23.03.2017 •

    Sanitätsausrüstung und Verwundetentransport im Gebirgskrieg des Ersten und Zweiten Weltkrieges

    Aus dem Sanitätsunterstützungszentrum München (Leiter: Oberstarzt Dr. R. Süß) und dem Sanitätsversorgungszentrum Neubiberg (Leiter: Oberfeldarzt Dr. H.-P. Lutzenberger)

    Zusammenfassung
    Die Arbeit stellt Herausforderungen der sanitätsdienstlichen Versorgung in den Gebirgskämpfen des Ersten und Zweiten Weltkrieges dar und gibt einen Überblick über die Sanitätsausrüstung der in diesem Zeitraum im Gebirge eingesetzten Truppen: Die deutschen und österreichisch-ungarischen Verbände des Ersten Weltkrieges verfügten weder über eine spezielle Gebirgssanitätsausrüstung, noch waren sie aus sanitätsdienstlicher Sicht auf einen Gebirgskrieg vorbereitet.

    Neben klimatischen Einflüssen stellte der Verwundetentransport die größte Schwierigkeit dar. Trotz intensiver Entwicklungen auf dem Gebiet der technischen Bergrettung und der Beschaffung einer speziellen Gebirgssanitätsausrüstung vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, musste der Verwundetentransport der Wehrmacht in den Gebirgskämpfen überwiegend improvisiert werden.

    Schlüsselwörter: Gebirgskrieg, Alpenkorps, Verwundetenversorgung und -transport im Gebirge, österreichisch-ungarischer Sanitätsdienst, Gebirgssanitätsausrüstung

    Summary

    This article describes the challenges of medical care during mountain combat in the First and Second World War and gives an overview of medical equipment available to the troops operating in the mountains during that period of time: In the First World War, the German and Austro-Hungarian units neither had any special medical equipment suitable for mountain operations, nor were they prepared for mountain warfare from a medical point of view. Apart from climatic influences, medical evacuation was the most difficult part. In spite of intensive developments in technical mountain rescue and the purchase of special medical equipment suitable for mountain operations before the outbreak of the Second World War, the Wehrmacht mostly had to improvise when evacuating casualties during mountain combat.

    Keywords: Mountain warfare, Alpenkorps, casualty care and medical evacuation in the mountains, Austro-Hungarian medical service, medical equipment suitable for mountain operations

    Forschungsstand und Quellenlage

    Über Einsätze der Gebirgstruppen in beiden Weltkriegen existieren unzählige Publikationen. Stellvertretend sind Martin Breitenbachers Buch „Das Alpenkorps 1914 - 18“ [1] und diverse Veröffentlichungen von Roland Kaltenegger [2] zu nennen, die allerdings fast ausschließlich Kämpfe auf verschiedensten Kriegsschauplätzen oder die militärische Ausrüstung der Gebirgstruppe beschreiben. Zur sanitätsdienstlichen Versorgung finden sich dagegen nur wenige Arbeiten. Hier sind für den Ersten Weltkrieg Daniela Claudia Angetters Dissertation „Dem Tod geweiht und doch gerettet: die Sanitätsversorgung am Isonzo und in den Dolomiten 1915 - 1918“ [3] und als wichtige Quelle der „Sanitätsbericht über das Deutsche Heer (Deutsches Feld- und Besatzungsheer) im Weltkriege 1914/1918“ [4] zu nennen. Im Jahre 1936 veröffentlichte Rudolf Rauch in seinem Buch „Ärzte und ihre Helfer im Weltkriege 1914 - 1918“ [5] Berichte und Schilderungen von Medizinern und Sanitätern, die auf deren eigenen Erinnerungen beruhen und damit kaum wissenschaftlichen Charakter haben, allerdings als Quelle nicht zu vernachlässigen sind. Auswertungen weiterer zeitgenössischer militärmedizinischer Publikationen (wie der „Deutschen militärärztlichen Zeitschrift“ [6] und der österreichischen Zeitschrift „Der Militärarzt“ [7]) zeigen, dass – abgesehen von wenigen Arbeiten zur Thematik der Verbesserung des Abtransports von Verwundeten – kaum zeitgenössische Artikel zur sanitätsdienstlichen Versorgung im Hochgebirge publiziert wurden.

    Volker Hartmann hat 2015 in einem Buchbeitrag unter dem Titel „Tod und Verwundung an der Front zwischen Eis und Fels – Sanitätsdienst im Gebirge“ [8] die Herausforderungen der Kampfführung im Gebirgskrieg, die Lebensbedingungen der kämpfenden Soldaten, die sanitätsdienstliche Versorgung im Deutschen Alpenkorps, spezielle Verwundungsmuster im Gebirgskrieg sowie die Herausforderungen beim Verwundetentransport und der anschließenden Erstversorgung dargestellt.

    Vergleichbare Werke konnten für den Zweiten Weltkrieg nicht gefunden werden, so dass für die Analyse der militärärztlichen Versorgung und des Verwundetentransportes vor allem die Zeitschrift „Der deutsche Militärarzt“ [9] herangezogen wurde. In der sehr umfangreichen Quellensammlung von Hubert Fischer [10] finden sich ebenfalls nur wenige Hinweise zur sanitätsdienstlichen Versorgung im Hochgebirge.

    Sanitätsdienstliche Versorgung der im Gebirge eingesetzten deutschen Truppen im Ersten Weltkrieg

    Das Attentat auf den österreichischen Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand am 28. Juni 1914 entfesselte einen Krieg von bis dahin unbekanntem Ausmaß, dessen westlicher und südlicher Frontverlauf von den flandrischen Ebenen über die italienischen Alpengipfel bis nach Serbien reichte.

    Zu Beginn des Ersten Weltkrieges verfügten die deutschen Armeen über keine eigenständigen Gebirgstruppen. Die Oberste Heeresleitung (OHL) behalf sich im Winter 1914/15 mit der Aufstellung von „Schneeschuh-Bataillonen“, die aus bergerfahrenen Soldaten rekrutiert wurden. Der drohende Kriegseintritt Italiens führte am 20. Mai 1915 zur Aufstellung des „Alpenkorps“ unter Federführung des Bayerischen Kriegsministeriums. Für die aufzustellende Einheit suchte man vor allem Jäger, Hirten, Senner und Bergführer. Als Gebirgsausrüstung waren für die etwa 26 000 Mann 10 000 Rucksäcke, 10 000 Paar Bergstiefel, 10 000 Stück lange Bergstöcke sowie Steigeisen und Schneebrillen in teilweise minderwertiger Qualität vorhanden. Die sanitätsdienstliche Versorgung wurde zunächst von der Großherzoglich-Hessischen Sanitäts-Kompagnie 101 und den beiden Feldlazaretten 201 und 202 sichergestellt [11].

    Vor Ausbruch der Kampfhandlungen war für das deutsche Feldheer keine spezielle Gebirgssanitätsausrüstung beschafft worden. Im Falle eines Einsatzes im Gebirge sollten Sanitätstaschen und -körbe von Tragtieren transportiert werden. Jedes Bataillon des Alpenkorps war unter anderem mit fünf Sanitätstaschen für Unberittene, 32 Sanitätstaschen für Krankenträger, einem Truppenbesteck, zwei Sanitätstornistern und vier Krankentragen ausgerüstet.

    Gerade die Versorgung und der Abtransport der Verwundeten stellten den Sanitätsdienst vor enorme Probleme. Feldlazarette konnten mit ihren pferdebespannten Wagen der kämpfenden Truppe bei Angriffsoperationen auf Grund von Straßen- bzw. Wegeverhältnissen nur langsam oder überhaupt nicht folgen und sich nach Übergang in den Stellungskrieg ausschließlich in Ortschaften oder Tälern entfalten. Zur Verbesserung der frontnahen Versorgung – sofern im Gebirge überhaupt von einer echten Frontlinie gesprochen werden kann – bildete man an einzelnen Abschnitten im späteren Verlauf des Krieges aus den Sanitätskompanien eine Gebirgsstaffel, bestehend aus Krankenträger- und Tragtierkolonnen und Karreten (einer Art Schubkarren), sowie eine Talstaffel, die mit leichten Wagen und Gebirgskrankenkarren ausgerüstet war [12]. Ziemlich schnell zeigte sich, dass die Krankentragen für den Einsatz im Gebirge nicht geeignet waren. Überwiegend kamen daher bei der Bergung Verwundeter Behelfstragen aus Zeltbahnen, Strohsäcken oder großen Ästen zur Anwendung [13]. Gleichzeitig wurden die Krankenträger der eingesetzten Einheiten durch Träger der Sanitätskompanien verstärkt [12]. Der ebenfalls zur Ausrüstung gehörende Infanteriesanitätswagen bewährte sich aufgrund der Geländeverhältnisse erwartungsgemäß nicht. Stattdessen kamen verstärkt Tragtiere und der für den Transport von zwei übereinanderliegenden Verwundeten vorgesehene „Wolff-Klauescher Gebirgskrankenkarren“ zum Einsatz [13]. Extrem niedrige Temperaturen (bis unter minus 50 Grad) [14] und der lange Transport machten es notwendig, Krankenwagen mit Heizvorrichtungen auszurüsten.

    Der österreichisch-ungarische Sanitätsdienst im Gebirgskrieg 1915 - 1918

    Im Gebirgskrieg des Ersten Weltkrieges kooperierten der deutsche und der österreichisch-ungarische Sanitätsdienst sehr eng. In der österreichisch-ungarischen Armee waren Blessiertenträger und Sanitätspatrouillen für die Suche und den Transport der Verwundeten zum Bataillons-Hilfsplatz, vergleichbar mit einem deutschen Truppenverbandplatz, zuständig. Nach einer Erstversorgung erfolgte der Weitertransport über den Regiments-Hilfsplatz, die Brigade- oder Divisionssanitätsanstalt (Div.S.A.) sowie die Feldspitäler (F.Sp.) und mobile Reservespitäler (Mob.R.Sp.) letztendlich in die Reservespitäler im Heimatgebiet [5].

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    Vereinfachtes Schema der Verwundetenversorgung und des Abtransports von Verwundeten der österreichisch-ungarischen Armee im Ersten Weltkrieg (erstellt von André Müllerschön nach Quelle Rudolf Rauch [5])
    Im Gebirgseinsatz gehörten auf österreichisch-ungarischer Seite neben der normalen Sanitätsausrüstung, die von Tragtieren in Packkörben transportiert wurde, mehrere vier Meter lange Hilfsstricke zur Herstellung von Behelfstragen oder eines Rettungsseils zur Ausrüstung der Blessiertenträger. Um den langen Transport der Verletzten durch unwegsames Gelände zu vereinfachen, richtete der österreichisch-ungarische Sanitätsdienst Wechselstationen ein, an denen der Weitertransport von anderen Blessiertenträgern oder Fuhrwerken übernommen wurde. In Folge des schwierigen Transportes verstarben viele Soldaten an ihren Verletzungen oder fielen durch mangelnde Fixierung aus den provisorischen Tragen [3].

    Zur Lösung dieser Probleme entwickelte Robert Stigler im Jahre 1915 eine zerlegbare, strecksesselähnliche Gebirgstrage, auf der Verwundete fixiert und bei Bedarf an steilen Gebirgswänden abgeseilt werden konnten.

    Die Stigler-Trage erlaubte es erstmals, Verletzte im Gebirge ohne große Erschütterung fachgerecht abzutransportieren bzw. abzuseilen, was die Überlebensraten bei Brust-, Bauch- und Lungenschüssen erhöhte [15]. Beim Abtransport Leichtverwundeter kamen zum großen Teil behelfsmäßige Seilkonstruktionen und Flaschenzüge zum Einsatz, wobei durch Seilbeschädigungen oder -risse immer wieder Verwundete im Rahmen der Bergung abstürzten und starben. Im Schnee setzten die Retter zum Abtransport zusätzlich Akjas [8] und mit Schneekufen provisorisch ausgerüstete Gebirgsräderbahren ein [16]. Seilbahnen, im Gebirge von allen Kriegsparteien errichtet, dienten vorwiegend zur Versorgung mit Nachschub – zum Transport verwundeter oder erkrankter Soldaten wurden sie nur in Ausnahmefällen eingesetzt [3].

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    Die Gebirgstrage von Robert Stigler
    Im Gebirgskrieg waren Typhus, Cholera, Ruhr und Malaria weit verbreitet. Strapazen, Mangelernährung und die hygienischen Bedingungen in den oft nur wenige Quadratmeter großen Kavernen, Stellungen oder Eisstollen – wie beispielsweise unter dem Marmolata-Gletscher angelegt [5] – machten die Soldaten für Parasiten und Infektionskrankheiten empfänglich [14]. Erschwerend kam die Versorgung mit sauberem Trinkwasser hinzu, was teilweise zur Wassergewinnung aus Schnee oder zum Trinken von Ausscheidungsprodukten führte [3] – sogenannte „Darmkatarrhe“ waren die Folge [5].

    Genaue Zahlen über Verluste im Gebirgskrieg finden sich nicht. Unstrittig ist, dass die Beschaffenheit des Geländes, wechselnde klimatische Verhältnisse und erhöhte physische Anforderung an Soldaten zu hohen Ausfallzahlen führten. Neben den ständigen Absturzgefahren hatte die zerklüftete Berglandschaft einen entscheidenden Vorteil: Die verbesserten natürlichen Deckungsmöglichkeiten ließen, im Gegensatz zu den Kampfgebieten des Flachlandes, eine Verwundetenversorgung unmittelbar an der Front zu [5].

    Wie die Soldaten unter der teilweise extremen Kälte litten, verdeutlicht folgendes Zitat:

    „Auf Skiern gelegt und festgebunden, ziehen Sanitätler schwere Erfrierungen der nächtlichen Feldwachen zu uns. Brandig gewordene Zehen fallen ihnen ab. Großmächtig angeschwollene Ohren hängen an ihren Köpfen, die Lippen sind vom Frost zerfressen, mit Eiterborken bedeckt; die Augen blind vom Schauen in die weiße Einöde.“ [5]

    Schnee, Lawinenabgänge und Einstürze von Felskavernen und Eisstollen forderten regelmäßig Tote.

    Über die lawinenbedingten Verluste liegen kaum belastbare Zahlen vor. In der Literatur schwanken die Angaben zwischen 40.000 und 60.000 toten deutschen, österreichisch-ungarischen und italienischen Soldaten. Ein im Jahre 2 000 durchgeführter Vergleich mit offiziellen Zahlen des Kriegsarchivs sowie des Deutschen und des Österreichischen Alpenvereins führte zu deutlich geringeren Verlustzahlen. Rückblickend kann diese Divergenz nicht mehr nachvollzogen oder erklärt werden [14].

    Ein weiteres Kennzeichen für den Hochgebirgskrieg im Bereich der Südwestfront war – wie überhaupt im Ersten Weltkrieg – der massive Artillerieeinsatz. Zu Beginn der Kampfhandlungen verfügten die Soldaten über unzureichende Schutzhelme (teilweise wurden noch Dragonerhelme getragen [17]), was sich in der Anzahl von schweren Kopfverletzungen durch sehr kleine Granatsplitter oder Steinschläge widerspiegelt [14]. Erst der von August Bier, Marinegeneralarzt und Beratender Chirurg beim XVIII. Armeekorps, maßgeblich entwickelte und Anfang 1916 im deutschen Feldheer eingeführte „Stahlschutzhelm“ [18] bot einen effektiven Schutz vor schweren Schädel-Hirn-Verletzungen. Das kaiserliche und königliche Kriegsministerium favorisierte allerdings die Entwicklung und Produktion eines eigenen österreichischen Stahlhelmes. Nach mehreren unbefriedigend verlaufenen Versuchen wurde die Deutsche Oberste Heeresleitung um die Lieferung von zunächst 15 000 Stahlhelmen gebeten. Die ersten Exemplare trafen im November 1916 bei der 5. Armee ein [17].

    Die sanitätsdienstliche Versorgung von Gebirgstruppen der Wehrmacht

    Im Jahre 1939 entfesselten die Nationalsozialisten einen sechs Jahre dauernden Krieg, der mit bis dahin kaum bekannten Gräueltaten Europa überzog.

    Zum besseren Verständnis sind einige Vorbemerkungen zur Organisation der Verwundetenversorgung der Wehrmacht im Gefecht notwendig.

    Erste Anlaufstelle für Verwundete waren die Verwundetennester in unmittelbarer Nähe der Gefechtshandlungen. Dort leisteten Krankenträger erste Hilfe und brachten die Verwundeten anschließend zum zwei bis drei Kilometer hinter der Frontlinie liegenden Truppenverbandplatz. Nach Kreislaufstabilisierung und Herstellung der Transportfähigkeit erfolgte der Abtransport über den Hauptverbandplatz, Feld- und Kriegslazarette in Reservelazarette [19].

    Aus den im Gebirgskrieg des Ersten Weltkrieges gemachten Erfahrungen leitete die militärische Führung der Wehrmacht den Bedarf für Gebirgstruppen ab und stellte bereits 1935 eine Gebirgsbrigade für den Einsatz im Hochgebirge auf. Ab Mai 1940 folgten weitere Kampfverbände der Wehrmacht und der Waffen-SS (Gebirgsdivisionen, Gebirgs-Armeekorps sowie Ski--Brigaden und Ski-Divisionen) [2].

    Der größte Teil der Gebirgstruppen wurde durch die 1941 aufgestellte Heeres-Gebirgssanitätsschule in St. Johann/Tirol sanitätsdienstlich ausgebildet. Inhalte der Lehrgänge waren Unterrichte zu verschiedenen Themen der Ersten Hilfe (zum Beispiel Kälteschäden, Wiederbelebung und ähnliches) sowie Sanitäts-taktik, aber auch Übungen und Vorführungen wie „Verwundetenbeförderung in schwierigem Gelände“ sowie „planmäßige und behelfsmäßige Verwundetentransportmittel“ [10]. Darüber hinaus war die Schule mit der Weiterentwicklung der Gebirgssanitätsausrüstung und Erarbeitung wissenschaftlicher Grundlagen der Gebirgsmedizin und Höhenphysiologie (beispielsweise Beeinflussung der Lebensfunktionen im Gebirge und entsprechende Anpassung) beauftragt. Zu diesem Zweck errichtete man auf der in 3 000 Metern Höhe gelegenen Oberwalder-Hütte eine höhenphysiologische Untersuchungsstelle, an der Wissenschaftler verschiedener Universitäten und der Luftwaffe die Höhenanpassung von Piloten unter Gebirgsverhältnissen erforschten [10].

    Die Sanitätsausrüstung von Gebirgseinheiten der Wehrmacht bestand aus mehreren Sätzen, deren Kästen sowohl durch Tragtiere als auch im Einzeltransport durch Mannschaften befördert werden konnten [20].

    In den dreißiger Jahren hatte die Etablierung der zivilen Bergrettung zur Entwicklung neuer Rettungsmittel und deren Aufnahme in die Sanitätsausrüstung der Wehrmacht geführt. An dieser Stelle seien der „Gramminger Trag- und Abseilsitz“ [21] (offiziell als „Trage- und Abseilgerät“ bezeichnet) [20], die „Schiverschraubung“ (ein aus Vierkantrohr und Segeltuch bestehendes Gestell, das mit vier Skiern zu einem Schlitten verschraubt werden konnte [21] und als „Satz Skiverschraubung“ in jeder Gebirgseinheit vorhanden war) [20], das Stahlseil [21] und der „Kufenschlitten“ erwähnt. Allerdings fehlte zunächst ein für Sommer und Winter gleichermaßen geeignetes Transportgerät, da der bereits oben erwähnte Kufenschlitten den Anforderungen des Heeres nicht genügte. Auf Grundlage der sogenannten „Krankentrage 37“ wurde 1940 ein zerlegbarer „Satz Schiverbindungsstücke für Krankentransporte“ [22], später in „Satz für Krankentragenschlittengerät“ umbenannt [20], als Bestandteil der Feldsanitätsausrüstung eingeführt.

    Wie bereits im Ersten Weltkrieg stellte der Verwundetentransport die Gebirgstruppen vor große Probleme. Neben geographischen und klimatischen Herausforderungen kam erschwerend hinzu, dass die als Transportmittel vorgesehene Krankentrage 37 sich nicht bewährte und immer wieder Behelfstragen aus verschiedenen Materialien hergestellt werden mussten [10].

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    Abseilen eines Verwundeten im Kaukasus
    Die Schwierigkeiten während des Abtransportes Verletzter sollen im Folgenden anhand des Einsatzes der Gebirgsdivisionen im Kaukasus dargestellt werden. Nach Erstversorgung wurden die Soldaten in mehreren Tagesmärschen über eine Kette eingerichteter Sanitätsstützpunkte ins Tal gebracht und von dort mit Hilfe von Sanitäts- und Lastkraftwagen zur weiteren Therapie in Feldlazarette verlegt. Gehfähige mussten zu Fuß absteigen, während Schwer- und Schwerstverwundete von einem Trupp, bestehend aus jeweils vier Trägern und vier Mann als Reserve, getragen wurden.

    Neben Krankenträgern der Gebirgssanitätsabteilung kamen gefangene Sowjetsoldaten und Einheimische zum Einsatz. Die Situation verdeutlicht folgendes Zitat:

    „Dem Gefreiten Toßmann [...] mußte auf diesem Verbandsplatz der zerfetzte linke Fuß abgenommen werden. Am anderen Morgen nahmen ihn vier Gefangene auf ihre Schultern, und da zur Zeit niemand da war, der ihn begleiten konnte, wurden ihm zwei Dinge mitgegeben – ein Stecken zum Antreiben der Träger, wenn sie müde werden sollten und eine Pistole zur Selbstverteidigung, mit der letzten Patrone für sich selbst. [...] Es wurde ein wahrer Höllenmarsch volle drei Tage lang [...]“ [23].

    Zunehmende Flugbewegungen und Luftkämpfe über den Alpen machten die Einrichtung eines „Bergnotdienstes der Luftwaffe“ – ähnlich dem Seenotrettungsdienst – im April 1944 notwendig. Hauptaufgabe war die Rettung abgestürzter oder per Fallschirm abgesprungener Flugzeugbesatzungen aus hochalpinem Gelände. Aus Mangel an gebirgserfahrenen Soldaten übernahm die Bergwacht im Deutschen Alpenverein diese Aufgabe, zu der sie „hinsichtlich ihres Einsatzes, ihrer Ausbildung und Ausrüstung dem militärischen Führungsstab bei der Heeres-Gebirgssanitätsschule unterstellt [wurde]“ [21].

    Es ist davon auszugehen, dass die Gebirgstruppen des Zweiten Weltkrieges mit den gleichen Problemen wie die Angehörigen der Hochgebirgsverbände des Ersten Weltkrieges (Lawinen, Steinschläge und klimatische Extreme) zu kämpfen hatten. Wie eingangs erwähnt, konnten Erfahrungsberichte oder Zahlen über Verluste durch Lawinen oder Steinschläge nicht gefunden werden.

    Zusammenfassend ist festzustellen: Aus sanitätsdienstlicher Sicht waren die verbündeten deutschen und österreichisch-ungarischen Verbände des Ersten Weltkrieges nicht auf einen Gebirgskrieg vorbereitet. Vor allem das hastig aufgestellte deutsche Alpenkorps verfügte über keine spezielle Gebirgssanitätsausrüstung. Stattdessen wurden herkömmliche Sanitätsgeräte mit Tragtieren in hochalpinem Gelände eingesetzt. Neben klimatischen Einflüssen stellte der Verwundetentransport die Kranken- bzw. Blessiertenträger vor kaum lösbare Probleme. Mit überwiegend provisorischen Transportgeräten wurden Verletzte unter schwierigsten Bedingungen zu den Verbandsplätzen in den Tälern transportiert.

    Aufgrund der Erfahrungen des Ersten Weltkrieges beschaffte die Heeressanitätsinspektion bereits vor dem Überfall auf Polen am 1. September 1939 speziell auf die Bedürfnisse der Gebirgssanitätskompanien zugeschnittene Sanitätsausrüstungen. Trotz der fortgeschrittenen Entwicklung von Rettungsverfahren zeigte sich jedoch, dass auch im Zweiten Weltkrieg der Verwundetentransport überwiegend improvisiert werden musste.

    Ausblick

    Auch wenn die Bundeswehr als Parlamentsarmee eines demokratischen Staates eine gänzlich andere Grundkonzeption und Auftragslage als die deutschen Armeen des Kaiserreiches und die Wehrmacht hat, zeigte beispielweise der Einsatz in Afghanistan, dass auch zukünftig Einsätze in alpinem Gelände bewältigt werden müssen.

    Seit Auflösung des Gebirgssanitätsregiment 42 „Allgäu“ in Kempten am 30. Juni 2016 verfügt die Bundeswehr über keinen für die sanitätsdienstliche Versorgung im Hochgebirge spezialisierten Verband. Zukünftig ist die Ausbringung der Fähigkeit zur alpinen notfallchirurgischen „Role 2“-Versorgung im Sanitätsregiment 3 in Dornstadt geplant, während weiterhin die „Role 1“ (allgemein-notfallmedizinische Versorgung) im Gebirge hauptsächlich von den Sanitätsstaffeln Einsatz der Sanitätsunterstützungszentren sichergestellt werden soll. Die Hauptlast von Verwundetenbergung und -transport in den Gebirgsjägereinheiten der Bundeswehr tragen vor allem „Ersthelfer Bravo“, die für diese Zwecke mit handelsüblichen Rettungsmitteln wie Akjas und Flaschenzugsystemen ausgestattet sind. Eine spezielle Gebirgssanitätsausrüstung (abgesehen von bergsteigerisch-technischen Hilfsmitteln) ist in den zugeordneten regionalen Sanitätseinrichtungen und Sanitätsstaffeln Einsatz nicht vorhanden.

    Neben der klassischen terrestrischen Rettung kommen bei Unfällen im Hochgebirge mit Rettungswinden oder Rettungstauen ausgestattete Hubschrauber zum Einsatz, was zu einer schnelleren Versorgung von Verunfallten führt. Allerdings können diese Luftrettungseinsätze nur bei guten Witterungs- und Sichtbedingungen durchgeführt werden. Die Bundeswehr wird sich mit Verlegung des SAR-Hubschraubers von Penzing nach Niederstetten Ende des Jahres 2016 zudem aus der zivilen alpinen Luftrettung zurückziehen.

    Die Bergung von Verletzten im hochalpinen Gelände wird daher – auch auf Grund der nur bedingt stattfindenden Zusammenarbeit zwischen Bergwacht und Bundeswehr sowie der suboptimalen Ausbildung und Ausrüstung des eigentlichen Sanitätspersonals auf dem Gebiet der Bergrettung – weiterhin vor allem vom Improvisationstalent und Erfindungsreichtum der eingesetzten Personen abhängig sein.

    Literatur

    1. Breitenbacher M: Das Alpenkorps 1914-18. Berlin: Vorhut-Verlag Schlegel 1939.
    2. Kaltenegger R: Die Geschichte der deutschen Gebirgstruppe 1915 bis heute. Vom Deutschen Alpenkorps des Ersten Weltkrieges zur 1. Gebirgsdivision. Stuttgart: Motorbuch-Verlag 1980.
    3. Angetter DC: Dem Tod geweiht und doch gerettet: die Sanitätsversorgung am Isonzo und in den Dolomiten 1915-1918, [Univ. Diss. Wien 1995], [Beiträge zur Neueren Geschichte Österreichs, 3]. Frankfurt am Main u.a.: Peter Lang 1995.
    4. Sanitätsbericht über das Deutsche Heer (Deutsches Feld- und Besatzungsheer) im Weltkriege 1914/1918. Bearbeitet in der Heeres-Sanitätsinspektion des Reichskriegsministeriums [Bände 1-3]. Berlin: Ernst Siegfried Mittler und Sohn 1934-1938.
    5. Rauch R (Hrsg.): Ärzte und ihre Helfer im Weltkriege 1914-1918 (Helden im weissen Kittel). Apotheker im Weltkriege. Wien: Amon Franz Göth 1936.
    6. Deutsche militärärztliche Zeitschrift. Berlin: Mittler und Sohn 1872-1920.
    7. Der Militärarzt. Wien: Perles 1867-1918
    8. Hartmann V: Tod und Verwundung an der Front zwischen Eis und Fels – Sanitätsdienst im Gebirgskrieg. In: Müller T (Hrsg.): Die Alpen im Krieg – Krieg in den Alpen. Die Anfänge der deutschen Gebirgstruppe 1915 [Veröffentlichungen des Bayerischen Armeemuseums, 14]. Bayreuth: Scherzer 1915; 56 - 80.
    9. Der deutsche Militärarzt. Berlin: Springer 1936-1944.
    10. Fischer H: Der deutsche Sanitätsdienst 1921-1945. Organisation, Dokumente und persönliche Erfahrungen, I-VIII [Bände 1-5; Personen- und Sachregister zu den Bänden 1-5; Supplementbände 1 und 2]. Osnabrück: Biblio-Verlag 1982-1999.
    11. Hebert G: Das Alpenkorps. Aufbau, Organisation und Einsatz einer Gebirgstruppe im Ersten Weltkrieg [phil. Diss. München 1983], [Wehrwissenschaftliche Forschungen: Abteilung militärgeschichtliche Studien, 33]. Boppard am Rhein: H. Boldt 1988.
    12. Sanitätsbericht über das Deutsche Heer (Deutsches Feld- und Besatzungsheer) im Weltkriege 1914/1918. Bearbeitet in der Heeres-Sanitätsinspektion des Reichskriegsministeriums. II. Band – Der Sanitätsdienst im Gefechts- und Schlachtenverlauf im Weltkriege 1914/1918. Berlin: Ernst Siegfried Mittler und Sohn 1938.
    13. Sanitätsbericht über das Deutsche Heer (Deutsches Feld- und Besatzungsheer) im Weltkriege 1914/1918. Bearbeitet in der Heeres-Sanitätsinspektion des Reichskriegsministeriums. I. Band – Gliederung des Heeressanitätswesens. Berlin: Ernst Siegfried Mittler und Sohn 1935.
    14. Biwald B: Von Helden und Krüppeln. Das österreichisch-ungarische Militärsanitätswesen im Ersten Weltkrieg [Militärgeschichtliche Dissertationen österreichischer Universitäten, 14]. Wien: Öbv & Hpt 2002.
    15. Stigler R: Eine zerlegbare Gebirgsbahre. Der Militärarzt. Zeitschrift für das gesamte Sanitätswesen der Armeen; 50 (1916): 145 - 154.
    16. Wolfgang O: Die zerlegbare Gebirgsräderbahre. Der Militärarzt. Zeitschrift für das gesamte Sanitätswesen der Armeen; 50 (1916): 473 - 480.
    17. Dirrheimer G: Der militärische Stahlhelm in Österreich. Militaria Austriaca; 4 (1983): 5 - 31.
    18. Baer L: Vom Stahlhelm zum Gefechtshelm, Band 1 (1915-1945). Eine Entwicklungsgeschichte von 1915 bis 1993 zusammengestellt in Wort und Bild. Neu-Anspach: [Selbstverlag] 1994.
    19. Kriegssanitätsvorschrift (Heer) I. Teil – Entwurf (auch H. Dv. 21). Berlin: Ernst Siegfried Mittler und Sohn 1938.
    20. Werthmann H, Willecke W: Das Sanitätsgerät des Feldheeres [Taschenbücher des Truppenarztes, V]. München – Berlin: J. F. Lehmanns 1942.
    21. Opperer G: Unter dem Grünen Kreuz – Die Bergrettung in Bayern. Band 1: bis Kriegsende 1945. München: Bergwacht Bayern 2004.
    22. Schaefer W-O: Der neue Schlitten der Gebirgstruppe für den Verwundetentransport. Der Deutsche Militärarzt; 5 (1940): 238 - 239.
    23. Buchner A: Der Bergkrieg im Kaukasus. Die deutsche Gebirgstruppe 1942. Friedberg: Podzun-Pallas 1977.

    Bildquellen

    Bild 2: Stigler R: Krankentransport im Gebirgskrieg. In: Rauch R (Hrsg.): Ärzte und ihre Helfer im Weltkriege 1914-1918 (Helden im weissen Kittel). Apotheker im Weltkriege. Wien: Amon Franz Göth 1936, S. 287.

    Bild 3: Buchner A: Der Bergkrieg im Kaukasus. Die deutsche Gebirgstruppe 1942. Friedberg: Podzun-Pallas 1977, S. 173.

    Zitierweise

    Müllerschön A: Sanitätsausrüstung und Verwundetentransport im Gebirgskrieg des Ersten und Zweiten Weltkrieges. Wehrmedizinische Monatsschrift 2017; 61(2-3); 50 - 54.

    Citation

    Müllerschön A: Medical equipment and evacuation during mountain warfare in the First and Second World War. Wehrmedizinische Monatsschrift 2017; 61(2-3); 50 - 54.

    Verfasser

    Oberfeldarzt Dr. André Müllerschön
    Sanitätsversorgungszentrum Neubiberg
    Werner-Heisenberg-Weg 39, 85579 Neubiberg
    E-Mail: andremuellerschoen@bundeswehr.org

    Datum: 23.03.2017

    Quelle: Wehrmedizinische Monatsschrift 2017/2-3

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