AUSSAGEKRAFT SPORTMOTORISCHER TESTVERFAHREN FÜR DIE STREITKRÄFTE
Validity of Physical Fitness Testing Procedures in Armed Forces
Aus dem Sportmedizinischen Institut der Bundeswehr¹ (Leiter: Oberstarzt Dr. A. Lison), dem Institut für Sportmedizin, Universitätsklinikum Münster² (Leiter: Prof. Dr. K. Völker), der Sportschule der Bundeswehr³ (Kommandeur: Oberstleutnant M. Rondé), dem Streitkräfteamt⁴ (Amtschef: Generalmajor T. Wollny) und dem Sanitätsamt der Bundeswehr⁵ (Amtschef: Generalstabsarzt Dr. J. Dick)
Andreas Lison¹, Thomas Potthoff², Kathrin Raida², Lothar Thorwesten², Heiko Wömpener³, Harald Dobmeier⁴ und Andreas Schlattmann⁵
Angesichts der Einsatzrealität stellt die körperliche Leistungsfähigkeit (KLF) von Soldatinnen und Soldaten eine wesentliche Voraussetzung der Auftragserfüllung dar. KLF kann durch die konditionellen (Kraft, Ausdauer, Schnelligkeit, Flexibilität) und koordinativen Fähigkeiten beschrieben und durch sportmotorische Testverfahren individuell erfasst und beurteilt werden.
In der Bundeswehr sind die Erfüllung eines sportmotorischen Tests und die erzielten Leistungen ein laufbahnrelevantes Beurteilungskriterium.
Methoden:
Da koordinative Fähigkeiten Grundlage zur Herausbildung soldatischer Fertigkeiten sind, wurde bei einer im Jahr 2007 durchgeführten Untersuchung an 904 Lehrgangsteilnehmer/-innen an der Sportschule der Bundeswehr der Frage nachgegangen, inwieweit der damals gültige Physical Fitness Test (PFT) koordinative Fähigkeiten abbildet und ob die in den einzelnen Testitems erzielten Ergebnisse miteinander korrelieren. Neben dem PFT mit den Einzelübungen Pendellauf, Sit-ups, Standweitsprung, Liegestütze und Cooper-Test kamen als koordinative Testverfahren der Winkelreproduktionstest, das Gleichgewichts-Koordinationssystem und der monopedale Hüftparcours zum Einsatz.
Ergebnisse:
Es zeigten sich hoch signifikante niedrige bis mittlere Korrelationskoeffizienten zwischen den Disziplinen des PFT. Eine Heterogenität der Test-Items des PFT konnte in der Faktorenanalyse nicht repliziert werden. Zwischen dem PFT und dem monopedalen Hüpftest waren signifikante Zusammenhänge nachweisbar, nicht aber in Bezug auf die anderen eingesetzten Koordinationstests.
Schlussfolgerungen:
Die gewonnenen Daten belegen erhebliche Schwächen des nunmehr ausgesetzten PFT. Vor dem Hintergrund der Einführung des neuen Basis-Fitness-Tests (BFT) geben sie Anlass, sich kritisch mit der Aussagekraft sportmotorischer Testverfahren und den praktischen Konsequenzen für die Sportausbildung auseinanderzusetzen. Es besteht ein weiterer Forschungsbedarf.
Summary
Background:
Against the background of the current operational reality, the physical fitness of service members is crucial to effective mission accomplishment. Physical fitness can be defined as a condition determined by the motoric elements of power, physical endurance and coordination, which can be tested and evaluated by sport-specific motor testing procedures. Passing of those tests and the results achieved are an evaluation criterion which is relevant for a military career within the Bundeswehr.
Methods:
Since coordination capabilities are essential for the development of military skills, a study carried out with 904 course participants at the Bundeswehr Sports School in 2007 dealt with the question whether the then applicable Physical Fitness Test (PFT) also reflected coordination capabilities and whether the results of the individual test items correlate with each other. Apart from the PFT, including a shuttle-run test, sit ups, standing long jumps, push ups and a Cooper test, coordination tests were performed including an angle reproduction test, a balance-coordination system test and a one-legged hopping course.
Results:
Significantly low to medium correlation coefficients were identified between the individual components of a PFT. Heterogeneity of the PFT test items could not be replicated in the factor analysis. Significant correlations could be identified between the PFT and the one-leg hop test, but there were no correlations between the other coordination tests performed.
Conclusions:
The gathered data reveal considerable shortcomings of the PFT which is no longer used now. Data gathered in connection with the newly introduced Basis Fitness Test (BFT) should therefore be analysed thoroughly and critically in order to determine the relevance of sport-specific motor testing procedures and their practical implications for physical training. More research is still required.
Keywords:
physical working capacity, Bundeswehr, control, Physical Fitness test, analysis
1. Einleitung
Sportmotorische Testverfahren sind Grundlage der Beurteilung körperlicher Leistungsfähigkeit von Soldatinnen und Soldaten in zahlreichen Armeen. So wird in den Niederlanden, USA und in Großbritannien ein Physical Fitness Test (PFT), bestehend aus Sit-ups, Liegestützen und einem Ausdauerlauf, durchgeführt. In der Schweiz umfasst das Testverfahren einen Rumpfkrafttest, Standweitsprung und 2-kg-Ballstoß zur Überprüfung der Kraft, einen progressiven Ausdauertest und einen koordinativen Test.
Seit Anfang 2010 wurde der PFT in der Bundeswehr durch den Basis-Fitness- Test (BFT) ersetzt. Dennoch erscheint es mit Blick auf eine fortlaufende Weiterentwicklung eines bedarfsgerechten und praktikablen Testverfahrens für die Streitkräfte sinnvoll, Erkenntnisse und Erfahrungen, die mit dem bisher gültigen PFT gewonnen wurden, zu analysieren und zu diskutieren.
Der PFT der Bundeswehr war ein sportmotorischer Test, der sowohl im Annahmeverfahren als auch bei aktiven Zeitund Berufssoldaten im Rahmen des regulären Dienstbetriebes zur Überprüfung der körperlichen Leistungsfähigkeit eingesetzt wurde. Er wurde als „Sporttest-Bw“ an 82 Frauen und 1 100 Männern entwickelt (1) und umfasste im Sinne eines komplexen Fitnesstests fünf Einzeldisziplinen, die wesentliche Komponenten des körperlichen Anforderungsprofils des Soldaten abbilden sollten. Dabei handelte es sich um einen Pendellauf (Aktionsschnelligkeit), Sit-ups (Kraftausdauer der Bauch- und Hüftbeugemuskulatur), einen Standweitsprung (Schnellkraft untere Extremität), Liegestütze (Kraftausdauer obere Extremität) und einen 12- Minuten-Test (aerobe Ausdauer).
Der PFT war dem Wesen nach ein Fähigkeitstest, der mit Hilfe einfacher Testaufgaben verschiedene motorische Grundeigenschaften erfasste und nach Bös und Beck (1) eine heterogene Testbatterie darstellen sollte. Diese Annahme stützten die Autoren mit einer Korrelationsmatrix, die, für Männer und Frauen getrennt, die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Testübungen aufzeigte (Tab 1).
Als weiteren Beleg für die Heterogenität des PFT führten die Testautoren die Ergebnisse einer Hauptkomponentenanalyse mit Varimax-Rotation an (Tab 2). Danach wurden 6 Faktoren extrahiert. Jedes einzelne Test-Item besaß auf nur jeweils einem Faktor eine hohe Ladung (a2 > 0,90). Eine Mehrdimensionalität war nicht gegeben (1).
Bei der Entwicklung des Tests wurde zudem angemerkt, dass nicht nur konditionelle Eigenschaften (Kraft, Ausdauer, Schnelligkeit) überprüft, sondern integrativ auch koordinative Fähigkeiten erhoben wurden. Obwohl koordinative Fähigkeiten als eine der Hauptbeanspruchungsformen eine wesentliche Grundlage soldatischer Fertigkeiten darstellen und daher bei der Beurteilung der körperlichen Leistungsfähigkeit herangezogen werden sollten, wurde bislang aber nicht untersucht, ob und inwieweit der Physical-Fitness- Test auch tatsächlich koordinative Fähigkeiten abbildet. Mit der vorliegenden Untersuchung wurde der Frage nachgegangen, ob zwischen den im PFT erhobenen Fähigkeiten und ausgewählten koordinativen Leistungsparametern die von Bös und Beck (1) erwarteten Zusammenhänge existieren. Schließlich sollte geprüft werden, ob sich die von den Testautoren berichtete Heterogenität des PFT replizieren lässt.
2. Methoden
2.1 Stichprobe und Untersuchungsablauf
An der Studie beteiligten sich insgesamt 1 008 Soldatinnen und Soldaten aus dem gesamten Bundesgebiet, die an Übungsleiterlehrgängen an der Sportschule der Bundeswehr teilnahmen. Ausgeschlossen wurden Spitzensportler der Bundeswehr und Personen mit unvollständigen Datensätzen, sodass insgesamt 904 Probanden (826 Männer, 79 Frauen) mit einem Durchschnittsalter von circa 27 Jahren in die Auswertung eingingen. Das Projekt wurde durch die Ethikkommission der Universität Münster geprüft und bewilligt.
Vor Beginn der Untersuchung wurden die Untersuchungsteilnehmer in mündlicher und schriftlicher Form über Art, Ziel und Ablauf der Untersuchung sowie über die Freiwilligkeit der Teilnahme informiert und nur dann in die Untersuchung eingeschlossen, wenn ihr schriftliches Einverständnis vorlag.
Im Rahmen der Ausbildung zum Übungsleiter absolvierte jeder Lehrgangsteilnehmer am 2. Tag des Lehrganges den Physical-Fitness-Test. Um Trainings- oder Ermüdungseffekte, die im Verlauf der Ausbildung auftreten können, zu vermeiden, wurde der koordinative Testanteil zwei bis drei Tage später durchgeführt. Zum gleichen Termin erfolgte abschließend auch die Messung ergänzender anthropometrischer und Lebensstildaten.
2.2 Untersuchungsverfahren
2.2.1 Physical-Fitness-Test
Der PFT der Bundeswehr bestand aus fünf Teilaufgaben: Pendellauf, Sit-ups, Standweitsprung, Liegestütze und 12-Minuten-Lauf (Cooper- Test). Diese waren an einem Tag in einer festgelegten Reihenfolge zu absolvieren (1). Nach einer Erprobungsphase wurden die Anforderungen eines Teils der Übungen des PFT von den Testautoren reduziert (Verkürzung der Pendellaufstrecke von jeweils 10 m auf 9 m, Reduzierung der Testzeit bei Sit-ups und Liegestützen von 60 auf 40 Sekunden) und der Medizinballwurf aus der Testbatterie herausgenommen. Bezüglich der Durchführung wird auf die ZDv 3/10 und die ergänzenden Durchführungsbestimmungen verwiesen.
2.2.2 Koordinative Testverfahren
Aus den in Frage kommenden koordinativen Testverfahren wurden drei Verfahren ausgewählt, die verschiedene Aspekte der Koordination abbilden und zu den Testaufgaben des PFT eine abgestufte Affinität besitzen.
Winkelreproduktionstest
Der Winkelreproduktionstest wird zur Diagnostik der Propriozeption des Schultergelenks eingesetzt. Dabei sollen vom Probanden vorgegebene Winkelstellungen des Schultergelenks in Anteversion möglichst genau reproduziert werden (2, 5, 8, 13, 23). Dieses Verfahren hat nur geringe Gemeinsamkeiten mit den im PFT geforderten Leistungen. Die propriozeptive Leistungsfähigkeit des Schultergelenkes spielt jedoch bei vielen militärischen Fertigkeiten eine wichtige Rolle, wie zum Beispiel beim Schießen mit Handfeuerwaffen. In einer Sporthalle wurde eine Zielscheibe mit markierten Winkeln (55°, 90°, 125°). an einer höhenverstellbaren Sprossenwand fixiert. Ein aufgebrachtes Koordinatensystem ermöglichte ein unmittelbares Ablesen von Winkelabweichungen [Grad] in der x- und y-Achsenrichtung beim Zielen auf die Zielscheibe.
Den Probanden wurde am dominanten Arm ein Laserpointer (LP 6 Mini, Firma Hama) durch eine Halterung und ein Klettband am Handgelenk fixiert und die stufenlos höhenverstellbare Zielscheibe mittels einer Wasserwaage in Höhe des Akromions des Probanden justiert. Danach visierte der Proband im Abstand von einem Meter in aufrechter Körperhaltung und mit ausgestrecktem Arm mit dem Laser die vorgegebene Gradzahl an. Der Testleiter notierte anhand des Koordinatensystems die Abweichungen in horizontaler und vertikaler Richtung. Jeder Proband absolvierte drei Durchgänge. Ein Durchgang galt als beendet, wenn alle drei Winkel in der vorgegebenen Reihenfolge einmal getestet waren (13, 14, 23). Als Maß für die propriozeptive Leistung diente der Mittelwert der Abstände aus allen neun Durchgängen.
Gleichgewichts-Koordinationssystem (GKS, Kraftmessplatte)
Gemessen wird dabei die posturale Stabilität als Fähigkeit, den Körper so ruhig wie möglich zu halten (23). Dazu werden die im Stand auftretenden Veränderungen des Druckmittelpunktes auf der Unterstützungsfläche (Center of Pressure, COP) von anterior nach posterior und von medial nach lateral sowie der Gesamtschwankungsweg hinsichtlich Amplitude und zeitlicher Ausprägung erfasst. Die Testungen wurden mit Hilfe zweier Kraftmessplatten (GKS 1000, Firma IMM Elektronik GmbH, Mittweida) in zwei separaten ruhigen und erschütterungsfreien Räumen durchgeführt. Der Testablauf gliederte sich nach einer Probemessung in vier unterschiedliche Durchgänge aus drei identischen Messungen von jeweils 20 Sekunden Dauer und dazwischen liegender kurzer Pause:
(1) beidbeiniger Stand mit offenen Augen,
(2) beidbeiniger Stand mit geschlossenen Augen,
(3) Einbeinstand mit dominantem Bein und offenen Augen,
(4) Einbeinstand mit dominantem Bein und geschlossenen Augen.
Die Arme aus der verschränkten Haltung lösen, unerlaubtes Augenöffnen oder das andere Bein aufsetzen wurden als Fehler bewertet. Musste eine Testperson während der Messung die Platte ganz verlassen, so wurde die Messung nicht gewertet. Die Untersuchungsvariablen Durchschnittsschwankung [mm], Durchschnittsgeschwindigkeit [mm/sec], beschriebene Fläche [cm2] und Spurlänge [mm] wurden aus den drei Messunjede Testdurchführung berechnet. Konnte eine Messung nicht gewertet werden, wurde der arithmetische Mittelwert für die gültigen Messungen errechnet. Die über alle Durchgänge hinweg gemittelte Spurlänge ging in die nachfolgende Auswertung als Indikator für statische Balancefähigkeit ein.
Monopedaler Hüpfparcours
Dieses Testverfahren prüft im Wesentlichen die dynamische Stabilisierungsfähigkeit der unteren Extremität und wurde von Chambers et al. (4) entwickelt. Die Probanden müssen auf einem Bein schnellstmöglich einen vorgegebenen Parcours auf einer Holzplatte mit verschiedenen Neigungs- und Steigungswinkeln fehlerfrei überwinden (4, 11). Dieser Test ähnelt insbesondere dem Pendellauf des PFT im Anforderungscharakter. Der Aufbau des Parcours orientierte sich in leicht modifizierter Form an den Vorgaben von Chambers et al. (4). Der Parcours bestand aus einer 2 m x 1 m großen Holzplatte, auf der acht gleichgroße quadratische Holzplatten (0,5 m x 0,5 m) in Neigungen und Steigungen von 0° und 15° montiert waren. Dabei lagen zwei quadratische Felder in der Breite und vier in der Länge nebeneinander (Abb 1).
Der Parcours war von der Versuchsperson nur mit dem dominanten Bein, das auch auf der Kraftmessplatte als Standbein eingesetzt wurde, zu durchlaufen. Mit dem Überqueren der Start-/Ziellinie begann die Zeitmessung. Von der Startlinie ausgehend wurde der Parcours zuerst auf der rechten Seite durchlaufen. Auf der letzten Platte wurde auf die linke Seite gewechselt. Das Ende war Wendepunkt, um dann den gesamten Weg in entgegen gesetzter Richtung erneut zu passieren. Die Zeit wurde mit dem einbeinigen Überspringen der Ziellinie gestoppt. Als Fehler wurden unter anderem folgende Ereignisse gewertet (12): Verlassen der Sprungplatte, Überspringen einer Fläche, beidbeiniges Überspringen der Ziellinie.
Für jeden Fehler wurde auf die erreichte Zeit eine halbe Strafsekunde addiert. Die Probanden mussten drei Durchgänge absolvieren, wobei sie die Pausenlänge zwischen zwei Durchgängen selbst wählen konnten. Gemessen wurde die durchschnittlich benötigte Zeit in Sekunden (auf Zehntel genau) in allen drei Durchgängen, woraus dann das arithmetische Mittel errechnet wurde. Zusätzlich wurden auf die Zeit die durchschnittlichen Strafsekunden aus den drei Durchgängen addiert. In dieser Studie wurde die um die Strafsekunden reduzierte Durchschnittszeit betrachtet.
3. Ergebnisse
3.1. Beschreibung der Stichprobe
Die Stichprobe umfasste insgesamt 79 Frauen und 825 Männer mit einem Durchschnittsalter von 27 (19 bis 50) Jahren (M = 27,01; SD = 4,31). Insgesamt lag der Anteil der Personen, die unter 30 Jahre alt waren, bei etwa 75 % und betrachtet man die Frauen separat, sogar bei etwa 90 %. Die Untersuchungsteilnehmer hatten einen mittleren Body-mass-Index (BMI) von 24 (M = 24,73; SD = 2,80; min = 18; max = 37). Der Taille-Hüft-Quotient (waist hip ratio; WHR) wies im Mittel einen Wert von M = 0,89 (SD = 0,08; min = 0,57; max = 1,28) auf.
Betrachtet man die PFT-Daten, dann ergaben sich für die Gesamtstichprobe durchschnittlich M = 8,80 (SD = 0,47) Sekunden für den Pendellauf; M = 34,21 (SD = 5,33) Wiederholungen für Sit-ups und M = 24,29 (SD = 2,54) für Liegestütze. Beim Standweitsprung wurde eine durchschnittliche Weite von M = 226,25 (SD = 23,06) cm erreicht und beim 12- Minuten-Lauf eine Strecke von M = 2 648 (SD = 301) m absolviert. Für die koordinativen Testverfahren zeigten sich über alle Probanden hinweg folgende Befunde:
- Der Mittelwert des Winkelreproduktionstests (propriozeptive Fähigkeit) bezog sich auf alle drei Positionen aus den drei Durchgängen und lag bei einer durchschnittlichen Abweichung von M = 3,13 Grad (SD = 1,16).
- Als Leistungsparameter zur Kennzeichnung der statischen Balancefähigkeit wurde die über die vier Versuchsbedingungen aufsummierte Spurlänge gewählt: Über alle Personen hinweg betrug diese M = 912,87 mm (SD = 290,10).
- Durchschnittlich benötigten die Probanden beim Einbein-Hüpfparcours (dynamische Balance) unter Berücksichtigung der durch Fehler provozierten Strafzeiten M = 10,21 (SD = 1,67) Sekunden.
In der Tabelle 3 sind die hier interessierenden Variablen in Abhängigkeit vom Geschlecht dargestellt. Die Frauen waren im Vergleich zu den Männern im Durchschnitt jünger und hatten einen signifikant geringeren BMI und WHR. Die geschlechtsspezifischen Unterschiede erreichten für die Leistungen im PFT durchweg signifikantes Niveau. Die Leistungen der Frauen waren beim Standweitsprung im Vergleich zu den Leistungen der Männer um 20 % reduziert. Beim 12-Minuten-Lauf erzielten die Männer Strecken, welche die Leistungen der Frauen um 16 % übertrafen. Darüber hinaus waren die Frauen im Winkelreproduktionstest um 9 % schlechter als die Männer, allerdings um 11 % besser bei der statischen Balancefähigkeit. In Bezug auf die dynamische Balancefähigkeit zeigten sich keine bedeutsamen Unterschiede zwischen Frauen und Männern.
Vergleicht man die Daten dieser Stichprobe mit denen der Studie von Bös und Beck (1), dann ergibt sich bei fast gleich großer Stichprobe im Verhältnis von Frauen zu Männern in beiden Studien kein Unterschied (chi2 = 0,08, nicht signifkant). Allerdings waren sowohl die Frauen (t = 13,75, df = 78, p < 0,00) als auch die Männer (t = 35,99, df = 824, p < 0,00) dieser Studie um circa 5 Jahre jünger. Da der PFT zwischenzeitlich in den Anforderungen reduziert wurde, können die beiden Stichproben lediglich bezüglich des 12-Minuten-Laufes und des Standweitsprunges miteinander verglichen werden. Der 1-Stichproben-t-Test zeigte für die Frauen im Standweitsprung ein signifikantes Ergebnis: Die Frauen sprangen in der Studie von Bös und Beck (1) 6 cm weiter (t = -2,70, df = 78, p < 0,01), dagegen waren keine Unterschiede bei den Männern (t = 0,40, df = 824, nicht signifikant) feststellbar. Im 12-Minuten-Lauf erreichten die Männer in dieser Studie eine durchschnittlich etwa 100 Meter größere Strecke (t = 12,78, df = 824, p < 0,00). Die Frauen liefen sogar im Mittel 200 Meter weiter als noch in der Studie von 1989 (t = 784, df = 78; p < 0,00).
3.2. Zusammenhang zwischen verschiedenen sportmotorischen Fähigkeiten
Für die nachfolgenden Analysen wurden die Leistungsparameter in z-Werte transformiert. Die Tabelle 4 zeigt, getrennt nach Frauen und Männern, den Zusammenhang zwischen den einzelnen Testübungen des PFT. Insbesondere Personen, die gute Zeiten beim Pendellauf erzielten, waren auch im Standweitsprung vergleichsweise gut. Zwischen den einzelnen Disziplinen des PFT ergaben sich jeweils niedrige und mittlere Korrelationskoeffizienten. Sie waren für die Männer alle hoch signifikant und deuten darauf hin, dass die im PFT erfassten Leistungsaspekte nicht völlig unabhängig sind. Für die Frauen zeigte sich im Großen und Ganzen ein entsprechendes Bild. In der Tabelle 5 werden zunächst die für diese Studie zu betrachtenden koordinativen Leistungsparameter interkorreliert. Danach bestand zwischen der Propriozeption des Schultergelenkes und der statischen beziehungsweise dynamischen Balancefähigkeit kein Zusammenhang. Bei den Männern lag zwar zwischen statischer und dynamischer Balancefähigkeit ein statistisch bedeutsamer Zusammenhang vor, der aber nur eine geringe numerische Höhe (r = 0,10) aufwies. Bei den Frauen ergaben sich keine Zusammenhänge zwischen den koordinativen Leistungsparametern.
Tabelle 6 veranschaulicht die Zusammenhänge zwischen koordinativen Leistungsparametern und den Ergebnissen im PFT getrennt nach Frauen und Männern. Erwartungsgemäß zeigten sich zwischen Winkelreproduktionstest und PFT keine signifikanten Befunde. Zwischen Pendellauf und statischer Balancefähigkeit ergab sich zwar ein signifikanter Zusammenhang, dieser ist allerdings mit r = 0,24 bei den Frauen als niedrig einzustufen. Weitere Zusammenhänge zwischen den Leistungen im PFT und der statischen Balancefähigkeit konnten nicht nachgewiesen werden. Die Leistungen im monopedalen Hüpftest (dynamische Balance) korrelierten sowohl bei den Frauen als auch bei den Männern signifikant mit den einzelnen Teilleistungen im PFT: Personen mit einer guten dynamischen Balancefähigkeit hatten bessere Leistungen im Pendel- und 12-Minuten-Lauf. Sie erzielten eine größere Weite im Standweitsprung und mehr Wiederholungen im Liegestütz sowie bei den Sit-ups als Personen mit einer schlechteren Ba - lancefähigkeit. Allerdings besaßen die Koeffizienten nur teilweise ein mittleres oder ein lediglich niedriges Niveau.
3.3. Faktorielle Struktur verschiedener sportmotorischer Fähigkeiten
In einem weiteren Schritt wurden die Ergebnisse der einzelnen Teildisziplinen entsprechend der Studie von Bös und Beck (1) einer Hauptkomponentenanalyse mit Varimax-Rotation unterzogen. Dabei wurde auch hier die zu berücksichtigende Stichprobe auf die Männer beschränkt. Wie der Tabelle 7zu entnehmen ist, gibt die rotierte Faktorenmatrix im Gegensatz zu den Befunden von Bös und Beck (Tab 2) nicht den geringsten Hinweis darauf, dass der PFT mehr als einen Faktor abbildet. Für diesen Faktor weist der Pendellauf die größte Ladungshöhe auf. Bezieht man in einem nächsten Analyseschritt auch die drei koordinativen Testverfahren in die Faktorenanalyse mit ein, dann lassen sich zwei Faktoren differenzieren (Tab 8): Der Faktor 1 umfasst die Teildisziplinen des PFT, der Faktor 2 die koordinativen Testverfahren. Die statische Balance ist für den zweiten Faktor mit a2 = 0,67 ein Markier- Item. Der monopedale Hüpftest weist eine deutliche Doppelladung mit dem Faktor 1 auf.
4. Diskussion
Die erhobenen Daten belegen, dass die Teildisziplinen des PFT untereinander in nicht unerheblichem Maße miteinander korrelieren. Die Faktorenanalyse unterstützt dieses Ergebnis und steht damit in Widerspruch mit den Aussagen der Testautoren, was die faktorielle Validität des PFT betrifft. Es gilt allerdings zu bedenken, dass der PFT gegenüber der Ausgangsversion stark vereinfacht wurde, sodass eine Vergleichbarkeit der Befunde nur in eingeschränktem Umfang möglich ist. Die Veränderung des PFT dürfte die Diskriminierungsfähigkeit der einzelnen Testverfahren reduziert und zu einer Homogenisierung des gesamten Verfahrens beigetragen haben.
Es muss schon aus ökonomischen Gründen diskutiert werden, ob es bei der Durchführung sportmotorischer Tests in der Bundeswehr um eine globale oder detaillierte Analyse spezifischer sportmotorischer Fähigkeiten geht. Wenngleich es wünschenswert erscheint, so zeigt doch der Truppenalltag, dass weder die Erstellung noch die Durchführung spezifischer Trainingsprogramme für den Einzelnen möglich sind. Damit verliert eine detaillierte Analyse ihren praktischen Nutzen. Eine globale Bewertung hingegen erlaubt eine Aussage zur Trainierbarkeit der Testperson und deren Zuordnung zu Leistungsgruppen, wie zum Beispiel „sehr gut“, „gut“ und „weniger gut“, um die Sportausbildung nach trainingsphysiologischen Gesichtspunkten zu gestalten. Es bietet sich daher an, für die Abbildung konditioneller Fähigkeiten eine Stellvertreterübung auszuwählen. Nimmt man die Ergebnisse dieser Studie, dann stellt der Pendellauf die Disziplin da, die dies am ehesten repräsentiert.
Koordinative Fähigkeiten und damit koordinatives Training sind wesentliche Grundlagen für die Erfüllung sportartspezifischer und militärischer Fertigkeiten und tragen offensichtlich im Sinne einer Verletzungsprophylaxe zu einer Risikoreduktion bei. So wird propriozeptives Training unter anderem in der Prävention und Rehabilitation eingesetzt. Der Einfluss derartiger Trainingsformen für die Prävention und Rehabilitation von Verletzungen ist vielfach belegt (3, 7, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 24).
Prävention, Rehabilitation und Optimierung der Leistung unter Belastung sind vor dem Hintergrund der Einsatzrealität von entscheidender Bedeutung. So wird Koordination gerade in modernen Einsatzszenarien wie dem Häuser- und Nahkampf als unabdingbar und wichtigster sportmotorischer Parameter bewertet. Eisinger et al. (6) untersuchten den Stellenwert von sportmotorischen Parametern wie Ausdauer, Kraftausdauer, Schnelligkeit und Koordination im österreichischen Bundesheer an 26 Jagdkommandosoldaten und stellten dabei die Koordination als Schlüsselqualifikation für diese Soldaten heraus.
Die hier dargestellten Befunde zeigen weiter, dass bestimmte koordinative Fähigkeiten mit einzelnen Übungen des PFT durchaus korrelieren. Es wäre aber in weiteren Studien im Detail zu bestimmen, um welche koordinativen Fähigkeiten es sich im Einzelnen handelt und inwieweit energetisierende oder steuernde Merkmale zur Leistung beitragen. Die Zusammenhangsanalysen zeigen, dass die statische Balancefähigkeit im Gegensatz zur dynamischen Balancefähigkeit vergleichsweise unabhängig von den Übungen des PFT ist. Außerdem weist die statische Balancefähigkeit in der Faktorenanalyse die ausgeprägteste Ladungshöhe für den Faktor 2 auf, wäre also Markier-Item für den koordinativen Bereich.
Will man in einer grundlegenden und möglichst ökonomischen Betrachtung der körperlichen Leistungsfähigkeit sowohl energetisierende als auch steuernde Fähigkeiten erfassen, dann deuten die Ergebnisse dieser Studie darauf hin, dass ein solches Testverfahren sich auf zwei Disziplinen beschränken könnte: (1) Pendellauf (konditioneller Aspekt) und (2) Balancetest (koordinativer Aspekt).
5. Schlussfolgerungen
Seit dem 01.01.2010 wird der Basis- Fitness-Test (BFT) mit den Einzeldisziplinen Sprinttest, Klimmhang und 1 000- m-Lauf als Ersatz für den Physical-Fitness- Test (PFT) bei der Bundeswehr unter dem Vorbehalt einer eventuellen Modifikation durchgeführt.
Eines der Hauptanliegen sportmotorischer Testverfahren ist die Feststellung der individuellen Leistungsfähigkeit mit dem Ziel konkreter Trainingsinterventionen. Die Ergebnisse dieser Studie und die trotz prinzipiell vorhandener personeller, infrastruktureller und organisatorischer Möglichkeiten eingeschränkte Umsetzbarkeit im Truppenalltag relativieren diese Zielsetzung in erheblichem Maße. Aus wissenschaftlicher Sicht muss daher die Diskussion erlaubt sein, in welchem Umfang sportmotorische Fähigkeiten getestet werden sollen, die statistisch in hohem Maße korrelieren, insbesondere dann, wenn die entsprechenden Interventionen kaum durchgeführt werden. Die sportmotorischen Hauptbeanspruchungsformen müssen unabhängig von Testergebnissen breit gefächert trainiert werden und auf soldatische Fertigkeiten (military fitness) ausgerichtet sein.
Die Testmotivation steigt mit der Einfachheit, Durchführbarkeit und dem vermittelbaren Nutzen eines Testverfahrens. Da die Beurteilung sportmotorischer Fähigkeiten bekanntermaßen keine Aussage über die Ausprägung soldatischer Fertigkeiten erlaubt, sollten ergänzend höherwertige Fertigkeitstests entwickelt werden. Erkennt man die Möglichkeiten und Grenzen der Sportausbildung realistisch an, so wäre künftig ein wesentlich schlankeres sportmotorisches Testverfahren anzudenken. Der BFT stellt gegenüber dem PFT bereits eine Ökonomisierung der sportmotorischen Leistungsbestimmung dar. In der zweijährigen Erprobungsphase sollte geprüft werden, ob die Anzahl der Test-Items oder die inhaltliche Zusammensetzung der Disziplinen optimiert werden können. Aus diesen Überlegungen heraus sollten die vorliegenden Studienergebnisse ebenso wie die künftigen Erfahrungen mit dem BFT kritisch ausgewertet werden. Dafür besteht weiterer Forschungsbedarf.
Danksagung
Unser besonderer Dank gilt den zivilen Sportlehrern und Sportfeldwebeln der Sportschule der Bundeswehr, die durch ihre Kooperation und Mitarbeit die Durchführung dieser Studie im laufenden Lehrgangsbetrieb möglich gemacht haben.
Literatur:
- Bös, K, Beck, J: Entwicklung eines einheitlichen Sporttests für die Bundeswehr “Sporttest-Bw“, Abschlussbericht zum Studienauftrag T/R 629/K 008/K 3004, 1989
- Brüdigam, A: Die Winkelreproduktionsfähigkeit als Teilkomponente der sensomotorischen Leistungsfähigkeit bei Schulterinstabilen im Vergleich zu Schultergesunden. Schriftliche Hausarbeit im Rahmen der ersten Staatsprüfung für das Lehramt der Sekundarstufe II/I. Münster, 2003.
- Caraffa, A, Cerulli, G, Projetti, M, Aisa, G, Rizzo, A: Prevention of anterior cruciate ligament injuries in soccer. A prospective controlled study of proprioceptive training. In: Knee surgery, Sports traumatology, arthroscopy: Official Journal of the ESSUA 1996: 4: 19-21.
- Chambers, R.B., Cook, T.M., Cowell, H.R.: Surgical reconstruction for calcaneonaviclar coalation. J. Bone Joint Surg 1982; 64(A): 829-836
- Eggersmann, S.: Sensomotorik im Tagesverlauf am Beispiel Gleichgewichts- und Winkelreproduktionsfähigkeit. Schriftliche Hausarbeit im Rahmen der Ersten Staatsprüfung für das Lehramt der Sekundarstufe II, Münster, Dezember 2002.
- Eisinger, G., Wittels, P., Enne, R et al.: Sportmotorische Anforderungsprofile von Spezialeinsatzsoldaten des Österreichischen Bundesheeres. In: Österreichisches Journal für Sportmedizin Wien 36 2006; 4: 6-34.
- Grigereit, A; Banzer, W: Propriozeptive Trainingstherapie Pathogenese der typischen Schulterdysfunktion des Überkopfspielers. In: Manuelle Medizin. 1997; 35 (5): 263-268.
- Hinkes, T: Evaluation des Pointing-Testverfahrens zur Ermittlung der Winkelreproduktionsfähigkeit der Schulter mittels biokinetischer Messverfahren. Magisterarbeit, Münster 2003.
- Hohmann, H; Lahmes, M; Letzelter, M: Einführung in die Trainingswissenschaft. 4. überarb. und erw. Aufl. Limpert, Wiebelheim, 2007.
- Hotz, A: Dank koordinativer Kompetenz mehr Leistungseffizienz! „Jedes Zuwenig- aber auch jedes Zuviel- verdirbt jedes Spiel. In: Ludwig, G, Ludwig, B: Koordinative Fähigkeiten- koordinative Kompetenz. Reihe Psychomotorik in Forschung und Praxis. Kassel 2002; 84-90.
Weitere Literaturhinweise beim Verfasser erhältlich.
Datum: 14.02.2012
Quelle: Wehrmedizinische Monatsschrift 2011/11