their behavior without coercion. This study examined whether simple nudging measures increased the selection of healthy food and beverages in the military canteen of the Central Institute of the Bundes-wehr Medical Service Munich. Results showed that, after introduction of a set of nudges, more diners chose a vegetarian dish, salad as an accompaniment, and fruit as a dessert. In addition, the proportion of water chosen from a range of free drinks increased. Overall, nudging seems to be a promising approach supplementing traditional instruments in health prevention which should be followed. Its major potential possibly lies in achieving minor changes in the behavior of a large number of persons, who do not have to be motivated. 

    Keywords: nudging, choice architecture, catering services, healthy choice, nutritional behavior, occupational health management

    Hintergrund

    Um gesundheitlich wünschenswerte oder notwendige Änderungen im Ernährungsverhalten in der Gemeinschaftsverpflegung zu bewirken, stehen verschiedene Interventionsansätze zur Verfügung. Die bisherigen weichen Instrumente zur Entscheidungsunterstützung durch Information und Labeling bzw. Auslobung und die harten Instrumente der Entscheidungslenkung durch ökonomische Maßnahmen (z. B. Preisgestaltung) sowie durch Restriktionen im Angebot werden neuerdings durch den Nudging-Ansatz der „sanften“ Entscheidungslenkung ergänzt. Sowohl die informationsvermittelnden als auch die ökonomischen Maßnahmen zielen überwiegend auf bewusste Entscheidungen ab und können daher nur eine beschränkte Wirkung auf das stark gewohnheitsmäßige und damit schwer veränderbare Verhalten, wie, wann, wo, was und wieviel man isst und trinkt, haben [1]. Nudging lenkt bzw. stupst (to nudge = sanft an-stupsen) das Ernährungsverhalten in die gewünschte Richtung, indem es vorrangig Automatismen, also spontan und schnell getroffene Entscheidungen, anspricht [1, 5, 6, 8].

    Konkret hat Nudging in der Gemeinschaftsverpflegung das Ziel, ohne Zwang, Verbote und Einschränkungen im Angebot bzw. Sortiment das Speisenauswahlverhalten der Essensgäste zu verbessern. Dazu bieten sich eine Vielzahl von sogenannten Nudges an, darunter die Umgebungsbedingungen von gesunden Speisen attraktiver zu gestalten, Zusatznutzen bei der Wahl gesunder Speisen anzubieten, bevorzugte bzw. besondere Auslobung und Kennzeichnung gesunder Speisen, deren attraktivere Präsentation, bessere Verfügbarkeit, deren bessere Sichtbarkeit und bequemere Erreichbarkeit sowie die unaufdringliche Unterstützung durch gezielte Hinweisreize und Verhaltenshilfen [3]. Diese Umgestaltungen werden im Bereich der Speisenausgabe verwirklicht, wo die Essensgäste eine gesündere oder auch nachhaltigere Auswahl treffen sollen. Die Umgestaltungen müssen typischerweise gar nicht bewusst wahrgenommen werden, sie beeinflussen das Auswahlverhalten vieler gleichzeitig und sind nicht auf bestimmte einzelne Essensgäste zugeschnitten. Die Eingriffe sind einfach, unaufwändig und sollen ohne Einbußen im Gesamtumsatz und unter Beibehaltung der Wahlfreiheit realisiert werden [3, 4, 7]. Weitergehende Ausführungen zu Nudging in der Gemeinschaftsverpflegung siehe [9].

    Im Rahmen der Begleitforschung zum Betrieblichen Gesundheitsmanagement in der Bundeswehr wurde exemplarisch in der Truppenküche des Fliegerhorstes Kaufbeuren erfolgreich belegt, dass Nudging-Maßnahmen kurz- und mittelfristig die Auswahl gesunder Speisen und Getränke durch die Essensgäste fördern [11]. Basierend auf den positiven Erfahrungen aus Kaufbeuren wurde auf Anregung der Institutsleitung des -Zentralen Instituts des Sanitätsdienstes der Bundeswehr -(ZInstSanBw) München untersucht, ob einfache Nudging-Maßnahmen das Auswahlverhalten der Essensgäste auch in der Speisenausgabestelle am Standort Garching verbessern.

    Methodik

    Studiendesign

    Da es in der Speisenausgabe des ZInstSanBw München nur eine Essensausgabelinie mit einer davon abgesetzten Salattheke und einer Gastroschankanlage gibt, wurde in Anlehnung an [11] ein Pretest-Posttest-Design gewählt: In Erhebungsphase 1 wurden vom 05.12.- 23.12.2016 und vom 09.01. – 24.01.2017 (24 Tage) vor der Einführung von Nudging-Maßnahmen in der unveränderten Speisenausgabe die ausgegebenen Speisen und Getränke erhoben. Nach Einführung der unten beschriebenen Maßnahmen wurden kurzfristig (d. h. direkt im Anschluss) nach ihrer Einführung vom 25.01. bis 17.02.2017 (Erhebungsphase 2, 17 Tage) und mittelfristig (nach 6 Wochen) vom 06.03. bis 24.03.2017 (Erhebungsphase 3, 15 Tage) in der modifizierten Essensausgabe die gleichen Ausgabedaten erhoben.

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    Abb. 1: Einfache Nudging-Maßnahme: Tagesempfehlung, bestehend aus Vorspeise, vegetarischem Hauptgericht, Salat, frischem Obst und Mineralwasser, wird separat ausgelobt und ausgestellt

    Datenerhebung und -auswertung

    Bei der Festlegung der Phasen wurde darauf geachtet, dass die Wochentage gleich repräsentiert sind, es gibt daher keinen Unterschied bezüglich der Verteilung der Wochentage in den Erhebungsphasen 1 - 3 (Test auf Verteilung der Wochentage mittels CHI-Quadrat Test mit p = 0,999). Der Speiseplan unterschied sich zwischen den Erhebungsphasen. Die Anzahl der Essensgäste wurde jeweils über die Anzahl der verwendeten Tabletts ermittelt. Die Erhebung erfolgte von einem Sitzplatz mit guter Sicht zur Speisenausgabestelle, zur Salattheke und zur Gastroschankanlage aus mittels offener teilnehmender Beobachtung, bei der unmittelbar und standardisiert folgende von den Essensgästen gewählte Speisen und Getränke gezählt und manuell dokumentiert wurden:

    • Anzahl der ausgegebenen fleisch- oder fischhaltigen bzw. vegetarischen Hauptkomponenten; Beilagen, Gemüse- und Salatportionen (Anzahl der Schälchen);
    • Anzahl und Art der Getränke, wobei Getränke nach gesüßt (Erfrischungsgetränke Orange, Apfel, Red Berry und Diätcola sowie mit Wasser verdünnte Erfrischungsgetränke) und ungesüßt unterschieden wurden; Quell- und Sodawasser wurde unter Wasser zusammengefasst;
    • Anzahl und Art der ausgegebenen Desserts einschließlich der Obstdesserts (geschnittenes Obst oder Stückobst) wurden täglich über die Differenz der Becher, Schalen bzw. Stück vor und nach dem Speisenausgabezeitraum ermittelt.
    • Die Anzahl der entnommenen Portionsbeutel von Mayonnaise, Remoulade, Ketchup und Senf wurde wöchentlich rückgezählt.


    Zur statistischen Auswertung wurde die Statistik-Software -Minitab® 17 der Minitab GmbH verwendet. Die ermittelte Veränderung der Anteile der einzelnen Komponenten zwischen Phase 1 und 2 bzw. 1 und 3 wurden mittels des Chi-Qua-drat-Tests auf Gleichheit getestet.

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    Abb. 2: Einfache Nudging-Maßnahmen: Der Salat wird mittels grüner Folie und das kalorienärmste Salatdressing durch einen grünen Ausguss markiert. Sonnenblumenkerne, Kürbiskerne und Croutons als Toppings werden zusätzlich zum Salat angeboten. Den Essensgästen stehen größere, grüne Salatschüsseln zur Verfügung. Ein Salatposter über der Salattheke erinnert an gesunde Ernährung.

    Bestimmung der Zielvariablen und Umsetzung korrespondierender Nudging-Maßnahmen

    Auf der Basis allgemein anerkannter Empfehlungen für eine gesundheitsförderliche und nachhaltige Ernährung (z. B. 10 Regeln der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, https://www.dge.de/ernaehrungspraxis/vollwertige-ernaehrung/10-regeln--der-dge/) und unter Berücksichtigung der bekannten Abweichungen der Ernährung von Erwachsenen von lebensmittelbasierten Ernährungsempfehlungen [2] sollten folgende Komponenten in eine gewünschte Richtung verändert werden:

    • Steigerung des Anteils der Essensgäste, die eine vegetarische anstelle der fleisch- oder fischhaltigen Hauptkomponente wählen,
    • Steigerung des Anteils der Essensgäste, die Salat an der Salattheke und Obst anstelle anderer Desserts wählen;
    • Steigerung des Anteils von Wasser an allen konsumierten Getränken sowie
    • Reduktion des Anteils der Essensgäste, die Mayonnaise, Remoulade oder Ketchup im Portionsbeutel zum Essen nehmen.

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    Abb. 3: Einfache Nudging-Maßnahmen: Obst wird auf grünen Tabletts angeboten. Der Ausgabebereich ist grün und mit Hinweisreizen gestaltet.

    Nach mehrmaliger offener teilnehmender Beobachtung an der Essensausgabe wurden in Abstimmung mit dem ZInstSanBw München und dem Verpflegungsamt (vertreten durch die -Küchenleitung) folgende Nudging-Maßnahmen umgesetzt:

    • Zur Steigerung der Auswahl der jeweiligen vegetarischen Hauptkomponente (siehe Abbildung 1):
      • Kennzeichnung mittels grünem Daumen auf dem Aushang des Speiseplans,
      • Aufsteller mit Tagesempfehlung der vegetarischen Hauptkomponente am Eingang zum Speisenausgabebereich,
      • Aushang der Tagesempfehlung der vegetarischen Hauptkomponente direkt an der Ausgabestelle sowie
      • Ausstellung eines Mustertellers mit der vegetarischen Hauptkomponente direkt über der Ausgabestelle;
    • Zur Steigerung der Wahl von Salat (siehe Abbildung 2):
      • Verwendung attraktiver, weiß-grüner Salatschälchen mit höherem Rand und größerem Volumen anstelle rein weißer Dessertschalen mit niedrigem Rand,
      • Ersatz der vorher genutzten Salatdressing-Quetschbeutel durch Bereitstellung von Dressing in einhändig bedienbaren Getränkemix-Vorratsbehältern und Angebot der Alternative „Essig und Öl“ in attraktiven Glaskaraffen,
      • Einführung von Salattoppings,
      • Anbringen grüner wegweisender Pfeile zur Salattheke sowie
      • Aufhängen eines attraktiven Salatbildes hinter der Salattheke;
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      Abb. 4: Einfache Nudging-Maßnahme: Das Wasser ist mittels grünem Daumen gekennzeichnet.
      Zur Steigerung des Verzehrs von Obst anstelle von anderen Desserts (siehe Abbildung 3):
      • Kennzeichnung an der Ausgabe mittels Präsentation auf grünen Tabletts,
      • Kennzeichnung durch grüne Markierung auf dem Hustenschutz über der Obstausgabe und
      • Anbringen attraktiver Bilder von Obst und des Spruchs „an apple a day keeps the doctor away“ über der Obstausgabe;
    • zur Steigerung des Anteils von Wasser an den konsumierten Getränken (siehe Abbildung 4):
      • Kennzeichnung der Wasserzapfhähne mittels grünem Daumen und
      • Abbildung von Wasserbechern oberhalb der Gastroschankanlage;
    • Zur Reduzierung der entnommenen Portionsbeutel mit Mayonnaise, Remoulade oder Ketchup:
      • Präsentation derselben in roten anstelle von weißen Schälchen.


    Einige weitere geplante Maßnahmen konnten aus unterschiedlichen Gründen nicht umgesetzt werden. Beispielsweise ließen sich auf dem Markt keine passenden, undurchsichtigen, sich selbstständig verschließenden Behältnisse für die Ketchup-, Mayonnaise- und Remouladen-Portionsbeutel fanden, die eigentlich anstelle der roten Schälchen vorgesehen waren.

    Ergebnisse

    Änderungen in der Speisen- und Getränkeauswahl: -Healthy Choice

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    Abb. 5: Anteil der Essensgäste, die die vegetarische Hauptkomponente, Salat, geschnittenes Obst und Obst am Stück wählten sowie der Anteil von Wasser an allen gewählten Kaltgetränken vor (Phase 1), kurz- (Phase 2) und mittelfristig (Phase 3) nach Einführung von Nudging-Maßnahmen beim Mittagessen (für Veränderungen zu Phase 1 * p < 0,05; ** p < 0,01; *** p < 0,001)
    Nach Einführung der Nudging-Maßnahmen zeigten sich bei nahezu allen Zielvariablen – mit Ausnahme der Menge der entnommenen der Ketchup-, Mayonnaise- und Remouladen-Por-tionsbeutel – kurz- und mittelfristig eindeutige Veränderungen in der Speisen- und Getränkeauswahl in die gewünschte Richtung (siehe Abbildungen 5 und 6). Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Anzahl der Essengäste von 989 (41,2/Erhebungstag) in Phase 1 und 661 (38,9/Erhebungstag) in Phase 2 auf 472 (31,5/Erhebungstag) in Phase 3 sank.

    Die vegetarische Hauptkomponente wählten vor Einführung der Nudging-Maßnahmen 20,4 % der Essensgäste. Kurzfristig nach ihrer Einführung stieg der Anteil auf 33,4 % (+ 13,0 Prozentpunkte; CHI2=35,2; p < 0,001) und blieb mittelfristig bei 33,3 % (+12,8 Prozentpunkte; CHI2=28,4; p < 0,001).

    Salat zum Essen nahmen sich ursprünglich 55,9 % der Essensgäste. Direkt nach Einführung der Maßnahmen stieg ihr Anteil um +14,6 Prozentpunkte auf 70,5 % (CHI2=35,7; p < 0,001) und blieb mittelfristig um +9,1 Prozentpunkte höher als der Ausgangswert bei 65,0 % (CHI2=11,0; p = 0,001).

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    Abb. 6: Anteil von Wasser und gesüßten Getränken vor (Phase 1), kurz- (Phase 2) und mittelfristig (Phase 3) nach Einführung von Nudging-Maßnahmen
    Geschnittenes Obst als Dessert wählten vor Einführung der Maßnahmen 19,6 % der Essensgäste, kurzfristig danach 65,7 % (+46,0 %; CHI2=327,6; p<0,001) und mittelfristig danach sogar 71,4 % (+51,8 %; CHI2=360,9; p < 0,001). Parallel kam es zudem auch bei Obst am Stück zu einer signifikanten Steigerung von ursprünglich 48,7 % auf kurzfristig 55,8 % (+7,2 %; CHI2=7,5; p = 0,006) und mittelfristig auf 54,5 % (+5,8 %; CHI2=4,2; p = 0,040).

    Wasser machte ursprünglich einen Anteil von 24,0 % an allen Getränken aus. Dieser erhöhte sich kurzfristig nach Einführung der Maßnahmen auf 30,2 % (+6,2 Prozentpunkte; CHI2=9,9; p = 0,002) und mittelfristig weiter auf 33,3 % (+9,3 Prozentpunkte; CHI2=18,4; p < 0,001). Der Anteil gesüßter Getränke sank im Gegenzug in einer vergleichbaren Größenordnung.

    Kein ähnlich eindeutiges Muster in die gewünschte abnehmende Richtung zeigte sich dagegen bei Ketchup-, Mayonnaise- und Remouladen-Portionsbeuteln: Mayonnaise-Portionsbeutel nahmen ursprünglich 3,9 % der Essensgäste zu ihrem Essen mit, kurzfristig nach Einführung der Maßnahmen 7,4 % (+3,5 Prozentpunkte; p = 0,002) und mittelfristig danach 3,8 % (-0,1 Prozentpunkte; p = 0,905). Die entsprechenden Anteile bei den Remoulade-Portionsbeuteln lag bei 10,7 %, 3,9 % (-6,8 Prozentpunkte; p < 0,001) und 0,2 % (-10,5 Prozentpunkte; p < 0,001) sowie für die Ketchup-Portionsbeutel bei 13,9 %, 13,9 % (+0,1 Prozentpunkte; p = 0,970) und 4,5 % (-9,4 Prozentpunkte; p < 0,001).

    Diskussion und Schlussfolgerung

    Zwei Systeme – Daniel Kahneman [5] spricht von System-1- Entscheidungen und System-2- Entscheidungen – steuern das Entscheidungsverhalten. System 2 ermöglicht es, bewusst, kontrolliert, orientiert an langfristigen Zielen und gesteuert von unseren Werten und Intentionen zu handeln. Das dauert lange und benötigt kognitive Kapazität und Anstrengung. Häufig wird daher mithilfe von System 2 entschieden, d. h. automatisiert, unbewusst, intuitiv, gewohnheitsmäßig nach bewährten Schemata und Routinen, schnell, impulsiv, spontan, beeinflusst durch Gefühle oder Umweltreize, zum kurzfristigen (Lust-) Gewinn und ohne Anstrengung. Viele Entscheidungen scheinen eine komplexe Mischung aus beiden Varianten zu sein [1, 5]. Nudging scheint dann besonders sinnvoll zu sein, wenn die Entscheidung bzw. Auswahl einen zeitversetzten Effekt hat, das Feedback gering und die Beziehung zwischen der Entscheidung bzw. Auswahl und ihren Folgen ungewiss sind. Diese Voraussetzungen treffen auf viele Verhaltensweisen im Bereich Gesundheit und insbesondere auf das Ernährungsverhalten zu [5].

    Die in der Speisenausgabestelle des Zentralen Instituts des Sanitätsdienstes der Bundeswehr München ergriffenen Nudging--Maßnahmen verbesserten das Auswahlverhalten der Essensgäste bei fast allen Zielvariablen. Die vorliegende Untersuchung bestätigt damit Ergebnisse aus ähnlichen Studien in der Truppenküche Kaufbeuren [11] und in der Hochschulmensa Martinsried [10] und belegt, dass einfache, kostengünstige Nudging-Maßnahmen zur Förderung eines gesünderen Ernährungsverhaltens in der Gemeinschaftsverpflegung wirksam sein können [10, 11]. Nudging ist in diesem Kontext also erfolgversprechend und sollte in Forschung und Praxis weiterverfolgt werden. 

    Die praktischen Erfahrungen mit den Küchen und in den Speiseausgabebereichen bei der Durchführung dieser und vergleichbarer Studien [10, 11] zeigen, dass pauschale Empfehlungen für wirksame Maßnahmen nicht oder nur mit großer Vorsicht ausgesprochen werden können. Für die praktische Umsetzung von Nudging-Interventionen ist es unbedingt empfehlenswert, aus einem Katalog erfolgreich getesteter Maßnahmen ziel-, kontext- und situationsspezifische auszuwählen oder möglicherweise auch neue zu erarbeiten, diese auf die jeweiligen Gegebenheiten abzustimmen und unbedingt ihre Wirksamkeit hinsichtlich des angestrebten Ziels zu überprüfen.

    Für die praktische Umsetzung und Beibehaltung der Nudging--Maßnahmen war die hohe Priorisierung des Projektes in der Dienststelle und die Unterstützung durch die Institutsleitung sowie die dauerhafte Aufgeschlossenheit und Kooperationsbereitschaft des Küchenteams wichtig.

    Insgesamt hat sich bestätigt, dass Nudging die bisherigen Interventionsansätze (Entscheidungsunterstützung durch Informa-tion und Labeling bzw. Auslobung sowie Entscheidungslenkung durch Preisgestaltung) zur Modifikation des Ernährungsverhaltens in Settings der Gemeinschaftsteilverpflegung um einen weiteren erfolgversprechenden Ansatz zur „sanften“ Entscheidungslenkung ergänzt.

    Der Beobachtungszeitraum von 6 Wochen war beschränkt und ist limitierend. Die Anzahl der Essensgäste pro Erhebungstag nahm von Phase 1 zu Phase 2 und nochmal zu Phase 3 ab, was letztlich nicht erklärt werden kann. Ein Grund könnte in der Beobachtung der Essensgäste zur Datenerhebung liegen. Zudem sind erhebliche Schwankungen der Anwesenheit von Bundeswehrbediensteten an ihrem Standort nicht untypisch; sie resultieren aus Dienstreisen, Lehrgangsteilnahmen, Abstellungen und Kommandierungen. Dieses war durch das Design der Untersuchung nicht zu erfassen.

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    Kernaussagen

    • Nudging (to nudge = sanft anstoßen) ist ein neuer Interventionsansatz, um individuell oder gesellschaftlich wünschenswertes Verhalten zu fördern
    • Nudging in der Gemeinschaftsverpflegung will ohne Zwang, Verbote und Einschränkungen im Angebot das Speisenauswahlverhalten der Essensgäste verbessern.
    • Dazu bieten sich zahlreiche sogenannte Nudges an, darunter die attraktivere Präsentation, bessere Verfügbarkeit, bessere Sichtbarkeit und bequemere Erreichbarkeit gesunder Speisen.
    • In der vorliegenden Studie bewirkten einfache Nudging-Maßnahmen eine deutliche Verschiebung hin zu einer gesünderen Speisen- und Getränkeauswahl bei den Essensgästen.
    • In der Praxis sollten Nudging-Maßnahmen ziel- und kontextspezifisch ausgewählt und auf ihre Wirksamkeit hin überprüft werden.


    Literaturverzeichnis

    1. Cohen DA, Farley TA: Eating as an automatic behavior. Prev Chronic Dis 2008; 5(1): 1 - 7
    2. Hilbig A; Heuer T; Krems C et al.: Wie isst Deutschland? Auswertungen der Nationalen Verzehrsstudie II zum Lebensmittelverzehr. Ernährungs-Umschau 2008; 56: 16 - 23
    3. Hollands G J, Shemilt I, Marteau TM et al.: Altering choice architecture to change population health behaviour: a large-scale conceptual and empirical scoping review of interventions within micro-environments. Cambridge: University of Cambridge 2013.
    4. Just DR, Wansik B: Smarter Lunchrooms. Using behavioral economics to improve meal selection. Choices 2009; 24/3: URL: http://www.choicesmagazine.org/magazine/article.php?article=87 (Zugriff am 10.08.2015).
    5. Kahnemann D: Schnelles Denken, langsames Denken. Siedler Verlag, München 2012.
    6. Marteau, TM, Hollands GJ, Fletcher PC: Changing human be-havior to prevent disease: the importance of targeting automatic processes. Science 2012; 337: 1492 - 1495.
    7. Reisch L, Gwozdz W: Von der “Macht der Defaults” und vom “sanften Stupsen”: Verhaltensökonomische Erkenntnisse als Impulse für eine effektive Ernährungspolitik. In: Ploeger A, -Hirschfelder G, Schönberger G (Hg). Die Zukunft auf dem Tisch: Analysen, Trends und Perspektiven der Ernährung von morgen. VS Verlag, Wiesbaden, 2011: 323 - 336.
    8. Renner B: Ernährungsverhalten 2.0. Veränderungen durch explizite und implizite Interventionen. Ernährungsumschau 2015; 62: M37-M46.
    9. Winkler G: Gesund essen und trinken anstupsen – Chancen des Nudging in der Gemeinschaftsverpflegung. Ernährungs-Umschau 2016; 63(3): M162 – M167.
    10. Winkler G, Berger B, Filipiak-Pittroff B, Hartmann A, Streber A: Nudging in einer Schul- und einer Hochschulmensa – Lässt sich eine gesundheitsförderliche Lebensmittelauswahl fördern? Ernährungs-Umschau (im Druck).
    11. Winkler G, Streber A, Filipiak-Pittroff B: Nudging in der Truppenküche. Kann eine gesündere Speisenauswahl angestupst werden? Ernährungs-Umschau 2016; 63(3): 59 - 61.


    Interessenkonflikterklärung:

    Hiermit erklären wir, dass kein Interessenkonflikt gem. International Committee of Medical Journal Editors vorliegt.

    Danksagung:

    Dem gesamten Küchenteam, besonders Herrn Altenbuchinger und Frau Schmitt, danken wir für die Teilnahme an diesem Projekt. Ohne sie wäre dessen Durchführung nicht möglich gewesen.

    Zitierweise:

    Spitznagel S, LindnerY, Zimmermann T, Filipiak B, Winkler G: Nudging in der Speisenausgabestelle des Zentralen Instituts des Sanitätsdienstes der Bundeswehr München: Lässt sich eine „Healthy Choice“ fördern? Wehrmedizinische Monatsschrift 2018; 62(8): 254 - 259.

    Citation:

    Spitznagel S, LindnerY, Zimmermann T, Filipiak B, Winkler G: Small changes in choice architecture in the military lunchroom of the Central Institute of the Bundeswehr Medical Service Munich: Do they nudge towards a healthier food choice? Wehrmedizinische Monatsschrift 2018; 62(8): 254 - 259.

    Bildquellennachweis: Abbildungen 1 - 6: Selina Spitznagel


    Für die Verfasser:

    Prof. Dr. Gertrud Winkler
    Hochschule Albstadt-Sigmaringen
    Fakultät Life Sciences
    Anton-Günther-Str. 51, 72488 Sigmaringen
    Mail: winkler@hs-albsig.de

    Datum: 01.08.2018

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