„Vorbeugen ist besser als Heilen“. Dieses Statement für eine entsprechende Prävention hat im Jahre 2024 in der Zahnmedizin nichts von seiner Aktualität verloren. Auch wenn die Prävalenzen von parodontalen Erkrankungen und Karies rückläufig sind, so stellen sie nach wie vor die häufigsten Volkskrankheiten dar. Die durch sie verursachten Gesundheitsschäden sind groß, die entsprechenden Behandlungskosten gehen deutschlandweit in den zweistelligen Milliardenbereich. Erste Erfolge konnten durch die Bemühungen sowohl der Kostenträger als auch der Zahnärzteschaft erzielt werden, gleichwohl bleibt die Prävention auch in Zukunft ein überaus wichtiges Anliegen zahnärztlicher Bemühungen. In den folgenden Ausführungen soll der Begriff der Prävention und die dazu gehörenden Behandlungsmaßnahmen einmal genauer definiert werden. Darüber hinaus soll betrachtet werden, wo die zahnärztliche Prävention innerhalb des zahnärztlichen Dienstes der Bundeswehr im Rahmen der unentgeltlichen truppenärztlichen Versorgung (uTV) die entsprechende Berücksichtigung findet.
Als Verdienst der Sozialmedizin wurde der Begriff der Krankheitsprävention erstmals in der Mitte des 19. Jahrhunderts eingeführt. Hintergrund waren die im Zuge der Industrialisierung auftretenden unzureichenden Hygiene- und Arbeitsbedingungen, die zu verschiedenen, mit diesen Bedingungen in kausalem Zusammenhang, stehenden Erkrankungen der betroffenen Arbeiterinnen und Arbeitern führten und deren Verhinderung sich die Sozialmedizin zur Aufgabe gemacht hatte. Im Laufe der Zeit weitete sich der Begriff auf viele andere Krankheiten beziehungsweise deren Vermeidung und wird heute meist nur noch verkürzt Prävention genannt. Im Laufe der Zeit erfuhr der Begriff der Prävention eine weitere Differenzierung. Zum Begriff der primären Prävention mit dem Ziel der Verringerung von Inzidenzen von Krankheiten kam die sekundäre Prävention mit dem Fokus der Früherkennung und Frühbehandlung von Krankheiten, die tertiäre Prävention mit dem Fokus auf die Nachsorge und die quartäre Prävention zur Vermeidung von Überdiagnostik und Übertherapie von Krankheiten hinzu. Für all diese verschiedenen Präventionsbegriffe lassen sich in der Zahnmedizin und in der Parodontologie Beispiele finden. Daraus wird im Laufe des Artikels noch näher eingegangen. Bezüglich der konkreten Benennung sei noch der Begriff der Prophylaxe erwähnt. Er entstammt dem griechischen Begriff „prophylaxis“, was „von vornherein ausschließen“ bedeutet und damit entspricht er in der Bedeutung dem Begriff der Prävention. In der Zahnmedizin wird der Begriff der Prophylaxe im Regelfall für entsprechende Tätigkeit verwendet, während der Begriff der Prävention für das Fachgebiet insgesamt benutzt wird. Dieser Sprachgebrauch soll auch in den folgenden Ausführungen weitgehend beibehalten werden.
Maßnahmen der parodontalen Prävention
Die Ätiologie parodontaler Erkrankungen ist multikausal. Unstrittig ist jedoch, dass der orale Biofilm als ätiologischer Hauptfaktor gelten kann. Im Fokus präventiver Maßnahmen muss daher die möglichst effiziente Reduzierung und Kontrolle des oralen Biofilms stehen und das lebenslang. In erster Linie ist dafür das betroffene Individuum zuständig, die Kontrolle des oralen Biofilms muss mittels einer effizienten häuslichen Mundhygiene erfolgen. Hier ist jedoch von einer großen individuellen Spannbreite hinsichtlich der Kenntnisse, der manuellen Fertigkeiten, dem Bewusstsein für die eigene Mundgesundheit und der Motivation zur stetigen Durchführung auszugehen. Aus diesem Grund ist eine professionelle Unterstützung seitens der betreuenden zahnärztlichen Behandlungseinrichtung sinnvoll. Zunächst einmal muss jedoch durch eine entsprechende Untersuchung festgelegt werden, welche Maßnahmen im weiteren Ablauf erforderlich sind. Sollte in dieser Untersuchung eine parodontale Erkrankung diagnostiziert werden, ist dies zunächst entsprechend zu behandeln. Liegt keine vor, können Maßnahmen der primären Prävention sinnvoll sein. Für die in diesem Zusammenhang zur Anwendung kommenden Maßnahmen gibt es eine Vielzahl von Begriffen wie beispielsweise einsatzvorbereitende Prophylaxe (EVP), professionelle Zahnreinigung (PZR), Mundhygieneinstruktion (MHI), unterstützende parodontale Nachsorge (UPT) oder Individualprophylaxe (IP). Diese Begriffe werden nicht immer sauber getrennt und haben zum Teil unterschiedliche Leistungsinhalte. Deshalb sei auf einzelne Begriffe einmal genauer eingegangen:
Die Professionelle Zahnreinigung
Diese Bezeichnung findet häufig verwendet, in vielen Fällen wird damit eine vollständige Behandlungssitzung mit allen dazugehörenden Behandlungselementen gemeint. Dafür ist die Bezeichnung PZR jedoch nicht geeignet. Dieser Begriff stammt aus dem Leistungskatalog der Gebührenordnung (GOZ) für die privatzahnärztliche Behandlung und umfasst lediglich die Entfernung der supragingivalen harten und weichen Beläge, die Reinigung der Approximalräume und die Oberflächenpolitur. Somit beinhaltet die PZR zwar die Entfernung des Biofilms, die für die individuelle sehr wichtige MHI beinhaltet die PZR jedoch nicht, dafür gibt es dann die GOZ-Positionen 1000 beziehungsweise 1010. Somit ist der Begriff der PZR unvollständig und für die Bezeichnung der kompletten individualprophylaktischen Maßnahmen nur unzureichend geeignet.
Die Mundhygieneinstruktion
Die MHI erfolgt im Regelfall durch entsprechend ausgebildetes Assistenzpersonal in der zahnärztlichen Behandlungseinrichtung und soll die Patienten befähigen, die individuelle Kontrolle des oralen Biofilms zu verbessern. Dazu wird der eigentlich zahnfarbene und damit schlecht zu erkennende Biofilm angefärbt und damit für die Patienten sichtbar gemacht. In Abhängigkeit von dem vorhandenen Biofilm können Patienten dann individuell über entsprechenden Schwachstellen aufgeklärt und die Hilfsmittel empfohlen werden. Die MHI sollte je nach individuellen Fertigkeiten und Risiko im Schnitt zweimal im Jahr wiederholt werden.
Unterstützende Parodontitistherapie
Dieser Begriff beschreibt keine Maßnahmen der primären Prävention, sondern der tertiären parodontalen Nachsorge. Diese Therapie setzt nach der Parodontitistherapie ein und soll eine Rezidivierung vermeiden. Auf die zur UPT gehörenden Behandlungsmaßnahmen wird noch eingegangen, sie beinhalten im Grunde wie bei der primären Prävention die Reduzierung und die Kontrolle der mikrobiellen Plaque.
Einsatzvorbereitende Prophylaxe
Dieser Begriff fand vor der Neufassung der zahnärztlichen Richtlinien innerhalb des zahnärztlichen Dienstes Verwendung. Hintergrund war die Erkenntnis, dass gerade vor dem Einsatz aufgrund der mit dem Einsatz oft verbundenen deutlich erhöhten Stressbelastung Maßnahmen der primären Prävention besonders sinnvoll sind. Mit der Einführung der Allgemeinen Regelung AR A-860/13 „Zahnärztliche Versorgung militärischen Personals“ wurde dieser Begriff nicht verwendet und er sollte daher heute auch keine Verwendung mehr finden.
Zahnärztliche Individualprophylaxe
Mit Einführung der Allgemeinen Regelung AR A-860/13 findet diese Bezeichnung innerhalb des Zahnärztlichen Dienstes der Bundeswehr Anwendung. Er beinhaltet alle zahnärztliche-prophylaktische Maßnahmen des Bewertungsmaßstabes der Krankenkasse, also die Positionen IP 1 (Erstellen eines Mundhygienestatus), IP 2 (Mundhygieneinstruktion), IP 4 (lokale Fluoridierung) und 5 (Fissurenversiegelung) sowie die Entfernung harter und weicher Beläge.
Effizienz regelmäßiger individualprophylaktischer Maßnahmen
Die Effizienz individualprophylaktischer Maßnahmen zur primären Prävention wird von den gesetzlichen Krankenkassen als Kostenträger immer wieder mal bezweifelt. In diesen Diskussionen werden die Begrifflichkeiten oft nicht sauber getrennt und nicht immer ist klar, welche Maßnahmen für welchen Patienten eigentlich gemeint sind. Es macht daher Sinn, die wissenschaftliche Evidenz einzelner Maßnahmen einmal genauer zu betrachten. Verschiedene Studien haben sich mit dem Erfolg präventiver Maßnahmen befasst. Als große Bevölkerungsstudie aus Deutschland wurde 2016 die „Fünfte Deutsche Mundgesundheitsstudie“ veröffentlicht. Ihre Ergebnisse legen nahe, dass sich präventive Maßnahmen positiv auf die parodontale Gesundheit auswirken. Dieses konnte auch verschiedene andere Langzeitstudien vornehmlich aus dem skandinavischen Raum bestätigt werden. Im Fokus der Diskussion über die Sinnhaftigkeit primärer präventiver Maßnahmen steht meist die PZR. In der Diskussion über sie muss jedoch genau benannt werden, um welchen Patientenkreis es geht. Wie bereits an anderer Stelle ausgeführt, stellt die professionelle Zahnreinigung alleine keine komplette individual-prophylaktische Maßnahme dar, da sie die MHI nicht miteinschließt. Ihre Sinnhaftigkeit kann daher zu Recht hinterfragt werden. In verschiedenen wissenschaftlichen Arbeiten konnte gezeigt werden, dass die PZR ohne MHI nur einen geringen langfristigen Effekt auf die gingivale und parodontale Gesundheit hat. Für junge Erwachsene mit guter parodontaler Gesundheit und guter individueller Mundhygiene zeigte die PZR als Adjuvanz zur MHI ebenfalls keinen signifikanten Nutzen und kann daher als entbehrlich gelten. Für den wesentlichen größeren Patientenkreis mit Schwächen in der Entfernung des Biofilms in der häuslichen Mundhygiene trotz vorangegangener MHI gilt dieses jedoch nicht. Hier zeigte die PZR in Kombination mit der MHI einen nennenswerten medizinischen Nutzen. Studien zeigten, dass die Häufigkeit der individuellen Mundhygienemaßnahmen unter Stressbelastung nicht abnimmt, wohl aber die Entfernung des Biofilms nur unzureichend gelingt. Der Beruf des Soldaten kann in verschiedener Hinsicht zu einer deutlich erhöhte Stressbelastung führen, sodass gerade für diesen Personenkreis regelmäßige MHI und PZR absolut sinnvoll sind.
Patienten, die an einer Parodontitis erkrankt sind, bedürfen nach der aktiven Therapie einer tertiären Prävention im Sinne der UPT. Deren Effizienz ist unstrittig und konnte in einer Vielzahl von Studien belegt werden. In Abhängigkeit vom Erkrankungsgrad, der individuellen Mundhygiene und weiterer Faktoren, wie beispielsweise das Vorliegen eines Diabetes mellitus, können UPT-Intervalle von vier Sitzungen im Jahr gerechtfertigt sein.
Maßnahmen und Ablauf der Individual-prophylaktischen Sitzung
Als biofilminduzierte Erkrankungen muss zur Prävention von Parodontitis und Karies natürlich die Entfernung harter und weicher Beläge (des Biofilms) erfolgen. Wie bereits mehrfach erwähnt, muss eine komplette individual-prophylaktische Sitzung jedoch auch andere, für die Prävention ebenfalls wichtige, Elemente erhalten. Im Nachgang sei daher der Ablauf einer entsprechenden Sitzung in der zeitlichen Abfolge dargestellt.
1. Anamnese und zahnärztliche Untersuchung:
Zum Ausschluss entsprechender Risikofaktoren muss vor zahnärztlichen Behandlungsmaßnahmen eine Anamnese erhoben werden. Auch wenn sie im Patientenklientel der Streitkräfte selten sind, so gibt es doch SoldatInnen mit Grunderkrankungen, die aufgrund der mit der Zahnreinigung verbundenen transistorischen Bakteriämie einer antibiotischen Abschirmung bedürfen.
2. Erhebung eines Mundhygieneindex und eines gingivalen Entzündungsindex mit anschließender Instruktion und Motivation:
Der Entzündungsgrad der Gingiva kann mittels eines Blutungsindex bestimmt werden. Als einfacher, aber praktikabler und weithin bekannter Index hat sich schon seit langem der Sulkus-Blutungsindex bewährt. Dabei ist es sinnvoll, ihn vor dem Anfärben zu erheben, so können auch kleine Blutungspunkte gut erkannt werden. Für die Bestimmung der Mundhygiene hat sich der Approximalraum-Plaque-Index bewährt. An die Erhebung der genannten Indices schließt sich die MHI an. In dieser gilt es dem Patienten die für ihn passende Putztechnik mit den entsprechenden Mundhygienehilfsmittel zu vermitteln.
Im Fokus sollte dabei insbesondere die Reinigung der Approximalräume stehen, die mit der Zahnbürste alleine nicht hinreichend gereinigt werden können und für die beispielsweise Zahnseide oder Zahnzwischenraumbürsten zur Verfügung stehen. Diese Maßnahmen entsprechen den IP-Positionen 1 und 2.
3. Entfernung der harten und weichen Zahnbeläge:
Neben dem Biofilm sollten auch harte Beläge wie Zahnstein und Verfärbungen vollständig mit verschiedenen Hilfsmitteln (z. B. Gummikelchen oder Ultraschallinstrumenten) entfernt werden.
4. Lokale Fluoridierung:
Zur Kariesprophylaxe ist die Applikation eines fluoridhaltigen Präparats sinnvoll.
Die Maßnahmen der UPT entsprechen im Wesentlichen denen der IP. Um eine Rezidivierung möglichst frühzeitig zu erkennen, sei aber insbesondere auf eine regelmäßige parodontale Diagnostik in Form der Erhebung eines Parodontalbefundes verwiesen.
Maßnahmen der Prävention im Rahmen der uTV
Mit der Einführung der schon mehrmals erwähnten Allgemeinen Regelung AR A-860/13 hat der Zahnärztliche Dienst der Bundeswehr eine klare Regelung bezüglich des Anspruchs von SoldatInnen auf zahnärztlich-prophylaktische Maßnahmen getroffen. Mit einem Schreiben vom 07.03.2024 (Aktenzeichen 42–26–16) wurde die AR A-860/13 nochmals präzisiert. So wird im Abschnitt 3. „Leistungs-/Behandlungsumfang“ unter Punkt 303 ausgeführt, dass die zahnärztliche Versorgung für SoldatInnen der Bundeswehr im Rahmen der uTV alle grundlegenden Maßnahmen zur Vermeidung, Früherkennung und Behandlung von Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten umfasst. Weitergehende Ausführungen finden sich im Abschnitt 8.1 „Zahnärztliche Individualprophylaxe“. Hier wird klar benannt und unter Punkt 801 und 802 entsprechend ausgeführt, dass SoldatInnen ohne Altersbeschränkung grundsätzlich einen Anspruch auf alle zahnärztlich-prophylaktische Maßnahmen haben, wobei die behandelnden Truppenzahnärzte den Umfang festlegt. Dafür ist eine vorab durchzuführende parodontale Diagnostik erforderlich. Im Regelfall erfolgt diese im Rahmen der einmal jährlich durchzuführenden Vergabe der Dental-Fitness-Classifikation mittels der Erhebung des Parodontalen-Screening-Index (PSI). Sollten hierbei PSI-Werte bis maximal Gard 2 erhoben werden, ist eine parodontale Therapie nicht indiziert, wohl aber Maßnahmen der zahnärztlichen IP. Diese Maßnahmen sind nicht genehmigungspflichtig. Kein Bestandteil der uTV ist hingegen grundsätzlich die PZR, die fachlichen Gründe hierfür wurden in den vorherigen Ausführungen ausführlich beschrieben. In besonderen Fällen kann sie jedoch auf entsprechenden Antrag genehmigt werden.
Der Notwendigkeit der tertiären Prävention in Form der Nachsorge nach aktiver Parodontaltherapie wird durch die Ausführungen im Abschnitt 8.4 „Systematische Behandlungen von parodontalen und periimplantären Erkrankungen“ Rechnung getragen. Unter den Punkten 826–830 wird näher auf die UPT eingegangen. Hier wird ausdrücklich betont, dass die UPT ein Teil der Parodontaltherapie und damit der uTV insgesamt ist und sie zur Sicherung des Behandlungsergebnisses notwendig ist. Diese wird in der Vielzahl der Fälle sicherlich auch bei den in die Bundeswehrkankenhäuser überwiesenen Patienten nach der aktiven Behandlung durch die truppenzahnärztlichen Behandlungseinrichtungen durchzuführen sein. Abschließend sei noch an die tertiäre Prävention nach Implantatversorgung erinnert. Auch hier sichert nur die konsequente Nachsorge des Behandlungserfolges, in diesem Zusammenhang sei auf die Leitlinien der entsprechenden Fachgesellschaften verwiesen. z
Wehrmedizin und Pharmazie 2/2024
Oberstarzt Dr. M. Lüpke
Bundeswehrkrankenhaus Hamburg
Lesserstr. 180 , 22049 Hamburg
E-Mail: MichaelLuepke@bundeswehr.org