Flüchtlingshilfe – der etwas andere Auftrag der Bundeswehr
Erfahrungen mit der sanitätsdienstlichen Unterstützungsleistung im Bereich der Flüchtlingshilfe der Freien und Hansestadt Bremen
Aus dem Sanitätsunterstützungszentrum Wilhelmshaven (Leiter: Oberstarzt Dr. J. Backus)
Zusammenfassung
Die große Flüchtlingswelle, die in der zweiten Jahreshälfte 2015 auf Deutschland zurollte, war neben der großartigen Unterstützung durch zahlreiche freiwillige Helfer vor Ort nur durch das engagierte Zusammenwirken von Behörden, Hilfsorganisationen, Polizei und Bundeswehr zu bewältigen.
Durch enge Zusammenarbeit des Sanitätsunterstützungszentrums Wilhelmshaven mit der Landesverwaltung und örtlichen Hilfsorganisationen wurde die
medizinische Versorgung der Flüchtlinge im Bereich der Freien und Hansestadt Bremen sichergestellt.Die hierbei gemachten Erfahrungen werden in diesem Beitrag vorgestellt und Hinweise für mögliche zukünftige Unterstützungsleistungen im Rahmen der humanitären Hilfe durch regionale Sanitätseinrichtungen gegeben.
Stichworte: Flüchtlinge, medizinische Versorgung, Asylsuchende, Sanitätsdienst
Keywords: refugees, medical care, asylum seeker, medical service
Einleitung
Im Herbst 2015 rollte aus den Krisengebieten im Nahen Osten und der Ukraine, aber auch z. B. aus dem Balkan und Nordafrika, eine gewaltige Flüchtlingswelle auf Deutschland zu. Öffentliche Verwaltung und Hilfsorganisationen waren insbesondere in der Anfangsphase überfordert, so dass Unterstützungsleitungen durch Angehörige der Bundeswehr (Bw) erforderlich wurden. In Spitzenzeiten haben bis zu 7 000 Soldaten pro Tag geholfen, die Auswirkungen der Flüchtlingskrise in Deutschland zu bewältigen. Die sanitätsdienstliche Unterstützung war dabei eine der besonders intensiv nachgefragten Kernkompetenzen der Bw.
Die Bundeswehr bzw. der Sanitätsdienst der Bundeswehr (SanDstBw) verschaffen den für die Aufnahme von Asylsuchenden zuständigen und nach Artikel
35, Absatz 1 Grundgesetz technische Amtshilfe beantragenden Gebietskörperschaften zusätzlich Raum und Zeit, um ohne Hektik eigene Versorgungsstrukturen zu etablieren bzw. vorhandene Strukturen weiter auszubauen. Das Sanitätsunterstützungszentrum (SanUstgZ) Wilhelmshaven trug im Zeitraum vom 18. September 2015 bis zum 31. Januar 2016 zu dieser Hilfeleitung für die Freie und Hansestadt Bremen bei.Sanitätsdienstliches Unterstützungskonzept
Das Kernproblem der Stadt Bremen im Sommer 2015 war - wie in vielen anderen Landes- und Kommunalbehörden auch - die Diskrepanz zwischen dem enormen Andrang an ankommenden Asylsuchenden und deren zügiger Ersterfassung, Registrierung, medizinischer Erstuntersuchung und Zuordnung. Vom Erstantrag bis zur Ausgabe einer AOK-Gesundheitskarte (Standardverfahren in Bremen) für Flüchtlinge/Asylsuchende vergingen durchschnittlich bis zu vier Monate!
Um zumindest mittelfristig wieder zu einer organisierten Ablauforganisation zu kommen, wurde auf Vorschlag des SanUstgZ Wilhelmshaven ein gemeinsames Unterstützungs- und Versorgungskonzept erarbeitet. Danach wurde das Stadtgebiet der Hansestadt in die drei Versorgungsdistrikte (sogenannte „Cluster“) Süd, Mitte und Nord aufgeteilt (Abbildung 1). Jeder dieser „Cluster“ verfügte danach grundsätzlich über folgende Fähigkeiten/Elemente:
• zentrale Aufnahmestelle und Möglichkeit zur Erstuntersuchung durch den Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD),
• medizinische Einrichtung für die Akutbehandlung zur Überbrückung der Zeitphase bis zum Zugang zum öffentlichen Gesundheitssystem,
• mobile medizinische Elemente (Ebene Rettungsassistent/Krankenpfleger, usw.), welche die dem Distrikt zugeordneten Unterkunftsbereiche anfahren konnten,
• Möglichkeiten zur Umsetzung von Impfkampagnen und
• organisierter Fahrdienst für den Transport von Flüchtlingen zu den Versorgungseinrichtungen.
In Bremen waren insgesamt mehr als 50 Anlaufstellen eingerichtet worden, an denen Flüchtlinge kurz- bis langfristig untergebracht wurden.
Einsatz des SanUstgZ Wilhelmshaven
Das SanUstgZ Wilhelmshaven war mit seinem eigenen Fachpersonal (Krankenpfleger, Einsatzsanitäter und Rettungsassistenten), in erheblichem Umfang unterstützt durch Angehörige des Kommandos Schnelle Einsatzkräfte Sanitätsdienst (Kdo SES) aus Leer, vom 18.09.2015 bis zum 31.01.2016 für mehr als 150 Tage in die medizinische Versorgung von Flüchtlingen im Bereich Bremen eingebunden. Dabei war der Spagat zwischen der Sicherstellung der medizinischen Betreuung der Soldatinnen und Soldaten in den Standorten, der Personalgestellung für den Einsatz und der Abstellung von Sanitätspersonal für die medizinische Betreuung von Flüchtlingen die größte Herausforderung.
Abbildung 2 gibt einen Überblick über die Ausgangslage im September 2015 mit Darstellung der Versorgungspunkte, die durch die Bundeswehr angefahren wurden.
Der Ansatz der hierfür vorgesehenen Sanitätskräfte ist in Tabelle 1 dargestellt:
Zusammensetzung und Einsatz „Führungselement und Geschäftszimmer“
Das Führungselement der Sanitätskräfte in der Flüchtlingshilfe BREMEN war in der Scharnhorst-Kaserne (S1 in Abbildung 2) eingerichtet. Es wurde
langfristig durch einen Offizier oder einen erfahrenen langgedienten Feldwebeldienstgrad gestellt. Wenngleich anfänglich noch sowohl ein Offizier als auch ein Feldwebel parallel eingesetzt wurden, war es rasch erkennbar und vollkommen ausreichend, nur noch eine Person auszubringen.Durch den überschlagend stattfindenden Wechsel der Sanitätstrupps (montags), des Führungselements (dienstags) und des Geschäftszimmerpersonals (mittwochs) konnte jederzeit ein optimales Maß an örtlichen und situativen Kenntnissen ebengerecht und verlässlich an das neue Team weitergegeben werden. Ebenso bewährte sich die Sicherstellung der Beweglichkeit des Führungselements durch die Bereitstellung eines Dienstfahrzeugs.
In der ReZel waren ein Portepéeunteroffizier, ein Unteroffizier ohne Portepée oder ein Mannschaftsdienstgrad sowohl im Geschäftszimmer als auch als Rettungstrupp für die sanitätsdienstliche Versorgung am Standort Bremen eingesetzt. Diese Zusammensetzung hat sich über den gesamten Zeitraum bewährt.
Der Einsatz des bereitstehenden geländegängigen Krankenkraftwagens (KrKw)/BAT (Beweglicher Arzttrupp) war retrospektiv zwar nicht wirklich an dieses
Szenario angepasst, da der Rettungsdienst der Stadt Bremen jederzeit verfügbar war und von Seiten der Rettungstrupps mit dem genannten Fahrzeug grundsätzlich keine Patiententransporte durchgeführt werden durften. Trotzdem stellte die Verfügbarkeit vor Ort eine zusätzliche Handlungsoption und Absicherung des eingesetzten Sanitätspersonals dar.Ärztliche Behandlung
Der Schwerpunkt der medizinischen Grundversorgung lag im Angebot einer qualifizierten ärztlichen Sprechstunde. Diese war anfänglich noch täglich von 09:00 - 17:00 Uhr erforderlich, ab Mitte Dezember 2015 reichte ein Zeitfenster von 09:00 - 13:00 Uhr werktäglich aus. Gerade im Hinblick auf die Tatsache, dass nach und nach immer mehr Flüchtlinge den V111-Schein[1] oder gar ihre persönliche AOK-Karte erhielten und somit nicht mehr auf die Grundversorgung durch die Bundeswehr angewiesen waren, reduzierten sich die Behandlungszahlen in den beiden letzten Monaten doch ganz wesentlich.
Ab dem späten Nachmittag hatte sich die räumlich unmittelbar kolloziert liegende Roland-Klinik bereit erklärt, in den sonst von einem Sanitätsstabsoffizier genutzten Räumlichkeiten, die ärztliche Behandlung sicherzustellen. Auch hier war ein sehr kooperatives und spürbares Miteinander mit einem
gleichlautenden Ziel zu verzeichnen.Sprachmittler / Dolmetscher
Der Einsatz eines Sprachmittlers bzw. Dolmetschers war von elementarer Bedeutung. Sicherlich gelang es in der einen oder anderen Situation auch ohne einen Sprachmittler, den Flüchtlingspatienten hinreichend adäquat zu versorgen. Ohne Sprachbarriere war es dennoch einfacher und für alle Beteiligten entspannter. Anfangs stand lediglich ein Dolmetscher vom Landeskommando Bremen (LKdo HB) zur Verfügung; damit war eine Durchhaltefähigkeit jedoch nicht gegeben, zumal der Sprachmittler sich anfangs bis zu mehreren Wochen lang im durchgehenden (24/7) Einsatz befand. Erst ab dem 14. Dezember 2015 konnte auf zwei Dolmetscher zurückgegriffen werden, so dass deren Dienstzeiten erheblich besser aufgeteilt und reduziert werden konnten.
Zusammensetzung und Einsatz der Sanitätstrupps
Anfänglich noch sieben Tage die Woche und mit bis zu vier mobilen Trupps, wurden zuletzt von Montag bis Freitag, jeweils von 07:45 Uhr bis 16:30 Uhr, zwei mobile Sanitätstrupps eingesetzt, die nach einem morgendlichen Briefing durch das sanitätsdienstliche Führungselement, die Versorgung ihrer zugeteilten Anlaufpunkte sicherstellten. Die Umstellung bzw. Anpassung der Zeitfenster und Reduzierung der Trupps resultierte im Wesentlichen aus den rückläufigen Patientenzahlen und wurde lageangepasst und konsequent in Änderungen bzw. neuen Befehlen umgesetzt. Ziel war jederzeit der auftragsorientierte, aber auch ressourcenoptimierte Kräfteansatz.
Die Zusammenarbeit mit dem Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD), dem LKdo HB und den Heimleitungen der Flüchtlingsunterkünfte erwies sich über
den gesamten Zeitraum der Amtshilfe als sehr gut und jederzeit belastbar, sicherlich auch bedingt durch den Umstand, dass viele der Sanitätskräfte mehrmals eingesetzt wurden und so auf bereits bestehende Kontakte und Kenntnisse zurückgreifen konnten. Nicht unerwähnt bleiben sollte die Feststellung, dass die Heimleitungen der zivilen Notunterkünfte über die spontane Hilfeleistung der Bundeswehr mehr als glücklich waren und auf militärische, antrainierte Fachexpertise zurückgreifen konnten. Durchweg erfuhren die Sanitätstrupps von den Heimleitungen und aus dem LKdo HB während ihres Einsatzes bereits einen hohen Zuspruch und Unterstützung.Die Qualifikation der Sanitätstrupps (wo immer möglich, sollten mindestens ein Rettungsassistent, Gesundheitspfleger oder Einsatzsanitäter ausgebracht werden) sowie der Umfang ihrer Ausstattung mit (rezeptfreien) Arznei- und Verbandmitteln und der Einsatz im Zwei-Mann-Team waren vollkommen ausreichend. In der Abschlussphase (Januar 2016) wurden die militärischen Sanitätstrupps durch einen zivilen Sanitätstrupp (2 Personen) der Johanniter-Unfallhilfe unterstützt, die sich so auf die Übernahme des Auftrags vorbereitete.
Der Sanitätstrupp der Johanniter Unfallhilfe (JUH)
Ab dem 5. Januar 2016 war ein Team, bestehend aus einem Gesundheitspfleger und einem Rettungsassistenten, zur Unterstützung der medizinischen
Versorgung unter Führung und Koordination des Führungselements im Rahmen der Flüchtlingshilfe in Bremen eingesetzt. Die Zusammenarbeit lässt sich ebenfalls als kollegial, interessiert, motiviert und harmonisch bewerten.Der zentrale Fahrdienst des Deutschen Roten Kreuzes (DRK)
Diese Fähigkeit hatte sich bereits ab dem ersten Tag (9. November 2015) bewährt und fruchtete in einer sehr erfreulichen Zusammenarbeit mit allen DRK-Mitarbeitern, die teilweise extra für diesen Zweck eingestellt wurden. Zudem übernahm das DRK nach der Beendigung des Auftrags des SanUstgZ Wilhelmshaven in Bremen die Steuer- und Koordinierungsrolle.
Neben der grundsätzlichen Aufgabe „Patiententransport“ ist darüber hinaus, aus Sicht der Einsatzführung, mit dieser Fähigkeit auch die Möglichkeit gegeben, den Patientenzulauf teilweise kontrollierter zu steuern und dadurch eine über den Tag kontinuierlich verlaufende Belastung des ärztlichen und nichtärztlichen Personals im stationären Praxisbetrieb zu erreichen bzw. zielgerichtet zu diesem Zweck einzugreifen.
Betreuung, Unterkunft und Verpflegung
Die Unterbringung des eingesetzten Personals in der Scharnhorst-Kaserne in Bremen, in einer sogenannten Unterkunft „Kaserne 2000“, war überaus
ansprechend. Da es für die Sanitätstrupps außerhalb der Zwischenfahrten über den Tag kaum Entspannungsphasen gab, berichteten diese, dass sie am Abend immer froh waren, auch schlafen zu können, ohne an den Heimatstützpunkt zurückverlegen zu müssen.Wichtig war eine allabendliche Abschlussbesprechung, bei der ohne Ausnahme alle Trupps über ihre Erlebnisse sprechen und erzählen konnten. Manchmal reichte sogar nur „reines Zuhören“ vollkommen aus. Es zeigte sich auch hier wieder, dass die Möglichkeit, „auch einmal Luft abzulassen“, zu einer dauerhaft guten Stimmung im Team führte. Hierbei ist der protektive Nutzen für das eigene Personal bei einem derart komplexen Auftrag nicht hoch genug einzuschätzen.
Fazit
Die sanitätsdienstliche Unterstützung im Rahmen der Flüchtlingshilfe in Bremen war für alle teilnehmenden Kräfte des -SanUstgZ Wilhelmshaven ein herausfordernder, sehr interessanter und vielseitiger Einsatz. Im eigenen Land humanitäre Hilfe zu leisten und dabei unter anderem mit dem Gesundheitsamt, verschiedenen Hilfsorganisationen, Heimleitungen und anderen Truppenteilen zusammen zu wirken, war enorm bereichernd, prägend und hat nachdrücklich Erfahrungswerte geschaffen.
Für die eingesetzten Sanitätskräfte aus dem Bereich des SanUstgZ Wilhelmshaven und des Kdo SES aus Leer war es eindeutig eine Herausforderung - jedoch eine solche, die bewältigt werden konnte und mit großer Freude und Stolz auf das Geleistete gemeistert wurde. Dies bestätigten alle Beteiligten ausnahmslos.
Dass dieses neben der Sicherstellung des „originären Kerngeschäfts“, der regionalen hausärztlichen Versorgung von mehr als 18 000 Soldatenpatienten,
einiges an Kraft und Planungsgeschick erforderte, ist sicher nachvollziehbar. Professionalität und Teamgeist entsprechend dem Motto des SanUstgZ Wilhelmshaven „Gemeinsam stark“ waren dabei zu jeder Zeit erlebbar.Eines ist nach diesem besonderen Einsatz ganz sicher: Dem Leitbild des Sanitätsdienstes „Der Menschlichkeit verpflichtet“ ist das SanUstgZ Wilhelmshaven mit seinen eingesetzten Kräften und der tatkräftigen Unterstützung durch Kameradinnen und Kameraden aus dem Kdo SES in besonderem Maße gerecht geworden.
Bildquellen:
Sanitätsunterstützungszentrum Wilhelmshaven
Für die Verfasser:
Oberstarzt Dr. Johannes Backus
Sanitätsunterstützungszentrum Wilhelmshaven
Alfred-Eckhardt-Str. 2, 26384 Wilhelmshaven
E-Mail: johannesbackus@bundeswehr.org
[1]
Ein „V111-Schein“ dient als Ersatzkrankenschein und wird bis zur Verfügbarkeit einer Gesundheitskarte als Zugangsberechtigung zum öffentlichen Gesundheitssystem genutzt.
Datum: 22.07.2016
Quelle: Wehrmedizinische Monatsschrift 2016/7