BLASENVERLETZUNGEN BEI KRIEGERISCHEN AUSEINANDERSETZUNGEN

Bladder Injuries in Military Conflicts



Aus der Abteilung Urologie (Leitender Arzt: Oberstarzt Dr. W. Wagner) des Bundeswehrkrankenhauses Hamburg (Chefarzt Generalarzt Dr. Hoitz)



Daniela Dinger, Dirk Liebchen, Walter Wagner



WMM, 58. Jahrgang (Ausgabe 2/2014; S. 76-77)

Zusammenfassung



Der Anteil an urogenitalen Verletzungen bei kriegerischen Auseinandersetzungen liegt bei bis zu 12,7 %. Blasentraumata treten hierbei in bis zu 21,3 % auf und sind häufig mit anderen schweren Verwundungen vergesellschaftet. Eine bildgebende radiologische Diagnostik mit Kontrastmittelfüllung der Blase ist essenziell. Die Therapie einer Blasenverletzung (operativ oder konservativ) hängt von der Lokalisation und den Begleitverletzungen ab und erfolgt nach den aktuellen Leitlinien der European Association of Urology (EAU).

Schlagworte: Harnblase, Trauma, Explosionsverletzung

Summery

The proportion of urogenital injuries during military conflicts is 12,7 %. Bladder trauma occurs in 21,3 % and is often associated with other severe injuries. In diagnostic investigation a cystography is essential. The therapy of bladder trauma (surgical or conservative) depends on its localisation and on concomitant injuries and follows the guidelines of the European Associatiion of Urology (EAU).

Keywords: Urinary bladder, trauma, blast injury

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Einleitung

Der Anteil an urogenitalen Verletzungen bei kriegerischen Auseinandersetzungen wird historisch mit circa 5 %, nach neuesten Berichten sogar mit 12,7 % [1] angegeben, wobei davon Blasenverletzungen bis zu 21,3 % ausmachen und eine zunehmende Tendenz zeigen. Die meisten urogenitalen Verletzungen treten durch Explosionen (65,3 - 77 %), penetrierende Traumata (13 - 14,8 %), stumpfe Traumata (10,6 %) und Verbrennungen (1,2 %) auf (siehe Tabelle 1). Häufig bedürfen traumatische Blasenverletzungen einer operativen Therapie (47 %) und sind mit Beckenfrakturen vergesellschaftet [2]. Patienten mit Schussverletzungen des unteren Abdomens, mit Beckenfrakturen, mit Makrohämaturie oder Blasenentleerungsstörungen sollten auf eine Blasenverletzung hin untersucht werden. Diese kann extraperitoneal sein oder eine intraperitoneale Beteiligung haben. Die Lokalisation der Blasenverletzung beeinflusst die Symptome, Komplikationen und das therapeutische Vorgehen [3].

Diagnostik

Hauptsymptom einer Blasenverletzung ist die Makrohämaturie. Diese tritt in 82 - 95 % der Fälle auf, bei circa 5 - 15 % liegt nur eine Mikrohämaturie vor. Andere Symptome sind Harnverhalt, suprapubische Prellmarken und abdominelle Abwehrspannung bei intraabdomineller Urinextravasation. Eine Urinextravasation kann auch eine Schwellung des Perineums, Scrotums und der anterioren Bauchwand bedingen. Im Falle einer intraperitonealen Blasenruptur kann die Reabsorption von Harnstoff und Kreatinin eine Urämie und erhöhte Blutkreatininwerte hervorrufen [4].
Ultraschall- und CT-Untersuchungen können freie Flüssigkeit und Koagelbildung in der Blase nachweisen, sind jedoch alleinig nicht zur genauen Lokalisierung der Verletzung ausreichend. Eine Kontrastmittelfüllung der Blase während eines Abdomen-CTs kann eine extraperitoneale von einer intraperitonealen Blasenverletzung unterscheiden (siehe Abb.1). In der Notfallsituation hat auch ein konventionelles Cystogramm eine sehr gute Aussagefähigkeit. Hierbei werden nach Ausschluss einer Harnröhrenverletzung eine Leeraufnahme, eine anterior- posteriore und eine laterale Aufnahme mit mindestens 350 ml Kontrastmittelfüllung beim Erwachsenen (bei Kindern mit 5 - 7 ml/ kg KG) sowie eine Aufnahme nach Ablauf des Kontrastmittels angefertigt, da hiermit auch kleine extraperitoneale Extravasationen detektiert werden können.

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Therapie

Intraperitoneale Verletzungen, Blasenhalsverletzungen und die meisten penetrierenden Verletzungen bedürfen einer sofortigen Exploration (gegebenenfalls mit weiterer Blaseneröffnung), eines mehrschichtigen Verschlusses mit resorbierbarem Fadenmaterial und der Einlage eines suprapubischen Katheters und einer perivesikalen Drainage [3-6]. Blasenverletzungen mit Abriss der vorderen Bauchwand, des Perineums oder von Blasenwandanteilen können, falls beim Verschluss zu große Gewebsspannung droht, mittels einer gestielten Vastus-lateralis-Muskel-Hautlappenplastik rekonstruiert werden [4].
Extraperitoneale Blasenverletzungen resultieren häufig aus Lazerationen durch Knochenfragmente bei einer Beckenfraktur. Zumeist heilen diese Verletzungen durch Einlage eines transurethralen Katheters innerhalb von 10 - 14 Tagen. Bei klarem Urin ist die alleinige Kathetereinlage die bevorzugte Vorgehensweise. Kontraindikationen zur konservativen Therapie stellen in die Blase projizierte Knochenfragmente, offene Beckenfrakturen, Rektumperforationen und Blasentamponaden dar. Bei einer abdominellen Exploration aufgrund anderer Verletzungen sollte der Defekt übernäht und eine Drainage eingelegt werden, da hierdurch das Risiko für Infektionen von Osteosynthesematerial oder perivesikale Abszesse reduziert werden kann. Dies kann auch über eine Cystotomie erfolgen, um ein pelvines Hämatom nicht zu dekomprimieren. Hierbei sollten unbedingt beide Ureterostien identifiziert werden. Bei gleichzeitigen Verletzungen des Rektums sollte weitreichender vorgegangen werden mit Evakuierung eines Hämatoms und primärem Blasenverschluss. Nach 10- 14 Tagen sollte ein Cystogramm zum Ausschluss eines Paravasates durchgeführt und danach der transurethrale bzw. suprapubische Katheter entfernt werden [3-6].

Schlussfolgerung

Die zunehmende Häufigkeit von Urogenitaltraumen und die damit verbundenen Verletzungen der Harnblase erfordern eine spezifische Diagnostik sowie qualifizierte Erst- und Frühversorgung. Insbesondere bei Explosionstraumata ist immer an die Möglichkeit einer Blasenperforation zu denken, die möglichst verzugslos einer urologischen Beurteilung und Behandlung bedarf. Deshalb sollten sowohl größere beckenchirurgische als auch rekonstruktive chirurgische Eingriffe zur Versorgung von komplexeren Blasendefekten unbedingt Bestandteil der urologischen Ausbildung sein.

Literaturverzeichnis

  1. Report of the Army Dismounted Complex Blast Injury Task Force for the Army Surgeon General, Fort Sam Houston 2011  
  2. Serkin FB, Soderdahl DW, Hernandez J, et al. Combat urologic trauma in US military overseas contingency operations. J Trauma 2010 Jul;69 Suppl 1:S175-8
  3. Szul AS, et al.: Emergency War Surgery. Washington DC Borden Institute 2004, S18.9-18.10
  4. Summerton DJ, Djakovic N, Kitrey ND, Kuehhas F, Lumen N, Serafetinidis E. Guidelines on Urological Trauma. European Association of Urology 2013, S37-45
  5. Joint Theater Trauma System Clinical Practice Guideline. ­Urologic Trauma Management, 30 June 2010. http://www.usaisr.amedd.army.mil/clinical_practice_guidelines.html
  6. Boffard KD: Manual of Definitive Surgical Trauma Care, Second Edition. London Hodder Arnold 2007, S141- 142

Bildquelle: Abb. 1: Bundeswehrkrankenhaus Ulm - Archiv

Datum: 01.03.2014

Quelle: Wehrmedizinische Monatsschrift 2014/3

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