PRÄVENTIONSORIENTIERTE ANALYSE KOGNITIVER LEISTUNGEN BEI MILITÄRISCHEN ARBEITSAUFGABEN

Prevention-oriented analysis of cognitive performance during military tasks



Aus der Laborabteilung IV - Wehrmedizinische Ergonomie und Leistungsphysiologie -¹ (Leiter: Oberstarzt Prof. Dr. Dr. D. Leyk) am Zentralen ­Institut des Sanitätsdienstes der Bundeswehr Koblenz und der Forschungsgruppe Leistungsepidemiologie² (Leiter: Prof. Dr. Dr. D. Eßfeld und Oberst­arzt Prof. Dr. Dr. D. Leyk) an der Deutschen Sporthochschule Köln



Willi Gorges¹, Alexander Witzki¹, Alexander Sievert² und Dieter Leyk¹,²



WMM; 57. Jahrgang (Ausgabe 7/2013; S. 167-171)

Zusammenfassung



Militärische Arbeitsplätze sind in den letzten Jahren einem starken Wandel unterworfen. Zum einen hat sich das Belas­tungsspektrum für die Soldatinnen und Soldaten durch die vielen gefahrenbehafteten Einsatzaufgaben erheblich verändert und vergrößert, zum anderen erfordert die zunehmende Technisierung der Tätigkeiten immer mehr eine Verschiebung der Leistungsanforderungen von eher physischen hin zu stärker kognitiv geprägten Fähigkeiten.

In einem solchen Arbeitsumfeld können bereits leichte Einschränkungen in der Aufmerksamkeit oder im Reaktionsvermögen zu schwerwiegenden Konsequenzen führen. Arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse und Regelungen aus der zivilen Arbeitswelt sind jedoch nur sehr eingeschränkt auf das militärische Umfeld übertragbar. Um diese Wissenslücke zu schließen, wurde ein Testdesign entwickelt, das komplexe militärtypische Arbeitsabläufe mit hohen kognitiven Leistungsanforderungen simuliert. Die Untersuchungsmethodik ermöglicht die Erhebung von validen Datengrundlagen zu typischen arbeitsimmanenten Belastungen sowie die wissenschaftsbasierte Entwicklung und Überprüfung von Arbeitsgestaltungsmaßnahmen und Interventionen.
Schlagworte: Arbeitsplatzsimulation, psycho-physiologische Leistungsfähigkeit, Leistungspsychologie, Tätigkeitsanalyse, Arbeitspause.

Summary
Military workplaces have seen profound changes over the last few years. On one hand, the range of potential demands on the soldier has broadened and changed in response to the multitude of mission dependent tasks. On the other hand, the focus of task specific demands has shifted from mostly phys­ical to predominantly cognitive ones due to progressive mechanization and digitalization. Under these circumstances, even slightest reductions of attention or the ability to react may entail grave consequences. Insights and regulations from industrial science are of limited applicability in the military context. To close this knowledge gap, a testing design was developed, which simulates complex workflows specific for the military with high cognitive demands. Methods used allow for the gathering of valid baseline information on typical task-related demands as well as science-based development and evaluation of workplace/workflow design and interventions.
Keywords: work-place simulation, psycho-physiological capabilities, performance psychology, task analysis, work-break.


Einleitung
Militärische Arbeitsaufgaben werden in den letzten Jahren maßgeblich durch friedenssichernde und friedenserhaltende Einsätze in unterschiedlichen Regionen der Erde bestimmt. Die dort vorherrschenden Arbeitsbedingungen sind für die Soldatinnen und Soldaten oft sehr belastend und können die Wahrnehmung des militärischen Auftrags und die Ausführungspräzision der damit verbundenen Tätigkeiten erheblich beeinträchtigen (1).
Dies betrifft nicht nur körperlich fordernde Arbeiten, sondern auch viele technologieunterstützte militärische Aufgaben, die sitzend wahrgenommen werden. Typische Beispiele sind bildschirmorientierte Arbeitsplätze in den Bereichen Selbstschutz, Informationsgewinnung, Informationsbewertung und Aufklärung (Abb. 1):

  • Bedien- und Feuerleitzentrale für das Nächstbereich­schutz­sys­tem MANTIS (Modular, Automatic and Network Capable Targeting and Interception System),
  • Leit-, Kontroll- und Auswertestation für Drohnenaufklärung
    • CL-289,
    • KZO (Kleinfluggerät Zielortung Drohne),
    • LUNA (Luftgestützte Unbemannte Nahaufklärungs-Ausstattung),
  • ELOKA (Elektronische Kampfführung),
  • FüInfoSys (Führungsinformationssystem),
  • Leitstand des Flugabwehr-Raketensystems PATRIOT (Phased Array Tracking Intercept On Target).

Derartige Arbeitsplätze sind oft mit heterogenen kognitiv-mentalen Arbeitsprozessen verbunden, die hohe Anforderungen an die psychische Leistungsfähigkeit stellen (2). Hinzu kommt das Bewusstsein um die Verantwortung für das Gelingen des militärischen Auftrags. Übersehene oder fehlinterpretierte Informationen beziehungsweise falsche oder verzögerte Reaktionen können unter Umständen das Leben und die Gesundheit der Kameradinnen und Kameraden gefährden (3).

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Abb. 1: Typischer Arbeitsplatz mit hohen kognitiven Anforderungen: Der Leitungs- und Auswertungsstand Kleinfluggerät Zielortung Drohne.

Die Komplexität der Arbeitsaufgabe, der hohe Verantwortungsstatus und die ungünstigen Arbeitsrahmenbedingungen bilden eine außergewöhnliche Belastungssituation für die jeweiligen Bediener. Deshalb ist die Betrachtung der personellen, technischen und organisatorischen Faktoren im Hinblick auf die optimale Nutzung der gegebenen Leistungsressourcen eine herausragende präventivmedizinische Aufgabe.
Systemanalysen von Arbeitsplätzen mit vorwiegend kognitiven Leistungsanforderungen erfolgen üblicherweise in mehreren Stufen (4). Zunächst sind die Anforderungscharaktere, die typischen Arbeitsabläufe und die relevanten Rahmenbedingungen systematisch zu erfassen und unter Einbeziehung der Nutzererfahrungen zu bewerten. Auf dieser Grundlage können mögliche Verbesserungsmaßnahmen und/oder Interventionsstrategien abgeleitet werden. Schließlich müssen die induzierten Maßnahmen experimentell bestätigt werden. Dies kann entweder durch Felduntersuchungen am Originalarbeitsplatz oder durch Simulation aufgabenrelevanter Anforderungen unter Laborbedingungen erfolgen. Beide Verfahren besitzen prinzipielle Vor- und Nachteile (5), wobei ein valides Experimentaldesign im Rahmen realer Einsatzaufgaben allerdings kaum realisierbar ist.
Unter Laborbedingungen sind methodische Untersuchungen in der Regel besser umzusetzen. Voraussetzung hierfür ist eine standardisierte Mess- und Untersuchungsumgebung, die möglichst viele Eigenheiten der relevanten militärischen Arbeitstätigkeiten reproduzierbar abbildet. Im Folgenden wird die Entwicklung einer derartigen Arbeitsplatzsimulation beschrieben und deren Funktionalität im Rahmen eines Experimentaldesigns dargestellt.

Systementwicklung
Klassische psychologische Testverfahren sind meist darauf ausgerichtet, psychologische Konstrukte weitgehend isoliert und möglichst ohne moderierende Nebeneinflüsse zu erfassen (6). Sie bieten damit den Vorteil hoher Validität und guter Vergleichbarkeit von unterschiedlichen Untersuchungsaufgaben. Die separate Betrachtung kognitiver Fähigkeiten bildet jedoch die Beanspruchung des Soldaten in dem komplexen Wirkungsgefüge einsatzorientierter militärischer Arbeitsaufgaben nicht adäquat ab. Praktische Arbeitsabläufe bestehen fast immer aus unterschiedlich gewichteten Kombinationen verschiedener kognitiver Faktoren. Daher sollten sich Untersuchungen mit dem Ziel einer Belastungsreduktion bei der Wahrnehmung kognitiver Arbeitsaufgaben eng an den Leistungsanforderungen der Original-Arbeitsplätze orientieren. Da sich dieser Anspruch in der Experimentalumgebung eines Labors nur durch geeignete Simulationsverfahren erfüllen lässt, wurde die Laborabteilung IV am Zentralen Institut des Sanitätsdienstes der Bundeswehr Koblenz beauftragt, im Rahmen eines Verbundforschungsprojektes mit der Forschungsgruppe Leistungsepidemiologie an der Deutschen Sporthochschule Köln zwei militärtypische Arbeitsplatzsimulationen mit überwiegend kognitiver Ausrichtung zu entwickeln und zu testen1.
Ziel des Projektes ist es, die aus einem vorausgegangenen Forschungsvorhaben (7) zur Verfügung stehende Experimentalumgebung „KaSimiR“ (Kabinen-Simulator mit integrierter Regeleinrichtung) um zwei Komponenten zu erweitern. Hierbei soll je ein idealtypisches Arbeitsszenario mit geringer sowie mit hoher kognitiver Komplexität entwickelt und in das Messplatzsys­tem implementiert werden.
Um eine möglichst große Bandbreite relevanter Tätigkeiten abbilden zu können, wurde explizit darauf verzichtet, exemplarisch zwei Arbeitsplätze auszuwählen und diese im Sinne einer Trainingssimulation (8) praxisnah nachzubilden. Vielmehr wurden aus dem Spektrum militärspezifischer Aufgaben charakte­ris­tische Arbeitssituationen ermittelt und nach Häufigkeitsmus­ter gruppiert. Hierzu wurden mehrere repräsentative Arbeitsplätze mit hohen kognitiven Anforderungen (Beispiele siehe oben) begutachtet. Die Erfassung der wesentlichen Kenngrößen erfolgte durch fragebogengestützte, halb-strukturierte Interviews mit Ausbildern, Führungspersonal und Arbeitsplatzinhabern sowie durch Vor-Ort-Begehungen.
Alle untersuchten Arbeitsabläufe sind durch einen hohen Grad an kognitiv-mentalen Handlungserfordernissen gekennzeichnet. Im Vordergrund stehen Prozesse zur Aufnahme, Übertragung, Verarbeitung und Weitergabe von Informationen. Die Komplexität dieser Prozesse variiert hierbei sehr stark und hängt ab von der Aufgabenschwierigkeit, der Stimulusfrequenz (Anzahl von Informationen, auf die reagiert werden muss), der Informationsrelevanz (Schlüsselinformationen innerhalb großer Informa­tionsmengen), den Multitaskinganforderungen (multiple, gleichzeitig ablaufende Reaktions- und Steuerungsabläufe) und den Rückkopplungen der eigenen Entscheidungen auf die zu bearbeitende Aufgabe.
Es ist offensichtlich, dass ein statisches Testdesign diese Variabilität nicht abbilden kann. Deshalb wurde entschieden, die Arbeitsplatzsimulationen modular aufzubauen und die Testparameter hinsichtlich Dauer, Anzahl, Abfolge, Parallelität und Dominanz der Stimuli konfigurierbar zu gestalten. Zugleich war vorgegeben, dass ein offensichtlicher militärtypischer Aufgabenbezug gegeben ist (hohe Augenscheinvalidität des Systems), die Aufgabenausführung schnell erlernbar ist (Reduktion von Lerneffekten) und die in KaSimiR integrierten physiologischen Messverfahren (insbesondere das okulomotorische Erfassungssystem SmartEye) adaptiert werden können. Die einzelnen Module der Simulationen sollten auch als individuelle Einzelaufgaben nutzbar sein.

Arbeitsplatzsimulation mit geringer ­kognitiver Komplexität
Die Arbeitsplatzsimulation mit geringer kognitiver Komplexität besteht aus jeweils einem auditiven und visuellen Modul. Hintergrund ist ein militärischer Überwachungsposten mit Freund-/Feindaufklärung. Das visuelle Szenario simuliert die Überwachung eines circa 3 km² großen Geländebereichs in 360°-Rundumsicht. Ein radarähnlich aufgebautes Meldesystem informiert den Probanden über „verdächtige“ Bewegungen und ordnet diese Aktivität einem von 24 Überwachungssegmenten zu (Abb. 2). Der Proband hat zur Aufgabe, die Person, die den Alarm ausgelöst hat, mit optischen Hilfsmitteln aufzuklären und anhand von Vergleichsfotos zu identifizieren.

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Die hierzu in KaSimiR implementierte Simulationsumgebung besteht aus einem 30‘‘-Hauptmonitor und zwei 10‘‘-Touch-Monitoren. Der Hauptmonitor zeigt einen Sichtausschnitt der virtualisierten Umgebung, den der Proband per Joystick-Steuerung stufenlos verschieben kann. Über einen zweiten Joystick hat er die Möglichkeit, seinen Sichtbereich heran- oder herauszu­zoomen. Ein Touch-Monitor dient zur Interaktion mit dem Meldesystem, der zweite zur Zuordnung des Aufklärungsziels zu einer Personengruppe. Als Kenngrößen für die Testleistung werden die Anzahl richtiger, falscher und ausgelassener Aufklärungen sowie die jeweilige Bearbeitungszeit erfasst.
Parallel zu diesem vorwiegend visuellen Testmodul wird eine auditive Aufgabe präsentiert, die sich an einem militärischen Funksprechverkehr orientiert. Das entwickelte Programm generiert Funksprüche nach dem Schema „[Rufzeichen Adressat] hier [Rufzeichen Sender], [Farbe], [Zahl]“. Der Proband soll eine an ihn gerichtete Nachricht identifizieren und die entsprechend genannte Farbe verbal wiederholen. Die Antwort wird aufgezeichnet und per Sprachanalyse automatisch als „richtig“, „falsch“ oder „ausgelassen“ bewertet. Außerdem wird die jeweilige Antwortverzögerung erfasst.

Arbeitsplatzsimulation mit hoher kognitiver Komplexität
Im Vergleich zu dem gerade beschriebenen Szenario wird bei der Arbeitsplatzsimulation mit hoher kognitiver Komplexität eine in der militärischen Hierarchie höher angesiedelte Aufgabe abgebildet. Sie besteht aus insgesamt fünf Einzelmodulen.
Das erste Modul simuliert das Führen einer Lagekarte im Zuständigkeitsbereich für ein etwa 10 km x 10 km großes Gelände. Hierzu stehen dem Probanden eine hochaufgelöste Luftbild­aufnahme, eine Übersichtskarte sowie ein Textfenster für ­Meldungen zur Verfügung. Das Luftbild zeigt einen etwa 800 m x 800 m großen, frei verschiebbaren Teilbereich des Gesamtgeländes. Der Proband hat zur Aufgabe, sukzessiv gemeldete Informationen von unterschiedlichen Überwachungsquellen (feste Überwachungsposten und bewegliche Patrouillen) aufzunehmen, deren Position zu lokalisieren und die Informationen nach bestimmten Vorgaben in das Luftbild zu übertragen (Abb. 3, links). Kenngrößen für die Testleistung sind Anzahl der bearbeiteten Ereignisse, Genauigkeit der Eintragungen und die entsprechenden Bearbeitungszeiten.

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Das zweite Modul simuliert eine Instrumenten- und Skalenkontrolle. Auf den beiden Touch-Monitoren sind mehrere Instrumente und Skalen angeordnet, die Betriebsparameter von Systemen anzeigen. Die Anzeigeänderungen erfolgen langsam und stetig. Der Proband hat zur Aufgabe, bei Erreichen eines rot markierten Grenzbereichs (links, rechts oder an beiden Skalenenden angeordnet) das entsprechende Instrument anzutippen. Daraufhin springt die Anzeige zurück in den grünen Bereich (Abb. 3, rechts). Erfasst werden richtige, falsche und ausgelassene Reaktionen sowie die Reaktionszeiten.
Die drei weiteren Module enthalten auditive Aufgaben, die sequenziell in randomisierter Abfolge dargeboten werden. Die Reaktion der Probanden erfolgt nur verbal. Es handelt sich um

  • einen Kurzzeitgedächtnistest, bei dem eine Zahlenfolge zu wiederholen ist,
  • einen Logiktest, bei dem eine Aussage auf Richtigkeit geprüft und entsprechend bestätigt werden muss und
  • eine Rechenaufgabe, bei der drei Zahlen addiert werden müssen.

Alle auditiven Aufgaben werden mittels Computerstimmen präsentiert und nutzen aufwändige, zum Teil selbst entwickelte Algorithmen zur Digitalisierung und Auswertung der verbalen Reaktionen. Relevante Kenngrößen sind auch hier richtige, falsche oder ausgelassene Antworten und die entsprechenden Antwortverzögerungen.

Evaluierung
Die Methodenentwicklung der Arbeitsplatzsimulation durchlief eine Reihe von Evaluierungsprozessen. Neben den technischen Prüfungen zur Stabilität und Funktionalität der Software, der Implementierung in die Experimentalumgebung KaSimiR, den Kontrollen zur Ergebnisplausibilität und der datentechnischen Anbindung an mitlaufende physiologische Messverfahren wurden Untersuchungen zur Justierung der methodischen Parameter durchgeführt.
In der Folge sind Testreliabilität und Testsensitivität und somit die Gebrauchstauglichkeit der Verfahren nachzuweisen. Dies erfolgt derzeit im Rahmen einer experimentellen Interventionsstudie, zu der ein positives Votum der Ethikkommission vorliegt. Die Untersuchung hat zum Ziel, die Eignung der Arbeitsplatzsimulationen exemplarisch durch die Analyse des Einflusses von Pauseninterventionen auf die Arbeitsleistung zu belegen. Grundannahme ist, dass die kognitive Arbeitsleistung nach einer körperlichen aktiven Pause zwischen zwei Arbeitsphasen besser ist, als nach einer passiven Pause beziehungsweise unter einer Kontrollbedingung ohne Pause.
Die aktive Pausenintervention wird mit einem Stepptest realisiert. Nach einem vorgegebenen Takt soll der Proband auf eine circa 18 cm hohe Plattform auf- und wieder absteigen. Anhand von Voruntersuchungen wurde eine Steppfrequenz definiert, bei der die Probanden im Mittel eine Herzschlagfrequenz von 140 min-1 erreichen. Während der passiven Pause verweilen die Probanden sitzend vor den dunkel geschalteten Bildschirmen.
In zwei Studienabschnitten (geringe/hohe kognitive Komplexität) wurden jeweils 60 Probanden zu gleichen Teilen randomisiert einer der drei experimentellen Bedingungen zugeordnet (Kontrollgruppe ohne Pause; Placebogruppe mit passiver Pause und Experimentalgruppe mit aktiver Pause).
Als Probanden wurden ausschließlich männliche Soldaten im Alter zwischen 19 und 45 Jahren akquiriert. Ausschlusskriterien waren Schwerhörigkeit, Gesichtsfeldeinschränkungen beziehungsweise Fehlsichtigkeit sowie orthopädische Probleme, die die Ausführung des Stepptests behindern könnten. Als Kontrollvariablen wurden Alter, Schulbildung, Computererfahrung, allgemeine kognitive Fähigkeit und empfundene Anstrengung auf mehreren Ebenen erhoben.
Die Interventionsstudie findet gegenwärtig in der Experimentalumgebung KaSimiR statt und wird durch die dort zur Verfügung stehenden Untersuchungsmethoden ergänzt (9). Neben den oben genannten Kenngrößen der Arbeitsplatzsimulationen werden okulomotorische Parameter sowie Herzfrequenz und Herzfrequenzvariabilität erfasst.
Die experimentelle Durchführung ist noch nicht abgeschlossen. Es ist jedoch bereits erkennbar, dass das gesetzte Entwicklungsziel erreicht worden ist:

  1. Die Simulationen wirken authentisch und sind auf viele einsatztypische Arbeitssituationen übertragbar.
  2. Die Testverfahren besitzen Sensitivität zur Erfassung kognitiver Leistungsveränderungen.
  3. Die relevanten Rahmenbedingungen können für viele Untersuchungsfragen konfiguriert und standardisiert werden, sodass alle Voraussetzungen für wissenschaftlich-statistische Bewertungen vorliegen.

Es wurde deutlich, dass die gleichzeitige Bearbeitung mehrerer Aufgabenmodule vielen militärischen Arbeitssituationen entspricht. Durch die damit gegebene hohe Praxisorientierung der Simulationen sind realistische Provokationen von kognitiven Beanspruchungen möglich und hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Arbeitsleistungen interpretierbar.

Schlussfolgerungen
In der zivilen Arbeitswelt hat man die psychische Belastung als wesentlichen Faktor im Arbeits- und Gesundheitsschutz längst erkannt. Überlastung und chronische Überforderung verursachen Stress und äußern sich durch Reaktionen wie Verhaltensstörungen, Leistungseinschränkungen (sogenannter Präsentismus), Arbeitsunfähigkeitstagen (sogenannter Absentismus) bis hin zu Frühverrentungen (10, 11). Solche Effekte sind natürlich kontraproduktiv für die Interessen der Unternehmen, so dass viele Aktivitäten entstanden sind, die relevanten Belastungs- und Beanspruchungszusammenhänge zu erfassen und dagegen zu intervenieren (siehe zum Beispiel „Stressreport Deutschland 2012“ (12) und Bemühungen zur Verfahrensstandardisierung der Untersuchungskonzepte (4, 13)).
Die wesentlichen Stressindikatoren sind Arbeitssituationen, in denen verschiedenartige Aufgaben gleichzeitig bearbeitet werden müssen (Multitasking), starker Termin- und Leistungsdruck besteht, häufig Störungen und Arbeitsunterbrechungen vorkommen, lange Arbeitszeiten abverlangt oder Arbeitsschritte ständig wiederholt werden müssen (Monotonie). Solche Merkmalsausprägungen finden sich in nahezu allen Berufssparten, sie steigen aber meist mit zunehmender kognitiver Ausrichtung der Arbeitstätigkeit an (14, 15). Nicht selten können sich die Folgen von nachlassender Leistungsfähigkeit oder von Fehlleistungen hierbei gravierend auf kommerzielle oder sicherheitstechnische Interessen auswirken.
Die Wahrnehmung militärischer Aufgaben unterliegt prinzipiell vergleichbaren stressauslösenden Mechanismen. Zusätzlich können extrem ungünstige Arbeitsbedingungen und hochgradige Bedrohungsszenarien im Einsatz die gegebene Belastungs­situation weiter verschärfen. Diese Zusammenhänge sind in der Bundeswehr durchaus bekannt. Sie wurden bisher aber eher selten analytisch betrachtet. Die üblichen Methoden zur Arbeits­gestaltung wie Personaleinteilung, Arbeitszeitregimes, Pausengestaltung, Schichtsysteme etc. stützen sich oft – und durchaus erfolgreich – auf subjektive Erfahrungswerte und Ausbildungserkenntnisse („lessons learned“, „best practice“). Valide wissenschaftliche Bezugsdaten, insbesondere für Arbeitsaufgaben, bei denen kognitive Leistungsanforderungen im Vordergrund stehen, liegen jedoch kaum vor.
Hier setzen die Arbeitsplatzsimulationen in der Labor-Testumgebung KaSimiR an. Sie wurden mit dem Anspruch entwickelt, Informationen zur kognitiven Leistungsfähigkeit in realitätsnahen Belastungssituationen zu erheben und zu objektivieren. Entsprechend bieten die Verfahren umfangreiche Möglichkeiten, um die Auswirkungen von Stresssituationen im Zusammenhang mit militärtypischen Arbeitsbedingungen experimentell zu untersuchen und nach validen Kriterien zu bewerten.
Dieser Vorgehensweise sind aber auch Grenzen gesetzt. Zwar kann über die Konfiguration der Testparameter Leistungsstress erzeugt werden, dieser fokussiert aber ausschließlich auf die möglichst korrekte und vollständige Bearbeitung der präsentierten Aufgaben. Im Gegensatz zu vielen Originalarbeitsplätzen sind bei Fehlleistungen oder bei indolentem Verhalten der Probanden keine Konsequenzen zu befürchten.
Ungeachtet dieser labortypischen Einschränkung besitzen die Arbeitsplatzsimulationen ein hohes Präventionspotenzial. Durch die methodische Untersuchung der Wirkungszusammenhänge einsatztypischer Arbeitssituationen und die Gestaltungsmöglichkeiten von Interventionsmaßnahmen kann ein wichtiger Beitrag geleistet werden, um (kognitive) Arbeitsleistungen zu optimieren, Arbeitsfehler zu verringern und in der Folge die Gesundheit der Soldatinnen und Soldaten zu erhalten.

Bildquelle:
Abbildung 1: Artillerieschule, Rilchenbergkaserne, 55743 Idar-Oberstein
Abbildungen 2 und 3: Laborabteilung IV, Zentralinstitut des Sanitätsdienstes der Bundeswehr Koblenz

Literatur

  1. Kommando Heer I 1 (2) Referat Einsatzauswertung: Aus dem Einsatz lernen 1/2013: Einsatzauswertung. Koblenz 2012.
  2. Nachreiner F: Psychische Belastung und Beanspruchung in Systemen mit komplexer Technikumgebung. In: Ludborzs B and Nold H (eds.): Psychologie der Arbeitssicherheit und Gesundheit: Entwicklungen und Visionen 1980-2008-2020. Kröning: Asanger Verlag 2009; 173 – 191.
  3. Heiss A, Gorges W, Sievert A, et al.: Critical aspects of cognitive performance under military working schedules. Int J Psychol: Special Issue: Abstracts of the XXIX. International Congress of Psychology 2008; 43: 768.
  4. Deutsches Institut für Normung e.V.: DIN EN ISO 10075-3: Ergonomische Grundlagen bezüglich psychischer Arbeitsbelastung. Teil 3: Grundsätze und Anforderungen an Verfahren zur Messung und Erfassung psychischer Arbeitsbelastung. Berlin: Beuth-Vertrieb GmbH 2004; 13.180.
  5. Bortz J, Döring N: Forschungsmethoden und Evaluation für Human- und Sozialwissenschaftler. Heidelberg: Springer Verlag 2006.
  6. Ulich E: Arbeitspsychologie. Zürich: Schäffer-Poeschel Verlag 2005.
  7. Eßfeld D: Psycho-physiologische Erfassung der momentanen Leis­tungsfähigkeit unter einsatznahen Bedingungen: Abschlussbericht zum Verbundforschungsprojekt (M SAB1 4 A010). Köln 2008.
  8. Nerdinger FW, Schaper N, Blickle G (eds.): Arbeits- und Organisationspsychologie. Berlin, Heidelberg, New York: Springer Verlag 2011.
  9. Witzki A, Sievert A, Gorges W, et al.: Psycho-physiologische Leis­tungsparameter im Soldatenberuf. Multi-methodales Vorgehen eröffnet neue Perspektiven. Wehrmed Mschr 2010; 54 (11 - 12): 283 – 285.
  10. Badura B, Ducki A, Schröder H, et al. (eds.): Fehlzeiten-Report 2012: Gesundheit in der flexiblen Arbeitswelt: Chancen nutzen - Risiken minimieren. Berlin: Springer Verlag 2012.
  11. Bödeker W, Fiedel H, Friedrichs M, et al. (eds.): Kosten der Frühberentung. Abschätzung des Anteils der Arbeitswelt an der Erwerbs- und Berufsunfähigkeit und der Folgekosten. In: Schriftenreihe der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin: Forschungsbericht, Fb 1080. Bremerhaven: Wirtschaftsverlag NW Verlag für neue Wissenschaft GmbH 2006.
  12. Lohmann-Haislah A: Stressreport Deutschland 2012. Psychische Anforderungen, Ressourcen und Befinden. Dortmund, Berlin, Dresden: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin 2012.
  13. Richter G: Toolbox Version 1.2: Instrumente zur Erfassung psychischer Belastungen. Forschung Projekt F 1965. Dortmund, Berlin, Dresden: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin 2010.
  14. Schmidtke H: Mentale Beanspruchung durch informatorische Be­las­tung. In: Schmidtke H (ed.): Ergonomie. München: Hanser Verlag 1993; 143 – 160.
  15. Singer R, Rutenfranz J, Nachreiner F: Zur Beanspruchung des Menschen durch Überwachungs-, Kontroll- und Steuerungstätigkeiten in der Industrie. Arbeitsmed Sozialmed Arbeitshyg 1970; 5: 314 – 319.

 

Datum: 24.07.2013

Quelle: Wehrmedizinische Monatsschrift 2013/7

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