DLRG im Hochwassereinsatz

Lübkemann, M. Förster, S. Haberl, C. Graf-Hadry

Strömungsretter der DLRG evakuierten wie hier in Neu-Ulm zahlreiche Bewohner aus ihren über- fluteten Häusern
DLRG e.V./Daniel-André Reinelt

Die RetterInnen der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) sind den meisten aus dem Urlaub am Strand oder dem Besuch am Badesee bekannt. Ihre ehrenamtlichen Mitglieder wachen dort vor allem über die Sicherheit der Badegäste im, am und auf dem Wasser. Doch die Wasserrettungsorganisation ist unter anderem auch im Katastrophen- und Bevölkerungsschutz aktiv. Die DLRG ist fester Bestandteil der Katastrophenschutz-Konzepte der Bundesländer. Im Zusammenspiel mit anderen Hilfsorganisationen, Feuerwehren, Technischem Hilfswerk (THW) oder der Bundeswehr trägt sie ihren Teil zur Bewältigung von Großschadenslagen bei. So war sie allein seit dem Jahreswechsel bereits mehrfach im Hochwassereinsatz. Mit dabei sind Spezialisten wie Einsatztaucher und Strömungsretter. Letztere sind auf schnell fließende Gewässer und Hochwasser spezialisierte Wasserretter mit langer Ausbildung und besonderem Equipment.

Weihnachten und Neujahr auf dem Deich

Statt besinnliche Feiertage wartete auf viele ehrenamtliche Was- serretter der DLRG zum Jahresabschluss der Kampf gegen das Hochwasser, der bis in das neue Jahr hineinreichte. Sturmtief „Zoltan“ sorgte in gleich mehreren Bundesländern für erhebli- chen Niederschlag, der vielerorts Pegelstände in die Höhe trieb und Überschwemmungen auslöste. Mit Sturmtief „Dietmar“ folg- ten weitere Regenmassen zum Jahreswechsel, so dass der Aus- nahmezustand rund zwei Wochen anhielt. Am Ende war es der größte Hochwassereinsatz in Niedersachsens Geschichte.Das DLRG Lagezentrum zählte insgesamt mehr als 2 000 Einsatz- kräfte, die dem Hochwasser trotzten, davon rund 1 500 allein in Niedersachsen. Dazu gehörten zahlreiche Strömungsretter und Einsatztaucher sowie Fachberater in den Krisenstäben.

Ein Unimog der DLRG Hitzacker (Elbe) bahnt sich seinen Weg durch überschwemmte...
Ein Unimog der DLRG Hitzacker (Elbe) bahnt sich seinen Weg durch überschwemmte Straßen.
Quelle: DLRG e.V./Toma Unverzagt

Vorboten Mitte Dezember

Nachdem die ergiebigen Niederschläge am 19.12.2023 eintraten, war die Kapazität des Bodenwasserspeichers nahezu ausgereizt. Grundwasser stieg auf, da durch die hohen Pegelstände das Wasser nicht richtig abließen konnte und sich andere Wege suchte, sodass zahlreiche Keller unter Wasser standen. Kurz vor Heiligabend spitzte sich die Lage in mehreren Bundesländern zu. Bereits in der Nacht auf den 23.12.2023 rückte ein Wasserrettungszug des Landesverbandes Nordrhein in Oberhausen an. Dort sicherten Strömungsretter die Helfer, die Sandsäcke am Deich an der Ruhr verlegten. 

Nach einer Woche Dauerregen begann am zweiten Weihnachtsfeiertag der Katastrophenschutzeinsatz in Niedersachsen. Landesweit erreichten mehrere Flüsse einen hohen Wasserpegel und lösten Meldestufe drei aus, was eine ständige Überprüfung der Deiche sowie Maßnahmen zu deren Verteidigung erforderte. Die Einsatzorte verteilten sich über beinah das gesamte Bundesland. Auch der Norden Thüringens und Teile von Bayern, Saarland, Sachsen und Sachsen-Anhalt meldeten Hochwasser. 

Wasserrettungszüge im Einsatz

Am 28.12.2023 begann die Koordinierungsstelle des Landesverbandes Niedersachsen in Bad Nenndorf mit der Einsatzplanung der eingesetzten Wasserrettungszüge. Auch das PuMa-Team (Presse- und Medienarbeit) des Bundesverbandes nahm seine Arbeit auf und kümmerte sich um die Einsatzdokumentation und Pressearbeit. Den überregionalen Einsatzschwerpunkt bildete der Landkreis Heidekreis.

Bis zum letzten Tag des Jahres unterstützten die DLRG Helfer vorwiegend in zahlreichen Ortschaften die Deichsicherungen. Bundeskanzler Olaf Scholz und Ministerpräsident Stephan Weil besuchten am Silvestertag Verden an der Aller, wo sie sich ein Bild der Hochwasserlage verschafften und allen Helfern dankten.

60 000 Sandsäcke für Ahlden

Im neuen Jahr knüpften die Ehrenamtlichen nahtlos an die Arbeiten an. Am 02.01.2024 verhinderten die Einsatzkräfte in Ahlden, wo sich die Hochwasserlage dramatisierte, Schlimmeres. Eine sich auf einem Straßendamm befindende Wasserbarriere rutschte ab. In der Folge drohten drei tiefergelegene Ortschaften zu ­überfluten. 19 Stunden lang stabilisierten die Kräfte der DLRG gemeinsam mit hunderten weiteren Helfern den Damm mit über 60 000 Sandsäcken. Zudem verlegten die Retter als Sicherungsmaßnahme 600 Meter Folien- und Vliesverbau. 

Erst am 05.01.2024 ließ der Regen nach. Jedoch machten den Einsatzkräften nun Minusgrade zu schaffen. In der Schlussphase galt es, im Heidekreis die Landesstraße 191 zu sichern, die am Vortag abgesackt war. Die letzten Wasserrettungszüge zogen am 12.01.2024 ab, sodass der Einsatz nach über zwei Wochen als beendet galt – wenngleich es für örtliche Einheiten noch immer eine Menge zu tun gab.

Strömungsretter der DLRG beobachten die Hochwasserentwicklung.
Strömungsretter der DLRG beobachten die Hochwasserentwicklung.
Quelle: DLRG e.V.

Land unter in Schwaben – Tag und Nacht im Einsatz

Nur wenige Monate später führten extreme Regenfälle am 31.05.2024 vor allem in Schwaben zu Ausuferungen von Flüssen, Überschwemmungen von Straßen und ganzen Ortsteilen sowie zu Deichbrüchen. Von Anfang an waren örtliche Kräfte der DLRG im Einsatz. Der Landkreis Günzburg rief den Katastrophenfall aus, weitere Landkreise folgten. Die Koordinierungsstelle der DLRG Bayern war in Aktion, ebenso das Lagezentrum des Bundesverbands, die Helfer waren alarmiert. Die ersten der insgesamt 14 Wasserrettungszüge der DLRG Bayern setzen sich in Richtung Katastrophengebiet in Bewegung.

Vom 01. bis 09.06.2024 sind fast 2 000 Kräfte der DLRG in Bayern im Einsatz, darunter über 500 aus Bayern sowie weitere Einheiten aus Baden-Württemberg, Hessen und Nordrhein-Westfalen. Mit im Einsatz war das Führungsunterstützungsfahrzeug der DLRG Bayern, stationiert direkt am Landratsamt Günzburg. Es ist mit Einsatzleit-Software, topografischen Karten und Funkgeräten ausgerüstet. Die Fachberater für Wassergefahren haben eine hochrangige Führungsausbildung und mehrere zusätzliche Lehrgänge absolviert, speziell für Hochwasserlagen.

 Die Einsatzkräfte evakuierten größtenteils ältere, gehbehinderte Menschen. Manche konnten vom überfluteten Erdgeschoss ihres Hauses nicht aus eigener Kraft in ein höheres Stockwerk gehen. Die Helfer hoben sie häufig in das Rettungsboot hinein und heraus.

Der Hundertjährige im Lehnstuhl

Der Bürgermeister eines überfluteten Ortes wollte nach einem hoch betagten Bürger schauen, der im Ort als letzter Überlebender des Zweiten Weltkriegs gilt. Er lässt sich deshalb von der DLRG zu dessen Haus bringen. Es ist ringsum vom Hochwasser umgeben, der Keller ist bereits komplett vollgelaufen. Die Retter finden den 101-jährigen im Lehnsessel beim Zeitunglesen. Er fragt gelassen, was der Besuch denn von ihm wolle. Er erzählt, dass er vier Jahre in Russland in Kriegsgefangenschaft gewesen sei, dagegen sei dieses Hochwasser gar nichts. Es könne auch noch vier Wochen so weitergehen, er habe genügend zu essen und zu trinken. So müssen Bürgermeister und Helfer ihn allein lassen und rücken wieder ab.

Unheimliche Nacht in der Werftstraße

Die Flut wandert donauabwärts. Am 04.06.2024 verbauen in Regensburg örtliche Einsatzkräfte mehrere tausend Sandsäcke unterhalb der Eisernen Brücke. Sie dienen der punktuellen Verstärkung der mobilen Hochwasserschutzanlagen. An der Einsatzstelle sind 100 Einsatzkräfte von DLRG und THW sowie der Stadt Regensburg tätig. Die DLRG unterstützt beim Sandsackverbau und sichert mit Strömungsrettern die Helfer an der Wasserkante ab. „Unter mir bekam der Asphalt feine Risse, er begann, sich sanft aber unaufhaltsam zu bewegen und Wasser trat durch die Risse wie kleine Quellen nach oben aus; die Straßenmarkierung löste sich auf. Der Druck des Wassers auf das Ufer mit der mobilen Schutzwand war immens. Es mussten mitten in der Nacht Maßnahmen mit starkem Kräfteeinsatz getroffen werden. Naturgewalt versus professionelle und ehrenamtliche Einsatzkräfte: Ein beeindruckendes Erlebnis“, schildert DLRG Pressebetreuer Andreas Rösch.

Präsidentin fordert Helfergleichstellung

Der langanhaltende Hochwassereinsatz zeigte einmal mehr, wie wichtig die Wasserretter der DLRG mit ihren speziellen Fähigkeiten in solchen Katastrophenlagen sind. Im Zusammenspiel mit tausenden weiteren Helfern wendeten sie nahezu alle Bedrohungen ab. Die freiwilligen Helfer bewiesen rund um die Uhr ihre Einsatzbereitschaft und arbeiteten unermüdlich, um die Bevölkerung vor den Folgen des Hochwassers zu schützen. Der Einsatz zeigte jedoch erneut, dass die Ehrenamtlichen der DLRG Bayern zwar ein Recht auf Freistellung von ihren Arbeitgebern haben. Auch bestehen gesetzliche Regelungen für die Absicherung in Versicherungsfällen und Kosterstattungen. Das ist jedoch leider nicht in allen Bundesländern so. Die meisten HelferInnen der DLRG haben noch immer nicht den gleichen Status inne wie ihre Kameraden von Feuerwehren oder THW. „Deshalb werden wir beim Thema Helfergleichstellung am Ball bleiben und weiter Druck machen“, verspricht DLRG Präsidentin Ute Vogt. „Eine ungleiche Behandlung von staatlichen und privaten Helferinnen und Helfern darf es nicht länger geben“, wiederholt die Präsidentin eine ihrer Kernforderungen in Richtung Politik.


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